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2008/02/07 19:44:29
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Wie das Wirtschaftswunder kam
Datum 2008/02/17 15:21:30
Schumacheranne
Re: [Regionalforum-Saar] Der Nachtwächter in St. W endel
2008/02/17 22:06:42
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] The Coburg Conspiracy: Royal Plots and Manoeuvres
Betreff 2008/02/17 15:21:30
Schumacheranne
Re: [Regionalforum-Saar] Der Nachtwächter in St. W endel
2008/02/07 19:44:29
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Wie das Wirtschaftswunder kam
Autor 2008/02/17 22:06:42
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] The Coburg Conspiracy: Royal Plots and Manoeuvres

[Regionalforum-Saar] Der Nachtwächter in St. W endel

Date: 2008/02/16 22:19:50
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Die Ankündigung in der SZ am 8. Februar 2008:

 

"Der Nachtwächter ist wieder in St. Wendel unterwegs

 

Am Samstag ist ein erster Proberundgang – Offizielle Führungen ab März

 

St. Wendel hat, wie in alten Zeiten, wieder einen Nachtwächter. Ab März wird Ortwin Englert einmal im Monat Touristen und Einheimische durch die historische Altstadt führen. Am Samstag, 9. Februar, macht er um 18 Uhr mit einer Gruppe einen Proberundgang.

 

St. Wendel. Ab März wird in St. Wendel an jedem ersten Samstag im Monat ein Nachtwächter eine Führung durch die historische Altstadt unternehmen. Nicht nur Touristen, auch Einheimische können daran teilnehmen. Während der Wintermonate zwischen Oktober und April beginnen diese Führungen jeweils um 18.30 Uhr, zwischen Mai und September um 20 Uhr. Treffpunkt ist immer im Hof des Dom-Hotels in der Carl-Cetto-Straße. Die Führung dauert etwa 60 Minuten. Als Nachtwächter fungiert OE. Erwachsene zahlen dafür sechs Euro, Behinderte und Studenten mit Ausweis sowie Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre drei Euro. Kinder bis sechs Jahre sind frei.

 

Die erste offizielle …. Er kann auch zu frei wählbaren Terminen von Gruppen und Firmen gebucht werden. Ebenso dürfte er für Kindergeburtstage und Schulklassen eine echte Attraktion sein.

 

Zur Geschichte des Nachtwächters. Seine Aufgabe war es in alter Zeit, durch die Straßen und Gassen der Stadt zu gehen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er warnte die schlafenden Bürger vor Feuern, Feinden und Dieben, überwachte das ordnungsgemäße Verschließen der Haustüren und der Stadttore. Häufig gehörte es zu seinen Aufgaben, die Stunden anzusagen. Er hatte das Recht, verdächtige Personen, die nachts unterwegs waren, anzuhalten, zu befragen und notfalls zu verhaften. Zu seiner Ausrüstung gehörten eine Hellebarde, eine Laterne und ein Horn.

 

In St. Wendel wurde die Stadt bis zum 18. Jahrhundert durch Schweinehirten bewacht. Danach drehten eigens eingesetzte Nachtwächter ihre Runden. Eine Dienstanweisung aus dem Jahr 1727 legte fest, dass die Wächter zwischen Oktober und April alle Straßen von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens abzugehen hatten. Der Dienstgang begann am Amtshaus, dem heutigen Rathaus, und führte zunächst durch die Schloss-, Luisen-, Hospital- und Josefstraße bis zur Balduinstraße. Ab der coburgischen Zeit hatte St. Wendel zwei Nachtwächter im Dienst. Die Stadt war mit ihnen zufrieden und lehnte 1906 den Antrag zur Gründung einer privaten Wach- und Schließgesellschaft ab. gtr

 

Infos: Touristinformation Stadt St. Wendel TUI ReiseCenter, Bahnhofstr. 15, St. Wendel,"

 

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Der Bericht danach in der SZ am 12.02.2008:

 

"Nachtwächter dreht wieder seine Runden

Erste Probe-Tour durch St. Wendel am Samstag

 

Heute braucht er die Stadt nachts nicht mehr zu bewachen. Aber über ihre Geschichte muss er Bescheid wissen, wenn er die Gäste durch die Altstadt führt. Die SZ begleitete den Nachtwächter OE auf einem seiner ersten Rundgänge.

 

Von SZ-Mitarbeiter Gerhard Tröster

 

St. Wendel. Vor fast 100 Jahren drehte in St. Wendel letztmals ein Nachtwächter seine Runden durch die Stadt, sorgte für Ordnung, warf das eine Auge auf nicht verschlossene Türen, das andere auf verdächtige Personen, die nächtens ihr Unwesen treiben wollen. Den Nachtwächter als Beruf gibt es in den Städten heute nicht mehr. Vielmehr ist er dort zu einem Hobby und zu einer Attraktion für die Touristen geworden. In Ortwin Englert hat die Stadt seit Anfang des Jahres auch einen solchen Nachtwächter. Bevor er am 1. März offiziell seine Tätigkeit aufnimmt, hat er schon mehrere Proberunden mit Gruppen durch die Stadt gemacht. Eine davon begann am Samstag bei Einbruch der Dunkelheit.

 

Ortwin Englert gibt als Nachtwächter eine stattliche Figur ab. Angetan mit einem langen, schwarzen Mantel und einem breitkrempigen Hut, in der linken Hand eine glänzende Hellebarde, in der rechten die brennende Laterne. Um seinen Hals hängt ein so genanntes Hifthorn, ein altes Jagdhorn, das einen heiseren Ton von sich gibt. Um sich geschart hat er eine Gruppe aus Gronig, die er eine Stunde lang durch die Altstadt führen will.

 

„Die St. Wendeler Nachtwächter haben seinerzeit nicht gesungen ,Hört ihr Leut' und lasst euch sagen'. Sie haben stattdessen alle Stunde mit der kleinen Glocke geläutet“, erzählt der Nachtwächter den aufmerksam folgenden Zuhörern. Auch er wolle nicht singen, höchstens ab und zu mal auf dem Horn blasen, dafür aber viel von St. Wendels Geschichte erzählen.

 

Im Spazierschritt geht es die Carl-Cetto-Straße hinauf und an der Basilika vorbei. „Links steht das Bruch'sche Haus, in dem einst der Bürgermeister Carl Cetto gewohnt hat“, weiß der Nachtwächter. Der von den Franzosen in der Lichtmessnacht 1677 gelegte Brand habe eine Menge Häuser rund um die Kirche zerstört, auch das Alte Rathaus, mit dessen Wiederaufbau erst 1792 begonnen wurde. „Im Schwanenhaus dort ist der Komponist und Hofkapellmeister Philipp Jacob Riotte 1776 geboren“, blättert Englert in der Geschichte weiter. Vorbei geht es am Pfarrhaus, dessen Ursprünge in das Jahr 1338 zurückreichen und dem Kardinal Nicolaus Cusanus die heutige bauliche Gestalt gegeben hat. Ganz alt sei auch die Magdalenenkapelle, die früher Pfarrkirche gewesen sei. 1343 erstmals in einer Niederschrift genannt liegt ihr Baubeginn jedoch im Dunkeln.

 

An der alten Stadtmauer („Sie ist ein Nachbau aus Steinen, die von einer Brücke in Oberlinxweiler stammen“) legt die Gruppe eine Rast ein. Auf der Einfassung der Zisterne stehen Gläser und brennen Teelichter. Die Groniger werden mit Sekt und Gebäck verwöhnt. Anschließend geht es zum Ausgangspunkt zurück.

 

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Herr Trösters Bericht über diese Führung war sehr moderat. Das muß sie sein, denn schließlich soll sie in die Zeitung. Der folgende Text stammt von mir. Er ist nicht moderat, denn er wird nur innerhalb dieses Forums erscheinen, das eine geschlossene Liste ist, d.h. hier liest und schreibt nur mit, wer sich angemeldet hat.

 

Ich führe in St. Wendel seit vier Jahren Leute durch die Stadt. alle 14 Tage samstags morgens um 11 Uhr, die verbleibenden Samstage macht Werner Martin das gleiche. Dazu kommen noch etliche Gruppen, die über die Tourist Info in St. Wendel vermittelt werden sowie private Gruppen. Manchmal sind es 30 Leute, oftmals - vor allem samstags - ist es nur eine Person. Wir sagen zwar, mindestens zwei sollten es sein, aber ich hab noch niemanden heimgeschickt. Mir kommts darauf an, daß die Leute informiert werden und sich dabei nicht langweilen. Wobei ich den Humor nicht zu Ungunsten der Wahrheit (so wie ich sie sehe) durchboxe. Wovon ich überzeugt bin, das erzähle ich, Mögliches oder Alternativen stelle ich als solches dar. Feedback gibt es selten, aber bisher hat es noch immer allen gefallen. Auch der Stadtführer in Schriftform, den ich vor drei Jahren verfaßt habe und der immer wieder mal aktualisiert wird, geht gut und kommt auch gut an. Wie ich dazu komme, die Führung des Nachtwächters letzten Samstag so zu kritisieren? Nun, ich denke, ich kann behaupten, ich kenne mich hier in St. Wendel damit aus.

 

Da es sich am Samstag um eine Probegang handeln sollte, ging ich auch hin. Der Nachtwächter stand im Kreis von ein paar Leuten, von denen ich erst im Laufe der Führung mitbekam, daß es sich um eine vorangemeldete Gruppe handelte. Der Probegang war kein solcher, der Nachtwächter gab an, er habe das schon fünfmal getan, er verstehe sein Geschäft. Zunächst versuchte er, in sein Horn zu blasen. Das ging völlig in die Hose. Ein Gast in der Magdalenenkapelle fragte später laut, ob das grad ein Tier notgeschlachtet würde. Nicht alle lachten ob dieses Scherzes. Aber genau wie sein Tuten war auch seine Stadtführung. Eigentlich sah das Konzept des Nachtwächters vor, daß dieser durch den Ort führt und dabei Geschichtchen erzählt, die nicht immer ganz stimmen müssen, aber die Besucher unterhalten. Das führte der Nachtwächter nicht durch; er legte eine Stadtführung hin, allerdings eine so saumäßige, daß ich mich fast für jedes Wort geschämt habe, daß dieser Typ von sich gegeben hat.

 

Er wußte nichtmal einmal, daß die Herzogin Luise, nachdem sie 1824 nach St. Wendel ins Exil geschickt war, rechtmäßig von Ernst geschieden wurde, und deshalb ein Recht auf ihr Vermögen hatte. Statt dessen erzählt der Nachtwächter, daß Luise eine streitlustige Frau war, die sich mit ihrem Ehemann um ihr Vermögen stritt, daß ihr rechtlich nicht zustand. So ein totaler Schwachsinn. Nicht der einzige.

 

Das rote Haus heißt rotes Haus, weil man die Farbe dafür mit Stierblut vermischt habe. Daß der Name ggf. von dem Demokratiegedanken des Hambacher Festes herrührt, darauf kommt der Nachtwächter überhaupt nicht. Er erzählt etwas von Franz von Sickingen, präsentiert stolz die Kugel und hat keinen Schimmer, wie die Worte heißen, die darüber an der Wand geschrieben stehen. Und als ihn einer seiner Schutzbefohlenen fragt, da weiß er sich keinen besseren Rat, als mich zu fragen: "Fragen wir doch mal die Konkurrenz".

 

Den Friedhof um den Dom läßt er von den Preußen vors obere Tor verlegen, von den Preußen, das muß man sich mal vorstellen. Dann läßt er die Frauen auf die Barrikaden steigen, weil sie gegen die Verlegung waren und läßt es zu Handgreiflichkeiten der Frauen, die ihre Männer anstacheln, mit den Preußen kommen. So eine totaler Durchfall. Der Trierer Bischof hat den Friedhof verlegen lassen, das war 1786, da dauerte es noch 50 Jahre, bis der erste Preuße sich hat sehen lassen. Der zweite Friedhof wurde 1814 verlegt, da waren hier noch die Franzosen. Und nach denen kamen erst mal die Coburger und dann erst die Preußen.

 

In der Oberstadt stellt er sich vor dem Cafe am Brunnen auf und schwadroniert über den Wendalinus und hat nix besseres zu tun, als Manfred Peters eigenwillige Ideen als Fakt zu verkaufen. Dabei zeigt er immer auf die Figur überm Cafe, dabei ist das nicht der Wendalinus, sondern der Rochus. Er hätte sich nur ein bißchen nach links drehen müssen, dort steht Wendel aufm Brunnen. Aber den hat er wohl noch nie gesehen.

 

Irgendwann sagte jemand "Der wird aber noch ganz schön nachrüsten müssen." Pah, nachrüsten reicht da nicht, dieser Herr muß sich erst mal organisieren, sein Vortrag hatte keinen Anfang und kein Ende, er fing einfach an und hörte auch gleich irgendwann wieder auf.

 

"Nikolas Marschall wanderte nach Amerika aus und geriet in den Bürgerkrieg" - bei solchen Sätzen krieg ichs Kotzen.

 

Oben an der Stadtmauer erzählte er, die habe niemals dort gestanden, sondern "irgendwo hier". Nun gut, was man dort sieht, ist die Rückwand einer Scheune, aber die alte Mauer war hier gewesen. Zu dem Brunnen wußte er, daß unten knapp über der Wasserlinie Gänge hineinführten. So ein Stuß - Wasserlinie. Das ist eine Zisterne, die hat keine Wasserlinie, die läuft von oben voll, sofern Wasser hineingerät. Die Gänge laufen in fünf Metern Tiefe, das Scheißding ist 20 Meter tief, nach seinen Angaben liegen die Gänge ebenso tief. Keine Ahnung, wo er diesen Schwachsinn her hat.

 

Und dann kamen die Treppentürme dran, die laut seiner Fassung ehemalige umfunktionierte Wehrtürme waren. An welcher Stadtmauer sollen die dann gestanden haben, vor allem, da die Häuser, zu denen sie gehören, weniger als 300 Jahre alt sind.

 

Tut mit leid, aber der hat während der ganzen Zeit nur Schwachsinn geredet, und leider noch nicht mal lustig. Zum Lachen fand es niemand, ich allerdings zum Heulen.

 

Wenn das die Art der Präsentierung von St. Wendel sein soll, die man vom Nachtwächter erwartet, dann Gut Nacht.

 

Mir tun da die Leute leid, wie letzten Samstagabend die Gruppe aus Gronig. Die merken natürlich nicht, wes Geistes Kind ihr Nachtwächter ist, da sie den Unterschied nicht kennen und - das kann ich nur für den Nachtwächter hoffen - auch nie erfahren werden. Niveaulos.

 

Roland Geiger, Alsfassen