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[Regionalforum-Saar] Das Gräfinthaler Mirakelbuch und die "Wunderwercke" der Pfeilenmadonna

Date: 2024/10/28 09:09:25
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Vergangene Woche erschien im St. Wendeler Teil der Saarbrücker Zeitung dieser Artikel:

Das Gräfinthaler Mirakelbuch und die "Wunderwercke" der Pfeilenmadonna

Das „Mirakelbuch“ von 1671 schildert 86 Wunder, die durch das Gnadenbild der „Pfeilenmadonna“ im Kloster Gräfinthal bewirkt worden sein sollen. Verfasst von Mönch Friedrich Schaal sollte es nach dem Dreißigjährigen Krieg die Wallfahrten fördern und das Kloster wiederbeleben.

 Mit seinem „Mirakelbuch“ von 1671 rührte Wilhelmiten-Bruder Friedrich Schaal die Werbetrommel für Pilgertouren nach Gräfinthal. Die dadurch sprudelnden Einnahmen wurden zur Modernisierung und Erweiterung des Klosters verwendet – hier eine Aufnahme um 1900.
Die dadurch sprudelnden Einnahmen wurden zur Modernisierung und Erweiterung des Klosters verwendet – hier eine Aufnahme um 1900.

Von Martin Baus

Zunechst bey Blies-Castell ligt ein Dorff mit Namen Lautzkirchen / da fließt ein Bach / die Klembach genandt / kombt von Würtzbach / und Lautzkirchen Mülleweyer zusammen / hart oben am Dorff / und fließt unden dran in die Bließ / in disem Dorff wohneten ein paar Gottsförchtige Eheleuth mit Nahmen Simon unnd Catharina sein Haußfraw / die hätten ein zweyjähriges Kind / welches mit andern an dem grünen Uffer deß rauschenden Bächleins nach gewonheit spielte / ungefähr mit den Füssen entschlieffert und in das Wasser gefallen auff den Donnerstag in der Pfingstwochen / und über ein Stund in dem Wasser gelegen / ehe daß die Eltern in Erfahrnuß kommen: So bald sie das todte Kind herauß gebracht / gedachten die betrübten Eltern an die Wunder-Gnaden / die bey der Mutter Gottes zu Gräffenthal außgetheilt werden; / fallen auff ihre Knye / verlobten dasselbige Kind der Mutter Jesu in das Gottshauß / die da ist das Heyl der Krancken / auff daß das Kind möchte wiederumb zum Leben gelangen …“: So beginnt das erste „Mirakel“, mit dem die Aufzählung der wundersamen Heilungen und Rettungen durch das Gnadenbild der „Pfeilenmadonna“ in Kloster Gräfinthal beginnt.

Zusammengefasst sind die Ereignisse in einem Buch, das aus dem Jahr 1671 stammt. Viel Später, erst im 20. Jahrhundert, erhielt diese Fibel den Titel „Bruchstückweise Nachrichten über das Gotteshaus Gräfinthal, die Erbauung desselben, die Wunderwercke, so von Anfang an zu Ehren der Mutter Maria erzeugt worden“. Wie das Kompendium ursprünglich hieß, ist nicht überliefert und lässt sich aus dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Einband nicht erschließen. Das Kind, das in Lautzkirchen in den Bach gefallen war, über eine Stunde im Wasser gelegen und in dieser Zeit kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte, fing dem Bericht zufolge wieder an zu atmen, nachdem die Eltern das Gräfinthaler Gnadenbild um Hilfe angefleht hatten. Deswegen fand das Ereignis Aufnahme in das Verzeichnis, in dem die mysteriösen Errettungen aufgeführt werden. Autor dieses Mirakelbuchs war ein Mönch, der zur Ordensgemeinschaft der Wilhelmiten in dem Kloster gehörte, das zu diesem Zeitpunkt bereits über 400 Jahre alt war. Von ihm ist nicht mehr als sein Name bekannt: Als „Unterthänigst-geneigter und ergebener Deiner“ gibt sich am Ende der Einleitung “F[rater] Fridericus Schaal Orden. S. Wilh.“ zu erkennen, der den Text nach eigenen Angaben am „12. Aprilis 1671“ fertiggestellt hat.

Auf sein Vorwort folgt ein Kapitel, das die Überschrift „An den Christlichen Leser“ trägt. Darin werden die Zielsetzung des Buches sowie die Methodik der Quellenverarbeitung – mündliche Überlieferung und eine nicht mehr greifbare, ältere Wunderchronik - erwähnt. Dem Katalog der Gräfinthaler Mirakel wird ergänzend die nicht minder wundersame Gründungslegende des Klosters vorangestellt: Die Gräfin Elisabeth von Blieskastel soll demnach durch die Pfeilenmadonna von einem Augenleiden geheilt worden sein und deswegen das Kloster gestiftet haben. Die Landesherrin wurde im Kloster auch bestattet, ihre Grablege wurde durch eine steinerne Liegefigur gekennzeichnet, die sich seit Jahren zur Restaurierung in einer Fachwerkstatt befindet.

Nach grundsätzlichen Überlegungen zum Phänomen der durch tiefe Religiosität und Frömmigkeit bewirkten Wunder generell sowie zu seiner eigenen Rolle als Chronist lässt Schaal die Liste der Wiederbelebungen und Heilungen folgen, die sich auf insgesamt 86 addieren. Der Verfasser widmet sein Werk dem seit 1652 amtierenden Trierer Erzbischof Damian Hartard von der Leyen (1624-1678), zu dessen Bistum Gräfinthal ebenso gehörte wie viele der Orte, an denen sich die Wunder abspielten. Zu dieser Zeit ließ der hohe Geistliche, zusammen mit seinem Bruder Karl Kaspar (1618-1676), in Blieskastel ein Schloss errichten, das aber nicht die Funktion einer Residenz hatte. Erhalten ist davon vor allem die „Orangerie“ unterhalb der Schlosskirche. Vom „Mirakelbuch“ ist nur ein einziges Exemplar bekannt, es befindet sich in der pfälzischen Landesbibliothek in Speyer. Über die Anzahl der seinerzeit gedruckten Exemplare, also über die Auflage, ist ebenso nichts bekannt wie die Verbreitung oder Resonanz, die das Druckwerk gefunden hat.

Friedrich Schaal selbst kommt auch kurz auf die Intentionen zu sprechen, die er mit der Chronik verbindet: Der Klosterbruder begründet die Notwendigkeit des Buches mit seinem „grosse[n] Eyffer für dieses Land[es] Heyl“, das doch „durch vielfältige schädliche Empörungen und leidige Kriegswesen“ die Verehrung Gottes und Mariens vernachlässigt habe“. Erzbischof von der Leyen, der stets seine „Hertz-brennende Andacht“ gegenüber der Mutter Gottes behalten habe, wird von dieser Kritik explizit ausgenommen. Dahinter verbirgt sich natürlich nichts anderes als die Absicht, als das Kloster Gräfinthal nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges und dem damit einhergehenden Verfall der Gebäude wie der religiösen Gebräuche wieder zu einem Zentrum der Religiosität werden zu lassen und seine Funktion als vielbesuchter Wallfahrtsort zu reaktivieren. Insofern rührt Friedrich Schaal mit dem „Mirakelbuch“ quasi kräftig die Werbetrommel, um dem Kloster wieder mehr Besucher zu verschaffen, die natürlich auch Gelder in die Klosterkasse sprudeln lassen. Tatsächlich waren bald auch erste Erfolge in dieser Hinsicht spürbar.

Gräfinthaler Mirakelbuch: Als 58. Exempel wird im Kapitel der „Wunderwercke“ jenes beschrieben, das aus „Bebekam“, also Peppenkum, aktenkundig wurde.

Gräfinthaler Mirakelbuch: Als 58. Exempel wird im Kapitel der „Wunderwercke“ jenes beschrieben, das aus „Bebekam“, also Peppenkum, aktenkundig wurde.

In dem Mirakelbuch wird der Ablauf der Wallfahrten plastisch erläutert: „Dieweil in einem allgemeinen Kirchgang die Jugend ihres junge alters halbe / wie die schöne auffgehende Morgenröth mit etwan eine anmütigen Exempel herfür scheinet / soll ihrer auch billich insonderheit bedacht werden“: Vor allem jüngere Leute waren also die Zielgruppe, die zum Pilgern nach Gräfinthal animiert werden sollte, und zwar vornehmlich aus den Bereichen der Städte Blieskastel und Saargemünd. Auch die Lokalisierung der Mirakel spricht eindeutig dafür, dass über das Medium der „wundertätigen Muttergottes mit den Pfeilen“ die Wallfahrten zum Kloster vor allem im Bereich einer Tagesreise angekurbelt werden sollten. Solche Pilgerfahrten waren für das Kloster einträglich, die Einnahmen dienten nicht zuletzt dem weiteren Wiederaufbau und künftigen Erweiterungen. Mit Freuden, so Schaal weiter, sei es anzuschauen, wie die Jugend zu gewissen Zeiten mit großen Kerzen, die jungen Frauen mit Kränzen „auf ihren Häuptern“ lange Wegstrecken betend oder im Chor singend und barfuß zurücklegen, ohne dabei etwas zu essen oder zu trinken.

Alschbach, Blickweiler, „Brevert“ (Breitfurt), Habkirchen, Bliesbruck, Obergailbach, Wittersheim, Mandelbach, Medelsheim, „Bebekam“ (Peppenkum) und „Säuweiler“ (Seyweiler) sind Ortschaften, in denen sich dank des tief verwurzelten Glaubens und der intensiven Anbetung der Gräfinthaler Madonna Wunder zugetragen haben (sollen). Dabei beschränkten sich diese Vorfälle nicht auf das Erzbistum Trier oder katholische Orte. Selbst in protestantischen Gegenden stand Maria hilfreich Gewehr bei Fuß – wie beispielsweise in Webenheim, „ein groß Dorf nechst bey Bließ-Kastell / jenseyts der Bließ / Zweybrücker Herrschafft / nachmahls Anno 1525 dem Lutherthumb zugethan“. Zwischenzeitlich sogar dem „Calvinischen Irrtumb verfallen“, wurden dort zwei Kinder des „catholischen Baursmanns Hanß Deyscher“ wieder zum Leben erweckt: Sie waren in einen Brunnen gefallen und darin ertrunken.

Überhaupt machen Kinder, die in Brunnen oder Bäche gefallen und ertrunken waren, das Gros der Gräfinthaler Wunder aus. Aber auch Heilungen von allerhand Krankheiten wie etwa auch der Pest, die Rettung von unter eingestürzten Häusern verschüttete Menschen, die Erfüllung des Kinderwunsches oder die Erweckung totgeborener Kinder werden anschaulich geschildert. Die Berichte von Friedrich Schaal sind auf diese Weise auch ein Dokument aus den schwierigen Jahren unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg, aus denen nur wenige Nachrichten vorliegen. Lässt man die religiöse Aufladung der geschilderten Vorfälle außer Acht, so liefern die „Mirakel“ spannende Informationen zu sozialen, wirtschaftlichen und auch medizinischen Verhältnissen jener Phase.