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2011/02/21 00:53:33
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Antikatholizismus
Datum 2011/02/21 09:02:26
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[Regionalforum-Saar] SZ: Zeitmaschine Internet
2011/02/08 10:23:25
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[Regionalforum-Saar] Menschen in Bewegung – Aus wanderung, Einwanderung, Binnenwanderung
Betreff 2011/02/13 23:21:18
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[Regionalforum-Saar] Rezension (deutsch): From Tribe to Province to State
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Autor 2011/02/21 09:02:26
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[Regionalforum-Saar] Neue Rechtsurkunden aus Pompeji

Date: 2011/02/21 00:54:21
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Wolf, Joseph Georg (Hrsg.): Neue Rechtsurkunden aus Pompeji. Tabulae
Pompeianae novae. Lateinisch und deutsch (= Texte zur Forschung 98).
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. ISBN
978-3-534-23236-9; 240 S.; EUR 49,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Kathrin Jaschke, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: <kathrin.jaschke(a)... wartet immer wieder mit sensationellen, einzigartigen Funden
auf, die für das Verständnis gerade der römischen Alltagswelt von
größter Bedeutung sind. Dies war auch bei dem Wachstäfelchen-Archiv der
Sulpicii der Fall, das mit seinen Rechtsurkunden einen direkten Blick in
die Geschäftswelt einer in der Hafenstadt Puteoli agierenden familia von
libertinen Bankiers im 1. Jahrhundert n.Chr. gewährt. Mit dem Archiv des
Lucius Caecilius Iucundus aus Pompeji sind zwar ähnliche Täfelchen
bekannt [1], doch beinhalten diese hauptsächlich Quittungen. Auch in
Herculaneum wurden bislang weitgehend unbekannte Täfelchen geborgen,
deren Publikation nach einigen unbefriedigenden Versuchen nun in die
Hände von Giuseppe Camodeca gelegt ist.[2] Das Archiv der Sulpicii
hingegen enthält vor allem Kredit- und verwandte Rechtsgeschäfte wie
Bürgschaften oder Verpfändungen von Naturalien mit zugehörigen
Speichermieten aus den Jahren 29 bis 61 n.Chr.; es wirft Licht auf die
vielfältigen Interessen und Geschäftsverbindungen von Freigelassenen in
einer der wichtigsten Hafenstädte des Römischen Reiches und ergänzt so
das Bild, das aus den anderen tabulae gewonnen werden konnte.

Obwohl bereits bei Ausgrabungen in Murecine im Jahre 1959 entdeckt, zog
sich die Publikation der wegen fehlender Erfahrung unsachgemäß
konservierten Täfelchen über mehrere Jahrzehnte hin. Aufgrund ihrer
Fragilität konnte nur mit Fotografien gearbeitet werden, wobei offenbar
nicht alle Seiten erfasst wurden und somit bis heute Unklarheit über die
genaue Anzahl der tabulae besteht. Die erste, leider oft fehlerhafte
Edition - die Tabulae Pompeianae (TP) - wurde in den 1960er- und
1970er-Jahren in den "Rendiconti della Accademia di Archeologia, Lettere
e Belle Arti" (Napoli) abgedruckt. Eine hervorragende kritische Ausgabe
brachte 1999 Giuseppe Camodeca mit den Tabulae Pompeianae Sulpiciorum
(TPSulp) mit 127 Texten heraus, die allerdings keine Übersetzung bietet
und aufgrund der italienischen Sprache nur einem kleineren Kreis
zugänglich ist.[3] Joseph Georg Wolf schließt nun diese Lücke, indem er
die Texte von 118 tabulae mit einer deutschen Übersetzung und einem
textkritischen Apparat in der Reihe "Texte zur Forschung" herausgibt und
somit einem breiteren Leserkreis erschließt. In Abgrenzung zu den 1875
ebenfalls in Pompeji gefunden Täfelchen des Caecilius Iucundus nennt er
die Urkunden Tabulae Pompeianae Novae (TPN).

Die einführenden Kapitel zum Fund (S. 17-18 u. 22-24), zur Technik (S.
19f.), zu den Typen der Urkunden (S. 20-22), den Editionen (S. 24f.),
der Datierung (S. 25f.), den Personen (S. 26-28) sowie der
Schriftlichkeit (S. 29f.) und den Geschäften eines Bankhauses (S. 30-32)
sind recht knapp gefasst und konzentrieren sich auf die Fundstücke,
weniger auf ihre historische Einordnung. Offen bleibt dabei unter
anderem die Frage, wieso sich ein Korb mit einer mindestens 15 Jahre
alten Auswahl an Geschäftsunterlagen aus Puteoli in einem, von Wolf als
Sitz eines collegium interpretierten Gebäude in Pompeji befand. Offenbar
hatten die Sulpicii das Gebäude erstanden und ließen noch die Schäden
des Erdbebens von 62 n.Chr. beseitigen, als in Folge des Vesuvausbruches
von 79 n.Chr. Schlamm in das Gebäude einbrach und so für den
außerordentlichen Erhaltungszustand der Täfelchen sorgte. Wolf
unterscheidet zudem bei der Einführung in die Urkundentypen nur zwischen
der testatio als Geschehensbericht und kombiniertem Urkunden- und
Zeugnisbeweis sowie dem chirographum als Erklärung einer Person. Die
Urkundentexte selbst hingegen sind feiner in vadimonia, testationes
sistendi, mutua, fideiussiones, apochae und tabulae ad auctiones
pertinentes unterteilt, um nur die größeren Gruppen zu nennen. Die
Charakteristika der einzelnen Untergruppen werden jedoch nicht
erläutert, was den Zugang zu den Texten für jeden erschwert, der sich
noch nicht mit der römischen Rechtsgeschichte auseinandergesetzt hat.

Die Texte sind in der ursprünglichen Zeilenfolge wiedergegeben; die
zweifelsfrei lesbaren Buchstaben werden durch Majuskeln dargestellt, die
nicht zweifelsfrei lesbaren durch Minuskeln und kursive Schreibweise
ergänzt. Zu jeder Urkunde sind die TP- und die TPSulp-Nummer der
vorherigen Editionen genannt, was die Zuordnung der Texte erleichtert.
Es folgen der textkritische Apparat, der teilweise durch Erklärungen,
die das Textverständnis erleichtern, erweitert wird, sowie die
Übersetzung ins Deutsche, die sich - so der Autor in den Erläuterungen
der Edition - als "Lesehilfe" versteht und sich "an den lateinischen
Wortlaut so eng wie möglich" anschließt (S. 13). Als äußerst hilfreich
erweisen sich die Indices, in denen nach verschiedenen
Namensbestandteilen von Kaisern, Konsuln, Privatpersonen und Sklaven
gesucht werden kann. Sklaven schlossen recht häufig Geschäfte im Namen
und in Abwesenheit ihrer Herren ab oder fungierten als deren Schreiber,
wenn diese Analphabeten waren. Des Weiteren umfassen die Indices die
Konsuldatierungen, die lateinischen und griechischen Wörter und deren
unterschiedliche Schreibweisen sowie Berufe, Gebäude und Zahlen und
schlussendlich eine Konkordanz.

Einige Täfelchen lassen sich zu Gruppen zusammenschließen, aus denen
ganze Geschäftsvorgänge der Sulpicii mit einem bestimmten
Geschäftspartner rekonstruiert werden können. Da diese oftmals
verschiedene Arten von Urkunden umfassen, sind Verweise unbedingt
erforderlich und werden von Wolf meist auch vorgenommen, wenn eine
Person in anderen Urkunden ebenfalls auftaucht. Eine Ausnahme bilden die
Täfelchen, in denen Lucius Marius Iucundus genannt wird. Zwar bringt
Wolf TPN 69, die Übergabe eines Pfandes in Naturalien für einen Kredit,
und TPN 87, die Anmietung des Lagerraums für den Pfand durch den
Gläubiger Caius Sulpicius Faustus, in Verbindung, das chirographum über
den eigentlichen Kredit über 20.000 Sesterzen (TPN 45), der in TPN 69
erwähnt wird, verbindet er dagegen nicht mit dieser Urkunde, wie dies
noch Camodeca tat. Im Gegensatz zu diesem hält Wolf das Datum der
Urkunde für unsicher und ordnet daher konsequenterweise TPN 45 nicht dem
Geschäftsvorgang von TPN 69 und 87 zu. Dennoch wäre ein Verweis an
dieser Stelle hilfreich, um sich selbst ein Bild machen zu können.

Die Kommentierung der teilweise recht komplexen Texte fällt sehr knapp
aus, was wahrscheinlich dem begrenzten Umfang des Bandes geschuldet ist.
Umso wichtiger wären weiterführende Literaturhinweise, die eine weitere
Beschäftigung mit den Texten und ihre historische Einordnung
ermöglichen. Hier bleibt Wolf leider hinter der Edition von Camodeca
zurück, dessen Literaturangaben allerdings nun mehr als zehn Jahre alt
sind. Wolf führt in der Literaturauswahl hauptsächlich die Editionen und
Ausgrabungsberichte an und verzichtet auf einschlägige
Forschungsarbeiten zu den einzelnen Urkunden. Dies fällt besonders bei
einem der umstrittensten Texte des Archivs auf, dem sogenannten
Seefrachtvertrag des Menelaos, einer Urkunde nach hellenistischem
Vorbild, die nicht so recht zu den bislang bekannten Verträgen passen
will und zu der Wolf nur einen eigenen Aufsatz nennt. Noch
schwerwiegender ist das Fehlen jedweder Literaturangabe zu den Urkunden,
die das Kreditgeschäft zwischen Caius Sulpicius Faustus und Caius Novius
Eunus betreffen (TPN 43, 44, 58 u. 59), das auf Spekulationen mit
Getreide aus Alexandria hindeutet und sowohl von Camodeca als auch von
Wolf selbst bereits ausführlich behandelt worden ist.[4] Somit bleibt
die weiterführende Literaturrecherche dem Leser selbst überlassen; ein
bei der unterschiedlichen Nennung und Nummerierung der tabulae nicht
immer leichtes Unterfangen.

Die Vorlage der Texte des Sulpicii-Archivs mit deutscher Übersetzung und
einer, wenn auch knappen Kommentierung ist insgesamt zu sehr begrüßen,
da dieser gut strukturierte und übersichtliche Band sicherlich dazu
beitragen wird, diese einzigartige Quellengattung, die viele neue
Informationen nicht nur zur römischen Rechtsgeschichte, sondern im
besonderen Maße auch zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte liefert,
einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.


Anmerkungen:
[1] CIL IV, Suppl. I; Jean Andreau, Les affaires de Monsieur Jucundus,
Rome 1974.
[2] Vgl. Giuseppe Camodeca, Magistrati municipali e "datio tutoris"
dalla riedizione delle "Tabulae Herculanenses", in: Rendiconti,
Pontificia Accademia Romana di Archeologia 79 (2006-2007), S. 57-81.
[3] Giuseppe Camodeca (Hrsg.), Tabulae Pompeianae Sulpiciorum (TPSulp.).
Edizione critica dell'archivio puteolano dei Sulpicii, 2 Bde., Roma
1999.
[4] Giuseppe Camodeca, Puteoli porto annorario e il commercio del grano
in età imperiale, in: Le ravitaillement en blé de Rome et des centres
urbains des débuts de la République jusqu'au Haut-Empire, Naples 1994,
S. 103-128; Joseph Georg Wolf / John Anthony Crook Rechtsurkunden in
Vulgärlatein aus den Jahren 37-39 n. Chr., Heidelberg 1989.