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2023/11/12 11:49:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Aufzeichnung "WAS MAN IN NOTARIE LLEN VERTRÄGEN ALLES FINDEN KANN" |
Datum | 2023/11/14 08:47:45 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Ein Buch über die Entnazifizi erung im Nachkriegsdeutschland |
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2023/11/22 17:57:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] gibts leider nur auf Englisch: A merica’s German-Language Newspapers,1830–1914 |
Betreff | 2023/11/28 10:45:12 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Hermann Scheid. Ein Nachruf. |
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2023/11/12 11:49:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Aufzeichnung "WAS MAN IN NOTARIE LLEN VERTRÄGEN ALLES FINDEN KANN" |
Autor | 2023/11/14 08:47:45 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Ein Buch über die Entnazifizi erung im Nachkriegsdeutschland |
Date: 2023/11/12 13:04:13
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Autor
Stefan Kurt Treiber
Reihe Krieg und Konflikt
Erschienen Frankfurt am Main 2021: Campus
Verlag
Anzahl Seiten 343 S.
Preis € 43,00
ISBN 9783593514260
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische
Friedens- und
Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von: Marco Dräger,
Pädagogische Hochschule
Heidelberg
In seiner 2021 erschienenen Studie, bei der es sich um eine
überarbeitete
Fassung seiner an der Universität der Bundeswehr München
entstandenen
Dissertation handelt, setzt sich Stefan Kurt Treiber mit
Deserteuren der
Wehrmacht auseinander. Er untersucht 999 Fälle von
Fahnenflucht aus dem
Feldheer während des Feldzugs gegen die Sowjetunion von 1941
bis Ende 1944
(vgl. S. 41, S. 47–49).
Treiber schildert die prekäre Quellenlage zutreffend (vgl. S.
35–37); er führt
aber ins Feld, dass seine Studie aufgrund der mehr als 120
betrachteten
Gerichte repräsentativ sei (vgl. S. 312). Zugleich merkt er
jedoch an, dass man
nicht wisse, warum die überlieferten Akten den Krieg
überstanden hätten, was
seiner Ansicht nach dazu führe, dass die daraus gewonnenen
Erkenntnisse „einen
zusätzlichen Grad an Repräsentativität“ (S. 59) gewönnen.
Überlieferungsgeschichtliche Unwissenheit als Ausweis von, ja
sogar höheres
Ausmaß an Repräsentativität zu verkaufen erstaunt, zumal seit
Droysen die
Geschichtswissenschaft die bekannte quellenkritische
Problematik der
Klassifizierung von Tradition und Überrest (sowie ggf. das
Ausmaß von
Verlusten) umtreibt.[1]
Der Titel „Helden oder Feiglinge?“ wirkt reichlich antiquiert
und ließe sich
eher im Kontext der 1980er-Jahre als in den 2020er-Jahren
verorten. Damals
dominierte ein derartig polarisiertes Bild der Deserteure, das
sich zum einen
aus ihrer auch nach 1945 fortgesetzten Stigmatisierung speiste
und zum anderen
aus den Idealen der Friedensbewegung. Sie suchte – abseits des
antizipierten
soldatischen Heldentodes im Atomkrieg – nach neuen,
erinnernswerten Idealen,
die eher zu ihrer pazifistischen Orientierung passten. Diese
entdeckte sie in
den Deserteuren des Zweiten Weltkrieges. Deren historische
Verweigerung
erschien ihr beispielhaft für die Gegenwart. Unter den
zeitgenössischen
Rahmenbedingungen deutete sie daher die Wehrmacht-Deserteure
des Zweiten
Weltkrieges positiv um, idealisierte sie quasi zu
„Friedenstauben“ und sah in
ihnen historische Vorbilder.[2] Nach der
Wiedervereinigung erfolgte in
den 1990er-Jahren sowohl eine juristische als auch eine
politische
Neubewertung. Das Bild der Wehrmacht-Deserteure wurde erneut
transformiert.
Deserteure wurden nunmehr weder als Feiglinge,
Vaterlandsverräter et cetera
noch als Widerstandskämpfer und Helden wahrgenommen, sondern
als Opfer
nationalsozialistischer Verfolgung.
Mit der Fragestellung „Helden oder Feiglinge?“ verbaut sich
Treiber aber eine
solch differenzierende Perspektive zeitlichen Wandels in der
Beurteilung und
Bewertung der Wehrmacht-Deserteure. Konsequenterweise lautet
seine Antwort auf
diese Frage daher „weder noch“ (S. 317).
Innovativ und erkenntnisreich ist das von Treiber erstellte
Sozialprofil der
Deserteure seiner Studie: Bei ihnen handelte es sich in der
Mehrheit um ledige
Männer unter 25 Jahren aus unteren Mannschaftsdienstgraden,
die innerhalb der
ersten ein bis zwei Jahre nach ihrer Einberufung desertierten
(S. 172). Im
Hinblick auf die Konfession waren Katholiken überrepräsentiert
(S. 167f.).
Dieser Befund ist im Hinblick auf das Sozialprofil des Heeres
insgesamt von
Bedeutung[3], daran können
zukünftige Studien
vergleichend anknüpfen, ihn aufgreifen und dann für andere
Quellencorpora veri-
bzw. falsifizieren.
Auf Basis der von ihm analysierten Quellen kommt Treiber
einerseits zu dem
Schluss, dass es sich bei Desertion nicht um Widerstand
gehandelt habe (vgl. S.
184, S. 199, S. 314f.), andererseits widerspricht er sich
selbst, wenn er
angesichts des von ihm ermittelten Sozialprofils der
Deserteure aber meint,
dass „eine katholisch geprägte Erziehung [möglicherweise] in
stärkerem Maße die
Widerständigkeit gegen ein als gottlos empfundenes Regime“ (S.
313) geformt
habe. Zudem blenden Aussagen wie „Wird Fahnenflucht von
manchen Historikern
sinngemäß als ,Widerstand des kleinen Mannes‘ gewertet, so
bevorzugen andere
den Begriff der ,Widerständigkeit‘, um damit auszudrücken,
dass sie dieses
Verhalten als Akt der Auflehnung gegen ein Unrechtsregime und
einen
Vernichtungskrieg ansehen. Die Perspektive, dass es sich bei
Deserteuren um
widerständige Soldaten handelte, dominiert bis heute.“ (S.
311) und „Nur bei
einem Prozent der Deserteure kann man auf Grund der
vorliegenden Informationen
zur Person, zur Vorgeschichte oder zu den Fluchtumständen auf
explizit
widerständiges Verhalten schließen. Die These vom ,Widerstand
von unten‘ kann
daher nicht bestätigt werden.“ (S. 314) die seit den
1990er-Jahren
differenzierte Erforschung der Motive der Deserteure völlig
aus. So bleibt dann
der Forschungsstand vor allem zur Motivforschung sehr
holzschnittartig.
Treibers Kritik an der älteren – eher „aktivistisch“
ausgerichteten – Forschung
der 1980er-Jahre ist allerdings berechtigt.[4]
Die Forderung nach einer tiefergehenden Reflexion der
analysierten
Quellengattung hat bereits ein anderer Rezensent erhoben[5]; diese Kritik soll
hier lediglich um zwei
Aspekte ergänzt werden: Erstens bleiben Treibers Ausführungen
zu Fluchtgründen
(S. 174−191) größtenteils spekulativ (zum Beispiel S. 176:
„vermutlich“, S.
178: „Kameraden äußerten den Verdacht, dass …“, S. 184:
„Disziplinarstrafen […]
könnten als Ausdruck seines politischen Widerstandes gewertet
werden“, S. 185:
„Fahnenfluchtfälle, bei denen Indizien vorhanden sind, dass
eine Frau der
Auslöser gewesen sein könnte“), weil seine Quellen darüber
wenig bis keine
Auskunft geben. Gleichwohl scheint Angst vor Strafe wegen
anderer Vergehen bzw.
Verbrechen ein Hauptgrund für Fahnenflucht gewesen zu sein (S.
315). Die
Wehrmachtjustiz schuf sich somit aufgrund ihrer drakonischen
Strafpraxis und
des ihr vorauseilenden Rufs einen Großteil ihrer Opfer selbst.
Zweitens lässt sich auch im Hinblick auf die Quantität noch
ein
quellenkritischer Aspekt ergänzen. Das Quellencorpus ist zwar
umfangreich, aber
lediglich zu 139 Fällen liegen Urteile vor; bei den übrigen
860 fällen erging
kein Urteil, weil die Fahnenflucht „erfolgreich“ war und die
Wehrmachtjustiz
des Delinquenten nicht mehr habhaft werden konnte. Daraus den
Schluss zu
ziehen, dass es sich bei der Wehrmachtjustiz in Gänze nicht um
eine Willkür-
oder „Blutjustiz“ gehandelt habe (S. 250), erscheint nicht
nachvollziehbar,
wenn über 86 Prozent der Fälle nicht mit einem Urteil
abgeschlossen werden
konnten. Das Dunkelfeld ist einfach zu groß; man kann
lediglich darüber
spekulieren, wie „milde“ oder „hart“ die Urteile gewesen
wären. Diese
Einschränkung hätte der Verfasser unbedingt selbst erkennen
und seiner
Leserschaft mitteilen müssen, relativiert sie die von ihm
getroffenen Aussagen
doch ganz erheblich.
Immerhin endeten circa 80 Prozent der von Treiber untersuchten
und mit Urteil
abgeschlossenen Fahnenfluchtfälle mit der Todesstrafe (S.
265), die
Vollstreckungsquote lag bei circa 50 Prozent (S. 273). Daneben
wäre noch zu
diskutieren, inwiefern „Begnadigungen“ – also die Umwandlung
von Todesstrafen
in zeitige Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen, meist mit
„Bewährung“ in
Feldstrafgefangeneneinheiten oder Bataillonen „zur besonderen
Verwendung“ –
nicht eine andere Art von Todesurteil in langsamerer Form
darstellten und
welche Auswirkungen diese Sichtweise auf die
Vollstreckungsquote hat.
Bei seinen eigenen Hochrechnungen kommt Treiber auf die Zahl
von 26.479
Verurteilungen wegen Desertion (S. 121) und 17.355
Vollstreckungen (S. 276) bis
zum Jahresende 1944. Dabei verwundert es allerdings, dass
trotz berechtigter
Kritik an der älteren Forschung und deren damals wohl zu hoch
veranschlagten
Zahlen[6] Manfred Messerschmidts
letztes opus
magnum zur Wehrmachtjustiz nicht als Vergleichsgrundlage
herangezogen wird.
Darin kommt Messerschmidt bis Kriegsende zu dem Ergebnis, dass
„niedrig
angesetzt 25.000 Todesurteile“ gefällt worden seien, von denen
zwischen 18.000
und 22.000 vollstreckt worden seien, davon ca. 15.000 an
Deserteuren.[7] Insofern scheint sich
in der Forschung
zur Wehrmachtjustiz im Hinblick auf die Zahlen allmählich eine
Annäherung oder
vielleicht sogar ein Konsens anzubahnen.
Anmerkungen:
[1] Johann Gustav Droysen,
Grundriss der
Historik, 2., durchgesehene Aufl., Leipzig 1875, S. 14 (1.
Aufl. 1868).
[2] Treibers Hinweis auf den
Ursprung der Deserteur-Debatte
in der Friedensbewegung (S. 14) ist zutreffend, jedoch
keineswegs neu. Übrigens
wurde bereits in den 1980er-Jahren vor einer Idealisierung der
Deserteure
gewarnt; vgl. Marco Dräger, Deserteur-Denkmäler in der
Geschichtskultur der
Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 2017, S.
121–169.
[3] Vgl. Christoph Rass, Das
Sozialprofil von
Kampfverbänden des deutschen Heeres 1939 bis 1945, in: Jörg
Echternkamp
(Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9,1,
München 2004, S.
641–741.
[4] Vgl. hierzu Dräger,
Deserteur-Denkmäler, S.
497–517.
[5] Benjamin Ziemann,
Rezension zu Stefan Kurt
Treiber: Helden oder Feiglinge? Deserteure der Wehrmacht im
Zweiten Weltkrieg,
in: Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts 14 (2022), S.
121.
Mustergültig ist die Reflexion über den Quellenwert
nationalsozialistischer
Militärgerichtsakten bei Maria Fritsche, Die Analyse der
Beweggründe. Zur
Problematik der Motivforschung bei Verfolgten der
NS-Militärgerichtsbarkeit,
in: Walter Manoschek (Hrsg.), Opfer der NS-Militärjustiz.
Urteilspraxis –
Strafvollzug – Entschädigungspolitik in Österreich, Wien 2003,
S. 104−112.
[6] Manfred Messerschmidt /
Fritz Wüllner, Die
Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung
einer Legende,
Baden-Baden 1987, und Fritz Wüllner, Die NS-Militärjustiz und
das Elend der
Geschichtsschreibung. Ein grundlegender Forschungsbericht,
Baden-Baden 1991.
[7] Manfred Messerschmidt,
Die Wehrmachtjustiz
1933–1945, 2. Aufl., Paderborn 2008 (1. Aufl. 2005), S. 452f.
Zitation
Marco Dräger, Rezension zu: Treiber, Stefan Kurt: Helden
oder Feiglinge?.
Deserteure der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt am
Main 2021 ,
ISBN 9783593514260, In: H-Soz-Kult, 10.11.2023, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-112570>.