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2015/08/04 08:18:56
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Das Mittelalterlager in Freisen betreffend
Datum 2015/08/06 00:26:58
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Das Deutsche Jugendherbergswerk 1909-1933
2015/08/07 23:38:07
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[Regionalforum-Saar] Konf: Der Wiener Kongress und seine Folgen.
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[Regionalforum-Saar] Tag des offenen Denkmals
2015/08/04 08:18:56
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[Regionalforum-Saar] Das Mittelalterlager in Freisen betreffend
Autor 2015/08/06 00:26:58
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Das Deutsche Jugendherbergswerk 1909-1933

[Regionalforum-Saar] Overy, Richard: Der Bombenkrieg. Europa 1939-1945

Date: 2015/08/06 00:26:25
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Overy, Richard: Der Bombenkrieg. Europa 1939-1945. Berlin: Rowohlt
Verlag 2014. ISBN 978-3-87134-782-5; Hardcover, gebunden mit
Schutzumschlag; 1051 S.; EUR 39,95.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Jörg Arnold, University of Nottingham
E-Mail: <joerg.arnold(a)... etwa zehn Jahren wurde in der deutschen Öffentlichkeit heftig über
den strategischen Luftkrieg der Westalliierten gegen das Deutsche Reich
im Zweiten Weltkrieg gestritten. In der so genannten
"Bombenkriegsdebatte" ging es um den militärischen Nutzen und die
moralische Legitimation einer Kriegführung, in deren Verlauf über
hundert Städte zerstört wurden, Millionen von Menschen obdachlos wurden
und etwa 500.000 Nichtkombattanten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches
und des von Deutschland besetzten Europas ihr Leben verloren. Der
britische Militärhistoriker Richard Overy hat in dieser Debatte eine
wichtige Rolle gespielt. In Fernsehdokumentationen und in
Zeitungsbeiträgen nahm er so etwas wie eine Gegenposition zu Jörg
Friedrich ein, dessen kontroverser Bestseller "Der Brand"[1] die
Diskussion angestoßen hatte. "Barbarisch, aber sinnvoll" lautete etwa
der Titel eines Aufsatzes im "Stern", der auf dem Höhepunkt der
Kontroverse erschienen war. Darin argumentierte Overy, dass der
Bombenkrieg einen wichtigen Beitrag zum Sieg der Alliierten über das
Deutsche Reich geleistet habe. Zwar hätten die Bomben "die deutsche
Wirtschaft nicht zerstört, aber Deutschland daran gehindert, zu einer
unbezwingbaren Supermacht zu werden". Wenn auch die Kriegsmoral nicht
gebrochen wurde, so seien doch der "Mobilisierung im Lande selbst
Grenzen gesetzt" worden. Niemals hätten die Alliierten dabei "den Zweck
der Bombardements aus dem Blick verloren", das Deutsche Reich
militärisch niederzuringen.[2]

Overy ist einer der prominentesten Zeit- und Militärhistoriker der
Gegenwart. In einer inzwischen fast vierzigjährigen wissenschaftlichen
Laufbahn hat sich der an der University of Exeter lehrende Professor
immer wieder mit dem Luftkrieg beschäftigt. Bereits seine 1977 an der
University of Cambridge vorgelegte Doktorarbeit widmete sich der
deutschen Luftrüstung im Zweiten Weltkrieg. Es folgten eine
Gesamtdarstellung des Bombenkrieges aus wirtschaftshistorischer Sicht,
eine Biographie über Hermann Göring, den Oberbefehlshaber der deutschen
Luftwaffe, und eine Monographie über die "Luftschlacht um England"
1940.[3] Bei dem hier zu besprechenden Buch handelt es sich freilich um
weit mehr als um eine Zusammenfassung von Befunden, die bereits lange
erarbeitet wurden. Die in der deutschen Übersetzung rund 900 Textseiten
umfassende Arbeit stützt sich auf eine erneute, mehrjährige intensive
Beschäftigung mit dem Thema, die im Rahmen eines größeren
Forschungsprojektes zu westeuropäischen Gesellschaften im Luftkrieg
durchgeführt wurde.[4] Für das Buch hat Overy eine beeindruckende Fülle
an englisch-, deutsch-, französisch- und italienischsprachiger
Forschungsliteratur verarbeitet. Darüber hinaus hat er veröffentlichte
und vor allem archivalische Quellen aus 32 Archiven in sieben Ländern
neu gelesen und zum Teil erstmals ausgewertet.

Das Ergebnis ist ein Meilenstein der Militär- und Sozialgeschichte, der
den Bombenkrieg der Jahre 1940 bis 1945 erstmals in seiner
gesamteuropäischen Dimension beschreibt, in den Zusammenhang des Zweiten
Weltkrieges einordnet und in seinen Rückwirkungen auf die kriegführenden
Gesellschaften analysiert. Overys Studie gliedert sich in drei Teile,
die, obgleich thematisch gegliedert, einer losen Chronologie folgen.
Teil eins ist mit "Deutschlands Bombenkrieg" überschrieben und behandelt
vor allem die Jahre 1940 bis 1941. Im Mittelpunkt stehen der deutsche
Luftkrieg gegen die britischen Inseln und dessen Auswirkungen auf die
britische Gesellschaft. Ein eigenes Kapitel ist der Bombardierung
sowjetischer Städte durch die deutsche Luftwaffe im Rahmen der Operation
"Barbarossa" gewidmet. Teil zwei macht den Hauptteil des Buches aus. Auf
500 Seiten wird die strategische Luftoffensive der Westalliierten gegen
das Deutsche Reich und seine Verbündeten geschildert, wobei der
Schwerpunkt auf den Jahren 1942 bis 1945 liegt. Im Zentrum stehen die
alliierte Strategie und Praxis sowie die deutsche Gesellschaft "unter
Bomben". Gesonderte Kapitel behandeln die Bombardierung Italiens und die
des besetzten Westeuropas. Der knapp gehaltene dritte Teil schließlich
widmet sich der Bilanzierung des Geschehens unmittelbar nach Kriegsende
und fragt in einem Epilog nach "beherzigte[n] und nicht beherzigte[n]
Lehren" aus dem strategischen Luftkrieg (S. 901).

Das Buch breitet eine gewaltige Materialfülle vor dem Leser aus. Es ist
eine empirische Fundgrube, die neben Bekanntem viel Neues oder doch
zumindest bisher kaum Beachtetes bereithält. Im besetzen Frankreich etwa
kamen durch alliierte Bomben 50.000 Menschen ums Leben, was der
Größenordnung der britischen Opfer während der deutschen Angriffe
1940/41 entsprach (S. 832). Auch in Italien starben durch Bomben beider
kriegführender Parteien mindestens 60.000 Menschen (S. 783). Viele
weitere aufschlussreiche Einzelbefunde können im Rahmen dieser Rezension
nicht hinreichend gewürdigt werden. Vielmehr soll danach gefragt werden,
welches Gesamtbild des strategischen Luftkrieges gezeichnet wird.

Auffällig ist, dass Overy deutlich kritischer urteilt als noch vor zehn
Jahren. "Es lässt sich festhalten, dass der strategische Luftkrieg
allein seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllen konnte und moralisch
kompromittiert war, weil er die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung
vorsätzlich verschärfte", wie das abschließende Kapitel bilanziert. Die
"bedeutsamsten Folgen" seien "die unbeabsichtigten militärischen
Auswirkungen" gewesen (S. 900). Der Bombenkrieg band auf beiden Seiten
beträchtliche materielle und personelle Ressourcen - Ressourcen, die von
den Deutschen mittelfristig nicht kompensiert werden konnten, die aber
auch auf alliierter Seite "hätten auf andere Weise genutzt werden
können" (ebd.). Die direkten Folgen der Bombardements für die deutsche
Kriegswirtschaft seien indes für die längste Zeit des Krieges nur von
nachrangiger Bedeutung gewesen. Selbst das Argument, dass die alliierten
Angriffe die Expansion der deutschen Rüstungsindustrie gedeckelt hätten,
lässt Overy nicht mehr gelten. Denn: "Der Expansion der deutschen
Kriegswirtschaft [waren] Grenzen gesetzt, auch ohne dass es der Wirkung
der Bombenangriffe bedurft hätte". (S. 674)

War der Luftkrieg als Wirtschaftskrieg weitgehend wirkungslos, so war er
Overys Urteil zufolge auch moralisch nicht zu rechtfertigen. Zwar
definierte das britische Luftfahrtministerium die "Kriegsmoral" des
Gegners vor allem wehrwirtschaftlich (S. 372; S. 400). Von den
Flächenbombardements erhoffte man sich weniger einen politischen Umsturz
als einen Zusammenbruch des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Lebens in Deutschland. Freilich führte eine so definierte "Kriegsmoral"
nicht dazu, gezielt Fabriken anzugreifen. Im Gegenteil: "Der Begriff des
Kollateralschadens wurde auf den Kopf gestellt. Der Tod von Arbeitern
und die Zerstörungen ihrer Behausungen waren nicht lediglich eine
Nebenwirkung der Bombardierung von Fabriken, sondern die Zerstörung von
Fabriken galt als Kollateralschaden der Vernichtung von
Arbeitervierteln". (S. 374) Dabei unterscheidet Overy zwischen dem
britischen Bomber Command auf der einen Seite und den amerikanischen und
deutschen Luftstreitkräften auf der anderen: Die Royal Air Force habe
als "einzige der großen Luftwaffen vorsätzlich Zivilisten
[angegriffen]", auch wenn man das öffentlich während der Dauer des
Krieges niemals eingestand (S. 894). Im Falle der deutschen Luftangriffe
gegen Großbritannien 1940-1941, aber auch gegen Warschau und Rotterdam
verhielten sich die Dinge eher umgekehrt: Hier brüstete man sich mit der
großen Zerstörungskraft der deutschen Luftwaffe und setzte das Leid von
Nichtkombattanten propagandistisch in Szene, obwohl die Luftangriffe gar
nicht als unterschiedslose Flächenbombardements geplant gewesen waren
(S. 99ff.).

Wenn es ein Leitmotiv gibt, das die Darstellung durchzieht und als
Erklärungsschlüssel dienen kann, dann ist es der Begriff der
"Fehlkalkulation" (S. 865). Auf allen Seiten bestand eine tiefe Kluft
zwischen den großen Erwartungen, mit denen die Bomberwaffe bedacht
wurde, auf der einen Seite, und den tatsächlichen Möglichkeiten auf der
anderen. Verstärkt wurde diese Haltung durch Fehlwahrnehmungen der
Stärken und Schwächen des Gegners. Mit Ausnahme Italiens war keine der
kriegführenden Industriegesellschaften so anfällig für Luftangriffe wie
von den militärischen und zivilen Entscheidungsträgern angenommen, und
zwar unabhängig davon, ob diese Gesellschaften demokratisch verfasst
waren oder nicht. Rückschläge führten dabei nur selten zu einem
grundsätzlichen Umdenken, sondern vielmehr dazu, die Angriffe weiter zu
intensivieren und noch größere Zerstörungen zu verursachen. Am Ende
waren es weniger die Bomben selber als die militärischen
Begleitmaßnahmen, die den Bombern zum Durchbruch verhelfen sollten,
welche den eigentlichen Beitrag des strategischen Luftkrieges zum Sieg
über das Deutsche Reich und seine Verbündeten ausmachten.

Mit der "Der Bombenkrieg" hat Richard Overy neue Maßstäbe in der
Luftkriegsforschung gesetzt. Zusammen mit Dietmar Süß'
gesellschaftsgeschichtlicher Arbeit "Tod aus der Luft" wird es auf Jahre
hinaus die internationale Diskussion bestimmen.[5]


Anmerkungen:
[1] Jörg Friedrich, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945,
Berlin 2002.
[2] Richard Overy, Barbarisch, aber sinnvoll, in: Stern, 18.12.2002.
Wieder abgedruckt in: Lothar Kettenacker (Hrsg.), Ein Volk von Opfern?
Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940-1945, Berlin 2003, S. 183-187.
Ähnlich die Argumentation in: Richard Overy, Why the Allies Won, 2.
Aufl., London 2006 (1. Aufl. 1995), S. 123-163.
[3] Richard J. Overy, German Aircraft Production 1939-1942: A Study in
the German War Economy, Doctoral thesis, University of Cambridge 1977;
ders., The Air War 1939-1945, Wahsington D.C. 2005 (1. Aufl. 1980);
ders., Goering: Hitler's Iron Knight, London 2012 (1. Aufl. 1984 unter
dem Titel: Goering: the 'iron man'); ders., The Battle of Britain: Myth
and Reality, London 2010 (1. Aufl. 2000 unter dem Titel: The battle).
[4] Zu den anderen Beiträgern des Forschungsverbundes vgl. den
Sammelband: Richard Overy / Claudia Baldoli / Andrew Knapp (Hrsg.),
Bombing, States and Peoples in Western Europe, 1940-1945, London 2011.
[5] Dietmar Süß, Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in
Deutschland und Großbritannien, München 2011.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Marc Buggeln <mbuggeln(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2015-3-088