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2022/10/11 19:09:48 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Burgeninventare, Burgenverzeichnisse, Burgenkarten |
Datum | 2022/10/13 20:39:00 Stefan Reuter via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Buchbesprechung: Sex – r ichtig! Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino des 20. Jahrhunderts |
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2022/10/04 19:45:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Buchbesprechung: Olgas Tagebuch (1941–1944). Unerwartete Zeugnisse einer jungen U krainerin inmitten des Vernichtungskriegs |
Betreff | 2022/10/13 20:58:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Buchbesprechung: Sex – r ichtig! Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino de s 20. Jahrhunderts |
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2022/10/11 19:09:48 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Burgeninventare, Burgenverzeichnisse, Burgenkarten |
Autor | 2022/10/13 20:58:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Buchbesprechung: Sex – r ichtig! Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino de s 20. Jahrhunderts |
Date: 2022/10/13 20:36:23
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
[Es würde mich
interessieren, bei wievielen Lesern diese Buchbesprechung im
Spam-Ordner landet]
Autor Anja Laukötter,
Erschienen Göttingen 2021: Wallstein
Verlag
Anzahl Seiten 543 S., 129 Abb.
Preis € 46,00
ISBN 978-3-8353-3898-2
Rezensiert für H-Soz-Kult von Olaf Stieglitz, American Studies,
Universität
Leipzig
In der Kölner Innenstadt gibt es einen Buchladen, zu dessen
Alleinstellungsmerkmalen es gehört, eines seiner Schaufenster
für „Filmbücher“
zu reservieren. Darin können sich Interessierte stets über
ausgewählte
Neuerscheinungen in dieser Nische des Buchmarkts informieren,
über aufwendig
gestaltete Bildbände zu Hollywood Blockbustern ebenso wie über
Biografien zu
bundesdeutschen Nachkriegsregisseur:innen. In diesem Frühjahr
konnte man darin
auch ein Exemplar von Anja Laukötters neuem Buch finden. Daran,
das ist leider
zu vermuten, war der Schutzumschlag nicht ganz unschuldig: Der
Titel Sex –
richtig! findet sich darauf in riesigen Buchstaben am
oberen Rand, und zur
Untermauerung seiner verheißungsvollen Ankündigung ist in der
unteren Hälfte
ein kreisrundes Foto platziert, auf dem Jugendliche zu sehen
sind, die gebannt
einem Film folgen, den ihnen ein zugeknöpfter Lehrer vorführt.
Dem Wallstein
Verlag ist zu gratulieren; sein Anliegen, eine über 500 Seiten
lange
geschichtswissenschaftliche Habilitationsschrift
publikumswirksam zu
vermarkten, ist beinahe vorbildlich aufgegangen.
Doch auch die Inhalte des Buchs und seine Argumentation
rechtfertigen den exponierten
Platz im Schaufenster. Der Untertitel – Körperpolitik und
Gefühlserziehung
im Kino des 20. Jahrhunderts – verspricht womöglich immer
noch mehr, als
die Autorin tatsächlich anzubieten hat, doch zeigt er Pfade in
eine Studie auf,
die erhebliche Desiderate in der deutschsprachigen
Geschichtsschreibung zur
Sexualaufklärung sowie zum Film als Medium der
Wissensvermittlung zu beseitigen
hilft. Welche Rolle spielten Filme in der Sexualaufklärung im
Verlauf des 20.
Jahrhunderts? Wie wurden Filme über Reproduktion, Verhütung und
vor allem
Geschlechtskrankheiten in medizinischen, pädagogischen,
moralischen,
medientheoretischen oder politischen Debatten wahrgenommen und
diskutiert, wie
wurden sie in sich wandelnde Kino- und andere
Vorführinfrastrukturen platziert,
wie wurde die Rezeption durch verschiedene Publika erforscht und
zu steuern
versucht? Wie waren die Versuche, mit Filmen vermeintlich
wissenschaftlich
abgesichertes Wissen vermitteln zu wollen, an Emotionen
gekoppelt, oft an
Vorstellungen von Angst und Scham, bisweilen aber auch an Lust
und Freude? In
welchem Verhältnis konstruierten diese Filme das Verhältnis von
Bevölkerung
einerseits und Individuum andererseits; welche Politiken der
Subjektivierung
lassen sich aufzeigen? Welche privaten, öffentlichen sowie
staatlichen
Organisationen bemühten sich um filmische Sexualaufklärung, und
inwieweit war
der Wunsch nach wirkmächtigen Filmen transnational verflochten?
Diesen und
anderen Fragen geht die Autorin in ihrer quellengesättigten
Untersuchung auf
mehreren, ineinander verwobenen Ebenen nach, in die sie in ihrer
Einleitung
umfassend einführt.
Laukötter verortet ihre Arbeit zur Geschichte des
Sexualaufklärungsfilms in
vier historiografische Forschungsperspektiven. Erstens nimmt sie
die These vom
20. Jahrhundert als „Jahrhundert der Bilder“ auf, kennzeichnet
ihre Forschung
als Teil einer Visual History und fragt danach, wie die
Bilder der
Aufklärungsfilme „nicht nur Sehpraktiken, sondern auch
Einstellungen, Verhalten
und Handeln der Menschen“ veränderten (S. 23). Das ist
einerseits
bemerkenswert, denn bislang finden Filme im Feld der
(deutschsprachigen)
Forschung zur visuellen Kultur der Dekaden nach 1900 noch immer
viel zu wenig
Beachtung, auch wenn sich dies in den vergangenen Jahren langsam
zu ändern beginnt.
Andererseits konzentriert sich die Autorin auf nicht-fiktionale,
wissenschaftlich-pädagogische Produktionen – dem Spielfilm und
seiner Rolle im
Aushandlungsprozess von „richtigem“ oder „falschem“ Sex, der
größeren Dimension
von Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino des 20.
Jahrhunderts,
kann und will die Studie nicht nachgehen und verweist so auf die
umfangreiche
Forschung, die hier in Zukunft noch zu leisten wäre.
Eine besondere Bedeutung kommt der zweiten Perspektive der
Studie zu. Die Geschichte
der Emotionen gehört gegenwärtig zu den besonders dynamischen
Forschungsfeldern, und es ist anregend, die dort diskutierten
Zusammenhänge
aktiv mit Filmen und Filmrezeptionen in Zusammenhang zu bringen.
Eine solche
Analyse vermag nicht nur Geschichts- und Filmwissenschaft in
einem
theoriegeleiteten Rahmen miteinander zu verbinden, sie
ermöglicht auch eine
dezidiert historische, quellennahe Betrachtung, schließlich
haben zahlreiche
Autor:innen aus Wissenschaft, Pädagogik und Medienpraxis im
Verlauf des
Untersuchungszeitraums die Interaktion von Wissensvermittlung
und emotionaler
Publikumssteuerung zu beleuchten versucht.
Dies steht bereits in engem Verhältnis zur dritten zentralen
Forschungsperspektive: Der Wissenschaftshistorikerin ist es ein
besonderes
Anliegen, „die Entstehung, Produktion und Vermittlung
wissenschaftlichen
Wissens auch außerhalb des universitären und wissenschaftlichen
Rahmens
deutlicher in den Blick zu nehmen“ (S. 30). Emotionen, so Anja
Laukötter, seien
von diesen Praktiken der medial-populären Wissensvermittlung
nicht zu trennen,
und dem geht sie in den sehr öffentlichen Räumen und Praktiken
des Kinos nach.
Viertens schließlich begreift sich die vorliegende Arbeit als
eine Geschichte
des Körpers und der Sexualität. Auch in diesem Feld soll sich
die Analyse
filmischer Quellen als besonders ertragreich erweisen, denn in
Sexualaufklärungsfilmen „werden Körper visuell umfassend
präsentiert, zugleich
sind sie Gegenstand von politischen Debatten und
Zuschauerforschung […]“ (S.
33). Die Studie ist mithin ein Versuch, Diskurse und Praktiken
der
Sexualaufklärung über das Medium Film gemeinsam und aufeinander
bezogen zu
verhandeln.
Dieses Programm setzt die Autorin in einer Langzeitstudie über
das ganze 20.
Jahrhundert hinweg um, die zwar einen klaren Schwerpunkt auf
Entwicklungen in
Deutschland legt, diesen aber ausdrücklich transnational unter
Berücksichtigung
französischer und US-amerikanischer Filme und Debatten
erweitert. Insgesamt
räumt Anja Laukötter der Verflechtungsgeschichte einen
beträchtlichen
Stellenwert ein, und auch dem historischen Vergleich zwischen
der
Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
erwächst für die
zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine tragende Rolle. Auf der
Basis von
zahlreichen ausführlich vorgestellten und diskutierten Filmen[1], unter Rückgriff auf
umfangreiche
schriftliche Dokumente aus staatlichen, wissenschaftlichen und
filmwirtschaftlichen Archiven sowie nicht zuletzt unter
Berücksichtigung der
breiten öffentlichen Diskussion von Filmen zur Sexualaufklärung,
führt die
Autorin ihre Leser:innen auf eine dichte und detailreiche Reise
in Kinosäle,
Kasernen, Schulen und andere Orten, in denen ein oft junges
Publikum über
vermeintlich richtigen Sex, über Empfängnisverhütung und die
Gefahren sexuell
übertragbarer Krankheiten unterrichtet werden sollte.
Der Aufbau des Buchs ist chronologisch und orientiert sich an
den Zäsuren der
deutschen Geschichte; dass das in einer transnationalen Studie
zu einer meist
auf internationale Kooperation ausgerichteten Filmwirtschaft
nicht immer ganz
passgenau ist, kalkuliert die Autorin ein. Kapitel eins
thematisiert die
Anfänge des Sexualaufklärungsfilms und diskutiert dann
ausführlich dessen Rolle
im Ersten Weltkrieg, als die Sexualität der Frontsoldaten als
Gefährdung in den
Blick geriet. Zugleich unterstreicht das Kapitel, dass die
Entwicklung dieser
Aufklärungsfilme von Beginn an in einer engen Beziehung zur
Erforschung der
Emotionen im Publikum stand.
Das zweite Kapitel über die 1920er-Jahre kreist um Versuche, ein
erkennbares
Genre-Format für Aufklärungsfilme und deren Konzepte zur
Visualisierung von
Wissen zu stabilisieren. Diese Bemühungen wurden nicht zuletzt
durch
internationale Zusammenarbeit vorangetrieben, die allerdings
immer auch von
nationalen Debatten um Zensur oder politische Vereinnahmung
flankiert waren.
Im dritten Kapitel und mit den Filmen des Nationalsozialismus
diskutiert
Laukötter eine filmische Strategieverschiebung, die sie als
„Medialisierung des
positiv Emotionalen“ charakterisiert: „Dabei wird deutlich, dass
von einer
Weimarer Didaktik, die mit Gefühlen wie Angst oder Scham
arbeitete, Abstand
genommen wurde. […] in dem Soldaten-Film über
Geschlechtskrankheiten sollten
sie mit dem Angebot eines positiv konnotierten Gefühls
überwunden werden“ (S.
197). Das vierte Kapitel zur Besatzungszeit stellt die so
genannten atrocity-Filme
dieser Jahre, in denen die deutsche Bevölkerung über Scham und
Schuld
adressiert wurde, in eine produktive Beziehung zum
Aufklärungsfilm und fragt so
nach einer „Reeducation der Emotionen“ (S. 255ff.) als
filmpolitische Strategie
der Besatzungsmächte.
Kapitel fünf und sechs verhandeln jeweils ausführlich die
Entwicklungen in der
Bundesrepublik sowie in der DDR. In diesem Vergleich bis in die
1980er-Jahre
hinein betont die Autorin eher systembedingte Unterschiede denn
Gemeinsamkeiten, allerdings treten in beiden Staaten und ihren
Filmproduktionen
deutlich sichtbare Kontinuitätslinien hervor, sowohl bei der
wissensvermittelnden Gestalt der Aufklärungsfilme als auch im
Versuch der
emotionalen Publikumsadressierung.
Sex – richtig! ist eine sehr anregende, kenntnisreiche
und inspirierende
Studie, das Buch ist aber – das sei der Laufkundschaft vor dem
Kölner
Schaufenster gesagt – keine leichte Lektüre. Es ist sprachlich
sehr formal
verfasst und in seinem Bemühen, Kontinuitäten und Wandel über
ein ganzes
Jahrhundert ausweisen zu wollen, mitunter auch etwas redundant.
Die Diskussion
von organisationshistorischen Aspekten fällt an manchen Stellen
sehr lang aus
und verstellt so bisweilen die interessante Sicht auf die Filme,
das Publikum
und die Diskussion drumherum. Die transnationale Erweiterung ist
besonders in
den ersten Teilen der Untersuchung eine wichtige und gelungene
Horizonterweiterung, sie tritt dann aber in den letzten Kapiteln
zu sehr hinter
dem deutsch-deutschen Vergleich zurück. Das ändert indes nichts
daran, dass
Anja Laukötter eine wertvolle Untersuchung vorgelegt hat, die
den
Sexualaufklärungsfilm als historische Quelle ernst genommen und
ihn als
lohnendes Objekt einer Emotions- und Wissensgeschichte etabliert
hat.
Anmerkung:
[1] Einige für die Studie
wichtige Filme hat die
Autorin auf dieser Website dokumentiert: https://medfilm.unistra.fr/wiki/Sex_richtig
(30.09.2022). Darüber hinaus werden diese und andere Filme an
verschiedenen
Stellen des Buchs ausführlich eingeführt.
Zitation
Olaf Stieglitz: Rezension zu: Laukötter, Anja: Sex –
richtig!. Körperpolitik
und Gefühlserziehung im Kino des 20. Jahrhunderts. Göttingen
2021: ISBN 978-3-8353-3898-2, , In: H-Soz-Kult,
14.10.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-97957>.