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[Regionalforum-Saar] Stand des VLS auf der Freizei t in Saarbrücken
Datum 2011/01/31 10:25:42
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[Regionalforum-Saar] über das Vergessen, Rassi smus und Bücherverbrennungen
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Autor 2011/01/31 10:25:42
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[Regionalforum-Saar] Auswandern und Zurückkehren

Date: 2011/01/27 22:24:01
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Hoffmann, Wiebke: Auswandern und Zurückkehren. Kaufmannsfamilien
zwischen Bremen und Übersee. Eine Mikrostudie 1860-1930 (=
Internationale Hochschulschriften 523). Münster: Waxmann Verlag 2009.
ISBN 978-3-8309-2102-8; 556 S.; EUR 39,90.

Rezensiert für geschichte.transnational und H-Soz-u-Kult von:
Christiane Berth, Kulturwissenschaftliche Abteilung, Universität St.
Gallen
E-Mail: <christiane.berth(a)... und Zurückkehren, so betitelt Wiebke Hoffmann ihr Buch über
die Lebenswelten Bremer Kaufleute in Übersee. Wie sich Arbeit und
Geschlechterbeziehungen während der Auswanderung entwickelten, wie die
Beziehungen zu anderen Kulturen verliefen, und welche langfristigen
Folgen der Auslandsaufenthalt für die Familien hatte, sind ihre
Fragestellungen.

Das Buch basiert auf der Auswertung der Nachlässe von zehn Bremer
Kaufmannsfamilien, die im 19. Jahrhundert nach Zentralamerika,
Westafrika, Indien, Australien und Brasilien auswanderten. Im Zentrum
stehen die Korrespondenzen zwischen den Kaufleuten und ihren Ehefrauen,
die Wiebke Hoffmann teils mit autobiographischen Zeugnissen
konfrontiert. Als Ziel strebt sie an, "Prozesse von Transkulturalität in
allen Lebensbereichen" (S. 27) zu erforschen und beleuchtet dabei die
Kontakte zwischen Europäern und Einheimischen. Sie sieht sich einer
mikrogeschichtlichen Analyse verpflichtet, verwendet aber auch Ansätze
aus der Körpergeschichte, der "visual history", der Ethnologie und der
historischen Anthropologie. Eine weitere wichtige Quelle sind
Familienfotos aus den Nachlässen, die sie detailliert beschreibt und
analysiert.

Wiebke Hoffmann präsentiert bisher weitgehend unbekannte Aspekte des
Alltagslebens von deutschen Kaufleuten in Übersee. Sie analysiert zum
Beispiel ausführlich, wie die Familien mit Schwangerschaft, Geburt und
Erziehung umgingen, und wie sich der bürgerliche Haushalt in Übersee
veränderte. Sexualität thematisierten die Ehepartner in ihren Briefen
nur indirekt, weshalb Wiebke Hoffman sich bei der Analyse der Briefe auf
die Wortwahl und Metaphern konzentrierte. Dabei fand sie heraus, dass
Sexualität in den Korrespondenzen als eine Form von Arbeit beschrieben
wird (S. 396ff.).

Im Ausland verschob sich die traditionelle Arbeitsteilung zwischen
Männern und Frauen - so Hoffmanns These (S. 17). Die Ehefrauen hätten
eine wichtige Rolle als Beraterinnen in geschäftlichen Angelegenheiten
eingenommen. Des Weiteren waren sie für die Organisation der
Hausangestellten verantwortlich, verwalteten das Haushaltsgeld und
übernahmen während der Abwesenheit ihrer Ehemänner weiter gehende
Verantwortung. Hoffmann zeigt, dass Sparsamkeit und die Kontrolle der
Ausgaben ein wichtiges Thema in der Korrespondenz zwischen den
Ehepartnern war. Die Ehefrauen ordneten ihre eigenen Bedürfnisse und
Wünsche häufig denen der Ehemänner unter. Der geschäftliche Erfolg, der
die spätere Rückkehr nach Bremen ermöglichen sollte, galt auch ihnen als
übergeordnetes Ziel (S. 250).

Da die Bremer Frauen als Hausfrauen und Mütter in einer abgeschlossenen
Sphäre lebten, erfolgten Kontakte in die einheimische Gesellschaft meist
über die Angestellten, zum Beispiel über Dienstmädchen oder Ammen.
Einerseits weist Hoffmann einen Lernprozess nach, was Sprache, lokale
Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten sowie Hygiene betrifft.
Andererseits existierten jedoch Konflikte, Missverständnisse und
Sprachlosigkeit - sei es durch Ignoranz oder fehlende Sprachkenntnisse.
Bei den Kaufleuten basierte der Umgang mit den fremden Kulturen auf
Geschäftsinteressen, was Wiebke Hoffmanns Meinung nach einerseits zu
gegenseitiger Anerkennung und Anpassung geführt habe (S. 483).
Andererseits zeigt sie, dass die Bremer Kaufleute die einheimischen
Gesellschaften und ihre Bevölkerung als rückständig wahrnahmen. Viele
Bremer charakterisierten die Einheimischen auch nach längerem Aufenthalt
noch als "Primitive" (S. 359).

Interessant sind die Passagen über die Wahrnehmung der einheimischen
Frauen: In den Korrespondenzen thematisierten die Kaufleute vor allem
deren angebliche "Heißblütigkeit", die Gefahr von Geschlechtskrankheiten
sowie ihre andersartige Kleidung. Daraus folgert Hoffmann, dass die
Bremer Kaufleute "auf Distanz" blieben (S. 389). Möglicherweise ist dies
der Auswahl ihrer Fallbeispiele geschuldet, denn aus Zentralamerika sind
zahlreiche Belege für Beziehungen zwischen deutschen Einwanderern und
einheimischen Frauen überliefert. Ein Teil der deutschen Kaufleute
nutzte Heiratsallianzen als ein Mittel zur Ausweitung der geschäftlichen
Beziehungen.[1] Möglich ist auch, dass die Kaufleute Beziehungen zu
einheimischen Frauen in der Korrespondenz verschwiegen.

Der von Wiebke Hoffmann in der Einleitung formulierte Anspruch, die
"Stimmen der 'Kolonialisierten' in Übersee 'mitzuhören'" (S. 27), kann
auf Grund der ausgewählten Quellen kaum verwirklicht werden. Sie macht
zu Recht auf die blinden Flecken in den Korrespondenzen aufmerksam,
füllt diese allerdings nicht durch anderes Material. Auch auf den
präsentierten Fotos erscheinen die einheimischen Personen als Statisten,
die auf das Zustandekommen der Situation vermutlich keinen Einfluss
hatten. Wiebke Hoffmann liefert zu jedem der Fotos eine ausführliche
Beschreibung, geht in ihren Interpretationen jedoch teilweise sehr weit.
Ob beispielsweise ein in indigener Kleidung spielendes
zweieinhalbjähriges Mädchen als Beleg dafür gewertet werden kann, dass
"Indigenas keine Fremden, sondern Teil des Eigenen waren", ist
zweifelhaft (S. 331f.), zumal Hoffmann selbst auf Vorurteile gegenüber
den indigenen Ammen in Guatemala verweist (S. 304).

Die Korrespondenzen werfen ein neues Licht auf Probleme, Konflikte und
Schwierigkeiten, mit denen die Bremer Kaufleute in Übersee konfrontiert
waren; Themen, die in autobiographischen Zeugnissen häufig ausgeblendet
werden. Interessant ist dabei, dass Wiebke Hoffmann die häufig zu
lesende These über die hohe Bedeutung familiärer Netzwerke im
internationalen Handel in Frage stellt. Vielmehr sei es bei der
Anstellung von Familienangehörigen häufig zu Streitereien gekommen (S.
146-151).

Am Ende ihrer Studie widmet sich Wiebke Hoffmann dem bisher von der
Forschung stark vernachlässigten Thema der Rückkehr. Die meisten
Kaufleute hatten von Anfang an eine spätere Heimkehr nach Bremen
geplant. Häufig waren es ihre Ehefrauen, die vor allem wegen Problemen
mit der Kindererziehung und dem tropischem Klima für eine frühzeitige
Rückreise plädierten. Sie erlebten den Aufenthalt in Übersee häufig als
ein "Provisorium" (S. 512). Ihre Ehemänner dagegen kehrten oft für
längere Geschäftsreisen in die Auswanderungsregion zurück, weshalb
Wiebke Hoffmann sie als "Schwellenpersonen" und "Grenzgänger" (S. 477)
kennzeichnet. In Bremen übernahmen die Kaufleute nach der Rückkehr
politische und soziale Ämter, engagierten sich als Mäzene und
unterhielten Kontakte zu Institutionen wie dem Bremer Überseemuseum oder
dem Geografischen Verein (S. 500). Zu Beginn ihrer Studie wirft Wiebke
Hoffmann die interessante Frage auf, warum der Auslandsaufenthalt nicht
zu einer Reformierung der erstarrten politischen Strukturen in der
Bremer Hansestadt geführt hätte (S. 54). Diese Frage bleibt leider
unbeantwortet, ebenso wie die Frage nach der Transformation der
hanseatischen Identitäten, die in der Einleitung angesprochen wird (S.
58f.).

Kritisch anzumerken ist, dass Wiebke Hoffman die Rahmenbedingungen in
den Auswanderungsländern erst ganz zum Schluss vergleicht und nicht
reflektiert, ob es jeweils spezifische Umstände gab, die die
Lebenswelten der Kaufleute in den verschiedenen Regionen prägten. Das
Fazit gleicht einem Sammelsurium, in dem so unterschiedliche Themen wie
die Religiosität von Bürgerinnen, Weihnachtsfeiern der Kaufmannsfamilien
und kaufmännische Ethik angerissen werden. Ein prägnantes Resümee der
Forschungsergebnisse sucht man leider vergebens, so dass die
detaillierten Fallstudien in der Luft hängen bleiben.

Anmerkung:
[1] Vgl. z.B. für Guatemala: Martha Elena Casaús Arzú, Guatemala. Linaje
y racismo, 3. Aufl., Guatemala-Stadt 2007, oder für Costa Rica: Eugenio
Herrera Balharry, Los alemanes y el estado cafetalero, San José, C.R.
1988.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Katja Naumann <knaumann(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-1-066>

Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums
geschichte.transnational.
http://geschichte-transnational.clio-online.net/