Suche Sortierung nach Monatsdigest
2012/07/31 13:14:49
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] 750 Jahre Ersterwähnung Sel chenbach
Datum

2012/07/19 23:39:09
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konf: Das Zollwesen des Imperium Romanum - Jena 09/12
Betreff 2012/07/03 22:10:00
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Mönche, Schreiber und Gel ehrte. Bildung und Wissenschaft im Mittelalter
2012/07/31 13:14:49
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] 750 Jahre Ersterwähnung Sel chenbach
Autor 2012/07/16 15:22:37
Stefan Reuter
[Regionalforum-Saar] Werner Eckel gestorben

[Regionalforum-Saar] Lehnswesen

Date: 2012/07/31 23:20:06
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Dendorfer, Jürgen; Deutinger, Roman (Hrsg.): Das Lehnswesen im
Hochmittelalter. Forschungskonstrukte - Quellenbefunde -
Deutungsrelevanz (= Mittelalter-Forschungen 34). Ostfildern: Jan
Thorbecke Verlag 2010. ISBN 978-3-7995-4286-9; geb.; 488 S.; EUR 54,00.

Patzold, Steffen: Das Lehnswesen (= Beck'sche Reihe 2745) [mit 1
Schautafel]. München: C.H. Beck Verlag 2012. ISBN 978-3-406-63235-8;
Pb.; 128 S.; EUR 8,95.


Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Thomas Wittkamp, Graduiertenkolleg 1288: "Freunde, Gönner, Getreue",
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
E-Mail: <thomas.wittkamp(a)... fünfzehn Jahre nach Susan Reynolds' Generalangriff auf das
mediävistische Konzept von Lehen und Vasallität widmet sich nun auch die
deutsche Forschung mit einem ganzen Sammelband dem Lehnswesen im
Hochmittelalter. Ausgehend von vereinzelten neueren Untersuchungen der
letzten anderthalb Jahrzehnte soll der Sammelband die Forschung auf eine
neue Grundlage stellen. Zu diesem Zweck sorgen die Herausgeber für eine
klare analytische Trennung von Forschungsgeschichte, Quellenbefunden und
Deutungsversuchen. Diese Dreiteilung ist äußerst sinnvoll, da ein
Hauptvorwurf gegen das Modell vom Lehnswesen gerade die Vermischung von
Quellenbefunden mit deren Interpretation ohne Berücksichtigung der
forschungsgeschichtlichen Altlasten war.

Nach einer längeren, die neuere Diskussion und die Beiträge des Bandes
vorstellenden Einführung von Jürgen Dendorfer folgen die drei Sektionen.
Den Anfang machen zwei Aufsätze von Werner Hechberger und Hans-Henning
Kortüm über die zeithistorischen Hintergründe der rechts- und
verfassungsgeschichtlichen Konstruktion des Lehnswesens im 19. und 20.
Jahrhundert. Sie zeigen, dass wesentliche Debatten der älteren Forschung
nicht ohne die damals aktuellen politischen Strömungen nachzuvollziehen
sind und wie abhängig die spätere Forschung davon blieb. Vor diesem
Hintergrund sind die Quellen im hochmittelalterlichen Reich erneut zu
betrachten. Dazu haben die Herausgeber fünf Leitfragen (Jürgen
Dendorfer, S. 26) formuliert, die die zentralen Kritikpunkte von Susan
Reynolds aufgreifen und die Quellenanalyse lenken.

In der zweiten Sektion werden zunächst verschiedene Quellen wie
Königsurkunden (Rudolf Schieffer), Lehnsverzeichnisse (Karl-Heinz
Spieß), Klosterchroniken (Steffen Patzold) und die volkssprachliche Epik
(Jan-Dirk Müller) gesichtet. Anschließend folgen sieben Beiträge zu den
Privaturkunden in den unterschiedlichen Regionen des
hochmittelalterlichen Reiches. Angeführt von Bayern (Hubertus Seibert),
geraten mit Schwaben (Thomas Zotz), den Hochstiften Mainz und Köln
(Stefan Burkhardt) und dem Nordosten (Oliver Auge) zunächst die nördlich
der Alpen gelegenen Gebiete in den Blick. Der Befund fällt ernüchternd
aus. Trotz zahlreicher Lehen und einiger weniger Vasallen lässt sich ein
regelrechtes Lehnswesen, bestehend aus einem zwingenden Zusammenhang von
Lehen, Vasallität und militärischen Dienstleistungen, vor dem Ende des
zwölften Jahrhunderts nicht erkennen. Das gilt grundsätzlich auch für
die aus deutscher Sicht peripheren Regionen im Westen und Süden des
Reiches. Allerdings sind in Flandern (Dirk Heirbaut), der Provence
(Florian Mazel) und der Mark Verona (Daniela Rando) Lehen, Eide und auch
Mannschaftsleistungen bereits weit häufiger auch schriftlich erhalten
und deutlich stärker aufeinander bezogen. Trotz dieser für das zwölfte
Jahrhundert fortschrittlichen Entwicklung ist aber auch in diesen
Regionen noch kein systematisches Lehnswesen nachzuweisen.

Angesichts dieser enttäuschenden Befunde gewinnt die Suche nach
alternativen Interpretationsangeboten an Stelle des Modells vom
Lehnswesen umso mehr Bedeutung. Diese Aufgabe übernehmen die Autor/innen
im dritten Teil des Buchs. Vom Wormser Konkordat (Jürgen Dendorfer) über
die Beziehungen zwischen Kaiser und Papst (Roman Deutinger) und die
lehnsrechtlichen Symbolhandlungen (Philippe Depreux) bis zu den
Treueiden (Stefan Weinfurter) stehen dabei die Folgen des
Investiturstreits eindeutig im Vordergrund. Einen zweiten Schwerpunkt
bildet in dieser Sektion die herrschaftliche Rolle des Lehnswesens. Sie
wird anhand der Ministerialität (Jan Keupp), der Grundherrschaft
(Gertrud Thoma), des Verhältnisses der Vasallität zu anderen Formen
personaler Bindung (Klaus van Eickels) und nicht zuletzt der Herzogtümer
(Gerhard Lubich) diskutiert. Insgesamt stellt sich heraus, dass bessere
Alternativen zur lehnsrechtlichen Deutung nicht nur möglich, sondern
notwendig sind. Mehr noch, viele der etablierten lehnsrechtlichen
Deutungen waren schlichtweg fehlerhaft oder ungenau. Daher können von
den Beitragenden wichtige Details der Geschichte des 12. Jahrhunderts
entscheidend korrigiert werden. Die weiteren Ergebnisse der Beiträge
fasst am Ende Roman Deutinger zusammen, bevor der Band von einem
Register beschlossen wird.

Dank der klugen Aufteilung durch die Organisatoren, der einheitlichen
Fragestellung und der erfreulich engen Orientierung der Autor/innen an
den Leitfragen lassen sich die Ergebnisse der zahlreichen Beiträge
leicht zusammenfassen. Drei Punkte fallen ins Gewicht: Erstens die
enorme Vielfalt und regionale Verschiedenheit der Elemente des
Lehnswesens. Von einem einheitlichen Lehnswesen im mittelalterlichen
Reich kann niemand mehr glaubwürdig sprechen. Zweitens die Veränderungen
um die Mitte des zwölften Jahrhunderts. Tatsächlich lassen sich in
dieser Zeit starke Tendenzen zur Verrechtlichung, Verschriftlichung und
Systematisierung von Lehen, Eiden und Mannschaftsleistungen in der
Praxis wie im zeitgenössischen Denken nachweisen. Die Konjunktur des
Begriffs feudum, der zunehmend das ältere beneficium verdrängt, ist
dafür genauso ein Symptom wie die erstaunliche "Renaissance" des
Begriffs vasallus (Hubertus Seibert, S. 156, Roman Deutinger, S. 468).
Drittens zeigen die Deutungsversuche, dass alternative Interpretationen
vieles weit plausibler erklären können als lehnsrechtliche
Argumentationsgänge.

Damit ist die Bedeutung lehnsrechtlicher Elemente zumindest vor dem Jahr
1200 stark relativiert. Die Untersuchungen bestätigen also im
Wesentlichen Susan Reynolds' Zweifel an der Reichweite des Lehnswesens
und ihre These von dessen Entstehung ab dem zwölften Jahrhundert.

Dennoch ergibt sich ein zwiespältiger Befund. Während von einem
regelrechten Lehnswesen vor dem dreizehnten Jahrhundert kaum etwas übrig
bleibt, waren die einzelnen Elemente des Lehnswesens schon vorher
quicklebendig, vielleicht lebendiger als manchem Rechts- und
Verfassungshistoriker alter Schule lieb sein kann. Bisweilen gewinnt der
Leser den Eindruck, dass man im Lehnswesen nach einer Art Gespenst
sucht, dass sich immer wieder in seinen einzelnen Elementen in den
Quellen zu zeigen scheint, aber jedes Mal erneut den Augen der
kritischen Historiker entzieht. Hieraus ergeben sich ganz grundsätzliche
Zweifel an der zugrunde gelegten Fragestellung. Vielleicht sollte
weniger nach dem von der älteren Rechts- und Verfassungsgeschichte
definierten Lehnswesen und dessen Beginn geforscht werden. Denn
ausgehend von dieser Suche nach dem Lehnswesen der Forschung schleichen
sich immer wieder lehnsrechtliche Zuschreibungen in einige der Beiträge
ein. Lehen, Vasallität, Handgang, Militärdienst, Eid und miles werden
gelegentlich noch einfach aufeinander bezogen oder auseinander
erschlossen, obwohl die Quellen das nicht hergeben. Gerade dieses
unbefangene Mitdenken anderer lehnsrechtlicher Elemente hat Susan
Reynolds zu Recht angeprangert. Insofern bleibt zweifelhaft, ob mit dem
Ersetzen von "lehnrechtlich" durch "belehnungssymbolisch" oder
"belehnungsrituell" (Stefan Weinfurter S. 457) tatsächlich etwas
gewonnen ist.

Stattdessen müsste noch viel intensiver nach der Rolle und Funktion der
einzelnen Elemente des Lehnswesens und deren Gewichtung im Vergleich zu
anderen Elementen der sozialen, ökonomischen und politischen Ordnung
gefragt werden. Im Grunde ist dieser Weg in vielen Beiträgen des
vorliegenden Bandes schon beschritten worden. So wird etwa die
bekräftigende und anerkennende Funktion der Mannschaftsleistung
vorgestellt (Jürgen Dendorfer, Klaus van Eickels), die wirtschaftliche
Flexibilität der Lehen thematisiert (Daniela Rando, Gertrud Thoma) und
die hierarchisierende Wirkung des hominium angesprochen (Klaus van
Eickels, Gerhard Lubich). Weitere Anknüpfungspunkte ergeben sich aus dem
Potential der Lehen und Eide für Konfliktlösungen und Kompromisse
(Steffen Patzold, Steffen Burkhardt, Florian Mazel) oder der
vertrauensbildenden Funktion des Eides (Stefan Weinfurter).

Besonders wichtig sind die in einigen Beiträgen diskutierten
zeitgenössischen Rangabstufungen (Steffen Patzold, Thomas Zotz, Jan
Keupp, Stefan Weinfurter) und die Vorstellungen der mittelalterlichen
Autoren über den Sinn oder Nutzen von Lehen (Steffen Patzold, Thomas
Zotz, Florian Mazel, Jan Keupp). Mit Hilfe solcher zeitgenössischer
Reflexionen lassen sich nämlich die Diskurse um Huld, Pflichten, Ehre,
Ansprüche, Verdienste, Hierarchien, Rangordnungen und Großzügigkeit, die
beispielsweise in literarischen Quellen (Jan-Dirk Müller, Jan Keupp)
mitschwingen, einbeziehen. Als Beispiel hierfür seien nur die
Forschungen von Stephen D. White genannt, der übrigens äußerst patente
Antworten auf Susan Reynolds' Herausforderung hat.[1]

Die Forschung sollte Lehen und Vasallität wie Stephen D. White mehr als
Teile von Klientelbeziehungen, eines Gabentausches oder politischer
Loyalität betrachten, um ein weniger starres Verständnis der dynamischen
Phänomene zu gewinnen. Die stärkere Berücksichtigung des jeweiligen
Kontextes würde dazu entscheidend beitragen. Insofern ist eine weitere
Diskussion und Interpretation der äußerst spannenden Befunde
wünschenswert. Besonders die Rollen und Eigenschaften von Lehen,
Handgängen und den anderen Elementen, die die Forschung lange unter dem
Lehnswesen subsumiert hat, sind weiter zu verfolgen. Die Forschung
sollte sich dazu verstärkt dem frühen und späten Mittelalter, sowie der
frühen Neuzeit zuwenden (Roman Deutinger, S. 470). Für diese Zeiträume
sind ergänzende und womöglich überraschende Erkenntnisse zu erwarten.

Diesen Schritt kann und darf man von einer grundsätzlich neuen
Bestandsaufnahme des Lehnswesens im hochmittelalterlichen Reich
allerdings noch nicht erwarten. Stattdessen hat der vorliegende Band als
Ausgangsbasis für weitere Untersuchungen und Neuinterpretationen eine
enorm wichtige Grundlage geschaffen. Das zeigte sich spätestens im
Frühjahr 2011 auf der einschlägigen Reichenauer Tagung des Konstanzer
Arbeitskreises zum Lehnswesen im hochmittelalterlichen Reich und in
Italien.[2] Dort waren der Sammelband von 2010 und seine Herausgeber
verständlicherweise in aller Munde.

Dieselbe Diskussion um das Lehnswesen ist die Grundlage und auch der
Anlass für das Buch von Steffen Patzold. Allerdings verfolgt der Autor
ein anderes Anliegen. Er schreibt für die gerade bei Studenten beliebte
Beck-Wissen-Reihe, die schnelle und wissenschaftlich gesicherte
Informationen über einzelne Sachgebiete bereitstellt, ohne den Leser mit
Fußnoten vom Inhalt abzulenken. Diese Ansprüche der Reihe, so darf
bereits gesagt werden, meistert Patzold mit Bravour. Das gilt umso mehr,
wenn man die Sperrigkeit des Themas berücksichtigt, das durch die neuere
Diskussion noch unübersichtlicher geworden ist, als es vorher schon war.
Es gelingt Patzold auf rund 120 Seiten einen umfassenden Überblick vom
Frühmittelalter bis zur frühen Neuzeit zu geben. Insofern bietet
Patzolds Buch trotz des geringeren Umfangs für diejenigen, die sich für
das gesamte Mittelalter interessieren, mehr als der Sammelband.

Besonders die gute Gewichtung und die zeitliche wie räumliche Aufteilung
überzeugen. Der Autor führt den Leser entlang wichtiger Quellenstellen
durch drei klassisch definierte Zeitalter. Im Frühen Mittelalter
konzentriert sich Patzold, ähnlich wie Susan Reynolds, auf das
Frankenreich. Auf dem Weg durch das Hochmittelalter werden auch die
Peripherie des Kaiserreichs und sogar Katalonien Stationen der Reise.
Zusätzlich wagt Patzold einen kurzen Abstecher nach England. Mehr als
Susan Reynolds in ihrem ungleich längeren Buch ist Patzold allerdings
gezwungen, sich auf Mittel-, West- und Südeuropa zu beschränken. Ab dem
13. Jahrhundert zwingt die reine Zahl der Quellen und die enorme
regionale Variabilität den Autor zur Konzentration auf das Reich
nördlich der Alpen. Und selbst dort kann Patzold nur stichprobenartig in
die vielfältigen Quellen und Formen des Lehnswesens einführen.

Dennoch oder gerade deswegen erfüllt das Buch seinen Zweck als
Einführung in das Thema perfekt. Das liegt auch daran, dass Patzold
immer die aktuelle Forschungskontroverse mitdenkt. Seine
Gegenüberstellung von mittelalterlichen Quellen und aktueller
Forschungsdiskussion erweist sich als überaus sinnvoll. Denn selbst
innerhalb der einschlägigen Forschung war die Unterscheidung zwischen
Forschungskonstrukt und Quellenaussagen oft nicht deutlich genug, was
Susan Reynolds und andere zu Recht kritisiert haben. So kann Patzold die
einschlägigen Quellenstellen doppelt problematisieren, nachdem er sie in
der deutschen Übersetzung vorgestellt hat. Dabei hält der Autor die
klare Trennung zwischen Forschungs- und Quellenaussagen stets durch und
beschließt jede Epoche mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse.

Abgerundet wird das Büchlein durch ein Glossar der wichtigsten Begriffe.
Dazu gesellen sich ein für so ein kleines Buch erfreulich umfassendes
Literaturverzeichnis, ein Register und sogar eine Schautafel zum
Lehnswesen. Diese Hilfsmittel erleichtern das Verständnis und den
Überblick gerade für interessierte Laien ungemein. Besonders Schüler und
Studenten dürften sich über diesen sehr guten Einstieg freuen, vor allem
wegen des angenehm kurzen Umfangs. Aber auch für Wissenschaftler, die
sich über die aktuelle Forschungskontroverse schnell und verlässlich
informieren wollen, ist das Buch die erste Wahl. Als kritische
Einführung in das Lehnswesen ersetzt Patzolds Buch somit endlich das
lange Zeit einzige vergleichbare Werk von François Louis Ganshof.[3]

Als Fazit lässt sich festhalten: Wer sich neuerdings mit dem
mittelalterlichen Lehnswesen beschäftigen möchte, ist mit den beiden
vorgestellten Büchern bestens bedient.

Anmerkungen:
[1] Stephen D. White, The Politics of Exchange: Gifts, Fiefs, and
Feudalism, in: Esther Cohen / Mayke de Jong (Hrsg.), Medieval
Transformations. Texts, Power, and Gifts in Context, Leiden 2001,
S.169-188.
[2] Immo Warntjes, Tagungsbericht: Ausbildung und Verbreitung des
Lehnswesens im Reich und in Italien im 12. und 13. Jahrhundert.
12.04.2011-15.04.2011, Reichenau, in: H-Soz-u-Kult, 24.08.2011,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3777>
(30.06.2012).
[3] François Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen?, Darmstadt 1989.