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2023/04/28 09:38:34
tomstoermer
Re: [Regionalforum-Saar] Artikel " Schul-Amoklauf in Saar brücken – nach dem 6. Schuss versagte der Revolv er​" und Ergänzung
Datum 2023/04/28 15:40:59
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Die Anfänge der gotischen Arc hitektur
2023/04/29 10:28:23
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Arabisch?
Betreff 2023/04/28 09:24:26
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Artikel " Schul-Amoklauf in Saar brücken – nach dem 6. Schuss versagte der Revolv er​" und Ergänzung
2023/04/30 11:51:52
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Über Stammbücher schreib en. Stand und Perspektiven der Erschließung und Erforsch ung von Freundschaftsbüchern (16.-19. Jahrhundert)
Autor 2023/04/28 09:38:34
tomstoermer
Re: [Regionalforum-Saar] Artikel " Schul-Amoklauf in Saar brücken – nach dem 6. Schuss versagte der Revolv er​" und Ergänzung

Re: [Regionalforum-Saar] Artikel " Schul-Amoklauf in Saar brücken – nach dem 6. Schuss versagte der Revolver​" und Ergänzung

Date: 2023/04/28 09:50:22
From: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Moin zusammen,

zu dem Thema gibt's sogar einen Wikipedia-Eintrag:

https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Becker_%28Amokl%C3%A4ufer%29?wprov=sfla1

Gruß. Stefan (Reuter) 

Roland Geiger via Regionalforum-Saar <

Saarbrücker Zeitung, B4, 22.-23. April 2023

Schul-Amoklauf in Saarbrücken – nach dem 6. Schuss versagte der Revolver

„Tatort Saarland“ Schul-Amoklauf in Saarbrücken – er schoss sechs Mal und setzte sich dann neben sein blutendes Opfer

Saarbrücken · Vor gut 150 Jahren wurde Saarbrücken zum Schauplatz einer grausamen Bluttat, dem ersten Amoklauf an einer Schule. Es ist der erste dokumentierte Fall der Welt. Gymnasiast und Mobbingopfer Julius Becker wollte Rache und nahm einen Revolver mit in den Unterricht.

Von
Florian Rech

Julius Becker lädt seinen Revolver in der Mittagspause: Schießpulver, Papier, Bleigeschoss, dann die Zündhütchen. Es soll kein normaler Schultag werden für den 18-jährigen Saarbrücker. Er will Rache üben an seinem Banknachbarn Gustav Eybisch. Rache für Schmähungen, Spottgedichte, für eine scheußliche Kreidezeichnung an einer Wand des Saarbrücker Gymnasiums.

Nach dem sechsten Schuss versagte der Revolver

In der Pause nach der ersten Stunde des Nachmittagsunterrichts erhebt sich Julius Becker wortlos von seinem Platz in der hinteren Bankreihe. Er nimmt seine Waffe und zielt auf den Kopf des neben ihm sitzenden Gustav Eybisch. Sechs Mal zieht er den Abzug durch. Eybisch bricht zusammen. Zwei Kugeln treffen den in der ersten Reihe sitzenden Primaner Adolph Brandt. Beim letzten Schuss versagt der Revolver . Panik macht sich breit, der Rest der Klasse flüchtet zur Tür. Becker setzt sich neben den blutenden Eybisch und sagt: "Geht und ruft die Polizei!"

Vor 144 Jahren, lange vor den schrecklichen Ereignissen von Littelton, Winnenden und Erfurt, war Saarbrücken der Schauplatz einer grausamen Bluttat an einer Schule. Am 25. Mai 1871 schoss der Gymnasiast Julius Becker auf zwei seiner Mitschüler. Beide Opfer überlebten die Schüsse trotz schwerster Kopfverletzungen.

Die Tat im damals einzigen Gymnasium im Saarland, dem heutigen Ludwigsgymnasium, sorgte überregional für Schlagzeilen. Peter Wettmann-Jungblut, Historiker und Archivar des Saarländischen Landesarchivs, hat über den Fall geforscht. „Die Aktenlage zu Julius Becker ist dürftig. Die Prozessakten sind alle am Ende des Zweiten Weltkrieges verbrannt“, sagt Wettmann-Jungblut.

Jahresberichte der Schule und die Prozessberichte aus alten Zeitungen sind seine wichtigsten Quellen. Sie geben Auskunft über das Vorleben des späteren Schützen. Laut Wettmann-Jungblut kämpfte dieser vergebens um die Anerkennung seiner Lehrer und Mitschüler. Der Historiker beschreibt ihn als „Einzelgänger mit einer unübersehbaren narzisstischen Persönlichkeitsstörung“.

Mit seinen Mitschülern am Gymnasium, das damals in der heutigen Friedenskirche in der Wilhelm-Heinrich-Straße untergebracht war, kam der Sonderling Becker nicht gut klar. Offenbar war er oft dem Spott seiner Klassenkameraden ausgesetzt - ein Mobbingopfer, das höchstwahrscheinlich auch gern selbst auf Konfrontationskurs ging. Mit seinem späteren Opfer Gustav Eybisch soll sich Becker öfter geschlagen haben. Bei einem Saarbrücker Büchsenmacher besorgte sich Becker zwei Wochen vor der Tat einen Revolver samt Munition, damals selbst für einen Minderjährigen kein Problem. Laut Historiker Wettmann-Jungblut wurden hierzulande erst 1922 erste Gesetze erlassen, die den Besitz und das Führen von Schusswaffen regelten.

Beckers Ziel war der „verfeindete“ Eybisch

Nach dem Amoklauf ließ sich Becker widerstandslos verhaften. In seinen Taschen fand die Polizei einen Dolch und zwei an Eybisch gerichtete Zettel. „Scheinheiliger Schuft! Verleumder! Alles vergeblich! Wir stehen am Ende!“, stand darauf. Bei Vernehmungen gab Becker an, er habe den ihm „verfeindeten“ Eybisch, nicht aber Adolph Brandt erschießen wollen.

Am 15. November 1871 wurde Julius Becker darauf in Saarbrücken der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen versuchten Mordes an Eybisch und des versuchten Totschlags an Brandt an. Julius Becker widerrief vor dem Geschworenengericht sein Geständnis. Sein Verteidiger, der Saarbrücker Anwalt und Politiker Heinrich Boltz, plädierte auf vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit. Mehrere Gutachter und Zeugen sagten für und gegen den jugendlichen Täter aus. Lehrer wollten an ihm „närrisches Verhalten“ und eine „Art der Sinnesverwirrung“ beobachtet haben. Mitschüler schätzten Becker vor Gericht zwar als "Sonderling" ein, hatten aber nie eine Geistesstörung bei ihm bemerkt. Für Schuldirektor Hollenberg war sein Motiv eine klare Sache: „Abgrundtiefer Hass gegen Eybisch.“

Julius Becker verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Das Gymnasium besuchte er nicht weiter. 1876 wurde er in die damals noch neue Rheinische Provinzial Irrenanstalt Merzig eingeliefert. Aufenthalte in Anstalten in Pforzheim, Bendorf, Pützchen und Andernach folgten. Nach 1905 verliert sich Beckers Spur. Wann und wo er starb, weiß auch der Historiker Peter Wettmann-Jungbluth nicht.

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Die gleiche Sache - nur in größerem Rahmen - hat 2016 die Medizinhistorikerin Dr. Madlen Sell untersucht und daraus ihre Doktorarbeit verfaßt. Ich lernte sie damals im Landesarchiv kennen und konnte ihr durch Transkriptionen etlicher medizinischer Texte behilflich sein.

Ihre Arbeit wurde wie folgt veröffentlicht:

Anatomie des Amoklaufs
Malaiischer Mengamok und School Shooting
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-658-33103-0
Verlag: Springer

Das Buch kann man für 43 Euro kaufen oder sich auf dieser Website online anschauen:
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-33104-7

Ab Seite 121-143 beschreibt sie darin die Ereignisse von Saarbrücken und was danach mit Becker bis zu seinem Tode am 1. April 1912 in Saffig im Alter von 59 Jahren geschehen ist.

Roland Geiger

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