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2023/03/23 10:10:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] u.a. Das Eigenthum eines Schatzes betreffend. |
Datum | 2023/03/23 10:53:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Extremereignis „Kälte winter“ im 18. Jahrhundert. Spuren in der zeitgen össischen Literatur, Kultur und Wissenschaft |
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2023/03/22 23:57:38 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Das Luftbild in Deutschland von de n Anfängen bis zu Albert Speer. Geschichte und Rezeption des zivilen "Stiefkindes der Luftfahrt" |
Betreff | 2023/03/08 15:45:28 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] DIE SECHSWÖCHNERINNEN - GEBUR T, TAUFE, WOCHENBETT, EINSEGNUNG UND ABERGLAUBE |
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2023/03/23 10:10:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] u.a. Das Eigenthum eines Schatzes betreffend. |
Autor | 2023/03/23 10:53:16 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Extremereignis „Kälte winter“ im 18. Jahrhundert. Spuren in der zeitgen össischen Literatur, Kultur und Wissenschaft |
Date: 2023/03/23 10:39:23
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Autor Astrit Schmidt-Burkhardt
Erschienen Berlin 2022: Lukas
Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte
Anzahl Seiten 256 S.
Preis € 48,00
ISBN 9783867323888
Rezensiert für H-Soz-Kult von Martin Gierl, Seminar für
Mittlere und Neuere
Geschichte, Universität Göttingen
Die Kunsthistorikerin Astrit Schmidt-Burkhardt hat Jacques
Barbeu-Dubourgs
Chronologiemaschine eine eigene Monographie im Folioformat
gewidmet. Es ist ein
wunderbares Buch. Einerseits. Barbeu-Dubourgs Apparat besteht
aus zwei, mit
Kurbeln versehenen aufklappbaren Pappröhren. Geöffnet
offenbart die Apparatur
eine die beiden Röhren verbindende lange Papierspule, die in
die eine oder
andere Richtung aufgerollt werden kann. Diese Rolle besteht
aus insgesamt 35,
mit einander verbundenen Kupferstichen, die zusammen eine
nicht weniger als
16,5 Meter lange Geschichtsrolle bilden. 1753 brachte
Barbeu-Dubourg das Objekt
auf den Markt. Man konnte die Geschichtskarten als Charte
chronologique
für sich oder mit dem Gehäuse erwerben. Erhalten geblieben ist
ein einziger
Apparat, einer ist verschollen, und vier Kartensets (S. 155).
Geschichtsdiagramme reagierten im geschichtsfreudigen 18.
Jahrhundert auf das
Bedürfnis Historie in Chronologie und Geographie – den ‚zwei
Augen der
Historiographie‘ – auf einen Blick dargestellt zu bekommen und
waren nichts
Neues: Châtelains siebenbändiger Atlas historique
(1705–1720),
Martignonis Carta Istorica (1721), Johann Matthias
Hases Atlas der
Großreichentwicklung samt diagrammatischer Umsetzung zur
Zeitbalkengraphik
(1743) und Barbeaus Mappe-monde historique (1750)
waren erschienen. Neu
an Barbeu-Dubourgs Carte cartographique ist die
konsequent pädagogische
Form: Sie lokalisiert Länder samt Herrschern, darunter
zentrale Ereignisse und
wichtige Personen zeitzugeordnet. Neu ist, dass sich
Geschichte nun dynamisch,
haptisch erfahrbar und kontinuierlich vor den eigenen Augen
abrollen lässt. Die
Zukunftsoffenheit war schon Hases Zeitstrahl zu eigen. Zentral
jedoch an
Barbeu-Dubourgs Geschichtsdiagramm ist, dass ihm eine
geographischen Messlatten
entsprechende, schwarz-weiß gerasterte, einzelne Jahre
anzeigende Zeitlinie
beigegeben ist. Dem Betrachter wird – Schmidt-Burkhardt weist
zurecht daraufhin
(vgl. S. 33–37) – der reale Zeitverlauf der als Historie
bekannten Geschichte
mit den riesigen Informationsleerstellen bis zum Ende der rein
biblischen
Vor-Sintflut-Zeit und der weiterhin dünnen Geschichtsbesetzung
bis hin zur
griechischen Zeit als maßstabsgetreue Jahreschronik vor Augen
geführt.
Geschichte lässt sich vermessen und ermessen damit. Dazu
kommt: Barbeu-Dubourg
hatte 1752 Bolingbrokes historiographisch bedeutende Letters
on the Study
and the Use of History übersetzt (S. 125–129). Er war
Freund und Übersetzer
Franklins und nicht zuletzt mit Diderots Encyclopédie
assoziiert.
Schmidt-Burkhardt ist mit großer Sachexpertise den Spuren
nachgegangen, die
Barbeu-Dubourgs Carte chronologique hinterlassen hat.
Sie beschreibt
jedes Detail, die Vorläufer, Anreger, Nachfolger, die Stecher
der Karten, deren
vier Abzüge samt den jeweiligen Änderungen darauf. Sie spürt
dem Vertrieb, der
Rezeption und der Verbreitung der Karte nach. Sie durchstreift
die Landschaft
des Geschichtsdiagramms in all ihren Facetten, zeigt welche
Art von Geschichte
dargeboten wird. Nicht zuletzt ordnet sie die
Chronologiemaschine dem Pariser
Encyclopédie-Milieu zu. Sie verwebt all das mit
außerordentlicher Erzählkraft,
die einem in das Paris der 1750er-Jahre versetzt.
Sie führt uns, um das Beispiel der Vertriebsorte zu nehmen, in
den Laden des
Polsterers resp. Raumausstatters Fleury und in das
Anatomiekabinett von
Mademoiselle Biheron. Diderot habe in der Nähe von Fleury
gewohnt. „In
unmittelbarer Nachbarschaft lebte auch Marie-Marguerite
Biheron, die mit ihrem
Talent zum Gestalten anatomischer Wachsnachbildungen und einer
speziell dafür
entwickelten Moduliermasse noch zu internationalem Ansehen
gelangen sollte.
Mademoiselle Biheron war mit Diderot, dessen bescheidene
Wohnung sie übernehmen
wird, und mehr noch mit Barbeu-Dubourg befreundet.“ (S. 93)
Was dem Buch historische Tiefe zu verleihen sucht, ist nicht
die Erzählung an
sich, sondern dass Schmidt-Burkhardt Objektgeschichte, Visual
History,
Kulturgeschichte und Intellectual History verbindet und
Barbeu-Dubourgs Karte
zum Aktanten in all diesen Perspektiven werden lässt.
Aufsehenerregend ist die
Bebilderung des Bandes. Die Narrative wird von 157 Abbildungen
begleitet. Viele
Details der Chronologiemaschine sind dabei und über drei
Seiten die
Geschichtskarte am Stück, deren Geschichtsspiegelung so auf
einen Blick
erfahrbar wird (S. 88–90). Damit nicht genug: Als Anhang
bietet
Schmidt-Burkhardt auf 74 Tafeln die Reproduktion des
Darmstädter Exemplars der Charte
chronologique. Das Buch von Schmidt-Burkhardt ist nicht
nur eine Beschreibung,
sondern eine eigenständige, glänzende Ausstellung der
Chronologiemaschine.
Schmidt-Burkhardt hat das kunsthistorische Ideal, Objekte
richtig ins Licht zu
setzen, vielseitig erfüllt. Nun läuft das Bemühen, seinen
Gegenstand richtig
ins Licht zu setzen, Gefahr in das Begehren abzugleiten, sein
Ding mal so
richtig ins Licht zu setzen. Immer wieder fällt
Schmidt-Burkhardt in den
„Könnte es nicht sein, dass“-Duktus eines History-Channels.
Könnte es nicht
sein, dass Barbeu-Dubourg Diderot im Sinn hatte, als er das
Unsichere und also
Unbekannte mit einem Sternchen bezeichnete, wie Diderot seine
Artikel in der Encyclopédie?
(S. 37) Könnte es nicht sein, dass die Marquise de Pompadour
im Gemälde de La
Tours ihre Hand auf den dritten Band der Encyclopédie
mit dem Artikel
über die Chronologiemaschine stützt, so ist doch im Bücherbord
neben einer
Lücke der vierte Band zu sehen, und hat sie den diesen dritten
nicht
offensichtlich gelesen, wie ein Einmerkbändchen zeigt? (S.
79f.) Könnte es
nicht sein, dass Barbeu-Dubourg zu den Besuchern von Holbachs
Salon zählte und
dort die Chronologiemaschine „für Gesprächsstoff sorgte“, auch
wenn
Barbeu-Dubourg nicht in den Gästelisten verzeichnet ist? (S.
129) Wenn von
Barbeu-Dubourgs Karte nur fünf Exemplare und von dem 1757 dazu
erschienenen
Erklärungsband nur ein Exemplar erhalten geblieben sind, dann,
weil sie
womöglich zu stark benutzt worden seien (S. 110). Ein
bemerkenswertes Argument.
Spontan hätte man eher daran gedacht, dass sich die
Chronographiemaschine,
anders als Bücher, schlecht archivieren ließ. Vor allem aber
ließe sich
vermuten, dass die allein mit Symbolen spezifizierten
Ereignisse und Namen samt
ihrer Auswahl und Anordnung auf der Karte für das Publikum
alles andere als
selbsterklärend waren, sich der pädagogische wie
historiographische Nutzen der
Karten derart in engen Grenzen hielt und das Objekt daher
nicht unter die Leute
kam.
Das Buchcover von Schmidt-Burkhardts
Chronologiemaschinen-Hommage füllt ein
Kupferstich: Stoffballen im Hintergrund, Sesselgestelle an der
Decke und auf
einem Stuhl ein Foto der Chronologiemaschine hinzugeführt. Man
wundert sich. Im
Mittelpunkt des Stichs sitzt eine junge Frau, in die Carte
chronologique
vertieft, kenntlich am schwarz-weißen Zeitbalken und für das
Cover in zartem Ocker
koloriert. „Wow“ denkt man, ist doch die Karte und die rege
Rezeption der Frau
allem Anschein nach Teil des Stichs. Im Impressum erfahrt man,
dass es sich um
„Tafel 1“ des neunten Bands des Tafelwerks der Encyclopédie
handelt. Das
„Wow“ wächst und bleibt 95 Seiten lang. Dort hat
Schmidt-Burkhardts die Tafel
nochmals im Kontext von Fleurys Laden originalgetreu
abgedruckt und
beschrieben: „Frauen sticken an einer Tapisserie oder nähen
Vorhänge“. (S. 95)
Und der Stich ist nicht der erste des
Encyclopédie-Abbildungsbands, sondern der
erste des Sets zur Tapisserie - Polsterei. Ist man wach genug,
erfährt man so
elegant implizit, dass Barbeu-Dubourgs Karte auf dem Cover in
den Stich
retuschiert worden ist. „Am Anfang dieses Buchprojekts stand
eine kühne These:
ohne Schaubild keine Französische Revolution“, so der erste
Satz des Bands, der
das „Wow“ des Lesers nach dem Cover nun schon wirklich groß
werden lässt und
dem Erzählfluss der Autorin einen Leitanker verschafft (S. 7).
Das Argument
läuft: Barbeu-Dubourgs Karte ist „Vorbild“ und „Urbild“ (S.
99) der
„historiographischen Moderne“ (Titel), in deren
Geschichtserwartung die
Revolution eingebettet ist.
Bei aller Fokussierung auf die Karte, man hätte sich hier in
Spiegelstrichen
wenigstens ein paar Sätze zur Historiographie des 18.
Jahrhunderts gewünscht:
Dass die Chroniken der Universalgeschichte frühneuzeitlich in
Hunderte von
Geschichtstafeln umgesetzt wurden, auf die sich die
Geschichtsschaubilder
stützten; dass sich die Gesamtdarbietung der Geschichte mit
der Histoire
philosophique und der Conjectural History der Naturrechts- und
Kulturdebatten
der Analyse und vor allem der Narrative zugewandt hat; dass
dies von Gibbon
u.a. mit methodischer Quellenanalyse verbunden wurde und dass
sich der
chronik-chronologische Kern der Historiographie zu einem
Medienfächer von den
Kompendien, der Spezialgeschichtsschreibung bis hin zu
literarischen
Geschichtsspielarten wie Anekdoten, Biographien, Romane,
Dramen, Epen
aufgespannt hat. Und man hätte sich, soll die Rede von der
Revolution mehr als
Aufmerksamkeitsstachel sein, ein paar Sätze zum Wer, Was und
Warum der
Revolution und etwas wenigstens zur Literatur über sie
gewünscht.
Gegen Ende des Buchs führt Schmidt-Burkhardt Condorcet als
Kronzeugen für ihre
These an: Condorcet habe seinen Fortschrittsglauben auf
„Zahlen und Linien“
gestützt und die Lehr- und Lerneffekte der Schautafeln zu den
Möglichkeitsbedingungen seiner „Epoche einer der großen
Revolutionen der
Menschheit“ gerechnet, zitiert sie ihn (S. 144). Bei den
„Zahlen und Linien“
spricht Condorcet von der medizinischen Demographie, bei der
Revolutionsepoche
tatsächlich von Geschichte, allerdings von der Histoire
philosophique
des Aufklärungsdiskurses.[1] Auf den letzten Seiten
führt
Schmidt-Burkhardt dann drei Argumente für ihre These an:
Schaubilder wirkten
änderungs- und handlungsmotivierend und regten, wie Deleuze
schreibe,
„Neuperspektivierung“ an (S. 149f.). Stimmt. All das braucht
man zur
Revolution. Aber braucht man Schaubilder zur Revolution?
Schmidt-Burkhardt hat Barbeu-Dubourgs Chronologiemaschine
umfassend in Szene
gesetzt. Sie hat deren historische Bedeutung, nun, etwas
‚aufgepolstert‘ dabei.
Anmerkung:
[1] Jean Antoine Nicolas de
Caritat, Marquis de
Condorcet, Entwurf eines historischen Gemäldes der
Fortschritte des
menschlichen Geistes, übers. von Ernst Ludwig Posselt,
Tübingen 1796, S. 17, S.
322.
Zitation
Martin Gierl: Rezension zu: Schmidt-Burkhardt, Astrit: Die
Chronologiemaschine. Barbeu-Dubourgs Aufbruch in die
historiografische Moderne.
Berlin 2022 , ISBN 9783867323888, In: H-Soz-Kult,
21.03.2023, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-131174>.