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2024/10/08 11:56:25 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] FAMILIENFORSCHUNG IN DEN USA - DEUTSCHE AUSWANDERUNG UND SIEDLUNGSGEBIETE IN AMERIKA IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT |
Datum | 2024/10/11 09:11:05 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 18. Deutsch-Pennsylvanischen Tag in Altrip (am Rhein) |
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2024/10/07 18:37:31 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Vortrag über Pilgerreisen im Mittelalter - in unserer Gegend |
Betreff | ![]() |
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2024/10/08 11:56:25 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] FAMILIENFORSCHUNG IN DEN USA - DEUTSCHE AUSWANDERUNG UND SIEDLUNGSGEBIETE IN AMERIKA IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT |
Autor | 2024/10/11 09:11:05 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 18. Deutsch-Pennsylvanischen Tag in Altrip (am Rhein) |
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Date: 2024/10/10 23:01:24
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
„Volksgemeinschaft“
hinter
Stacheldraht. Die Internierungslager in der britischen und
US-amerikanischen
Besatzungszone und ihre Bedeutung für die deutsche
Nachkriegsgesellschaft,
1945–1958
Autor Kerstin Schulte
Reihe Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte
Erschienen Berlin 2024: De
Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten XI, 460 S.
Preis € 79,95
ISBN 978-3-11-131582-9
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-79279.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Stefanie Rauch,
Wiener Holocaust
Library, London
Mehrere hunderttausend Deutsche wurden von den Alliierten nach
dem Kriegsende
ab 1945 interniert – als mutmaßliche Kriegsverbrecher, als
mögliches
Sicherheitsrisiko oder weil sie als Angehörige bestimmter
Organisationen in die
Kategorie des „automatischen Arrests“ fielen. Anders als die
Kriegsgefangenschaft oder die Entnazifizierungsverfahren sind
die
Zivilinternierungen bislang verhältnismäßig wenig beachtet und
erforscht
worden. Kerstin Schultes als Dissertation an der Universität
Bielefeld
entstandene Studie zu den britischen und US-amerikanischen
Internierungslagern
der frühen Nachkriegszeit in Deutschland konzentriert sich vor
allem auf die
Erfahrungen der Internierten selbst. Zwar wurden die britischen
und die
US-amerikanischen Internierungslager 1948/49 weitgehend
aufgelöst – wobei die
letzten Internierten in der US-Zone erst im Sommer 1952
entlassen wurden (S.
383) –, seien aber auch danach noch von Bedeutung gewesen.
Schulte wählt 1958
als Endpunkt für die Studie, da mit der Gründung der Zentralen
Stelle der
Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer
Verbrechen in
Ludwigsburg „die Phase der großzügigen Amnestierung und
Wiedereingliederung von
NS-Tätern in der Bundesrepublik“ geendet habe (S. 3).
Als Quellen dienen Dokumente der Alliierten zu den Lagern,
Egodokumente der
Internierten sowie Akten der deutschen Ministerien auf
Länderebene (S. 21).
Besonders hervorzuheben ist laut Schulte der umfangreiche, hier
erstmals
ausgewertete Bestand Staumühle zu internierten Frauen in der
britischen
Besatzungszone aus der Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne (S.
23). Im
Internierungslager Staumühle befanden sich etwa 850 Frauen unter
den über 9.000
Internierten (S. 173).
Das erste Kapitel beschreibt die Rahmenbedingungen in den
Internierungslagern
sowie die Unterschiede zwischen den britischen und
US-amerikanischen
Herangehensweisen. Zu nennen seien hier „die Bereiche der
rechtlichen
Rahmenbedingungen, der justiziellen Strafverfolgung, der
Unterbringung und
Versorgung in den Lagern“ sowie die „Entlassungspolitik“ (S.
76). Beispielsweise
hätten die Briten alle Wehrmachtsangehörigen als „Militaristen“
und potenziell
„gefährlich“ eingestuft, während in der US-amerikanischen Zone
nur Generäle und
Generalstabsoffiziere interniert worden seien (S. 77f.).
Außerdem begannen die
Briten wesentlich später damit, Internierte zu prüfen und zu
entlassen. Auch
die Übergabe von Verantwortung an deutsche Stellen habe später
eingesetzt als
in der US-Zone (S. 67). Anders als Kriegsgefangene waren zivile
Internierte in
dieser Phase „nicht durch internationales Recht geschützt“ (S.
49).
Im zweiten Kapitel widmet sich Schulte dem Umgang mit den
Internierten
hinsichtlich Entnazifizierung, Reeducation / Demokratisierung,
Gewalt und
Arbeit. Die Internierung sei als Stigmatisierung empfunden
worden, was sich
mitunter auch auf nicht-internierte Familienmitglieder
ausgewirkt habe (S.
101). Schulte zieht außerdem Geschlecht als Analysekategorie
heran – sowohl für
den Lageralltag als auch für die Deutung der
nationalsozialistischen
Vergangenheit. Ihr Fokus liegt dabei auf Frauen und
Weiblichkeit, während
Männer und Männlichkeit nicht ebenso eingehend analysiert
werden. Schulte
stellt „geschlechtsspezifische Deutungsmuster“ fest (S. 163).
Männer hätten die
NS-Vergangenheit in ihren Selbstzeugnissen nicht explizit
thematisiert und
gedeutet. Frauen hingegen hätten dies ausgiebig getan und dabei
den
nationalsozialistischen Wertekanon reproduziert (S. 198).
Ebenfalls
hervorzuheben ist die kulturelle und intellektuelle Seite des
Lagerlebens, die
weitgehend von den Internierten selbst gestaltet wurde (S.
199–223). Das gilt
auch für die Lagerzeitungen, die Schulte ausgewertet hat (S.
133–138). Künftige
Studien könnten einen Vergleich zu den Kriegsgefangenlagern
sowie deren
Lagerzeitungen vornehmen.
Das dritte Kapitel stellt den Kern der Studie dar. Aufbauend auf
Martina
Stebers und Bernhard Gottos Arbeiten zur „Volksgemeinschaft“1 leitet Schulte fünf
Elemente ab, die für
„das Narrativ der ‚Volksgemeinschaft‘“ (S. 232) in den
Internierungslagern
kennzeichnend gewesen seien: Kameradschaft,
Leistungsgemeinschaft, Gewalt,
Inszenierung von Gemeinschaft sowie die (vermeintliche)
Überformung von
Klassenschranken. Die Autorin zeigt, wie ehemalige Internierte
noch Jahrzehnte
später Kontakte sowie nationalsozialistische Werte und
Entlastungsstrategien
pflegten, darunter die „Sauberkeit“ der Internierten (S. 248),
und auch Spenden
sammelten, etwa um die Freilassung von Rudolf Hess zu erwirken
(S. 250). In den
Internierungslagern dominierten ehemalige
NS-Funktionsträger:innen und alte Hierarchien
bestanden fort (S. 262). Hier wäre eine Auseinandersetzung mit
Generation als
Analysekategorie wünschenswert gewesen; künftige Studien könnten
sich damit im
Detail befassen. Die von Schulte angeführten Beispiele (unter
anderem auf S.
249, 259, 264) legen nahe, dass die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten
Generation von Bedeutung war.
In der deutschen Presse seien die Internierten in den ersten
Jahren nach
Kriegsende selten als Opfer betrachtet worden, sondern es sei
vor ihnen gewarnt
worden, oder die vermeintlich gute Behandlung oder milde
Spruchkammerurteile
seien kritisiert worden. Sympathien seien primär für die
Kriegsgefangenen
reserviert gewesen (S. 296f.). Auf lokaler Ebene in der Nähe der
Lager hingegen
sei die Bevölkerung den Internierten in manchen Fällen eher
positiv begegnet
(S. 311). Auch die evangelische und die katholische Kirche
hätten sich der
Internierten angenommen und deren Opferdiskurs befördert (S.
314). Der Autorin
zufolge war „die gesellschaftliche Wahrnehmung der Internierten
insgesamt stark
von der jeweiligen Besatzungszone und der Zeit abhängig“ (S.
311).
Darüber hinaus betrachtet Schulte die Internierung im
politisch-kulturellen
Gedächtnis der jungen Bundesrepublik. Die Reintegration der
ehemaligen
Internierten habe eine besondere Herausforderung dargestellt,
nicht zuletzt, da
sie das neue System oft ablehnten (S. 317). Sie profitierten
enorm von den
Amnestiegesetzen der frühen 1950er-Jahre und dem „131er-Gesetz“
(S. 321–323).
Das habe indes nicht die Akzeptanz der neuen Demokratie
gefördert. Die früheren
Internierten hätten „sich weiterhin als schuld- und ahnungslose
Opfer von
Nationalsozialismus, Krieg und Besatzung“ inszeniert (S. 327).
Schulte
konstatiert, dass die Internierungszeit „prägender“ „als alle
sozialpolitischen
Integrationsversuche der Bundesrepublik“ (S. 328) gewesen sei.
Auch bei der
literarischen Verarbeitung hätten sich die „Hauptnarrative“ der
„Opfer-,
Leidens- und Schicksalsgemeinschaft“ durchgesetzt (S. 330).
Hilfsorganisationen
und Vereine für ehemals Internierte, die sich unter anderem für
Entschädigungszahlungen einsetzten, waren dem Verfassungsschutz
suspekt; es kam
auf Länderebene in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und
Bayern auch zu
Verbotsverfahren (S. 372f.). Laut Schulte zeigten die sinkenden
Mitgliederzahlen ab Ende der 1950er-Jahre, „dass die
Internierten zwar nicht
unbedingt ihre weltanschauliche Überzeugung veränderten oder
ablegten, aber
sich offensichtlich zumindest ihre Prioritäten verschoben und
sie sich in ihrem
Leben in der Bundesrepublik eingerichtet hatten“ (S. 378). Ob
und wie die
ehemals Internierten selbst den breiteren Diskurs in der
Bundesrepublik
mitbestimmten, müsste durch weitere Studien geprüft werden.
Abschließend widmet sich ein kurzes viertes Kapitel dem Ende der
Lager und dem
Nachkriegskonsens. Schulte zeigt anschaulich, wie langlebig die
Narrative aus
der Internierungszeit waren, wie Werte und Überzeugungen aus der
NS-Zeit
fortlebten und wie eine Auseinandersetzung mit der
NS-Vergangenheit –
insbesondere mit der eigenen Schuld und Verantwortung – unter
den (ehemals)
Internierten überwiegend ausblieb. Ausnahmen scheint es in dem
von Schulte
verwendeten Quellenbestand nicht zu geben. Ob dieses Muster bei
den ehemals
Internierten noch verbreiteter als in der Mehrheit der
Nachkriegsbevölkerung
war, bleibt dabei genauer zu prüfen. Das
„Volksgemeinschafts“-Narrativ habe der
Internierung Sinn verliehen, musste aber „vor Ort hergestellt
und praktisch
eingeübt werden“ (S. 378f.). Schultes Befund in der
Schlussbetrachtung des vierten
Kapitels ist schlüssig, wenn sie ein Spannungsverhältnis
zwischen der Realität
der Lagererfahrungen und „ihrer diskursiven Verhandlung“ (S.
388) feststellt.
Für diese Verarbeitung sei die „Volksgemeinschaft“ von
erheblicher Bedeutung
gewesen (ebd.). Sie habe es ermöglicht, mit der Enttäuschung und
Orientierungslosigkeit nach dem Ende des „Dritten Reiches“
umzugehen (S. 389).
Ob die Wiedereingliederung und Wiedereinsetzung der ehemaligen
Internierten in
den erlernten oder ausgeübten Beruf aufgrund des Fehlens von
Arbeitskräften
sowie aus Mangel an Alternativen tatsächlich „praktisch
unumgänglich“ war (S.
390f.), ist allerdings fraglich.
Kerstin Schulte gelingt es, die Erfahrungen und
Selbstwahrnehmungen der
Internierten darzustellen, ohne den Blick auf deren
Entlastungsstrategien und
die ideologischen Kontinuitäten aus der NS-Zeit zu verlieren.
Eine Bewertung
der „Volksgemeinschaft“ als Analysekategorie, den Möglichkeiten
und Grenzen
ihrer Aussagekraft wäre am Ende noch wünschenswert gewesen.
Schultes umfassende
Betrachtung zentraler Aspekte der Internierungslager schließt
eine Lücke in der
Forschung und bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere
Untersuchungen.
Dazu gehören (wie erwähnt) beispielsweise Analysen von
Generation sowie
Männlichkeit, aber auch Fallstudien zu bestimmten
Personen(gruppen), die man
von der NS-Zeit bis weit in die Bundesrepublik hinein weiter
verfolgen könnte.
Vergleiche mit Österreich, den Speziallagern in der Sowjetischen
Besatzungszone
oder den Kriegsgefangenlagern wären darüber hinaus von
Interesse. Auch weitere
Quellengattungen könnten herangezogen werden – zum Beispiel
alliierte
Vernehmungsprotokolle des Counter Intelligence Corps (CIC) mit
den
Zivilinternierten oder eine Sekundärauswertung von
Oral-History-Interviews mit Deutschen,
unter denen sich gegebenenfalls auch ehemals Internierte
befinden könnten.
Anmerkung:
1 Siehe unter anderem Martina
Steber /
Bernhard Gotto (Hrsg.), Visions of Community in Nazi Germany.
Social
Engineering and Private Lives, Oxford 2014.
Zitation
Stefanie Rauch, Rezension zu: Schulte, Kerstin:
„Volksgemeinschaft“ hinter
Stacheldraht. Die Internierungslager in der britischen und
US-amerikanischen
Besatzungszone und ihre Bedeutung für die deutsche
Nachkriegsgesellschaft,
1945–1958. Berlin 2024 , ISBN 978-3-11-131582-9, in: H-Soz-Kult,
11.10.2024, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-138959.