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Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Tagber: Die Person im Mittelalter
Datum 2017/05/31 20:55:05
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Zeit in den Wissenschaften
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Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Buchbesprechung "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl."
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[Regionalforum-Saar] Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit
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[Regionalforum-Saar] Vortrag "Historische Schicksalsgemeinschaft Wald - Mensch"
Autor 2017/05/31 20:55:05
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Zeit in den Wissenschaften

[Regionalforum-Saar] Der Deutsche Flottenverein 1898-1934

Date: 2017/05/29 10:06:27
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Diziol, Sebastian: Deutsche, werdet Mitglieder des Vaterlandes! Der
Deutsche Flottenverein 1898-1934. 2 Bde.. Kiel: Solivagus-Verlag 2015.
ISBN 978-3-9817079-0-8; 857 S.; EUR 97,00.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Heiko Herold, Hamburg
E-Mail: <Heiko_Herold(a)...
Seit Jahrzehnten konzentriert sich die historische Forschung zur
Kaiserlichen Marine auf den Schlachtflottenbau ab Ende der 1890er-Jahre
sowie dessen Ursachen und Folgen, während andere Aspekte, wie
beispielsweise die Einsätze deutscher Kriegsschiffe in Übersee, trotz
oftmals guter Quellenlage, wenig Beachtung finden. Auch die
hervorragende Studie von Sebastian Diziol über den Deutschen
Flottenverein (DFV) steht in diesem Kontext, denn der DFV war letztlich
ein von der Reichsleitung geschaffenes Instrument, um die bürgerlichen
Massen für die Kaiserliche Marine und den Bau einer großen deutschen
Schlachtflotte zu begeistern. Und das mit Erfolg: Immerhin entwickelte
sich der DFV von seiner Gründung im April 1898 bis zum Beginn des Ersten
Weltkriegs im August 1914 zum "mitgliederstärkste[n] nationale[n]
Propagandaverein des wilhelminischen Kaiserreichs" (S. 24).

Diziol ist nicht der erste Historiker, der sich der Geschichte des DFV
widmet [1], aber er ist der erste, der sie von den Anfängen bis zur
erzwungenen Selbstauflösung des Vereins 1934 und aus einer primär
kulturhistorischen Perspektive analysiert. Seine Studie ist als
Dissertation an der Historischen Fakultät der Universität Hamburg
entstanden. Diziols Betreuer, Rainer Hering, würdigt die Leistung seines
Doktoranden in einem Vorwort, in dem er hervorhebt, "dass seine Studie
weit über eine reine Organisationsgeschichte hinausgeht, vielmehr die
mentalen Rahmenbedingungen der Flottenrüstung klar herausarbeitet" (S.
12). Wenige Monate vor der Veröffentlichung wurde Diziols Dissertation
zudem von der Stiftung zur Förderung von Schifffahrts- und
Marinegeschichte als "erste umfassende, quellennahe Analyse des
Deutschen Flottenvereins von 1898 bis 1934" [2] prämiert.

Die Studie ist chronologisch angelegt und vom Verlag in zwei Bänden
publiziert worden. Der erste, deutlich umfangreichere Band befasst sich
mit der Geschichte des DFV von 1898 bis 1918, der zweite Band widmet
sich den Jahren 1919 bis 1934. Anhand eines breiten Quellenstudiums
beleuchtet Diziol ausführlich das Wirken wichtiger Akteure auf
nationaler und regionaler Ebene, analysiert die Methoden und Wirkung der
Vereinspropaganda, und untersucht die Vereins- und Mitgliederstruktur.

Um den außerordentlichen Erfolg des DFV als Propagandaverein in seiner
Hochphase vor dem Ersten Weltkrieg zu analysieren, hat Diziol die
vorhandenen Quellen unter ideengeschichtlichen Aspekten ausgewertet und
ein System aus sieben nationalen Symbolen herausgearbeitet, das der
Verein entwickelte um die bürgerlichen Massen für den Schlachtflottenbau
zu begeistern: "Flotte", "Kaiser", "Weltpolitik", "blaue Jungs",
"Flagge", "See" und "Auslandsdeutsche". Die Entwicklung dieses
Symbolsystems wurde nicht von der Vereinsleitung initiiert und
gesteuert, wie Diziol überzeugend nachweisen kann, sondern war das
Ergebnis eines evolutionären, diskursiven Prozesses unter den
Mitgliedern. Keines dieser Symbole war exklusiv dem DFV vorbehalten, mit
Ausnahme von "blaue Jungs" (S. 265), aber er war der einzige Verein, der
diese Symbole im Rahmen seiner Propaganda in einer Weise kombinierte,
die dem Zeitgeist des Wilhelminismus' in besonderem Maße entsprach und
klar auf eine vermeintlich bessere Zukunft hin ausgerichtet war. "Der
DFV verstand es, die nationalen Symbole, die er rund um die
Flottenrüstung schuf, einerseits flexibel genug zu halten," konstatiert
Diziol, "um ein breites bürgerliches Spektrum mit ansonsten
unterschiedlichen politischen Meinungen ansprechen zu können,
andererseits aber so zu gestalten, dass ihre Implikationen weit über die
eigentliche Flottenrüstung hinausgingen und so gleichsam durch die
Hintertür einen Deutungsanspruch auch für allgemeine ,nationale Fragen'
zu entwickeln" (S. 201). Das war der Schlüssel zum Erfolg des DFV vor
1914.

Während des Ersten Weltkriegs sah sich der Verein mit einem zunehmenden
Bedeutungsverlust konfrontiert. Propagandistisch verwertbare
"Heldentaten" der Kaiserlichen Marine blieben aus und der DFV widmete
sich überwiegend wohltätigen Zwecken. Infolge der Novemberrevolution
1918, ausgelöst durch einen Matrosenaufstand in Kiel, brach das
Symbolsystem schließlich zusammen. Auch wenn der Verein bis Ende 1934
weiterbestand, spielte er im gesellschaftlichen und politischen Leben
der Weimarer Republik und des frühen Dritten Reiches keine Rolle mehr.
Daran konnte auch die Umbenennung in Deutscher Seeverein und die
thematische Neuausrichtung der Propaganda auf die Verklärung der
Leistungen der Flotte im Ersten Weltkrieg, den Wiederaufbau zunächst der
Handelsflotte, später auch der Reichsmarine, die Wiedererlangung der
Kolonien und eine Revision des Versailler Vertrags nichts ändern. Er
galt als Relikt vergangener Zeiten und litt unter starkem
Mitgliederschwund. "Zwar existierte der Flottenverein noch bis 1934",
resümiert der Autor, "sein eigentliches Ende als gesellschaftlich und
politisch relevanter Akteur ist aber auf den November 1918 zu datieren"
(S. 523).

Diziol kann überzeugend nachweisen, dass der Verein gemäß seiner Satzung
bis Mitte 1933 konsequent überparteilich war, wenngleich er eine gewisse
Nähe zur Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) pflegte, für die einer
seiner "Helden", Admiral Alfred von Tirpitz, vier Jahre Abgeordneter im
Reichstag war (1924-1928). Diziol gelingt auch der Nachweis, dass der
Verein zu keiner Zeit strukturell antisemitisch war (S. 393-403,
679-685). Seine grundlegende These hierzu ist, "dass antisemitisches
Gedankengut in verschiedenen Abstufungen bei seinen Mitgliedern weit
verbreitet war und als selbstverständlich angesehen wurde, der DFV aber
nicht die Plattform war, auf der diese Ansichten diskutiert und
verbreitet wurden" (S. 394). Das gilt selbst noch für die Zeit ab Januar
1933, als der Verein mit NS-Institutionen zu kooperieren begann und
schließlich auch das "Führerprinzip" einführte. Zwar konnten Juden nicht
in das Amt des "Führers" gewählt werden, waren sonst aber keinerlei
anderen strukturellen Diskriminierungen ausgesetzt (S. 700). Dass der
Verein nicht schon 1933 gleichgeschaltet wurde, verdankte er laut Diziol
einerseits seiner geringen Bedeutung, andererseits seiner offenen
Anbiederung an das NS-Regime (S. 699, 726). Dennoch zwang Hitler ihn im
Dezember 1934 zur Selbstauflösung, denn er stand dem Umbau des Deutschen
Reiches zum "Führerstaat" im Wege.

Diziol nimmt für sich in Anspruch, erstmals "brennglasartig die
kulturelle Dimension des wilhelminischen Navalismus" dargestellt zu
haben (S. 743). Zweifellos ist das ein wesentliches Verdienst seiner
Forschungsleistung. Wenig überzeugend ist hingegen sein Ansatz, den
etablierten Begriff Navalismus [3] hinsichtlich "seiner Wirkung auf
gesellschaftliche, kulturelle und private Bereiche" auszuweiten und neu
zu definieren "als ein Denkmuster, das die Übertragung von
Ordnungssystemen und Wertvorstellungen aus dem Bereich der Kriegsmarine
auf Staat, Politik und Gesellschaft bezeichnet" (S. 35f.). Diesen Ansatz
hält der Autor selbst nicht durch, denn in der Schlussbetrachtung seiner
Studie schlägt er schließlich vor, zukünftig den Begriff "symbolischer
Navalismus" (S. 748) für das kulturelle und mentale Phänomen der
Flotteneuphorie im wilhelminischen Kaiserreich zu verwenden.

Bei seinen Forschungen zur Geschichte des Flottenvereins stand Diziol
vor einer großen Herausforderung: die Aktenbestände der Berliner
Vereinsleitung sind verschollen (S. 43). Doch es ist ihm gelungen, diese
Geschichte auf Grundlage eines breiten Quellenstudiums im Bundesarchiv
und in zahlreichen Regionalarchiven umfassend zu rekonstruieren.
Allerdings fällt auf, dass er wichtige Aktenbestände nicht eingesehen
hat, beispielsweise den Nachlass des langjährigen Vorsitzenden des DFV,
Admiral Hans von Koester. Auch den fragmentiert überlieferten Nachlass
des Prinzen Heinrich, der dem DFV als Prorektor vorstand, hat er nur
teilweise ausgewertet. In beiden Fällen hätte sich eine Auswertung
sicher gelohnt, und vielleicht dazu beigetragen, offene Fragen zu
klären, etwa wie viele Informationen Prinz Heinrich über den DFV
vorlagen, als er im Juni 1898 dessen Protektorat übernahm (S. 404). Auch
andere Aktenbestände sind nicht berücksichtigt worden, etwa die
Überlieferung zum DFV in den Niedersächsischen Landesarchiven und den
Staatlichen Archiven Bayerns. Weshalb diese und einige andere Bestände
bei der Erstellung der Studie nicht berücksichtigt wurden, wird vom
Autor nicht hinreichend begründet (siehe S. 43ff.). Die Geschichte des
DFV, vor allem auf regionaler Ebene, ist somit noch längst nicht
ausgeforscht.

Gleichwohl ist es Diziol gelungen, ein Standardwerk zur Geschichte des
DFV zu verfassen, das mit seinem kulturhistorischen Ansatz auch Maßstäbe
für zukünftige Studien über die verschiedenen Propagandavereine des
wilhelminischen Kaiserreichs setzt. In seinen Schlussbetrachtungen weist
der Autor darauf hin, dass hier noch viel Forschungsarbeit zu leisten
ist (S. 763). Es wäre wünschenswert, wenn Diziols Studie dazu beiträgt,
die Forschung auf diesem Gebiet zu stimulieren.

Anmerkungen:
[1] Grundlegend waren bisher die Studien von Geoff Eley und Konrad
Schilling. Vgl. Geoff Eley, The German Navy League in German Politics
1898-1914, Diss., Sussex 1974; Konrad Schilling, Beiträge zu einer
Geschichte des radikalen Nationalismus in der Wilhelminischen Ära
1890-1909. Die Entstehung des radikalen Nationalismus, seine
Einflussnahme auf die innere und äußere Politik des Deutschen Reiches
und die Stellung von Regierung und Reichstag zu seiner politischen und
publizistischen Aktivität, Diss., Köln 1968, S. 179-367.
[2] Stiftung zur Förderung von Schifffahrts- und Marinegeschichte,
Preisverleihung 2014, online abrufbar unter:
http://www.stiftung-zur-foerderung-von-schifffahrts-und-marine-geschichte.de/index.php/preisverleihung.html
(27.04.2017).
[3] Der norwegische Historiker Rolf Hobson hat Navalismus prägnant
definiert als "eine Politik der maritimen Aufrüstung, die als ein Mittel
zur Mehrung nationaler Macht und Größe dienen sollte und die die
Erfordernisse der nationalen Verteidigung im Kontext eines angeblichen
Expansionsbedürfnisses beurteilte". Vgl. Rolf Hobson, Die Besonderheiten
des wilhelminischen Navalismus, in: Werner Rahn (Hrsg.), Deutsche
Marinen im Wandel. Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument
internationaler Sicherheit, München 2005, S. 161-193, hier S. 161. Siehe
auch die etwas umfassendere Definition von Walther Hubatsch in: Walther
Hubatsch, Navalismus und Technik im 19. und 20. Jahrhundert, in: Walther
Hubatsch (Hrsg.), Navalismus. Wechselwirkungen von Seeinteressen,
Politik und Technik im 19. und 20. Jahrhundert, Koblenz 1983, S. 8-12,
hier S. 9.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jörg Neuheiser <joerg.neuheiser(a)...
URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2017-2-120>