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Forschung
Mein Urahn aus der Höhle
VON HEIDI NIEMANN
Göttingen. Wissenschaftler der Universität Göttingen haben
wahrscheinlich die längste Stammbaumlinie der Welt entdeckt. Bei einem
weltweit einmaligen Forschungsprojekt stellten sie durch Gentests fest, dass
vermutlich mehrere heutige Bewohner aus dem Südharz direkte Nachfahren eines
bronzezeitlichen Familienverbandes sind, der vor rund 3500 Jahren in der
Region lebte.
Archäologen hatten 40 Skelette von prähistorischen
Südharzbewohnern in der Lichtensteinhöhle im Landkreis Osterode gefunden. Die
Zähne und Knochen waren so gut erhalten, dass die Göttinger Experten vom
Institut für historische Anthropologie genetische Fingerabdrücke erstellten.
Mit ihrem Forschungsprojekt wollten die Wissenschaftler um Susanne Hummel
klären, ob es eine Verwandtschaftslinie von den Bronzezeitmenschen zu heutigen
Südharzbewohnern gibt. Dazu hatten sie im Januar die Bewohner der Dörfer
Dorste, Förste, Eisdorf, Nienstedt, Marke, Ührde und Schwiegershausen um
Speichelproben gebeten. 220 Einwohner aus der Region machten
mit.
Resultat: Es gibt zwei heiße Kandidaten für eine direkte
Verwandtschaftslinie zu den Bronzezeitskeletten. Die beiden Männer, deren
Identität die Wissenschaftler nicht enthüllten, stammen mit hoher
Wahrscheinlichkeit von zwei damaligen Südharzbewohnern ab, die in der Höhle
bestattet wurden. Bei diesen Bronzezeitmenschen - die Forscher nennen sie M1
und M2 - handelt es sich um einen Vater, der vermutlich im Alter von knapp 60
Jahren starb, und seinen Sohn, der zwischen 50 und 55 Jahre alt
wurde.
Obwohl das DNS-Muster der beiden heutigen Südharzer nicht mit
denen von M1 und M2 identisch ist, spricht eine Besonderheit dafür, dass die
beiden Skelette ihre Urahnen sind: Beide Männer haben ein Y-chromosomales
Muster, das bislang nirgendwo sonst auf der Welt auftauchte - außer bei den
beiden Skeletten aus der Höhle. Es geht um bestimmte genetische Merkmale, die
konstant in der väterlichen Familienlinie weitervererbt werden. Weil das
Muster in keiner internationalen Datenbank vertreten ist, spricht vieles
dafür, dass die beiden Männer von M1 und M2 abstammen.
Daneben gibt es
drei weitere Kandidaten, die mit einem anderen der 40 Skelette verwandt sein
könnten. Die leichten Abweichungen im Erbmuster können durch Mutationen
entstanden sein, immerhin liegen zwischen den Bronzezeitmenschen und heutigen
Bewohnern rund 100 Generationen.
Bei elf Zeitgenossen fanden die
Wissenschaftler sogar identische genetische Muster mit jenen aus der Höhle.
Das sei aber kein Beweis für eine direkte Verwandtschaft, da diese DNS-Muster
auch in anderen Teilen Deutschlands und Europas vorkommen.
Zu ihrem
Bedauern können die Göttinger Forscher nicht sagen, wie hoch die
Wahrscheinlichkeit ist, dass die Probanden tatsächlich von den
Bronzezeitmenschen abstammen. "Wir hatten uns das einfacher vorgestellt",
sagte Hummel. Es gebe für diese Prozentzahlen keine biostatistische Methode.
Sie soll nun schnell entwickelt werden. Damit werden die prähistorischen
Harzbewohner auch noch zum Mathe-Forschungsobjekt.
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Copyright © FR-online.de
2007
Dokument erstellt am 06.07.2007 um 16:56:03 Uhr
Letzte Änderung am
06.07.2007 um 17:44:48 Uhr
Erscheinungsdatum 07.07.2007