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2024/10/28 09:01:58 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Landesgeschichtliche Perspektiven auf 1000 Jahre Abtei Brauweiler |
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2024/10/24 00:04:38 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Buch zum Seminar "Vertiefende Familienforschung" 2023 |
Betreff | 2024/10/13 21:38:07 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Datumsangaben entschlüsseln i n Kirchenbüchern und anderen Dokumenten |
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2024/10/28 09:01:58 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Landesgeschichtliche Perspektiven auf 1000 Jahre Abtei Brauweiler |
Autor | ![]() |
Date: 2024/10/28 09:09:25
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Vergangene Woche erschien im St. Wendeler Teil
der Saarbrücker Zeitung dieser Artikel:
Das Gräfinthaler Mirakelbuch
und die
"Wunderwercke" der Pfeilenmadonna
Das „Mirakelbuch“ von 1671 schildert 86 Wunder, die durch das
Gnadenbild der
„Pfeilenmadonna“ im Kloster Gräfinthal bewirkt worden sein
sollen. Verfasst von
Mönch Friedrich Schaal sollte es nach dem Dreißigjährigen Krieg
die
Wallfahrten fördern und das Kloster wiederbeleben.
Die dadurch sprudelnden Einnahmen wurden zur Modernisierung und
Erweiterung des
Klosters verwendet – hier eine Aufnahme um 1900.
Von Martin Baus
Zunechst bey Blies-Castell ligt ein Dorff mit Namen Lautzkirchen
/ da fließt
ein Bach / die Klembach genandt / kombt von Würtzbach / und
Lautzkirchen
Mülleweyer zusammen / hart oben am Dorff / und fließt unden dran
in die Bließ /
in disem Dorff wohneten ein paar Gottsförchtige Eheleuth mit
Nahmen Simon unnd
Catharina sein Haußfraw / die hätten ein zweyjähriges Kind /
welches mit andern
an dem grünen Uffer deß rauschenden Bächleins nach gewonheit
spielte / ungefähr
mit den Füssen entschlieffert und in das Wasser gefallen auff
den Donnerstag in
der Pfingstwochen / und über ein Stund in dem Wasser gelegen /
ehe daß die
Eltern in Erfahrnuß kommen: So bald sie das todte Kind herauß
gebracht /
gedachten die betrübten Eltern an die Wunder-Gnaden / die bey
der Mutter Gottes
zu Gräffenthal außgetheilt werden; / fallen auff ihre Knye /
verlobten
dasselbige Kind der Mutter Jesu in das Gottshauß / die da ist
das Heyl der
Krancken / auff daß das Kind möchte wiederumb zum Leben gelangen
…“: So beginnt
das erste „Mirakel“, mit dem die Aufzählung der wundersamen
Heilungen und Rettungen
durch das Gnadenbild der „Pfeilenmadonna“ in Kloster Gräfinthal
beginnt.
Zusammengefasst sind die Ereignisse in einem Buch, das aus dem
Jahr 1671
stammt. Viel Später, erst im 20. Jahrhundert, erhielt diese
Fibel den Titel
„Bruchstückweise Nachrichten über das Gotteshaus Gräfinthal, die
Erbauung
desselben, die Wunderwercke, so von Anfang an zu Ehren der
Mutter Maria erzeugt
worden“. Wie das Kompendium ursprünglich hieß, ist nicht
überliefert und lässt
sich aus dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Einband nicht
erschließen. Das
Kind, das in Lautzkirchen in den Bach gefallen war, über eine
Stunde im Wasser
gelegen und in dieser Zeit kein Lebenszeichen mehr von sich
gegeben hatte, fing
dem Bericht zufolge wieder an zu atmen, nachdem die Eltern das
Gräfinthaler
Gnadenbild um Hilfe angefleht hatten. Deswegen fand das Ereignis
Aufnahme in
das Verzeichnis, in dem die mysteriösen Errettungen aufgeführt
werden. Autor
dieses Mirakelbuchs war ein Mönch, der zur Ordensgemeinschaft
der Wilhelmiten
in dem Kloster gehörte, das zu diesem Zeitpunkt bereits über 400
Jahre alt war.
Von ihm ist nicht mehr als sein Name bekannt: Als
„Unterthänigst-geneigter und
ergebener Deiner“ gibt sich am Ende der Einleitung “F[rater]
Fridericus Schaal
Orden. S. Wilh.“ zu erkennen, der den Text nach eigenen Angaben
am „12. Aprilis
1671“ fertiggestellt hat.
Auf sein Vorwort folgt ein Kapitel, das die Überschrift „An den
Christlichen
Leser“ trägt. Darin werden die Zielsetzung des Buches sowie die
Methodik der
Quellenverarbeitung – mündliche Überlieferung und eine nicht
mehr greifbare,
ältere Wunderchronik - erwähnt. Dem Katalog der Gräfinthaler
Mirakel wird
ergänzend die nicht minder wundersame Gründungslegende des
Klosters
vorangestellt: Die Gräfin Elisabeth von Blieskastel soll demnach
durch die
Pfeilenmadonna von einem Augenleiden geheilt worden sein und
deswegen das
Kloster gestiftet haben. Die Landesherrin wurde im Kloster auch
bestattet, ihre
Grablege wurde durch eine steinerne Liegefigur gekennzeichnet,
die sich seit
Jahren zur Restaurierung in einer Fachwerkstatt befindet.
Nach grundsätzlichen Überlegungen zum Phänomen der durch tiefe
Religiosität und
Frömmigkeit bewirkten Wunder generell sowie zu seiner eigenen
Rolle als
Chronist lässt Schaal die Liste der Wiederbelebungen und
Heilungen folgen, die
sich auf insgesamt 86 addieren. Der Verfasser widmet sein Werk
dem seit 1652
amtierenden Trierer Erzbischof Damian Hartard von der Leyen
(1624-1678), zu
dessen Bistum Gräfinthal ebenso gehörte wie viele der Orte, an
denen sich die
Wunder abspielten. Zu dieser Zeit ließ der hohe Geistliche,
zusammen mit seinem
Bruder Karl Kaspar (1618-1676), in Blieskastel ein Schloss
errichten, das aber
nicht die Funktion einer Residenz hatte. Erhalten ist davon vor
allem die
„Orangerie“ unterhalb der Schlosskirche. Vom „Mirakelbuch“ ist
nur ein einziges
Exemplar bekannt, es befindet sich in der pfälzischen
Landesbibliothek in
Speyer. Über die Anzahl der seinerzeit gedruckten Exemplare,
also über die
Auflage, ist ebenso nichts bekannt wie die Verbreitung oder
Resonanz, die das
Druckwerk gefunden hat.
Friedrich Schaal selbst kommt auch kurz auf die Intentionen zu
sprechen, die er
mit der Chronik verbindet: Der Klosterbruder begründet die
Notwendigkeit des
Buches mit seinem „grosse[n] Eyffer für dieses Land[es] Heyl“,
das doch „durch
vielfältige schädliche Empörungen und leidige Kriegswesen“ die
Verehrung Gottes
und Mariens vernachlässigt habe“. Erzbischof von der Leyen, der
stets seine
„Hertz-brennende Andacht“ gegenüber der Mutter Gottes behalten
habe, wird von
dieser Kritik explizit ausgenommen. Dahinter verbirgt sich
natürlich nichts
anderes als die Absicht, als das Kloster Gräfinthal nach den
Verheerungen des
Dreißigjährigen Krieges und dem damit einhergehenden Verfall der
Gebäude wie
der religiösen Gebräuche wieder zu einem Zentrum der
Religiosität werden zu
lassen und seine Funktion als vielbesuchter Wallfahrtsort zu
reaktivieren. Insofern
rührt Friedrich Schaal mit dem „Mirakelbuch“ quasi kräftig die
Werbetrommel, um
dem Kloster wieder mehr Besucher zu verschaffen, die natürlich
auch Gelder in
die Klosterkasse sprudeln lassen. Tatsächlich waren bald auch
erste Erfolge in
dieser Hinsicht spürbar.
Gräfinthaler Mirakelbuch: Als 58. Exempel wird im Kapitel der
„Wunderwercke“
jenes beschrieben, das aus „Bebekam“, also Peppenkum,
aktenkundig wurde.
In dem Mirakelbuch wird der Ablauf der Wallfahrten plastisch
erläutert:
„Dieweil in einem allgemeinen Kirchgang die Jugend ihres junge
alters halbe /
wie die schöne auffgehende Morgenröth mit etwan eine anmütigen
Exempel herfür
scheinet / soll ihrer auch billich insonderheit bedacht werden“:
Vor allem
jüngere Leute waren also die Zielgruppe, die zum Pilgern nach
Gräfinthal
animiert werden sollte, und zwar vornehmlich aus den Bereichen
der Städte
Blieskastel und Saargemünd. Auch die Lokalisierung der Mirakel
spricht
eindeutig dafür, dass über das Medium der „wundertätigen
Muttergottes mit den
Pfeilen“ die Wallfahrten zum Kloster vor allem im Bereich einer
Tagesreise
angekurbelt werden sollten. Solche Pilgerfahrten waren für das
Kloster
einträglich, die Einnahmen dienten nicht zuletzt dem weiteren
Wiederaufbau und
künftigen Erweiterungen. Mit Freuden, so Schaal weiter, sei es
anzuschauen, wie
die Jugend zu gewissen Zeiten mit großen Kerzen, die jungen
Frauen mit Kränzen
„auf ihren Häuptern“ lange Wegstrecken betend oder im Chor
singend und barfuß
zurücklegen, ohne dabei etwas zu essen oder zu trinken.
Alschbach, Blickweiler, „Brevert“ (Breitfurt), Habkirchen,
Bliesbruck,
Obergailbach, Wittersheim, Mandelbach, Medelsheim, „Bebekam“
(Peppenkum) und
„Säuweiler“ (Seyweiler) sind Ortschaften, in denen sich dank des
tief
verwurzelten Glaubens und der intensiven Anbetung der
Gräfinthaler Madonna
Wunder zugetragen haben (sollen). Dabei beschränkten sich diese
Vorfälle nicht
auf das Erzbistum Trier oder katholische Orte. Selbst in
protestantischen Gegenden
stand Maria hilfreich Gewehr bei Fuß – wie beispielsweise in
Webenheim, „ein
groß Dorf nechst bey Bließ-Kastell / jenseyts der Bließ /
Zweybrücker
Herrschafft / nachmahls Anno 1525 dem Lutherthumb zugethan“.
Zwischenzeitlich
sogar dem „Calvinischen Irrtumb verfallen“, wurden dort zwei
Kinder des „catholischen
Baursmanns Hanß Deyscher“ wieder zum Leben erweckt: Sie waren in
einen Brunnen
gefallen und darin ertrunken.
Überhaupt machen Kinder, die in Brunnen oder Bäche gefallen und
ertrunken
waren, das Gros der Gräfinthaler Wunder aus. Aber auch Heilungen
von allerhand
Krankheiten wie etwa auch der Pest, die Rettung von unter
eingestürzten Häusern
verschüttete Menschen, die Erfüllung des Kinderwunsches oder die
Erweckung
totgeborener Kinder werden anschaulich geschildert. Die Berichte
von Friedrich
Schaal sind auf diese Weise auch ein Dokument aus den
schwierigen Jahren
unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg, aus denen nur wenige
Nachrichten
vorliegen. Lässt man die religiöse Aufladung der geschilderten
Vorfälle außer
Acht, so liefern die „Mirakel“ spannende Informationen zu
sozialen,
wirtschaftlichen und auch medizinischen Verhältnissen jener
Phase.