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Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] zentrale Gedenkveranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer
Datum 2015/01/28 16:14:49
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[Regionalforum-Saar] Tagber: Archäologie und K rieg. Ein neues Arbeitsfeld
2015/01/24 00:31:50
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[Regionalforum-Saar] zentrale Gedenkveranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer
Autor 2015/01/28 16:14:49
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[Regionalforum-Saar] Reguliertes Abenteuer

Date: 2015/01/27 23:15:37
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Gugglberger, Martina: Reguliertes Abenteuer. Missionarinnen in Südafrika
nach 1945 (= L' Homme-Schriften 22). Wien: Böhlau Verlag Wien 2014. ISBN
978-3-205-79613-8; 276 S.; EUR 39,90.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_23584.pdf>

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Sebastian Justke, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
E-Mail: <justke(a)... szenischer Einstieg wirft die LeserInnen mitten ins Geschehen: "Acht
deutsche Missionsschwestern verließen am 29. Juli 1956 das
Passagierschiff Rhodesian Castle in Durban, Südafrika" (S. 15). Ihr
Ziel: das Kloster Mariannhill in der heutigen südafrikanischen Provinz
KwaZulu-Natal, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Das macht
neugierig auf die Geschichte eines "regulierten Abenteuers", erlebt von
"Missionarinnen in Südafrika nach 1945". Tatsächlich entfaltet sich auf
den folgenden 250 Seiten eine Geschichte, welche die Grenzen Südafrikas
überschreitet, über das Jahr 1945 bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht
und damit weit mehr umfasst, als es der Buchtitel andeutet.

Im Zentrum der Dissertation von Martina Gugglberger stehen die
Lebensgeschichten von 23 Frauen, die während der 1950er- und
1960er-Jahre in den "Missionsorden der Schwestern vom Kostbaren Blut"
eintraten und nach Südafrika entsandt wurden. Die von Gugglberger
interviewten Ordensschwestern gehören der letzten Generation
europäischer Frauen an, die sich für ein Leben in der Mission und fern
ihrer Heimat entschieden. Gugglberger fragt nach den "Begegnungsräumen"
zwischen Missionarinnen und der lokalen Bevölkerung in Südafrika und
möchte die Lebensgeschichten ihrer Interviewpartnerinnen in eine
"transnational verwobene Geschichte der christlichen Missionierung"
kontextualisiert wissen (S. 16). Neben den Interviews bilden
Missionszeitschriften und Selbstdarstellungen des Missionsordens die
Quellengrundlage der Studie.

Gugglberger plädiert für eine "räumliche Lesart" der Lebensgeschichten
von Missionarinnen (S. 26). In Anlehnung an den spatial turn definiert
sie drei soziale und geografische Räume, welche das Leben ihrer
Interviewpartnerinnen dominierten: "Herkunftsraum, Klosterraum und
Missionsraum" (S.23). Unter "Herkunftsraum" versteht die Autorin den
Lebensabschnitt von der Kindheit bis zum Eintritt ins Kloster. Die
interviewten Frauen wuchsen fast ausschließlich in ländlichen Gegenden
Westdeutschlands und Österreichs auf und stammten aus kinderreichen
Familien. Religiosität nahm in dieser Lebenswelt eine bedeutende Rolle
ein. Die Entscheidung für den Klostereintritt führt Gugglberger auch auf
unerfüllte (Aus-)Bildungswünsche zurück. Strukturelle und
geschlechtsbedingte Benachteiligungen sowie die Bildungszäsur der
Kriegsjahre verhinderten Berufskarierren. Von der "Mission" erfuhren die
Interviewpartnerinnen durch Verwandte, Vorträge von Missionspfarrern in
ihren Gemeinden und Missionszeitschriften. Afrikaberichte in der
Zeitschrift der Mariannhiller Mission "Vergissmeinnicht" motivierten
sie, in diesen spezifischen und keinen ortsansässigen Orden
einzutreten.

Vom Ordenseintritt bis zum Aufbruch nach Südafrika befanden sich die
Interviewpartnerinnen im "Klosterraum" in den österreichischen und
westdeutschen Ordensniederlassungen. Ausführlich beschreibt Gugglberger
den Weg zur vollen Mitgliedschaft und gibt damit einen tiefen Einblick
in die Welt der Ordensgemeinschaft.

Die Aussendung nach Südafrika bedeutete für die Interviewpartnerinnen
eine Zäsur in ihrem Leben. Der "Klosterraum" blieb ihnen beim Eintritt
in den "Missionsraum" allerdings erhalten. In Südafrika bewegten sich
die Schwestern in zwei Räumen. Zum einen im "Innenraum", der sich im
Kloster abspielte und in dem "europäische Lebensweisen in religiöser und
kultureller Hinsicht weitergeführt werden konnten" (S. 196). Zum anderen
im "Missionsraum" außerhalb des Klosters, der von "fremden politischen,
kulturellen und sozialen Bedingungen" (S. 196) geprägt war. Das Kloster
Mariannhill war die erste Station, auf der die Schwestern eingesetzt
wurden. Der Orden unterhielt Schulen, Krankenhäuser, karitative
Einrichtungen, und handwerkliche Betriebe sowie Missionsstationen auch
in den umliegenden "Homelands" KwaZulu und Transkei. Durch die Arbeit im
Kloster kamen viele Ordensschwestern anfänglich kaum in Kontakt mit der
unterprivilegierten Mehrheitsbevölkerung Südafrikas. Erst in der Arbeit
auf Außenstationen des Ordens erfüllte sich für einige der
Interviewpartnerinnen das "klassische Bild der Missionsarbeit", da sie
dort direkten Kontakt mit der lokalen Bevölkerung hatten. Gugglberger
konstatiert, dass die Wahrnehmung des Apartheidsystems wesentlich davon
geprägt war, welche Tätigkeit die Interviewpartnerinnen ausübten und wo
sie lebten. In den Interviews waren eigene Leistungen und Tätigkeiten
zentrale Themen, unabhängig vom Einsatzort. Somit lassen sich die
Lebensgeschichten der Ordensschwestern vor allem als
Professionsgeschichten begreifen. In der Interpretation ihrer Ergebnisse
nennt Gugglberger dies "Bildungs- und Entwicklungsgeschichten" (S. 237).
Der "regulierende Kontext" des Kloster- und Missionsraums, der soziale
Sicherheit und Rückhalt in der Fremde bot, machte die Übersiedlung der
Interviewpartnerinnen nach Südafrika zu einem "regulierten Abenteuer"
(S. 236).

Gugglberger gibt einen tiefen Einblick in Frauenleben, die von der
historischen Forschung bislang kaum beachtet wurden. Hier liegt der
Verdienst der Studie: Die Autorin analysiert die Lebensgeschichten ihrer
Interviewpartnerinnen, strukturiert und konstruiert diese plausibel
anhand der Begriffe des "Herkunfts-", des "Kloster-" und des
"Missionsraums" und spannt damit einen weiten Bogen von den
1920er-Jahren bis in die 2000er-Jahre.

Wohl aufgrund dieser großen Zeitspanne bleibt die Geschichte von
"Missionarinnen in Südafrika nach 1945" teilweise schwach ausgeleuchtet.
Dies gilt besonders für die "Missionsräume", in denen die
Ordensschwestern der während der Apartheidära unterprivilegierten
Mehrheitsbevölkerung begegneten. Freilich interessiert sich Gugglberger
vornehmlich für die europäischen Akteurinnen in diesen Räumen, was
vielleicht erklärt, warum die lokale Bevölkerung nur schemenhaft
dargestellt wird. Aber immerhin war es die Arbeit auf den
Missionsstationen, in den "Homelands" und mit den dort lebenden
Menschen, warum die Interviewpartnerinnen nach Südafrika auswanderten.
In dieser Arbeit erfüllten sich ihre Vorstellungen von Missionsarbeit.
Wo sich das Buch genannten Begegnungsräumen zuwendet, werden vor allem
die beruflichen Aufgaben der Ordensschwestern sichtbar, weniger die
Gruppe von Menschen, auf die sich diese Tätigkeiten bezogen. Eine
Interviewpartnerin berichtet in der Rückschau auf die Apartheidära, sie
habe "ja nur mit schwarzen Menschen" gearbeitet und alles erfahren, "was
die Leute mitgemacht haben, was die Leute heute noch mitmachen" (S.
230). Dies spricht für tiefe Einblicke in die Lebenswelten der vom
Apartheidregime unterdrückten Mehrheitsbevölkerung. Leider wird dieser
Bereich in dem Buch nicht weiter ausgeführt. . Stattdessen wird die
lokale Bevölkerung den LeserInnen in überwiegend anonymisierter Form
präsentiert, als "schwarze Mädchen", "Angestellte" (S. 202), als "Frauen
aus der Umgebung" (S. 214) oder schlicht als "die Leute" (S. 215). Diese
Anonymisierung und Marginalisierung ist umso verwunderlicher, als die
Autorin in Anlehnung an Forschungsergebnisse der postcolonial studies zu
Recht auf die Handlungsmacht der lokalen AkteurInnnen in den
Missionsräumen hinweist. Hinzu kommt eine bisweilen unkritische
Annäherung an Interviewpassagen, welche die Missionsräume thematisieren.
So berichtet eine Ordensschwester, die im "Homeland" Transkei eingesetzt
war, sie sei "eben sehr stolz auf die Transkei" gewesen und habe "diese
Apartheid gar nie so erfahren wie im Rest von Südafrika". Daraus folgert
Gugglberger, dass die Interviewpartnerinnen, die in Gegenden mit einer
"schwarze[n] Bevölkerungsmehrheit" eingesetzt waren, "die Auswirkungen
der Apartheidpolitik nur wenig zu spüren" bekamen. Anders habe sich dies
in und um Mariannhill verhalten, da dort die Trennung nach "Rassen"
allgegenwärtig gewesen sei (S. 228). Diese Beobachtung mag zutreffen,
blickt man ausschließlich auf die Auswirkungen der sogenannten Petty
Apartheid. Die Politik der Grand Apartheid hingegen, welche die nach
rassistischen Kriterien klassifizierten Bevölkerungsgruppen in
Wohnräumen voneinander trennte, zeichnete sich gerade durch eine vom
Apartheidregime gewollte Unsichtbarkeit aus. In den Städten erzielte das
Regime diese Wirkung mittels natürlicher und künstlicher Barrieren, die
zwischen den einzelnen "Group Areas" lagen.[1] Durch die Errichtung von
"Homelands", wie zum Beispiel der Transkei, gelang dies auf dem Land
noch leichter, da es dort kaum Berührungspunkte zwischen den einzelnen
Gruppen gab. Unsichtbar sollte die Grand Apartheid vorrangig für die
privilegierte Minderheitsbevölkerung sein. Die Bewohner der Transkei
hingegen bekamen diese Politik mit voller Wucht zu spüren. Ihr Leben war
durch extreme Armut, Überbevölkerung und Ausbeutung durch das
Wanderarbeitssystem geprägt.[2] Zudem wurde der Aufbau der "Homelands"
von massiven Zwangsumsiedlungen begleitet.

Noch mehr als anderen kirchlichen Mitarbeitern aus dem Ausland war es
den von Gugglberger interviewten Ordensschwestern möglich, umfassende
Einblicke in die Lebenswelt der "Homelands" zu erhalten, die für den
Großteil der "Weißen" unsichtbar blieb. Gugglberger sind die
Bestandteile des "Apartheidprogramms" bekannt. Daher irritiert es umso
mehr, dass sie einige Erzählungen ihrer Interviewpartnerinnen historisch
nicht genau kontextualisiert. Zudem wäre zu fragen, warum die
Ordensschwestern während der lebensgeschichtlichen Interviews nur wenig
über konkrete Kontakte sprachen und die "Homeland"-Politik durchaus
positiv bewerteten. Auf Erkenntnissen aus der Oral History aufbauend
könnte dann gefragt werden, wie diese "erinnerten Erzählungen"[3]
konstruiert und welchem "hochaffektiv besetzten Verarbeitungs-,
Konstruktions- und Sinnbildungsprozeß"[4] sie unterworfen sind.
Möglicherweise wäre für die Analyse dieser Erzählungen die Einbeziehung
von Archivquellen oder "Rundbriefen", die regelmäßig von
Ordensschwestern an Verwandte und Bekannte geschickt wurden, hilfreich
gewesen. Als Lektüre empfiehlt sich Gugglbergers Studie für Leserinnen
und Leser, die einen tiefen Einblick in die Geschichte eines
Missionsordens im 20. Jahrhundert erhalten möchten. Für diejenigen, die
sich für transnationale Begegnungsräume im Lokalen und Reaktionen
europäischer christlicher Missionarinnen auf das südafrikanische
Apartheidsystem interessieren, gilt diese Empfehlung leider nur
bedingt.


Anmerkungen:
[1] Vgl. Ulrich Jürgens / Jürgen Bähr, Johannesburg. Stadtgeographische
Transformationsprozesse nach dem Ende der Apartheid (=Kieler
Arbeitspapiere zur Landeskunde und Raumordnung 38), Kiel 1998, S. 4;
Ulrich Jürgens, Gemischtrassige Wohngebiete in südafrikanischen Städten
(=Kieler Geographische Schriften, Bd. 82), zugl. Diss., Kiel 1991, S.
61.
[2] Vgl. Christoph Marx, Südafrika. Geschichte und Gegenwart, Stuttgart
2012, S. 250-251.
[3] Malte Thießen, Gedächtnisgeschichte. Neue Forschungen zur Entstehung
und Tradierung von Erinnerungen, in: Archiv für Sozialgeschichte 48
(2008), S. 607-634, hier S. 614.
[4] Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hrsg.), Aufriß
der historischen Wissenschaften, Bd. 7. Neue Themen und Methoden der
Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, S. 81-151, hier S. 97.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Kirsten Heinsohn <xhq643(a)... zur Zitation dieses Beitrages
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