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2012/01/08 13:18:10
anneliese.schumacher(a)t-online.de
Re: [Regionalforum-Saar] Die andere Seite des Saarlouiser „Helden“ Paul von Lettow-Vorbeck
Datum 2012/01/08 23:56:45
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] unsere Nachbarn
2012/01/10 23:18:02
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rez. MA: S. Neumann: Der gerichtliche Zweikampf im Mittelalter
Betreff 2012/01/12 17:27:31
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] tea party
2012/01/08 12:49:31
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Die andere Seite des Saarlouiser „Helden“ Paul von Lettow-Vorbeck
Autor 2012/01/08 23:56:45
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] unsere Nachbarn

[Regionalforum-Saar] Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World

Date: 2012/01/08 20:12:28
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Ulrich Lambrecht <lambre(a)...   09.01.2012
Subject: Rez. AG: R. Mathisen u.a. (Hrsg.): Romans, Barbarians, and
         the Transformation
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Mathisen, Ralph W.; Shanzer, Danuta (Hrsg.): Romans, Barbarians, and the
Transformation of the Roman World. Cultural Interaction and the Creation
of Identity in Late Antiquity. Farnham: Ashgate 2011. ISBN
978-0-7546-6814-5; XIX, 378 S.; £ 65,00.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_17139.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau
E-Mail: <lambre(a)... Verhältnis zwischen barbarischen - also nichtrömischen -
Völkerschaften und den Römern in der Spätantike ist seit Jahrzehnten ein
in diversen Richtungen intensiv untersuchtes Feld, an dem verschiedene
Forschungstraditionen Anteil haben. Der Auffassung vom unversöhnlichen
Gegeneinander barbarischer und römischer Welten in starren Fronten ist
durch die Ansätze der Ethnogenese-Forschung der "Wiener Schule" vieles
von ihrer Inflexibilität genommen worden. Zugleich haben
historisch-anthropologische Ansätze vom Wandel in der Spätantike das
Denken in Dichotomien zugunsten von Übergangsphasen verflüssigt, in
denen unterschiedliche Lebenswelten einander beeinflussten und
durchdrangen: So konnte durch Vorstellungen von sukzessiver und
wechselseitiger Transformation anstelle von einseitigen Einwirkungen die
eher integrativ orientierte Auffassung einer allmählichen Entwicklung
von gänzlich Neuem in den verschiedensten Lebensbereichen in den
Vordergrund treten. Allerdings wird auch in einigen aktuellen
Forschungsarbeiten Roms Untergang wieder primär auf die barbarischen
Völker zurückgeführt.[1]

Der von Ralph Mathisen und Danuta Shanzer herausgegebene Sammelband geht
auf eine Tagung der University of Illinois im Jahre 2005 zurück, deren
Beiträge nun - leider erst - nach sechs Jahren publiziert wurden. Die
Aufsätze sind dem Transformationsansatz verpflichtet und stellen die
Wechselseitigkeit der Einflussnahme in den Vordergrund: Veränderungen
der römischen Kultur und des barbarischen Selbstverständnisses werden
gleichermaßen berücksichtigt, Untergangsszenarien wegen der ihnen
inhärenten Bewertungen vermieden. Es geht also um die Identitätsbildung
von Barbaren unter dem Einfluss der auch nach 476 noch dominierenden
römischen Kultur und zugleich um die Veränderung der römischen Kultur
unter dem Einfluss dieser Völker. Damit wendet sich das Buch gegen die
Vorstellung einseitiger "Romanisierung" von Barbaren und ersetzt sie
durch das Konzept wechselseitiger Beeinflussung: Derartige Interaktion
sorgte für "a composite barbaro-Roman culture that integrated elements
of the cultures of all the peoples involved" (S. 4).

Im Interesse innerer Kohärenz der 25 Beiträge zu einem sehr offen und
weit gefassten, obendrein alle geographischen Räume in der Nachbarschaft
des Römischen Reiches tangierenden Thema sind diese nach übergeordneten
inhaltlichen Gesichtspunkten gruppiert: Die vier Teile untersuchen
Identitätskonstruktionen von Barbaren durch unterschiedliche Urheber und
Faktoren (zehn Beiträge), die wechselseitige Einwirkung von Römern und
Barbaren in den Grenzräumen (neun Beiträge), die Identitätsausformung in
der nachrömischen Welt (fünf Beiträge) und die in Rezeptionsaspekten zum
Ausdruck kommende moderne Konstruktion barbarischer Identität (ein
Beitrag). Damit werden vielfältige Aspekte angeschnitten, mit deren
Hilfe sich die Einwirkungen von Barbaren und Römern aufeinander
illustrieren lassen.

Der erste Unterabschnitt des ersten Teils behandelt mit literarischen
Konstruktionen barbarischer Identität Vorstellungen aus römischer
Perspektive. Man erwartet abgrenzende Zuschreibungen, doch bieten diese
angesichts der Veränderungen, die die Spätantike mit sich brachte,
darüber hinaus teilweise durchaus differenzierte Einsichten. Behandelt
werden hier unter anderem spätantike Barbarenkataloge (Ralph W.
Mathisen) zur Ab- und Ausgrenzung gegenüber den Römern, wobei auch der
teilweise feststellbare Wandel dieser Auffassung unter christlichem
Einfluss berücksichtigt wird. Nicht zu bemerken ist ein solcher Wandel
allerdings bei Augustinus (Gillian Clark), dessen Urteil alten
Stereotypen verhaftet bleibt. Ein Problem ist die Zuordnung der
Sasaniden zu den Barbaren: Auch wenn die Römer von ihrer Überlegenheit
überzeugt sein mochten, mussten sie den Persern doch einen
vergleichbaren Rang zuerkennen (Scott McDonough), so dass deren
"barbarische" Qualität - eine andere als die der nördlichen Nachbarn
Roms - die Römer Charakteristiken ihrer eigenen Identität erkennen ließ
(Jan Willem Drijvers).

Im zweiten Abschnitt des ersten Teils geht es um Deutungen barbarischer
Aktivitäten: Hierzu zählen politische Interpretationen im Zusammenhang
mit Einfällen barbarischer Gruppen in das römische Griechenland, die im
3. Jahrhundert n.Chr. im hergebrachten römischen Verständnis
dichotomische Vorstellungen bedienten, im späten 4. Jahrhundert aber die
Faktizität der innerrömischen Kämpfe zwischen Westen und Osten um
Einfluss und Macht kaum noch hinter ihren Klagen über die Aktivitäten
der Goten Alarichs verbergen konnten (Amelia Robertson Brown); ebenso
finden sich religiöse Deutungen, in deren Rahmen miaphysitische
Protagonisten im Osten das Ende des weströmischen Kaisertums als Gottes
Missfallen an den Ergebnissen des Konzils von Chalkedon interpretierten
(Edward Watts).

Unter den regierungsamtlichen Vorgaben zur Wahrnehmung von Barbaren, dem
Thema des dritten Abschnitts dieses Teils, wird zunächst die
Auseinanderentwicklung zwischen Juden und Samaritern im Gefolge der
religiösen Vereinheitlichungspolitik Diokletians anlässlich seiner
antichristlichen Maßnahmen behandelt, die für die Juden eine Ausnahme
vom kaiserlichen Opferbefehl vorsahen, nicht jedoch für die Samariter
(Yuval Shahar). Ein weiteres Thema ist das Verhältnis der Christen zum
römischen Staat anfangs des 4. Jahrhunderts: Diokletian grenzte in
Übereinstimmung mit neuplatonischen Vorstellungen nur die Christen,
verstanden als "challenge to Roman identity" (S. 123), aus dem römischen
orbis aus (Elizabeth DePalma Digeser). Eine von herkömmlichen Szenarien
abweichende Betrachtung der alemannischen Barbaren vertritt - der
militärisch unerfahrene - Symmachus (or. 2,10-12), indem er die von
Valentinian I. den Germanen gewährte Gelegenheit zur Flucht als
"strafende" indulgentia und damit als eine Strategie interpretiert, die
in Untertänigkeit einzumünden vermag; Symmachus sieht also die Barbaren
auf diese Weise in das Reich integriert (Cristiana Sogno).

Im zweiten Teil geht es im ersten Abschnitt um den Wechsel von
Völkerschaften auf die römische Seite der Grenze, die durchaus auf
römische Initiative zurückgehen konnte, wie der Kolonat als Modell für
die Ansiedlung von Barbaren auf römischem Boden, den Cam Grey am
Beispiel eines Gesetzes aus dem Jahre 409 (Cod. Theod. 5,6,3)
diskutiert. Desgleichen konnte es bei Barbaren im römischen Dienst zu
Loyalitätskonkurrenzen kommen (Kimberley Kagan). Der zweite Abschnitt
thematisiert die Bedeutung des sozialen und wirtschaftlichen Austauschs
für die Romanisierung von Barbaren, und zwar am Beispiel der Sklaverei
barbarischer Gefangener bei den Römern und von Römern bei den Barbaren
(Noel Lenski) sowie an der Diskrepanz zwischen ideologiegeprägten
Barbarenstereotypen und einer Realität, die es auch Barbaren
ermöglichte, Römer zu werden (Hartmut Ziche). Im dritten Abschnitt
werden Beispiele wechselseitiger Anpassung in Grenzregionen vorgestellt:
die religiöse Entwicklung an der Grenze zwischen dem südlichen Ägypten
und dem Reich von Kusch (Salim Faraji), die Begegnung der Einwohner von
Petra mit Arabern (Jason Moralee), Identitätsfragen in der Scythia minor
bis zu den Einfällen der Avaren und Slaven zu Beginn des 7. Jahrhunderts
(Linda Ellis) sowie von Augustinus (epist. 46-47) diskutierte Fragen des
Umgangs christlicher Römer mit nordafrikanischen Barbaren (Kevin
Uhalde).

Der dritte Teil bietet Beispiele für Identitätsausformungen barbarischer
Völkerschaften auf der Grundlage römischer Vorbilder. Einen Schwerpunkt
bildet dabei Spanien: Andreas Schwarcz fasst Argumente für die
Klassifikation der tertiae Romanae und der sortes Gothicae als
Grundlagen für die Landversorgung der Westgoten zusammen; Luis A. García
Moreno liefert anhand eines Ehevertrags von 615 ein Beispiel gotischen
wie römischen Einflusses angesichts eines ethnisch gemischten Adels in
Córdoba; Scott de Brestian spürt der Entwicklung des
Selbstverständnisses der Vascones in der Spätantike nach, die den
Niedergang der römischen Herrschaft zur Ausbildung ihrer Identität
nutzten. Ferner geht es anhand archäologischer Zeugnisse um Fragen
barbarisch-römischer Ethnogenese durch Ansiedlung in Gallien (Patrick
Périn und Michel Kazanski) sowie um Versuche, die Qualität der
angelsächsischen Einwanderung nach Britannien anhand genetischer Spuren
zu ermessen (Michael E. Jones). Der letzte Teil behandelt mit den
Ausgrabungen Auguste Moutiés auf einem spätrömisch-frühmerowingischen
Gräberfeld nahe Houdan (Île de France) in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ein Beispiel für die Entwicklung moderner
Barbarenwahrnehmungen (Bailey Young und Barbara Oehlschlaeger-Garvey).

Die mit meist wenig mehr als zehn Druckseiten überwiegend kurzen
Aufsätze bieten zahlreiche unterschiedliche Zugänge zu Beziehungen
zwischen Barbaren und Römern in der Spätantike und ihren Folgen, ohne
dass der Barbarenbegriff, wie es oft geschieht, auf die nördlichen
Nachbarn des Römischen Reiches an Rhein und Donau beschränkt wäre,
sondern vielmehr auch die Perser und Araber im Osten und Völker in
Afrika im Süden einschließt. Damit umfasst er in diesem Sammelband alles
Nichtrömische, wird als solcher aber nicht eigens reflektiert, wie es
beispielsweise angesichts der Qualifikation von Christen als Barbaren
bzw. Römer angebracht gewesen wäre: Durch Diokletian werden Christen aus
der zivilisierten römisch-griechischen Welt ausgegrenzt und damit
"barbarisiert", während später christliche Einflussnahme in Nubien und
im Donaudelta als "römisch" gilt. Eine zusammenfassende Darstellung des
Barbarenbildes und seiner Mutationen hätte in einem auswertenden
Schlussbeitrag erfolgen können, der aus einem anderen Blickwinkel als in
der Einleitung die wechselseitige Beeinflussung des Bildes von Römern
und Barbaren und ihre Folgen für Verschiebungen und Veränderungen des
Barbarenbegriffs bis in seine moderne Rezeption hinein thematisiert.
Dies hätte das Anliegen des Sammelbandes und seiner Beiträge im
Interesse der Historisierung des Transformationsgedankens
zusammenfassend und ergebnissichernd verdeutlichen können.

Trotz des eingangs erläuterten ganzheitlichen Zugangs zum Thema über den
Transformationsgedanken und eine wohlüberlegte Zuordnung der Aufsätze zu
übergeordneten Themen bleibt der Zusammenhang mancher Beiträge mit den
Zielen dieses Bandes eher locker, wie es vielleicht nicht ausbleibt,
wenn mit Ergebnissen von Spezialforschungen diverse allgemeine Aspekte
abgedeckt werden sollen. Eine Zusammenschau der gegenseitigen
Einflussnahmen zwischen den Römern und den Barbaren in konziser Form
versucht zu haben, darin liegt unbestreitbar ein Vorteil dieses Buches;
das verleiht ihm auch gegenüber der von der Europäischen
Wissenschaftsstiftung geförderten Reihe "Transformation of the Roman
World" mit ihren zahlreichen Bänden ein eigenes Profil.

Anmerkung:
[1] Vgl. Peter Heather, The Fall of the Roman Empire, London 2006; Bryan
Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilisation, Oxford 2006.
Zu beiden Büchern die Rezension von Udo Hartmann in: H-Soz-u-Kult,
09.07.2007,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-022>
(09.12.2011).

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann <hartmannu(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-1-014>

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