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2014/07/15 23:45:29
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[Regionalforum-Saar] Bergbaukultur am Ende des Bergbaus
Datum 2014/07/17 17:03:48
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[Regionalforum-Saar] Es Wilmsche

Date: 2014/07/16 19:21:38
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 Es Wilmsche

von Klaus Bohr

 

Er wohnte in unserer Straße und kam doch aus einer anderen Welt. In der engen Wohnung unter dem Dach eines der feinen Bürgerhäuser lebte er mit Eltern und kleinem Bruder. Der Vater war Hilfsarbeiter, die Mutter ging putzen.Und so war er in seinem zerrissenen Trikot die meiste Zeit vor der Tür, immer darauf lauernd, dass einer von uns Fussballversessenen das Signal für die übliche Schlacht Oberstrasse gegen die untere Strasse gab. Mitspielen konnte er nicht. Sein linkes Bein war viel zu kurz geraten, dicke Brillenglaeser vor den stets geröteten Augen hinderten seine Sicht, und seine Nase wollte nie aufhören zu laufen. So wollte ihn keiner als Stürmer, Verteidiger oder gar Torwart aufstellen. Und doch nahm er auf seine Weise intensiv an unserm Spiel teil. Eifrig verfolgte er jeden Pass, jeden Zweikampf, jeden Torschuss, brüllte Warnungen, beklatschte gelungene Aktionen und jubelte laut bei jedem Tor. Sein grosser Auftritt kam, wenn wir das Leder, - was oft genug passierte -  statt aufs gegnerische Tor auf die Blumenbeete in den Vorgärten der feinen Häuser droschen. Dann hiess es: “Wilmsche, hol du ne”,  und immer schaffte er es, unter unserm Beifall, den Ball wieder ins Spiel zu bringen. Er gehörte dazu.  Bis er eines Tages nicht mehr vor der Tür wartete. Auch in den darauffolgenden Wochen blieb er verschwunden, und keiner konnte uns sagen, wo “es Wilmsche” geblieben war. Erst lange später erfuhren wir, dass er um die fragliche Zeit (Jahre, ehe der Münsteraner Bischof von Galen als erster seine Stimme gegen den Euthanasiemord der Nazis erhob) in ein Kinderheim “verschickt” worden war. Später sollen die Eltern ein Paket mit seiner Asche und den Bescheid erhalten haben, dass ihr Sohn an einer Lungenentzündung gestorben sei. Doch da war das grosse Sterben an den Fronten schon im Gange, und keiner mochte sich um ein kleines zerbrechliches Schicksal wie das vom Wilmsche mehr kümmern.

 

Mir will das Bild des abgezehrten verkrüppelten Jungen nicht aus dem Sinn, wie er an Feiertagen der Nation im Rinnstein unserer Strasse unter einem Meer von roten Hakenkreuzfahnen mit Murmeln spielte. Sobald sich ein Uniformierter näherte, sprang er auf, um ihn lauthals mit “Heil Hitler” zu begrüssen. Er konnte nicht ahnen, dass sein begeisterter Gruss Mordbuben galt, die ihm im Vorbeigehen ein nachsichtiges Lächeln schenkten und doch nicht zögern würden, sein armseliges Dasein als nicht lebenswert und der Volksgemeinschaft, wie sie es verstanden, als nicht zumutbar zu befinden. Ebensowenig würden sie Skrupel zeigen, wenn sie aufgefordert würden mitzuhelfen, den gesunden Volkskörper von parasitären Missbildungen zu entlasten.

 

Mord als nationale Pflichterfüllung was zur höheren Norm geworden. So als wenn die Zahllosen, die wegblickten und mit Nachsicht das mit ideologischen Phrasen maskierte mörderische Treiben ihrer Führung  duldeten, nie von dem Gebot “Du sollst nicht töten”, das über Jahrhunderte hinweg das Gewissen ihrer Väter bestimmt hatte, gehört haben wollten.