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2023/07/13 07:27:55 Hans Schmitt [Regionalforum-Saar] M |
Datum | 2023/07/19 09:12:07 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Lesehilfen |
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2023/07/13 07:27:55 Hans Schmitt [Regionalforum-Saar] M |
Betreff | 2023/07/06 22:00:14 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Was so alles im Wald passiert … |
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2023/07/10 22:26:08 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Frankenholz, Haupstrasse 97 |
Autor | 2023/07/19 09:12:07 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Lesehilfen |
Date: 2023/07/16 18:48:28
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Unbrauchbare Väter. Über Muster-Männer,
Seitenspringer und
flüchtende Erzeuger im Lebensborn
Autorin: Dorothee Schmitz-Köster
Erschienen Göttingen 2022: Wallstein
Verlag
Anzahl Seiten 160 S., 47 Abb.
Preis € 24,00
ISBN 978-3-8353-5325-1
Rezensiert für H-Soz-Kult von Yves Müller,
Institut für
Landesgeschichte, Halle an der Saale
Bis heute kann der „Lebensborn e.V.“ als ‚unterforscht‘ angesehen
werden. Hatte
schon Georg Lilienthal in den 1980er-Jahren dieses
Forschungsdesiderat beschrieben,
scheint sich daran auf den ersten Blick wenig geändert zu haben.[1] Eine der wenigen Ausnahmen
bilden die
Veröffentlichungen von Dorothee Schmitz-Köster.[2] Die promovierte
Sachbuchautorin und
Journalistin ist als Kennerin des Lebensborn bekannt. Nun hat sie
erneut eine
Arbeit zum Thema vorgelegt. In dieser mit zahlreichen Fotografien
illustrierten
Untersuchung stehen die biologischen Erzeuger der in den
Lebensborn-Heimen zur
Welt gekommenen Kinder im Mittelpunkt. Die „Lebensborn-Väter“, als
welche die
Autorin diese bis dato wenig beachtete Gruppe in dem Komplex des
Lebensborn
e.V. allgemein benennt, blieben in vielen Fällen anonym – und sind
es bis
heute, denn die Urkunden der Vaterschaftsanerkennung sind
verschollen.
1935 wurde der Lebensborn auf Veranlassung Heinrich Himmlers
gegründet und in
das Vereinsregister eingetragen. Im Jahr darauf eröffnete das
erste
Lebensborn-Heim in Oberbayern. Ab 1941 expandierte der Lebensborn
vor allem
nach Nord- und Westeuropa, aber auch nach Ost- und Südosteuropa.
24 Heime
existierten im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten, allein
zehn in
Norwegen. Nach dem Krieg wurden die Heime geschlossen.
Jahrzehntelang wurden
die dort geborenen Kinder über ihre Herkunft – und über ihre
Erzeuger – im
Unklaren gelassen.
Die nun veröffentlichte Studie ist in sechs Kapitel unterteilt.
Der Einführung
folgt in einem ersten inhaltlichen Kapitel eine Rekonstruktion der
männlichen
Ermächtigungs-Strategien. Diese lägen zum einen in einer
„Forcierte[n]
Männlichkeit“ (S. 18), also der Anrufung tradierter
Männlichkeitsformen, zum
anderen in der „Eroberung des weiblichen Raums“ (S. 28). Demnach
ergänzten sich
beide zunächst widersprüchlich erscheinenden Strategien.
Auf Grundlage von Statistiken und vom Lebensborn selbst erfassten
Datenmaterial
kann Schmitz-Köster aufzeigen, welche Berufe und
Organisationsmitgliedschaften
die Väter aufwiesen und in welchem Verhältnis sie zur Mutter
standen
(ehelich/unehelich). Im Gegensatz zum vom Lebensborn selbst
kolportierten und
bis heute standhaft sich haltenden elitären Bild des Lebensborn
als
Organisation für SS-Angehörige gab nur etwa die Hälfte der Väter
eine
SS-Zugehörigkeit an. Der interessante Befund, dass von den
SS-Mitgliedern
mehrheitlich ehelich gezeugte Kinder in den Heimen waren, während
bei der
nahezu gleich großen Gruppe der „Sonstigen“ eher uneheliche Kinder
gezeugt
wurden, wird leider nicht weiterverfolgt.
Das umfangreichste, mit „Entwurf einer Typologie“ betitelte
Kapitel behandelt
zwei männliche Akteursgruppen. Zunächst werden die als
„Symbolische Väter“
überschriebenen SS-Funktionäre vorgestellt. Dabei nahm der
„Reichsführer-SS“
Himmler eine herausragende Rolle ein, weil er sich vielfach in
alltägliche
Belange und bei individuellen Problemen einschaltete, oft
Patenschaften
übernahm und damit zum „strenge[n] und fürsorgliche[n] Vater“ (S.
49)
stilisiert werden konnte. Die Heimleiter jedoch waren die
tatsächlich zentralen
Figuren, wie die Autorin am Beispiel Gregor Ebners erläutert. Der
Mediziner
Ebner wirkte über viele Jahre als Leiter des ältesten
Lebensborn-Heims „Hochland“.
Die männlichen Erzeuger hingegen seien die „Reale[n] Väter“, deren
Biogramme
Schmitz-Köster aus ihren über viele Jahre geführten Interviews und
den
zusammengetragenen Korrespondenzen der Frauen und Männer mit dem
Lebensborn und
anderen SS-Institutionen erstellt hat. Dabei zeichnet sie ein Bild
von durch
Berufstätigkeit und Kriegseinsatz mehrheitlich abwesenden Vätern,
die in der
Ehe untreu waren und auch nach Kriegsende und Gefangenschaft oft
nicht zur
Familie zurückkehrten. Die präsentierten Männer waren als Gestapo-
und
SD-Funktionäre im „Osteinsatz“ vielfach in die Ermordung der
europäischen
Jüdinnen und Juden eingebunden. Den Kern dieses Kapitels bildet
eine
Aufschlüsselung in neun Typen von Männern anhand der zahlreichen
Einzelbeispiele, wobei allerdings die tatsächliche
Beispielhaftigkeit infrage
steht, da Schmitz-Köster fast ausschließlich die Fälle von
SS-Männern
referiert, während sie Männer ohne SS-Zugehörigkeit seltener in
den Blick
nimmt.
Unter ersteren war auch der SS-Gruppenführer Erwin Rösener, an dem
sich
beispielhaft die eigentliche Funktion des Lebensborn ablesen
lässt. Rösener
hatte den Rang eines Höheren SS- und Polizeiführer Alpenland im
besetzten
Slowenien und gilt als einer der Hauptverantwortlichen für die im
Rahmen der
„Bandenbekämpfung“ gegen die Zivilbevölkerung begangenen
Verbrechen, für die er
nach 1945 von einem jugoslawischen Gericht zum Tode verurteilt und
hingerichtet
wurde. 1942 entband eine Schauspielerin, mit der er eine
außereheliche
Beziehung führte, ein Kind von ihm in einem Lebensborn-Heim.
Rösener war
bereits kinderlos verheiratet. Als sich seine Ehefrau von ihm
scheiden ließ und
auch die Geliebte sich von ihm trennte, war ihm dies alles
offenbar sehr
peinlich, besonders da er seiner Ansicht nach damit Himmler
„Kummer bereiten“
musste (zit. nach S. 87). In diesem wie anderen Fällen diente die
Unterbringung
der werdenden Mütter in den Einrichtungen des Lebensborn der
Geheimhaltung der
Schwangerschaften vor den Ehefrauen, der Verwandtschaft oder
allgemein der
Öffentlichkeit. Deutlich wird, dass der Lebensborn in aller Regel
als Agentur
der Männer handelte, um ihre oft unehelichen Kinder diskret auf
die Welt zu
bringen.
Schwieriger gestalteten sich Fälle, in denen sich die Erzeuger
entzogen. Eine
Entbindung in einem Heim konnte nur stattfinden, wenn die Frauen
die Namen der
Männer angegeben hatten. Weigerten sich diese, die Vaterschaft
anzuerkennen,
folgten einerseits Vernehmungen der Frauen, andererseits
ausschweifende
Korrespondenzen bis hin zu disziplinarischen Maßnahmen. Hier macht
Schmitz-Köster neun Strategien der Männer aus, um eine Anerkennung
der
ungewollten Vaterschaft zu verhindern und einer damit verbundenen
Zahlung von
Alimenten zu entgehen.
Die letzten Abschnitte dieses Kapitels („Falsche Väter“,
„Ersatz-Väter“) widmen
sich denjenigen Fällen, in denen Männer als Väter, Adoptivväter
oder
Pflegeväter an die Stelle der tatsächlichen Erzeuger getreten
waren. Die
betroffenen Kinder erfuhren durch eigene Recherchen oft erst
Jahrzehnte später,
wer ihr leiblicher Vater gewesen ist. So wie der Sohn von Hans
Adolf Prützmann,
der als Höherer SS- und Polizeiführer Ukraine für zahlreiche
Verbrechen
verantwortlich war und bei Kriegsende in alliierter
Kriegsgefangenschaft Suizid
beging. So kommt die Autorin anhand ihrer anschaulichen
Fallbeispiele zu dem
insgesamt beachtenswerten Befund, dass die verschiedenen
Väter-Typen zwar für
die Kinder und die Mütter merkwürdig abwesend waren. Doch blieben
sie
gleichzeitig sehr präsent in ihrem in den Dokumenten überlieferten
Handeln.
Ein historiografischen Standards genügendes Buch hat
Schmitz-Köster jedoch
nicht vorgelegt. Schon die ein breites Lesepublikum ansprechende
Wortwahl
(„durchgecheckte Erzeuger“, S. 12; „Lendengott“, S. 96) ist ein
wenig
gewöhnungsbedürftig. Auch die verwendete Gegenwartsform ist für
das
geschichtswissenschaftliche Leseempfinden irritierend, wird doch
die von
Historiker:innen selbstauferlegte Distanz sprachlich allzu sehr
durchbrochen.
Eine solche Zurückhaltung gegenüber ihrem Gegenstand versucht die
Autorin auch
erst gar nicht vorzutäuschen. Auf die Nennung von Quellenbelegen
und
Jahreszahlen verzichtet Schmitz-Köster hingegen. Wo Quellen
fehlen, spekuliert
die Autorin und gibt dies sogar selbst zu („Alles Spekulation“, S.
135).
Mitunter leistet sich Schmitz-Köster fehlgehende Annahmen, wie
beispielsweise
bei der spekulativen Bemerkung über die im sogenannten
„Osteinsatz“
dienstverpflichteten Männer, die seien „vielleicht“ (S. 39) für
die SD, Sipo
oder Gestapo tätig, obwohl sie ebenso wahrscheinlich in den
Landkreisverwaltungen
oder sonstigen Behörden in die besetzten Gebiete abgeordnet worden
sein
könnten.
Trotz der Einschränkungen öffnet die Autorin die Perspektive auf
die zentrale,
aber von der Forschung bislang weitgehend ignorierte Gruppe der
Erzeuger.
Gerade weil sie für Mütter wie Kinder oft abwesend waren, blieben
sie lange
auch unsichtbar. Das hat Schmitz-Köster mit ihrem instruktiven
Sachbuch nun
geändert – und damit zugleich den Blick geweitet für weitere
Nachforschungen.
Anmerkungen:
[1] Georg Lilienthal, Der
„Lebensborn e.V.“. Ein
Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik, Frankfurt am
Main 2003.
[2] Dorothe Schmitz-Köster, Kind
L 364. Eine
Lebensborn-Familiengeschichte, Berlin 2007; dies., „Deutsche
Mutter, bist du
bereit…“ Der Lebensborn und seine Kinder, Berlin 2010; dies.,
Lebensborn
lebenslang. Die Wunschkinder der SS und was aus ihnen wurde,
München 2012;
dies., Raubkind – Von der SS nach Deutschland verschleppt,
Freiburg im Breisgau
2018.
Zitation
Yves Müller: Rezension zu: Schmitz-Köster, Dorothee: Unbrauchbare
Väter. Über
Muster-Männer, Seitenspringer und flüchtende Erzeuger im
Lebensborn. Göttingen
2022 , ISBN 978-3-8353-5325-1,, In: H-Soz-Kult,
17.07.2023, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118021>.