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2011/02/11 12:54:16
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag "Die Kolonialplän e der Nazis"
Datum 2011/02/13 23:28:36
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Spätantike im Heimatmuseum Neipel
2011/02/21 00:54:21
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[Regionalforum-Saar] Neue Rechtsurkunden aus Pompeji
Betreff 2011/02/14 21:11:38
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[Regionalforum-Saar] Rezension: Das Amt und die Vergangenheit, Rezi 2
2011/02/11 12:54:16
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag "Die Kolonialplän e der Nazis"
Autor 2011/02/13 23:28:36
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Spätantike im Heimatmuseum Neipel

[Regionalforum-Saar] Rezension (deutsch): From Tribe to Province to State

Date: 2011/02/13 23:21:18
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...



de Vingo, Paolo: From Tribe to Province to State. An
Historical-ethnographic and Archaeological Perspective for
Reinterpreting the Settlement Processes of the Germanic Populations in
Western Europe between Late Antiquity and the Early Middle Ages (=
British Archaeological Reports International Series 2117). Oxford u.a.:
Archaeopress 2010. ISBN 978-1-407-30658-2; XXI, 303 S.; £ 52,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Oliver Schipp, Mainz
E-Mail: <OliverSchipp(a)... Edward Gibbon in seinem Hauptwerk "The History of the Decline and
Fall of the Roman Empire" die Herrschaftsgründungen durch die
germanischen Stämme auf den Trümmern des Römischen Reiches als ein
unabwendbares Ereignis, verschuldet von der christlich-römischen
Dekadenz, betrieben von schwachen Kaisern und starken Königen,
beschrieben hat, arbeitet sich die Forschung an dieser brillanten
Vorlage ab. Jede Forschergeneration fügt neue Theorien und Thesen hinzu.
Wenn Gibbon auch vielfach nicht erreicht wird, so sind seine
Einschätzung und Bewertung doch inzwischen überholt. Daran sind die
verschiedenen historischen, anthropologischen, juristischen und
archäologischen Forschungsdisziplinen gleichermaßen beteiligt. Erschwert
wird die Erforschung des 4. bis 9. Jahrhunderts aber immer noch durch
die imaginäre Epochengrenze zwischen Spätantike und Mittelalter, der an
den Universitäten eine entsprechende Aufteilung der Arbeitsbereiche
entspricht. Zudem ist die Völkerwanderungszeit seit jeher Gegenstand
internationaler Forschung. Die Beschäftigung mit dieser setzt folglich
eine gewisse Mehrsprachigkeit voraus.

Paolo de Vingo geht in seiner Dissertation, die nun als Monographie
vorliegt, der Frage nach, wie aus Stämmen Staaten wurden, und legt
erstmals eine detaillierte Studie vor, in welcher die historischen
Quellen und archäologischen Befunde sowie die Ergebnisse der Forschung
über sprachliche, sachliche und methodische Grenzen hinweg dargestellt
werden. Dabei nimmt er nicht das gesamte Gebiet des vergehenden
Westreiches in den Blick, sondern fokussiert seine Untersuchung auf
Franken, Burgunder, Ostgoten und Langobarden. Als territorialen
Schwerpunkt wählt er den Alpenraum und Norditalien. Dieses Vorgehen ist
mit der Quellenfülle und der disparaten Befundsituation gut begründet,
wenngleich man feststellen muss, dass der weitgesteckte Rahmen der
ersten Kapitel immer mehr eingeengt wird, je weiter die Untersuchung
voranschreitet. Es entsteht mithin der Eindruck, dass die ursprüngliche
Konzeption der Arbeit größer angelegt war. Auf der Grundlage der
archäologischen Analyse sollen schließlich eine detaillierte historische
Bewertung und eine Beschreibung der Entwicklung der einzelnen ethnischen
Gruppierungen möglich werden.

Am Anfang der Studie steht eine Präsentation der Arbeit durch die
Archäologin M. M. Negro Ponzi (S. IIIf.), gefolgt von einem Vorwort des
Archäologen M. Rotili (S. V-XVIII) und einer Einführung von Paolo de
Vingo (S. 1-5). Die anschließende eigentliche Untersuchung gliedert sich
in vier Kapitel und eine Zusammenfassung. Eine umfassende Bibliographie
schließt das Werk ab. Im ersten Kapitel der Untersuchung wird die
historische Situation vom 5. bis zum 8. Jahrhundert mit besonderem
Schwerpunkt auf das Gebiet Norditaliens dargestellt (S. 7-36). De Vingo
beginnt mit der Ansiedlung der Sarmaten im 3. Jahrhundert und spannt den
Bogen über die Wanderungen der Burgunder, Franken und Goten bis zu Karl
dem Großen. Er unterscheidet bei der Ansiedlung von 'Barbaren' auf dem
Boden des Römischen Reiches mehrere personenrechtliche Kategorien wie
dediticii, foederati, laeti, gentiles und inquilini.[1] Die Gruppen
werden aber nur vage differenziert; auch die rechtliche Entwicklung
dieser personenrechtlichen Stellungen berücksichtigt de Vingo nicht
weiter, sodass nicht deutlich wird, was es für die jeweilige Gruppe
bedeutete, unter einer der erwähnten Rechtsstellungen im 3., 4. oder 5.
Jahrhundert angesiedelt worden zu sein. So hatte etwa die Ansiedlung der
'Barbaren' als Inquilinen im 3. Jahrhundert nicht, wie de Vingo
schreibt, die Bodenbindung zur Folge (S. 8), da diese erst im 4.
Jahrhundert eingeführt wurde.[2] Hier hätte man differenzierter
darstellen müssen.

Im zweiten Kapitel werden der kulturelle Kontext und die Ethnogenese der
'Barbaren' erörtert (S. 37-87). Untergliedert in die Ethnogenese der
Burgunder, Franken, Langobarden und Goten skizziert de Vingo auf der
derzeitigen Forschungsgrundlage diesen vielschichtigen Prozess, den
Wenskus einst als "Stammesbildung" bezeichnete, der mit Wolfram
inzwischen "Ethnogenese" genannt und neuerdings als Transformation
begriffen wird. Es gelingt dem Autor, auf wenigen Seiten die wichtigsten
Quellen (Jordanes, Gregor von Tours und Paulus Diaconus) anzusprechen
und die Ethnogenese der jeweiligen Gruppierung auf der Grundlage der
aktuellen Forschung zu schildern. Dabei werden sowohl die Ergebnisse der
deutschsprachigen Forschung, insbesondere der "Wiener Schule", vertreten
durch Herwig Wolfram und Walter Pohl, als auch der englischsprachigen
Forschungen, vor allem von Ian Wood und Peter Heather, einbezogen.
Leider geht de Vingo nicht auf Forschungskontroversen ein und erklärt
sich auch nicht in der 'Gretchenfrage' der gotischen Ethnogenese - wie
man es nämlich mit der Historizität der bei Jordanes beschriebenen
Wanderung der Goten hält. Das Kapitel wird mit einer Zusammenfassung
abgeschlossen, in der de Vingo vier Typen der Ethnogenese
unterscheidet.

Nachdem nun die Stämme gebildet sind, wird im dritten Kapitel unter
Verwendung aller Quellengattungen die Staatsgründung der Burgunder
beschrieben (S. 89-169); die literarischen Quellen werden dabei ebenso
herangezogen wie das geschriebene Recht der Burgunder (Lex Burgundionum
und Lex Romana Burgundionum). Des Weiteren werden die materiellen
Hinterlassenschaften untersucht und das Siedlungsgebiet anhand von
Grabbefunden abgesteckt. Einen besonderen Reiz besitzt die Darstellung
der burgundischen Gesellschaft mittels der Rechtsbücher und des
archäologischen Befundes in den beiden Burgunderstädten Genf und Lyon.
Theoretischer Herrschaftsanspruch und Sozialordnung werden hierbei den
tatsächlichen Hinterlassenschaften gegenübergestellt. Durch die
Kontrastierung der Textquellen mit den archäologischen Befunden kommt de
Vingo zu einer umfassenden Darstellung sowie zu soliden
Schlussfolgerungen bezüglich der Ausgestaltung der burgundischen
Herrschaft in der Sapaudia.

Die Brücke zum Frühmittelalter wird schließlich im vierten Kapitel
geschlagen, in dem de Vingo die Siedlungsprozesse in Norditalien
untersucht, wobei die Romanen, Ostgoten, Byzantiner und Langobarden in
den Fokus genommen werden (S. 171-261). Die Begräbnisbräuche und die
Grabbeigaben lassen nicht nur die topographische Verbreitung eines
bestimmten Typs erkennen, sondern de Vingo kann an diesen Zeugnissen
auch die sozialen Veränderungen aufzeigen. Dabei darf man aber als
Nicht-Archäologe skeptisch sein, ob es möglich ist, Föderaten, Laeten,
Franken oder Burgunder anhand der Grabbefunde klar voneinander
unterscheiden zu können.

Das Buch ist in einem unhandlichen und kopierunfreundlichen DIN-A4
Format gedruckt. Register fehlen; die Bibliographie weist bei den
deutschen Titeln zahlreiche Rechtschreibfehler auf. Der Band ist reich
bebildert, wobei nicht nur historische Karten zur Erläuterung der
Wanderbewegungen, Pläne von archäologischen Befunden und Zeichnungen
archäologischer Artefakte, sondern auch Rekonstruktionszeichnungen von
Föderaten, Burgundern, Langobarden, Franken und einer Begräbnisszene
beigegeben wurden. Über Sinn und Zweck solcher Darstellungen kann man
geteilter Meinung sein. In einer wissenschaftlichen Monographie wirken
sie jedenfalls ein wenig deplatziert; hübsch und dekorativ sind sie aber
allemal.

Es ist das Verdienst de Vingos, die weit verstreute Forschungsliteratur
über Sprachgrenzen hinweg akribisch gesammelt, geordnet und ausgewertet
zu haben, wobei eine kritischere Haltung gegenüber den
Forschungsergebnissen wünschenswert gewesen wäre. Der Band liefert dem
Leser aber einen reichen Fundus der literarischen Quellen und
archäologischen Befunde aus der Völkerwanderungszeit zur Frage der
Ansiedlung von Franken, Burgundern und Langobarden im alpinen Raum und
in Norditalien.

Anmerkungen:
[1] Zum Gebrauch des Terminus "Barbaren" vgl. Walter Pohl, Vom Nutzen
des Germanenbegriffes zwischen Antike und Mittelalter: Eine
forschungsgeschichtliche Perspektive, in: Dieter Hägermann / Wolfgang
Haubrichs / Jörg Jarnut (Hrsg.), Akkulturation. Probleme einer
germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem
Mittelalter, Berlin 2004, S. 18-34.
[2] Zum Inquilinus-Begriff und zur Entwicklung der Bodenbindung von
Kolonen und Inquilinen zuletzt Oliver Schipp, Der weströmische Kolonat
von Konstantin bis zu den Karolingern (332 bis 861), Hamburg 2009, S.
23-27 u. 34-96.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann <hartmannu(a)... zur Zitation dieses Beitrages
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-1-105