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2022/09/23 11:53:10 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Gabs in Püttlingen ein Gastha us "Zum Pflug" oder so ähnlich? |
Datum | 2022/09/27 22:31:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Das neue französische Land, Nachtrag. |
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2022/09/19 17:07:14 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Kirchenrechnungen, Barbiere und der Arzneischatz |
Betreff | 2022/09/19 20:36:13 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Rezension: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung |
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2022/09/23 11:53:10 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Gabs in Püttlingen ein Gastha us "Zum Pflug" oder so ähnlich? |
Autor | 2022/09/27 22:31:06 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Das neue französische Land, Nachtrag. |
Date: 2022/09/26 10:47:30
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Guten Morgen,
wir leben in einer Zeit, in der mit
statistischen Auswertungen
und darauf basierenden Mutmaßungen (gerne „Prognosen“ genannt)
hantiert wird,
auf deren Basis wir dann unser Leben gestalten. Aber was wissen
wir eigentlich
genau?
Im Moment lese ich zum zweiten Mal Yuval Noah Hararis Buch „Eine
kurze
Geschichte der Menschheit“. Darin stieß ich im Teil 1 „Die
kognitive Revolution“
im Kapitel 3 „Ein Tag im Leben von Adam und Eva“ in Unterkapitel
„Krieg oder
Frieden?“ auf eine interessante Zahl, die durch den Kontext noch
interessanter
wird. Also habe ich mir erlaubt, dieses Unterkapitel zu scannen
und durch OCR
(Texterkennung) hier einzustellen.
Im ganzen 1. Teil geht es um den Homo Sapiens, den der Autor nur
„Sapiens“
nennt, vor gut 9.000 Jahren. Er hat sich in der Regel noch nicht
niedergelassen,
noch keine Orte oder gar Städte gebildet und lebt noch nicht von
der Landwirtschaft,
sondern schlägt sich als Jäger und Sammler durchs Leben. Harari
nennt ihn
deshalb „Wildbeuter“.
„Und dann ist da noch die heikle Frage nach dem Krieg. Einige
Wissenschaftler
beschreiben die Welt der Jäger und Sammler als Paradies und
behaupten, Krieg
und Frieden begannen erst mit der landwirtschaftlichen Revolution,
als die
Menschen anfingen, Privatbesitz anzuhäufen. Andere Wissenschaftler
beschreiben
die steinzeitliche Welt dagegen als ausgesprochen grausam und
blutig. Beide
Theorien sind Luftschlösser, die auf mageren archäologischen
Funden und der
Beobachtung moderner Jäger und Sammler errichtet werden.
So verlockend die Erkenntnisse moderner Anthropologen sind, sie
sind mit
Vorsicht zu genießen. Die heutigen Wildbeuter leben vor allem in
entlegenen und
unwirtlichen Regionen wie der Arktis oder der Kalahari, wo die
Bevölkerungsdichte gering und die Wahrscheinlichkeit einer
Begegnung mit
Feinden entsprechend klein ist. Vor allem unterstehen die Jäger
und Sammler in
den vergangenen Jahrzehnten zunehmend der staatlichen Aufsicht,
die den
Ausbruch großer Konflikte unterbindet.
Nur zweimal hatten Anthropologen die Möglichkeit, große und
relativ dichte
Populationen von unabhängigen Jägern und Sammlern zu beobachten:
Im 19.
Jahrhundert im Nordwesten Nordamerikas und im 19. und frühen 20.
Jahrhundert in
Nordaustralien. Auf beiden Kontinenten berichteten die
Anthropologen von
zahlreichen bewaffneten Konflikten zwischen Gruppen von
Wildbeutern.
Auch die archäologischen Funde sind rar und nur bedingt
aussagekräftig. Welche
Hinweise gibt es, dass vor 30 000 Jahren irgendwo ein Krieg
stattgefunden haben
könnte? Damals gab es keine Festungen und Mauern, keine Granaten
und Schwerter.
Aus heutiger Sicht lässt sich nicht mehr sagen, ob ein Speer zur
Jagd oder im
Krieg verwendet wurde. Fossile Knochenfunde sind genauso schwer zu
deuten. Ein
Knochenbruch könnte genauso gut von einem Unfall herrühren wie von
menschlicher
Gewalt. Umgekehrt ist das Fehlen von Knochenverletzungen noch kein
Beweis für
einen friedlichen Tod:
Der Betroffene könnte aber auch an Fleischwunden gestorben sein,
die keine
Spuren am Skelett hinterlassen haben. Dazu kommt, dass vor der
Industrialisierung rund 90 Prozent aller Kriegsopfer nicht durch
Waffeneinwirkung, sondern durch Hunger, Kälte und Krankheit ums
Leben kamen.
Stellen wir uns vor, dass vor 30 000 Jahren eine Gruppe eine
andere besiegte
und aus den begehrten Jagdgründen vertrieb. Im entscheidenden
Kampf werden zehn
Angehörige des unterlegenen Stamms getötet. Im folgenden Jahr
sterben weitere
Hundert an Hunger, Kälte und Krankheiten. Wenn Archäologen diese
no Skelette
finden, kommen sie vermutlich zu dem Schluss, dass die meisten von
einer
Naturkatastrophe dahingerafft wurden. Wer käme schon auf den
Gedanken, dass sie
Opfer eines erbarmungslosen Krieges geworden sein könnten?
Nach dieser Warnung können wir uns nun den archäologischen Funden
zuwenden. In
Portugal wurden vierhundert Skelette aus der Zeit unmittelbar vor
der
landwirtschaftlichen Revolution untersucht. Nur zwei davon zeigten
eindeutige
Spuren der Gewalteinwirkung. In Israel wurde bei einer
Untersuchung von ebenfalls
vierhundert Skeletten nur ein einziger Schädelbruch entdeckt, der
sich auf
menschliche Gewalt zurückführen ließ.
Bei einer Untersuchung von vierhundert Skeletten aus dem Donautal
fanden
Wissenschaftler die Fälle von Gewalteinwirkung. Auch das mag noch
überschaubar
klingen, in Wirklichkeit ist es jedoch eine ganze Menge. Wenn
tatsächlich alle
die eines gewaltsamen Todes gestorben sind, dann würde das
hochgerechnet bedeuten,
dass rund 4,5 Prozent aller Menschen im Donautal von ihren
Mitmenschen ins
Jenseits befördert wurden. Heute liegt der Durchschnitt weltweit
bei 1,5
Prozent, Kriege und Verbrechen zusammengenommen.
Im gesamten 20. Jahrhundert starben nur rund 5 Prozent aller
Menschen eines
gewaltsamen Todes - und das trotz zweier Weltkriege, eines
chinesischen
Bürgerkriegs, des Holocausts, des Völkermords an den Armeniern und
Dutzender
anderer Kriege und Völkermorde von Kambodscha bis zum Kongo, von
Vietnam bis
Ruanda. Das Donautal der Steinzeit war offenbar genauso blutig wie
das 20. Jahrhundert.
[Dem könnte man entgegenhalten, dass die die Bewohner des
Donautals möglicherweise
nicht an den Auswirkungen der Gewalt starben, deren Spuren sich an
ihren
Skeletten fanden. Einige wurden vielleicht nur verletzt. Diese
Zahl wiegt
jedoch vermutlich die Zahl derjenigen auf, die an Fleischwunden
und sonstigen
unsichtbaren Kriegsfolgen starben.]
Die schaurigen Funde aus dem Donautal werden durch eine Reihe
ähnlich
deprimierender Entdeckungen in anderen Regionen gestützt. Im
sudanesischen
Jebel Sahaba wurde ein 12 000 Jahre alter Friedhof mit 59
Skeletten gefunden. In
24 Fällen (oder 40 Prozent der Toten) wurden Pfeil- und
Speerspitzen in oder
neben den Knochen gefunden. Das Skelett einer Frau wies zwölf
Verletzungen auf.
In den Ofnethöhlen am Kraterrand des Nördlinger Ries fanden
Archäologen 33 Schädel,
vor allem von Frauen und Kindern, die in zwei Gruben geworfen
worden waren. Die
Hälfte der Schädel, auch die der Kinder und Säuglinge, wiesen
eindeutige Hieb-
und Stichspuren auf. Die wenigen Schädel der älteren Männer waren
am
schlimmsten zugerichtet. Mit großer Wahrscheinlichkeit war hier
eine ganze
Gruppe von Wildbeutern massakriert worden. Aber was entspricht
denn nun der
Welt der steinzeitlichen Jäger und Sammler: die friedlichen
Skelette aus Israel
und Portugal oder die Schlachthöfe von Jebel Sahaba und der
Ofnethöhlen?
Die Antwort lautet: Weder das eine noch das andere. Genau wie sich
die Jäger
und Sammler hinsichtlich ihrer Religionen und gesellschaftlichen
Strukturen erheblich
unterschieden, gab es offenbar auch große Differenzen bei der
Gewalt. Einige
Regionen scheinen in Frieden und Harmonie gelebt zu haben, andere
scheinen von
blutigen Konflikten heimgesucht worden zu sein.“
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger