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2014/07/15 23:44:46
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Nach Rom gehen
Datum 2014/07/16 19:21:38
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Es Wilmsche


Betreff 2014/07/09 09:16:09
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[Regionalforum-Saar] celtoi am hunnenring
2014/07/15 23:44:46
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Autor 2014/07/16 19:21:38
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Es Wilmsche

[Regionalforum-Saar] Bergbaukultur am Ende des Bergbaus

Date: 2014/07/15 23:45:29
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Subject: Tagber: Welt unter Tage. Neue Perspektiven für die
         Bergbaukultur am Ende des Bergbaus
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LWL-Industriemuseum Dortmund; Fritz-Hüser-Institut für Literatur und
Kultur der Arbeitswelt, Dortmund; Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets,
Bochum
23.05.2014-24.05.2014, Dortmund

Bericht von:
Arne Hordt, SFB 923 "Bedrohte Ordnungen", Universität Tübingen
E-Mail: <arne.hordt(a)... dem geplanten Ende der Steinkohleförderung in Deutschland im Jahr
2018 stellen sich neue Fragen für die Industriegeschichte: Wie prägte
das Verhältnis zwischen der Welt über Tage zur "Welt unter Tage" ganze
Gesellschaften, ihre kulturellen Sinnsysteme, sozialen Praktiken und
politischen Organisationsformen? Sie drängen sich besonders im
Ruhrgebiet auf, das auch in seiner heutigen Form vom Abbau des
"schwarzen Goldes" geprägt bleibt. Der Landschaftsverband
Westfalen-Lippe, Trägerorganisation des regionalen Industriemuseums im
östlichen Ruhrgebiet, veranstaltete deshalb eine hochkarätig besetzte
Fachtagung zum Thema "Welt unter Tage". Sie diente dem Verband als
wissenschaftliches Programm zur Sonderausstellung "Über Unterwelten.
Zeichen und Zauber des anderen Raums", die noch bis zum 2. November
dauert, konnte aber auch unabhängig davon als Wegmarke bei der
Erforschung von Industriekultur nach dem Ende der Industrie überzeugen.

DAGMAR KIFT (LWL-Industriemuseum) skizzierte nach Grußworten einleitend
die Entstehung einer bergmännischen Kultur im Ruhrgebiet der
Nachkriegszeit. Sie entstand weder aus älteren Traditionen, noch von
selbst, sondern aus dem aktiven Bemühen von Gewerkschaftsfunktionären,
Zechendirektoren und Politikern, den "kulturellen Stand der
Industriearbeiter zu heben". Leitbild für die so von oben geschaffene
Laienkunst sei "gesellschaftliche Harmonie" gewesen; dieses Ideal habe
einen Gegenentwurf für eine soziale Ordnung jenseits der diskreditierten
"Volksgemeinschaft" dargestellt. Furcht vor "amerikanischem
Individualismus" und "kommunistischer Vermassung" hätten bis in die
1950er-Jahre bestimmt, wie lokale Eliten die Gesellschaft an Rhein und
Ruhr neu ordnen wollten.

Darauf entfalteten HARTMUT BÖHME und JÜRGEN KOCKA (beide Berlin) den
gedanklichen Rahmen der Tagung. Böhme breitete ein
kulturwissenschaftliches Panorama der Unterweltssemantiken in
verschiedenen Epochen und Kulturen aus, von den Totenreichen der Antike
bis zum globalen Wettbewerb um Tiefseerohstoffe in der Gegenwart. In den
Bildern von Unterwelten seien stets technische, soziale und psychische
Aspekte verknüpft gewesen, ob in Dantes Bildern von der Hölle oder
Freuds Aufdeckung verdrängter Seeleninhalte aus dem Un(ter)bewussten.
Kocka erörterte die grundsätzliche Ambivalenz von Arbeit; sie umfasse
stets die Aspekte von Erschaffen und Ausbeutung, Selbstverwirklichung
und Entfremdung. Dennoch sei die Entwicklung von der Antike zur Neuzeit
von einer zunehmenden Wertschätzung der Arbeit und dem Entstehen einer
eigenständigen Sphäre der Berufsarbeit geprägt gewesen. Diese
Ausdifferenzierung bleibe gesellschaftsprägend, in Deutschland etwa
seien bis heute alle sozialen Sicherungssysteme um dauerhafte
(männliche) Lohnarbeit herum aufgebaut. In letzter Zeit stehe eine
"Universalisierung der Arbeit", die einen früher unbekannten
Arbeitszwang für wirtschaftliche und politische Eliten einschließe,
einer "Verflüssigung" von ehemals klarer strukturierten
Arbeitsverhältnissen gegenüber.

OLGE DOMMER (LWL-Industriemuseum) zeigte in der folgenden Sektion, wie
stark Bildwelten der Untertage-Arbeit sich seit dem Beginn des 19.
Jahrhunderts verändert haben. Der Vortrag behandelte frühe,
romantisierende Darstellungen im Biedermeier genauso wie die
Heroisierung der Arbeit am Anfang des 20. Jahrhunderts oder
expressionistische Aufbrüche im Zeichen von Krieg, Krise und Revolution
nach dem Ersten Weltkrieg. Seit dem Zweiten Weltkrieg habe die
künstlerische Darstellung von Industriearbeit im Ruhrgebiet den Bezug zu
politischen Entwicklungen weitestgehend verloren. Denn Künstlergruppen
wie "junger westen" hätten sich im Zeichen der Abstraktion bewusst
politikfern gegeben. Als nächster referierte STEFAN PRZIGODA (Bochum)
anschaulich über Bergbau im Industriefilm. Das Medium Film stehe in
einem ambivalenten Verhältnis zur Darstellung des Bergbaus, denn es
enthalte ein besonderes "Realitätsversprechen", das die Unzugänglichkeit
der Untertagewelt aufzuheben scheint. Bergbau sei allerdings vor allem
in sogenannten Repräsentationsfilmen dargestellt worden; sie hätten dazu
gedient, im Interesse der Firmen die technische und soziale Integrität
der Industrie zu beweisen. Industriefilme über Bergbau bildeten deshalb
einen Zugang zu historischen Ideen über die "Welt unter Tage",
keinesfalls 'authentische' Zeugnisse der Arbeit im Bergbau. Dann gab
DIRK HALLENBERGER (Duisburg-Essen) einen Überblick über die
Ruhrgebietsliteratur des 20. Jahrhunderts. Hier müsse zwischen Werken
unterschieden werden, die das Sujet Bergbau zum Schauplatz für die
Behandlung eines Themas nähmen und solchen, die sich inhaltlich mit
Bergbau auseinandersetzten. Dabei ist die Erzählprosa über den Bergbau
zumeist Spiegel zeittypischer Anliegen. So hätten Schriftsteller in den
1920er-Jahren ihre Bilder von revolutionären Bergarbeitern oder
soldatischen Arbeitshelden mittels Romanen auf die Bergleute an der Ruhr
projiziert. In der Nachkriegszeit sei zwar - am prominentesten in den
Romanen Max von der Grüns - eine neuartige Subjektivität in die
Darstellung der Arbeit unter Tage eingezogen. Zugleich hätte dies jedoch
den Abschied von "dem Bergarbeiter" als kollektivem Akteur in
fiktionalen Erzählwelten bedeutet.

ROLF PARR (Duisburg-Essen) erzählte in der nächsten Sektion
"Bergbau-Metaphern" die kuriose anmutende Geschichte der Stuttgarter
Künstlergesellschaft "Das Bergwerk". Hier hätten Maler, Dichter und
Komponisten in den 1850er-Jahren eine Organisation als
pseudo-bergmännisches Gewerk genutzt, um demokratische und bürgerliche
Geselligkeit zu erproben. Die Beteiligten schlossen sich zusammen,
redeten sich mit bergmännischen Titeln an und folgten einem
selbstgemachten "Berggesetz". Erst die Adaption dieser imaginierten,
aber streng durchregelten Form habe den Beteiligten die Überwindung
älterer freimaurerischer und höfischer Geselligkeit ermöglicht und so zu
einer Neuorientierung der Stuttgarter Elite nach der Revolution von
1848/49 beigetragen. Auch VANESSA FERRARI (Pisa/München) beschäftigte
sich in ihrem Vortrag am Beispiel von Bergarbeiterdichtung im
Nationalsozialismus mit historischen Kontinuitäten. Sie widerlegte
ältere Befunde der Forschung und zeigte die erstaunliche Adaptabilität
von Motiven bergmännischer Dichtung kommunistischer und
sozialdemokratischer Provenienz an die Arbeitspropaganda der Nazis. In
der Diskussion verwies Olge Dommer auf die Kontinuität in den
kulturellen Formen von Gemeinschaftsdenken bis in die 1950er-Jahre.
Walter Fähnders bestand auf einer Differenzierung zwischen verschiedenen
Strängen 'linker' Arbeiterdichtung, die vom NS-System nicht alle
gleichermaßen adaptiert worden seien.

Nach der Kaffeepause berichtete KAREN RAUH (Leipzig) aus ihren
Forschungen zu Bergwerksmotiven bei DDR-Schriftstellern. Der soziale
Raum des Bergwerks und die Bergwerkslandschaften (auch Tagebaue) sorgten
stets für Spannungen zwischen dem Bemühen der Autoren, Vorgaben des
politischen Systems zu erfüllen, und ihrem Bedürfnis, dessen im Bergbau
zutage tretende Widersprüche aufzuzeigen. Normzwang und Befreiung der
Arbeiterklasse passten so wenig zusammen wie die sozialistische
Verehrung industrieller Arbeit mit der Zerstörung der natürlichen
Landschaft. Daher diente das Bergwerk Autoren wie Wolfgang Hilbig und
Franz Führmann schließlich als Metapher für existentielle seelische
Verlorenheit und Entfremdung im "real-existierenden Sozialismus".
WILFRIED KRUSE (Dortmund) verglich neueste Literatur über Arbeit aus
Deutschland und Frankreich und machte in den Geschichten seiner Autoren
zwei stabile Typen von verschiedenen Haltungen zu Arbeit aus. Während
der deutsche Arbeitsethos heroisch-schicksalhafte und individuelle
Momente betone, liege dem französischen Typus eher eine kollektive und
widerständige Haltung zugrunde. Kruse übertrug diesen Befund auf
gesellschaftliche Haltungen zu Arbeit in Frankreich und Deutschland;
Deutsche fassten ihr Verhältnis zur Arbeit eher als einen gegebenen, mit
dem eigenen Ich verwobenen Aspekt des Daseins auf, wogegen Franzosen dem
sozialen Imperativ zur Arbeit distanzierter gegenüberstünden.

LARS BLUMA (Bochum) eröffnete den zweiten Tag mit einem herausragenden
Vortrag über wissenschaftliche Semantiken von Bergmannskrankheiten und
deren statistischer Erfassung durch die Knappschaftsärzte im Ruhrgebiet.
Am Knappschaftswesen ließe sich paradigmatisch nachvollziehen, wie
medizinische Diskurse als soziale Praxis wirkmächtig wurden und so zu
einer allgemeinen, sozialpolitischen Durchdringung der deutschen
Arbeitsgesellschaft beigetragen hätten. SYLVIA KESPER-BIERMANN (Köln)
stellte Ergebnisse ihrer Untersuchungen zu "Bergbau in Comic und Spiel"
vor. Die Unterschiede in den populären Unterhaltungsmedien würden von
der Medienart, aber auch von Trends in der Geschichtskultur bestimmt.
Während Bergbau in Computer- und Brettspielen zumeist nur als Rahmen für
eine Spielmechanik diene, erfolge gerade in jüngeren, künstlerisch
anspruchsvollen Comics eine historisierende, detailgenaue
Auseinandersetzung mit dem Thema. INGO LANDWEHR (Berlin) begann launig
mit der Parallele zwischen Raubbau, also dem nicht-fachmännischen
'Ausbeuten' von unterirdischen Lagerstätten, und Bankraub im Film. Oft
weise der Bankräuber eine ganz bestimmte soziale Typologie auf:
Verlierertypen, die keine andere Chance mehr sehen 'unterwühlten'
gewaltlos die ungerechte Ordnung der Dinge über Tage und werteten so die
'unterirdische' Arbeit des Bergmanns um.

In der zweiten Sektion des Tages ging es um "Männer und Frauen" im
Bergbau. Mit THOMAS WELSKOPP (Bielefeld) und CHRIS WRIGLEY (Nottingham)
hatten zwei Vertreter einer klassischen Sozial- bzw.
Wirtschaftsgeschichte das Wort. Im Gegensatz zu den kultur- und
begriffsgeschichtlichen Impulsen von Böhme und Kocka bestanden beide auf
der materiellen, ökonomischen Seite von Arbeit in Bergbau und
Hüttenwesen. Im Vergleich zwischen dem amerikanischen Homestead
(Pennsylvania) und dem deutschen Hamborn (heute Stadtteil von Duisburg)
stellte Welskopp die "faktische Differenzierung" der getrennten
Lebenswelten von Männern und Frauen in der Hüttenindustrie heraus.
Extrem lange Schichtzeiten, harte Maloche und das Schlafgängerwesen
machten die Familien zu "Reparaturbetrieben für männliche Arbeitskraft".
Dies bildete die materielle Ursache für schwierige familiäre Beziehungen
in den Hüttensiedlungen. Sozialreformerinnen verschiedener Couleur
deuteten diese aber stets moralisch - als Folge eines Defizits im
persönlichen Charakter der Hausfrau - eine rein kulturgeschichtliche
Analyse liefe nun Gefahr, dieses zeitgenössische Missverständnis zu
reproduzieren. Wrigley fragte nach den ökonomischen Motiven hinter
kulturellen Codes der Vergangenheit und kam für das Verbot der
Frauenarbeit im britischen Bergbau im Jahr 1842 zu überraschenden
Ergebnissen: In den Zeugnissen viktorianischer Bergwerksinspektoren sei
zwar von moralischen Gefahren der Frauenarbeit unter Tage die Rede.
Diese moralische Rhetorik habe männlichen Arbeitern allerdings einen
willkommenen Vorwand geboten, ihren Beruf mit Hilfe eines diskursiv
akzeptierten Topos gegen die Konkurrenz von Frauen abzuschotten.

Nach dieser produktiven sozialgeschichtlichen Irritation der Tagung
gelangte die Kulturgeschichte wieder zu ihrem vollen Recht. WALTER
FÄHNDERS (Osnabrück) stellte Bergarbeiterstücke der sozialistischen
Dichterinnen Lu Märten und Anna Gmeyner gegenüber und betonte, wie sich
- innerhalb des vermeintlich gleichartigen Genres Streikdrama -
Bearbeitungen eines ähnlichen Stoffes unterscheiden können. Während
Märten die individuelle moralische Verpflichtung des einzelnen,
männlichen Akteurs zu revolutionärer Tätigkeit herausstelle, arbeite
Gmeyner viel stärker die spezifischen Gegebenheiten der Arbeit im
Bergwerk heraus und achte mehr auf die kollektive Einbindung ihrer
weiblichen Protagonistin. SONJA WILK (Kattowitz) untersuchte dann
Laienkunst von oberschlesischen Bergarbeitern. Die traditionelle,
volkstümliche Verehrung von weiblichen Heiligen (St. Maria, St. Barbara,
St. Anna) habe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts starkem Wandel
unterlegen. Die Tradition der religiösen Frauendarstellung habe im
Gewand der Volkskunst Spielräume für subjektive, erotisch-sinnliche
Bildwelten und für Kritik an der persönlichen Entfremdung im
vermeintlichen sozialistischen Arbeiterparadies entstehen lassen.

In der letzten Sektion "Erinnerungen", führte JOHANNES GROSSEWINKELMANN
(Rammelsberg) in die komplexe museologische Problemlage der Erfassung,
Archivierung und Interpretation privater Nachlassobjekte von Bergleuten
ein. Wer bewahrte was, warum und wie zur Erinnerung an welche Aspekte
der Arbeit unter Tage auf? Waren Familie oder Freunde in diese private
Erinnerungsarbeit eingebunden, bedeuten die Objekte gar den Enkeln der
Bergleute noch etwas? Wie lassen sich private Erinnerungswelten und ihre
Überlieferungskontexte klassifizieren, beim Übergang ins Museum erhalten
oder rekonstruierend ausstellen? Großewinkelmann präsentierte kein
fertiges Konzept, sondern schlüsselte den schwierigen Problemhorizont
für eine Musealisierung privater Erinnerungen auf. Seine systematische
Herangehensweise veranschaulichte so die Grundfrage der Tagung an - im
wörtlichen Sinne - greifbaren Gegenständen. Schließlich stellten MIRJAM
GNEZDA BOGATAJ und MARIJA TERPIN MLINAR (beide Idrija) die
untergegangene Welt der Bräuche und Geschichten von Bergleuten im
slowenischen Idrija vor. Dort wurde Quecksilber gefördert und dies
bedeutete, dass alle Bergleute in relativ kurzer Zeit an genau der
Tätigkeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienten, starben. Hier
bestand also kein Unterschied mehr zwischen der lebenserhaltenden und
der lebensbedrohenden Seite des Bergbaus, wie er eingangs von Böhme
entworfen worden war.

STEFAN BERGER (Bochum) fasste die verschiedenen Beiträge und
Diskussionen der Tagung problemorientiert zusammen. An der "Welt unter
Tage" werden verschiedene Dimensionen historischen Denkens und dessen
Herausforderung durch die materielle Seite der Geschichte deutlich: Das
Unterirdische enthalte stets eine Spannung zwischen abstrakten
Vorstellungswelten und konkreten Handlungsräumen. Erstere seien zumeist
wissenschaftlich oder mythologisch zugänglich, während letztere
technisch und sozial erfahren werden. Deshalb müssten für die
historische Arbeit sowohl Narrative und Semantiken der 'Unterwelt' als
auch Perspektiven von Akteuren beachtet werden. Ein besonders gelungenes
Beispiel für die Verknüpfung dieser zwei Aspekte habe Blumas Vortrag
über Diskurse und Praktiken der Knappschaftsärzte geboten. Zuletzt werfe
eine Betrachtung der Geschichte vom Bergbau her ganz neue Fragen für die
Geschichtswissenschaft auf: Warum, zum Beispiel, sollte diese
Kulturtechnik nur anthropozentrisch erforscht werden, wenn sie doch
letztlich immer die Natur betrifft?

Das Einfahren in die "Welt unter Tage" kann als Metapher für eine
kritische Erforschung der eigenen Geschichte dienen: Es fördert Dinge
ans Licht, die nicht zum Selbst- oder Weltbild passen, aber gerade
deshalb wertvolle Erkenntnisse darstellen. In dieser Perspektive ist es
der Tagung gelungen, am Beispiel der mit zähen Identitätsdiskursen
verknüpften Industriegeschichte die unkritische Affirmation des eigenen
Gegenstandes zu vermeiden. Die Organisator/innen, neben Dagmar Kift und
Stefan Berger, Hanneliese Palm (Fritz-Hüser-Institut) und Eckhard
Schinkel (LWL-Industriemuseum), haben gezeigt, wie interdisziplinäre und
europäisch-transnationale Industriegeschichte mit regionaler Verankerung
aussehen sollte. Das Besondere der regionalen Industriekultur
verschwindet nicht, wenn man es vergleicht und kritisch einordnet,
sondern gewinnt dann erst die Schärfe, die historisches Denken
interessant macht.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Barbara Rüschoff-Thale (LWL-Kulturdezernentin)

Grußworte: Ulrich Sierau (Oberbürgermeister Stadt Dortmund) / Stefan
Berger (Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets)

Impulse

Hartmut Böhme (Humboldt-Universität zu Berlin), Unterwelten -
Topographien des "unüberschaubaren seelischen Höhlensystems"

Jürgen Kocka (Freie Universität Berlin), Ideen der Arbeit im Wandel

Sektion 1: Bergbau-Darstellungen

Olge Dommer (LWL-Industriemuseum), Bildende Kunst

Stefan Przigoda (Deutsches Bergbau-Museum Bochum), Industriefilm

Dirk Hallenberger (Universität Duisburg-Essen), Ruhrgebietsliteratur

Sektion 2: Bergbau-Metaphern

Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen), Die Stuttgarter
Künstlergesellschaft "Das Bergwerk" (1840er/60er-Jahre)

Vanessa Ferrari (Scuola Normale Superiore
Pisa/Ludwig-Maximilians-Universität München), Dichter der Grube.
Bergbaudichtung im NS-Staat

Sektion 3: Arbeit

Karen Rauh (Leipzig), Das Bergwerk als literarischer Ort in den Texten
von Wolfgang Hilbig, Franz Fühmann und Werner Bräunig

Wilfried Kruse (Sozialforschungsstelle Dortmund), Arbeit, Bewegung und
Literatur im deutsch-französischen Vergleich

Sektion 4: Unterwelten

Lars Bluma (Deutsches Bergbau-Museum Bochum), Unterweltsemantiken.
Medizinalberichte der Knappschaft

Sylvia Kesper-Biermann (Universität zu Köln), Bergbau in Comic und
Spiel

Ingo Landwehr (Berliner Unterwelten e.V.), Filmreif - Raubbau und
Bankraub

Sektion 5: Männer und Frauen

Thomas Welskopp (Universität Bielefeld), Geschlechterbeziehungen in
deutschen und nord-amerikanischen Montanregionen

Chris Wrigley (University of Nottingham), Women and gender in British
coalmining

Walter Fähnders (Universität Osnabrück), Die Bergarbeiterstücke von Lu
Märten und Anna Gmeyner

Sonja Wilk (Schlesisches Museum Kattowitz, Polen), Die Frauen der
bergmännischen Laienkünstler in Polen: Musen und Partnerinnen

Sektion 6: Erinnerungen

Johannes Großewinkelmann (Weltkulturerbe Erzbergwerk Rammelsberg), "Ich
denke gerne an die Zeit zurück!" - Erinnerungsobjekte in privaten
Nachlässen ehemaliger Bergleute

Mirjam Gnezda Bogataj / Marija Terpin Mlinar (Stadtmuseum Idrija,
Slowenien), Beliefs, myths, superstitions and narratives of Idrija
mercury miners

Abschlussdiskussion
Stefan Berger (Ruhr-Universität Bochum)