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Datum | 2024/08/03 10:25:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Strandgut am Berg: Dinge und ihr e Geschichten am Rande der Seidenstraßen |
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2024/08/12 17:08:56 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Jörn Didas: „Die Moor soldaten“ von Adolf Bender |
Betreff | 2024/08/03 10:25:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Strandgut am Berg: Dinge und ihr e Geschichten am Rande der Seidenstraßen |
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2024/08/31 18:36:51 Friedrich . Denne Re: [Regionalforum-Saar] 1925 in Neunkirchen |
Autor | 2024/08/03 10:25:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Strandgut am Berg: Dinge und ihr e Geschichten am Rande der Seidenstraßen |
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Date: 2024/08/01 20:36:27
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Planetarien. Wunder der Technik – Techniken des
Wunderns
Autor: Helen Ahner
Erschienen Göttingen 2023: Wallstein
Verlag
Anzahl Seiten 366 S., 20 Abb.
Preis € 38,00
ISBN 978-3-8353-5430-2
URL https://doi.org/10.46500/83535430
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-79066.pdf
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische
Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Oliwia Murawska, Institut für Geschichtswissenschaften und
Europäische
Ethnologie, Universität Innsbruck
Daran, dass der Sternenhimmel in den 1920er-Jahren in greifbare
Nähe rückte und
zugleich Erfahrungen der Entrückung sowie Ergriffenheit erlaubte,
hatten nicht
zuletzt auch die in den europäischen Großstädten zahlreicher
werdenden
Planetarien Anteil. Schließlich konnten sich darin die
Besucher:innen zum
Weltraum, zur Technik, zur Wissenschaft, zu möglichen Zukünften,
zur Natur und
auch zur Moderne ins Verhältnis setzen. Von einer regelrechten
„Planetariumseuphorie“ (S. 14) spricht Helen Ahner in ihrer
Dissertationsschrift, die sich aus
empirisch-kulturwissenschaftlicher
Perspektive mit dem Projektionsplanetarium zur Zeit seiner
Entstehung und
Etablierung zwischen 1923 und 1933 zuwendet. Nicht nur die
ansprechende
Gestaltung des Umschlages lädt zum Lesen ein, auch der Titel und
das darin
Ausdruck findende, auf 368 Seiten schrittweise aufgeschlüsselte
Spiel der Worte
wecken Neugier.
Zu Beginn erklärt Ahner, worin die
empirisch-kulturwissenschaftliche
Perspektive auf den Gegenstand besteht – namentlich in der Frage
nach der
gesellschaftlichen Bedeutung von Planetarien, wobei Menschen, ihre
Erfahrungen,
Gefühle, Imaginationen und Erzählungen im Mittelpunkt stehen. Die
Arbeit
versteht sich dabei als ein Beitrag zur Kulturgeschichte des
Alltags und spürt
der Selbstbeschreibung des Menschen als „modern“ nach. Dazu wurden
vier
Fallbeispiele – die Planetarien in Jena, München, Wien und Hamburg
– ausgewählt
und ein 900 historische Dokumente umfassender Quellenkorpus –
bestehend aus
Bildern, Briefen, Zeitungsartikeln und Programmheften – einer
historischen
Kulturanalyse unterzogen. Ziel der Arbeit sei es, „das Planetarium
als Wunder
der Technik und gleichzeitig als Technik des Wunderns zu
untersuchen, den
diskursiven und praktischen Seiten der Planetariumserfahrung
gerecht zu werden
und dabei deutlich zu machen, wie Formen des Wahrnehmens, Fühlens,
Erzählens
und Wissens zusammenhängen“ (S. 30).
Im ersten Teil des insgesamt drei Teile umfassenden Buches wird
das Planetarium
als Feld und Forschungsgegenstand präsentiert. Nah am empirischen
Material und
sehr ausführlich werden dazu zunächst die Geschichte sowie
Spezifika der vier
Planetarien vorgestellt und dann methoden- sowie quellenkritisch
die Potenziale
und Grenzen des gewählten Zugriffes – namentlich der historischen
Ethnografie –
diskutiert. Bei der Auswertung ihres Quellenkorpus bedient sich
Ahner dabei
sowohl diskursanalytischer als auch praxisorientierter Lesarten,
um vergangene
Erfahrungen, Wahrnehmungen und Gefühle zu analysieren und sie auf
diesem Wege
zum Vorschein zu bringen.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich dem zunächst historisch
hergeleiteten
Topos vom „Wunder der Technik“, der die Erfahrung im Planetarium
als
Technikerfahrung rahmt: Das Planetarium sei ein Ort, an dem das
Verhältnis zur
Technik erfahren, gefühlt, vermittelt und ausgehandelt werden
konnte. In ihrer
Hinwendung zur technischen Dimension des Planetariums positioniert
sich Ahner
dabei in der empirisch-kulturwissenschaftlichen Technikforschung,
wie sie – in
der Tradition von Hermann Bausinger – gegenwärtig etwa von Klaus
Schönberger
angewandt wird, und distanziert sich zugleich von den Science and
Technology
Studies (STS): „STS-Perspektiven bergen die Gefahr, sowohl die
Frage nach dem
Alltag als auch die Frage nach der Erfahrungsdimension des
Alltäglichen
auszublenden.“ (S. 153) Es ist bedauerlich, dass sich Ahner dieser
Forschungsperspektive versperrt – nicht nur, weil ihre Sorge im
Lichte
zahlreicher Alltagskulturforscher:innen, die sich in den STS
verorten,
unbegründet ist, sondern da ihr die Ansätze der STS den Weg zur
Erforschung der
im folgenden Kapitel behandelten naturkultürlichen
Planetariumserfahrungen
geebnet hätten. Dessen ungeachtet gelingt es Ahner, den Projektor
ausgehend von
ihrem Material als Wesen, Werk und Weltmaschine, welche „die Welt
nicht
abbildete, sondern sie erst hervorbrachte“ (S. 170), zu
identifizieren.
Im vierten Kapitel wird die im Planetarium erzeugte Naturerfahrung
als
„Durch(-)einander von Natur und Kultur“ (S. 190) ausgewiesen.
Dabei scheint die
Autorin ein wenig hin- und hergerissen zu sein zwischen dem
„klassisch“
empirisch-kulturwissenschaftlichen Zugriff auf Natur, der danach
fragt, „was
Menschen wann und warum als Natur begegnet(e)“ (S. 194), und
neueren Ansätzen
der NaturenKulturen-Forschung. Ihre bis zu diesem Kapitel
konsequent sozialkonstruktivistische
und diskurs- sowie praxistheoretische Argumentation – welche die
Planetariumserfahrung als gemacht und Ergebnis narrativer oder
inszenatorischer
Strategien sowie erlernter Wahrnehmungsweisen ausweist (S. 216,
224) –
kollidiert mit den nun eingeführten postdualistischen,
postanthropozentrischen
und posthumanistischen Ansätzen der NaturenKulturen-Forschung.
Diese hätten ein
grundsätzlich anderes Fragen erfordert – etwa nach den Seins- und
Erscheinungsweisen eines durch das Planetarium erzeugten
Mensch-Technik-
beziehungsweise Mensch-Natur-Kontinuums – und zudem vom Wechsel
der
Betrachtungsrichtungen – also nicht nur „vom Menschen her“,
sondern „von der
Maschine her“ – profitieren können. Auch das im Kontext der
NaturenKulturen-Forschung umstrittene Konzept Natur – das
unweigerlich
Dualismen und Anthropozentrismen produziert – sowie die im Zuge
der Vermischung
der kontrastierenden Zugriffe entstehenden Widersprüche hätten
einer stärkeren
Problematisierung bedurft. Gleichwohl sollte dieser Eindruck nicht
das positiv
zu bewertende Bemühen schmälern, an historischem Material aktuelle
und zumeist
auf Gegenwartsfragen gerichtete Denkrichtungen zunächst tastend zu
erproben.
Mithin gelingt es Ahner, einerseits mannigfaltige Naturkonzepte zu
identifizieren
sowie den zwischen Planetarium, Stadt und Natur bestehenden Konnex
herauszuarbeiten, andererseits das Planetarium in Anlehnung an
Alexander C.T.
Geppert und Tilmann Siebeneichner als lieux de l’avenir
auszuweisen: als einen
Ort, an dem gesellschaftliche Erwartungen ausgehandelt sowie
Zukünfte erprobt
werden konnten und dem ein „will to wonder“ zugrunde liegt (S.
227).
Der Sprung in postdualistische Denksphären gelingt Ahner
schließlich im
dritten, „Techniken des Wunderns“ betitelten Teil (und dies ohne
explizite
Anwendung der STS oder NaturenKulturen, wenngleich spekuliert
werden könnte, ob
diese nicht implizit das Fragen anleiteten) mit der Zuwendung zur
Körperlichkeit der Planetariumserfahrung sowie den zwischen
Begeisterung und
Angst changierenden Gefühlen: „Diese Gefühle und Vorstellungen
griffen auf die
Leiber der Planetariumsgäste aus und machten Technik und den
Umgang damit zur
Körpersache.“ (S. 225) Ahner nimmt dabei sowohl die
körperlich-sinnliche
Dimension des Wunderns sowie die im Planetarium eingeübten
Körpertechniken wie
Hören, Sehen, Sitzen und Schwindel in Augenschein, als auch die
stimmungsmäßigen und atmosphärischen Dimensionen: Die
„Planetariumsatmosphäre“
(S. 258) korreliere dabei mit den Wahrnehmungen, Emotionen und der
Wissensaneignung
der Besucher:innen; zudem gelte das körperliche wie emotionale
„Durchschauern“
als Symptom der „Planetariumsstimmung“ (S. 259). Durch die
Hinwendung zur
Körperlichkeit gelangt das zunächst nicht ganz überzeugende
„Durch(-)einander“
(S. 190) klar zur Abhebung und lässt an posthumanistische Konzepte
wie Stacy
Alaimos Transkorporealität denken, wenn Ahner schreibt, dass der
gleichermaßen
dezentriert wie zentriert erlebbare Körper der Besucher:in „mit
der Schau
verschmolz und als Teil ihrer hervortrat“ (S. 283). Das
„Durch(-)einander“
kulminiert schließlich in den letzten beiden, die Dramaturgie des
Buches
krönenden Kapiteln, in denen das Planetarium als Ort der
kollektiven
„Transzendenzerfahrung“ und „Erfahrung des Erhabenen“ (S. 335)
ausgewiesen
wird, der ein gemeinschaftliches Erleben von Wirklichkeiten, die
den Alltag
überschreiten, erlaubte und zudem Raum zur Reflexion über die
Stellung des
Menschen in und jenseits der Welt sowie zur Perspektivierung des
Daseins im
Lichte der Erfahrung des Erhabenen bot.
Beim Lesen der Monografie, die einen wichtigen Beitrag zur
empirisch-kulturwissenschaftlichen Technik- und Emotionsforschung
leistet und
ein musterhaftes Beispiel für eine historische Ethnografie bietet,
lässt sich
anschaulich das Werden eines aufregenden Dissertationsprojektes
nachzeichnen:
Von einer soliden Quellenarbeit mit einer der Tübinger Tradition
erwachsenen
sozialkonstruktivistischen Analyse über eine anschwellende
Experimentierlust
mit neuen Theoremen bis hin zu einer philosophische Fragen des
Menschseins
aufwerfenden Interpretation. Nah am Material und stets die
Fachtermini souverän
erläuternd wird Helen Ahner dabei gewiss auch Nicht-Fachkundige in
den Modus
des Wunderns über die faszinierende Welt der Planetarien
versetzen.
„Planetarien. Wunder der Technik – Techniken des Wunderns“ ist
eine
empfehlenswerte Lektüre gerade mit Blick auf die vorlesungsfreie
Zeit, die uns
sowohl auf den nächsten Planetariumsbesuch als auch die
sommerlichen Perseiden
einzustimmen vermag.
Zitation
Oliwia Murawska, Rezension zu: Ahner, Helen: Planetarien. Wunder
der Technik –
Techniken des Wunderns. Göttingen 2023 , ISBN 978-3-8353-5430-2,
In:
H-Soz-Kult, 02.08.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-139502>.