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2015/10/27 08:42:09
Rolgeiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] auf den spuren der römer
Datum

2015/10/18 22:19:06
Rolgeiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Rez. AG: W. Blösel: Die römische Republik
Betreff 2015/10/22 18:35:36
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[Regionalforum-Saar] unbedingt die ersten drei Abs ätze lesen
2015/10/27 08:42:09
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[Regionalforum-Saar] auf den spuren der römer
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[Regionalforum-Saar] The Rise of Heritage

Date: 2015/10/27 23:57:02
From: Rolgeiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Swenson, Astrid: The Rise of Heritage. Preserving the Past in France,
Germany and England, 1789-1946. Cambridge: Cambridge University Press
2013. ISBN 978-0-521-11762-3; 432 S.; £ 65.00.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Aleida Assmann, Fachbereich Literaturwissenschaft / Anglistik,
Universität Konstanz
E-Mail: <aleida.assmann(a)... Thema 'kulturelles Erbe' ist nach den Bildern gewaltsamer Zerstörung
antiker Kulturstätten in aller Munde. Namen wie Timbuktu, Hatra, Nimrud
und Palmyra zeichnen eine Spur mutwilliger Verwüstungen, die wohl noch
nicht an ihr Ende gekommen ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt die
Studie von Astrid Swenson, in der wir genaueres über die Geschichte der
Vernichtung und Wertschätzung des Kulturerbes erfahren, eine besondere
Aktualität.

Wir werden von ihr zum Beispiel daran erinnert, dass demonstrative
Kulturzerstörungen kein neues Phänomen sind, sondern in Europa schon
immer als eine Waffe gegen religiöse und politische Gegner eingesetzt
wurden. Ein Großangriff auf kulturelles Erbe erfolgte während der
französischen Revolution, als Frankreich den Versuch unternahm, sich von
seiner eigenen Geschichte zu trennen. Das war allerdings auch der Beginn
einer entgegengesetzten Geschichte der Wertschätzung, Konservierung und
Sicherung des kulturellen Erbes für die Zukunft, wofür der Name
Alexandre Lenoir steht, der die aufwendigen königlichen Grabstätten
gegen die Revolutionäre verteidigte. Der Stimmungsumschwung wurde damals
durch Abbé Henri Grégoire eingeleitet, der 1794 den neuen Begriff
'Vandalismus' prägte, der als Lehnwort sofort in andere europäische
Sprachen übernommen wurde. Als Vandale wurde fortan bezeichnet, wer
materielles Kulturerbe zerstört und sich damit aus dem Kreis der
zivilisierten Nationen ausschließt.

Astrid Swenson hat die Entwicklung des Bewusstseins für kulturelles Erbe
als eine transnationale Beziehungsgeschichte mit nationalen
Besonderheiten, deutlichen Parallelen und bemerkenswerten
Synergieeffekten erzählt. In ihrer vergleichenden Darstellung wird das
Erwachen des Interesses an der nationalen Geschichte und ihren
materiellen und ideellen Spuren in Frankreich ('patrimoine'), England
('heritage'), und Deutschland ('Heimat- bzw. Denkmalschutz') als
wichtiges Element des Historismus des 19. Jahrhunderts rekonstruiert.
Wir lernen die 'heritage makers' kennen, die ebenso von oben aus den
Reihen der Staatsbeamten wie von unten aus Bürgervereinen kommen. Das
neue Interesse an der eigenen Vergangenheit vollzog sich dabei vor dem
Hintergrund einer allgemeinen internationalen Verwissenschaftlichung der
Geschichte. Die bunte Zusammensetzung der Heritage-Bewegung aus
Archäologen, Museums-Kuratoren, Architekturhistorikern, Künstlern,
Schriftstellern und engagierten Bürgern macht deutlich, wie eng sich
hier neue Standards der Professionalisierung mit einer affektiven
Investition in die eigene Geschichte und Kultur verbanden.
Gelehrsamkeit, Nostalgie und die Suche nach Ursprüngen gingen
vielfältige Verbindungen ein. Es zeichnet Swensons Studie aus, dass sie
die Heimatschutzbewegungen nicht von vornherein auf einen anti-modernen
Trend festlegt und Sonderwege markiert, sondern im differenzierten Blick
ihres europäischen Vergleichs die unterschiedlichen Richtungen und
Interessen sorgfältig herausarbeitet, die sich in ihnen kreuzten.

Überhaupt wird die Vorstellung vom Historismus als einer rein
rückwärtsgewandten Einstellung in Frage gestellt. Am Beispiel des
Ausstellungswesens im 19. Jahrhundert zeigt Swenson, dass die
Präsentation von Geschichte oft als wirksamer Hintergrund für
Fortschrittserzählungen eingesetzt wurde. Weltausstellungen schufen eine
globale Arena für den internationalen Wettbewerb nationaler
Selbstdarstellungen; die imperiale räumliche Ausdehnung erforderte auch
die Konstruktion neuer großräumiger Geschichtsperspektiven. Gleichzeitig
parzellierten sich diese weitreichenden Perspektiven im Display der
Ausstellungen auch in kleinteilige pittoreske historische Milieus, die
vor der Erfindung des Kinos die Imagination anregten und ganz
unterschiedliche Interessen der Identifikation, der Belehrung und der
Unterhaltung bedienten.

Benedict Andersons Formel von der Nation als 'imagined community' ist
als abstrakter Begriff weit verbreitet. Am Beispiel der
Heritage-Bewegung hat Swenson ausbuchstabiert und anschaulich bebildert,
wie dieser Vorgang des sich selbst Erfindens und Imaginierens der
Nationen konkret von statten ging. Die Beschäftigung mit der nationalen
Geschichte und ihrem kulturellen Erbe hatte eine affektive und
emotionale Dimension: sie war eine Investition in den Wert des eigenen
Landes, das damit reicher und anziehender wurde für eine patriotische
Identifikation. Die Heritage-Bewegung steigerte aber nicht nur den Sinn
für die Differenz der Nationen, sondern, das zeichnet Swenson in ihrer
Studie ebenfalls überzeugend nach, schuf gleichzeitig auch die
transnationale Bewegung der gegenseitigen Anerkennung und des Schutzes
dieser Differenzen. Sie kulminierte um 1900 in der Konstruktion des
Konzepts einer Menschheit, die sich das kulturelle Erbe aller Staaten
zurechnet und als ein transnationaler Akteur mit Regeln und Gesetzen
ausgestattet ist, um überall auf der Welt für den Erhalt des kulturellen
Erbes einzutreten. Wir haben es hier mit einer noch wenig beachteten
Dimension der Globalgeschichte zu tun, da bei dieser pragmatischen und
selbstverpflichtenden Konstitution von Menschheit auch Länder wie China,
Mexiko und Brasilien eine wichtige Rolle spielten.

Diese Vision wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs freilich brutal
zerschlagen, wofür heute noch die Namen 'Löwen' und 'Reims' stehen. Doch
mit diesem Vandalismus endete die Geschichte der Heritage-Bewegung
nicht, genauso wenig wie sie mit den neuen Angriffen auf antike
Kulturstätten durch den IS endet. Die Dialektik von Zerstörung und
Schutz des kulturellen Erbes besteht seit der Französischen Revolution
und wird weiterbestehen. Die transnationale Wertschätzung und die
Anstrengung ihrer Erhaltung haben die Kulturstätten zu bevorzugten
Zielen der Gegner gemacht; aber die Erfahrung ihrer Fragilität steigert
wiederum ihre Bedeutung und die Dringlichkeit ihrer Bewahrung.

Das Thema kulturelles Erbe war bislang kein bevorzugter Gegenstand der
Historiographie. Mit diesem Thema konnte man in der Zunft nicht punkten,
solange dort pauschal die 'heritage industry' als eine Verirrung der
Gegenwartskultur angeprangert wurde. Das Buch von Astrid Swenson könnte
an diesem Vorurteil etwas ändern. Sie hat eine materialreiche, anregende
und anschauliche Untersuchung vorgelegt, die dazu anregt, das Thema in
seiner historischen Tiefe und europäischen Dimension neu zu entdecken
und als einen wichtigen Strang in größere historische Bezüge
einzuflechten.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Daniel Menning <daniel.menning(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2015-4-069>