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2025/01/16 13:34:18 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Namenslisten deutscher Kriegsgefan gener in französischen Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg |
Datum | 2025/01/19 02:26:25 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 1949: Saargebiet postalisch jetzt Teil Frankreichs |
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2025/01/15 14:29:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 20. Januar - nicht nur Sebastianustag |
Betreff | 2025/01/28 10:54:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Elisabeth Schenck, geb. ca. 1713 in "Lichtenberg in Zweibrücken" |
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2025/01/16 13:34:18 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Namenslisten deutscher Kriegsgefan gener in französischen Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg |
Autor | 2025/01/19 02:26:25 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 1949: Saargebiet postalisch jetzt Teil Frankreichs |
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Date: 2025/01/17 10:28:39
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Eine Geschichte mit Geschmack. Die Natur
synthetischer
Aromastoffe im 20. Jahrhundert am Beispiel Vanillin
Autorin: Paulina S. Gennermann
Erschienen Berlin 2023: De
Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten IX, 264 S., 8 SW-Abb., 7 farb. Abb., 3 SW-Tab.
Preis € 79,95
ISBN 978-3-11-118906-2
URL https://doi.org/10.1515/9783111190297
Rezensiert für H-Soz-Kult von Christian Schnurr,
Wissenschaftszentrum Umwelt, Universität Augsburg
Mit Geschick, Geschmack und einem guten Riecher für die größere
Relevanz des
Themas führt Paulina S. Gennermann in ihrer
wissenschaftshistorischen Studie
durch die Geschichte der synthetischen Aromastoffe im 20.
Jahrhundert – mit
Schwerpunkt Vanillin. Das Buch basiert auf Gennermanns an der
Universität
Bielefeld eingereichten Dissertation und wurde mit dem
Bettina-Haupt-Förderpreis für Geschichte der Chemie ausgezeichnet.
Ihr Fokus
liegt auf der Debatte um die „Natürlichkeit“ solcher synthetischen
Reproduktionen von Naturstoffen. Im mühelosen Streifzug zwischen
Archivarbeit,
Markt- und Marketingbetrachtungen schafft das Buch den Spagat
zwischen
historischer Detailarbeit und dem „big picture“. So kristallisiert
sich Schritt
für Schritt am unscheinbaren Stoff Vanillin die Politizität
gesellschaftlicher
Naturzuschreibungen heraus.
Warum Vanillin? Ist der Stoff nicht zu alltäglich, zu
nebensächlich für die
große Bühne des historischen Blicks? Weit gefehlt. Heute ist
Vanillin mit einem
jährlichen Produktionsvolumen von etwa 20.000 Tonnen der
meistproduzierte
Aromastoff weltweit. Es ist ein Stoff, dessen Natürlichkeit
infrage steht.
Weniger als ein Prozent des globalen Produktionsvolumens stammen
aus
Vanilleschoten; 85 Prozent werden petrochemisch hergestellt, 15
Prozent aus
Holzbiomasse.1 Die Hintergründe dieser
Entwicklung
verfolgt Gennermann durch Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft
und Politik im
Zeitraum 1910–1980 in Deutschland und der Schweiz. Das Buch ist in
drei
chronologische Teile gegliedert: die 1910er- bis 1920er-Jahre, die
1930er- bis
1940er-Jahre und die 1950er- bis 1980er-Jahre. Die meisten
chemiehistorischen
Studien für diesen Zeitraum befassen sich mit der Entwicklung der
Farbstoff-
und Pharmaindustrie. Im Bereich der Nahrungsmittelstoffe findet
das Buch
Vorläufer in den Stoffgeschichten von Beat Bächi (Vitamin C)2 und Christoph Maria Merki
(Saccharin)3 sowie den allgemeinen
Untersuchungen von
Klaus Stanzl, Patrick van Zwanenberg und Erik Millstone zur
Geschichte der
Aromastoffindustrie.4 Dem Forschungsthema
Vanillin verleiht
Gennermann durch die breit angelegte Monografie als erste eine
entsprechende
Bedeutung. Kürzere Vorläuferarbeiten von Elisabeth Vaupel und
Nadia Berenstein
werden an den entsprechenden Stellen gewürdigt. Lediglich Georg
Schwedts
Firmengeschichte des Vanillin-Herstellers Haarmann & Reimer
bleibt
überraschenderweise unerwähnt.5 Wie synthetisches Vanillin
in
industriellem Maßstab hergestellt wurde und sich in der
Gesellschaft
verbreitete, welche Rolle es während des Ersten Weltkriegs spielte
und wie sich
damals der Streit um die (Un-)Natürlichkeit des synthetischen
Stoffs abspielte,
sind die großen Fragen des ersten Teils des Buches. Die
Rohstoffknappheit
während der Kriegsjahre förderte die Produktion von Ersatzgütern,
was in vielen
Fällen zu einer Qualitätsminderung führte und das negative Ansehen
von
Ersatzstoffen prägte. Dem gegenüber stand die vor allem durch die
Lebensreformbewegung positiv assoziierte natürliche Ernährung (S.
25). Als
typisches Beispiel für Ersatzstoffe beschreibt Gennermann
„Kunstpfeffer“, bei
dem das Hauptalkaloid des schwarzen Pfeffers, Piperin, synthetisch
nachgeahmt
und strukturähnliche Scharfstoffe beispielsweise
Konservenprodukten zur Schärfung
zugesetzt wurden. Während sich Kunstpfeffer nur zu Mangelzeiten
während der
Weltkriege etablieren konnte, hatte synthetisches Vanillin eine
erfolgreichere
Karriere; es war schon vor dem Ersten Weltkrieg in den Haushalten
bekannt und
bot aufgrund des hohen Preises von Vanilleschoten auch über die
Kriegsjahre
hinaus einen Preisvorteil (S. 99). Deswegen plädiert Gennermann
dafür, Vanillin
nicht als „Ersatzstoff“, sondern als „Konsumstoff“ zu bezeichnen.
Die Gegenüberstellung von synthetischem Vanillin und Kunstpfeffer
ist treffend
gewählt. Der Kontrast mit einem Produkt, das es nicht geschafft
hat, sich
langfristig auf dem Lebensmittelmarkt zu etablieren, führt vor
Augen, wie
prekär die gesellschaftliche Stellung synthetischer Aromastoffe zu
ihren
Anfangszeiten war, und macht den bemerkenswerten Siegeszug
synthetischen
Vanillins umso greifbarer. Lediglich genauere Einblicke in die
ökonomischen
Hintergründe wie beispielsweise die Preisentwicklung des
Kunstpfeffers oder des
synthetischen Kaffeearomas (Gennermanns zweites Beispiel für einen
Ersatzstoff)
hätten die Gegenüberstellung noch vertiefen können. Auch ein Wort
zum
chemischen Hintergrund dieser Ersatzstoffe (Ausgangsstoffe,
Synthesewege) wäre
interessant gewesen.
Beides behandelt Gennermann für Vanillin und zeigt, wie sich Ende
des 19. und
Anfang des 20. Jahrhunderts die industrielle Synthese aus
Coniferin, dann aus
Eugenol und schließlich aus Guajakol entwickelte. Dabei sind die
chemischen
Hintergründe leider etwas zu kurz gehalten. Die vier
Strukturformeln, die
abgebildet sind (Vanillin und die drei obigen Ausgangsstoffe),
werden nur
spärlich beschrieben und mehrere Formulierungen zeigen eine
gewisse Fremdheit
gegenüber den chemischen Details (S. 29–30). Dabei macht es doch
die Qualität
einer stoffgeschichtlichen Arbeit aus, dass die Chemie hier zu
Wort kommen
darf. Die chemischen Hintergründe „der Verständlichkeit halber […]
vereinfacht
und gekürzt“ (S. 29) wiederzugeben, scheint die falsche
Herangehensweise.
Dennoch wird die ökonomische Bedeutung der prozesstechnischen
Fortschritte
klar: Die Synthese aus zugänglicheren Ausgangsmaterialien
reduzierte den
anfänglichen Kilogrammpreis für synthetisches Vanillin von 6.000
auf 30 Mark
(S. 32).
Gennermanns Hauptaugenmerk liegt auf dem gesellschaftspolitischen
Prozess der
„Naturalisierung“ synthetischer Aromastoffe. Es ist die Stärke der
Arbeit, dass
sich dieser explizit formulierte Schwerpunkt durch alle Kapitel
zieht. Das Buch
schweift nicht ab, verliert sich nicht in Nebensächlichkeiten.
Gerade das
fördert den angenehmen Leseeindruck und hilft als roter Faden
durch den langen
Untersuchungszeitraum.
Mit „Naturalisierung“ bezeichnet Gennermann den Umstand, dass sich
synthetisches Vanillin erfolgreich in die alltägliche Ernährung
integrierte,
kulturell akzeptiert und als gleichwertig zu natürlichem
Vanillearoma angesehen
wurde. Vanillin ist als synthetischer Stoff derart gebräuchlich,
gewöhnlich und
vertraut geworden, dass sich der kulturelle Umgang mit ihm nicht
wesentlich vom
Umgang mit natürlichen Stoffen unterscheidet. Mit
„Naturalisierung“ bezieht
sich Gennermann also primär auf die kulturelle Akzeptanz und die
sprachliche
„Codierung“ des Stoffs (S. 2); die materielle Frage seiner
(Un-/Nicht-/Quasi-)Natürlichkeit rückt in den Hintergrund. Damit
spiegelt
Gennermanns Begriff der „Naturalisierung“ (ungewollt?) die
Strategien der
Vanillewerbung.
Schließlich vollzog sich die „Naturalisierung“ des synthetischen
Vanillins
nicht von selbst, sondern wurde durch Werbemaßnahmen der
Vanillin-Produzenten
angeleitet. Um 1900 gab Haarmann & Reimer, der erste große
Vanillin-Produzent, zusammen mit der Frauenrechtlerin und
Sozialaktivistin Lina
Morgenstern ein Kochbuch heraus, das Rezepte mit Vanillin
breiteren
Bevölkerungsschichten zugänglich machen sollte. Darin wurde die
Gleichheit des
synthetischen Stoffs mit dem Naturprodukt betont, zugleich aber
die Vorzüge des
günstigen und handlich abgepackten Pulvers in den Vordergrund
gestellt.
Vanillin wurde mit seiner Naturnähe beworben, im gleichen Atemzug
aber das
Naturprodukt Vanilleschote schlechtgeredet (S. 33–35). Solche
Ambivalenzen der
Vanillin-Werbung stellt Gennermann kritisch heraus und macht sie
an gut
gewählten Beispielen fest – neben dem angesprochenen Kochbuch auch
an einem
Rezeptbuch von Dr. Oetker (die seit 1894 Vanillinzucker
vertreiben) und einer
Werbebroschüre der chemisch-pharmazeutischen Firma Boehringer
Mannheim (S.
48–52).
Anhand dieser Marketingbetrachtungen wird nachvollzogen, wie sich
der
gesellschaftliche und ökonomische Spielraum von Vanillin
verbreiterte: Anfangs
nur von einer auf die Vanillin-Herstellung spezialisierten Firma
beworben,
übernahmen bald größere Nahrungsmittelunternehmen die Werbung, die
nicht den
Stoff für sich allein, sondern Lebensmittelprodukte, die Vanillin
enthielten
(zum Beispiel Vanillinzucker), vermarkteten. Während das
Zielpublikum der
Vanillin-Werbung zu Beginn vor allem bürgerliche Hausfrauen waren,
richtete
sich die Broschüre von Boehringer an Industriepartner, die in das
Vanillin-Geschäft einsteigen wollten. So veranschaulicht
Gennermann, wie
Vanillin auch für die chemische Industrie im Allgemeinen immer
attraktiver
wurde. In der Tat drängte in den 1920er-Jahren die I.G. Farben,
später der
größte Chemiekonzern der Welt, in den Vanillin-Markt,
revolutionierte durch die
Synthese aus Guajakol den Herstellungsweg (Vanillin wurde nun
erstmals nicht
mehr aus einem Naturstoff hergestellt) und konsolidierte seine
Macht durch die
„Vanillin-Konvention“, im Zuge derer sich die großen industriellen
Vanillin-Produzenten zu einem Kartell zusammenschlossen (S.
55–66).
Die einhergehenden Machtkämpfe in der chemischen
Industrielandschaft beschreibt
Gennermann ausführlich und vermittelt dadurch erneut den Eindruck,
wie
erfolgreich sich der Stoff nicht nur in den Haushalten, sondern
auch auf dem
Chemikalienmarkt etablierte. Von 25 Kilogramm jährlichem
Produktionsvolumen der
ersten Vanillin-Hersteller wuchs der Vanillin-Verbrauch in Europa
bis Mitte der
1920er-Jahre auf 70.000 Kilogramm pro Jahr (S. 57).
Die 1930er- und 1940er-Jahre waren wirtschaftlich von der
Etablierung und
Ausweitung der Kartellarbeit geprägt, welche Quoten, Preise und
Lieferketten
für Vanillin klar regelte (S. 62). Aufreger wie Preisspielchen im
brasilianischen Markt (S. 81), Fälle von Vanillin-Schmuggel (S.
84) oder das
Aufkommen von Ethylvanillin – einem verwandten Stoff mit stärkerem
Aroma, der
aufgrund geringerer Bedarfsmenge problematisch war (S. 86) –
behandelt
Gennermann detail- und aufschlussreich. Auch das Aufkommen eines
neuen
Synthesewegs aus Sulfitablaugen aus der Papierindustrie
(heutzutage alleiniger
Konkurrent zur petrochemischen Herstellung) stellt Gennermann mit
großer Tiefe
dar. Für die Kriegsjahre kann Gennermann nachweisen, dass Vanillin
nicht an
Bedeutung verlor, sondern bisweilen sogar als „kriegswichtiges
Produkt“ (S.
123) diskutiert wurde, nicht zuletzt, weil an der Front gerne
Vanillin-Pudding
gelöffelt wurde (S. 114).
Den Anschluss an den gegenwärtigen Diskurs über natürliche und
künstliche
Stoffe schafft Gennermann im dritten Teil der Arbeit, der den
etwas längeren
Zeitraum der 1950er- bis 1980er-Jahre umspannt. Auch hier weiß
Gennermann das
Spezialthema Vanillin an den größeren Diskurs der zunehmenden
Produktion
chemisch-industrieller Stoffe anzuknüpfen. Nur im Zusammenhang mit
der
Regulierung von Pharmazeutika, Pestiziden und Farbstoffen sei auch
die
Aromagesetzgebung zu verstehen (S. 137). Im Rahmen von
Arzneimittelskandalen
und der Umweltbewegung wurde die „Sicherheit
chemisch-industrieller Stoffe […]
zu einem sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen,
wirtschaftlichen und
politischen Thema“ (S. 139). Politik, Industrie und
Verbraucher:innen fingen
an, um eine angemessene Regulierung von Aromastoffen zu ringen.
Vor allem in
Deutschland war das auch ein Streit um Begrifflichkeiten.
Synthetische
Aromastoffe wie Vanillin, die strukturgleich zum Naturstoff sind,
standen dabei
im Zentrum. Letztlich etablierte sich dafür in den 1970er-Jahren
der Begriff
des „naturidentischen Aromastoffs“, der ein Kompromiss zwischen
den Interessen
der Industrie (negative Begriffsassoziationen vermeiden),
Wissenschaft
(Strukturgleichheit betonen) und Verbrauchern (Transparenz
schaffen) war (S.
198–206). Letztlich konnte sich der Begriff nicht halten,
heutzutage gibt es
nur Auslobungen als „natürliches Aroma“ oder die
Generalbezeichnung „Aroma“,
die sowohl künstliche als auch naturidentische Stoffe einschließt.
Man merkt
aber, wie viel Bewegung im Thema Aromastoffe steckt. Gerade dieses
Fingerspitzengefühl für die größere Relevanz des unscheinbaren
Stoffs Vanillin,
seine Zwischenstellung im Kreuzfeuer von Risiko-, Ernährungs-,
Natürlichkeits-
und Industrialisierungsdiskursen – formuliert in einer klaren und
einfachen
Sprache – machen „Eine Geschichte mit Geschmack“ zu einer
Bereicherung der
stoffgeschichtlichen Literatur und darüber hinaus.
Anmerkungen:
1 Maxence Fache / Bernard
Boutevin / Sylvain
Caillol, Vanillin production from lignin and its use as a
renewable chemical,
in: ACS Sustainable Chemistry & Engineering 4 (2016) 1, S.
35–46.
2 Beat Bächi, Vitamin C für
alle!
Pharmazeutische Produktion, Vermarktung und Gesundheitspolitik
(1933–1953),
Zürich 2009.
3 Christoph Maria Merki, Zucker
gegen
Saccharin. Zur Geschichte der künstlichen Süßstoffe, Frankfurt am
Main 1993.
4 Klaus Stanzl, Die Entstehung
der
Riechstoffindustrie im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2019; Patrick
van Zwanenberg
/ Erik Millstone, Taste and Power. The Flavouring Industry and
Flavour Additive
Regulation, in: Science as Culture 24 (2015) 2, S. 129–156.
5 Georg Schwedt, Am Anfang war
das Vanillin.
Die Väter der Aromen-Industrie in Holzminden, Norderstedt 2017.
Zitation
Christian Schnurr, Rezension zu: Gennermann, Paulina S.: Eine
Geschichte mit
Geschmack. Die Natur synthetischer Aromastoffe im 20. Jahrhundert
am Beispiel
Vanillin. Berlin 2023 , ISBN 978-3-11-118906-2, in: H-Soz-Kult,
17.01.2025, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-143472.