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2022/07/03 08:24:09 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Das römische Puzzle in Bliesb ruck-Reinheim |
Datum | 2022/07/03 10:08:30 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Genealogieseminar „Vertief ende Familienforschung“ 2022 auf der Burglichtenberg |
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Betreff | 2022/07/27 22:02:55 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Arbeitsgemeinschaft für Saarl ändische Familienkunde hat neue Website: www.saargenea logie.de |
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2022/07/03 08:24:09 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Das römische Puzzle in Bliesb ruck-Reinheim |
Autor | 2022/07/03 10:08:30 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Genealogieseminar „Vertief ende Familienforschung“ 2022 auf der Burglichtenberg |
Date: 2022/07/03 08:34:27
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
gestern in der SZ:
Lehrreicher kann moderne Anthropologie kaum sein
Von Christoph Schreiner
Warum sind
westliche Menschen
so anders als Ostasiaten oder Nordafrikaner oder Südamerikaner?
Bemerkenswerte kulturgeschichtliche
Antworten darauf gibt ein herausragender Wälzer des
Harvard-Anthropologen Joseph
Henrich unter dem Titel „Die seltsamsten Menschen der Welt“
Gemeint damit sind sogenannte W.E.I.R.D-People – ein
englischsprachiges
Akronym, hinter dem sich die Abkürzungen „Western, Educated,
Industrialized,
Rich and Democratic“ verbergen. Dass „weird“ andererseits so
viel wie „seltsam“
bedeutet, erklärt den Titel von Henrichs umfassender Studie
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Henrichs Grundthese
besagt, dass das
bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert zurückreichende
„kirchliche Ehe- und
Familienprogramm“ (kurz EFP) bis ins Mittelalter hinein die
verwandtschaftsbasierten
Institutionen Europas erfolgreich untergrub und damit den
Ursprung der
westlichen Sonderbarkeit legte. Dadurch, dass die Kirche Inzest
und Polygamie
ächtete, wurde die bis dahin in vielen Kulturen gleichermaßen
wirkmächtige Familienclan-Struktur
nachhaltig untergraben. Die Folge davon, so Henrichs These:
Diese Auflösung tradierter,
verwandtschaftsbasierter Gesellschaften brachte den Stein der
Moderne langsam
ins Rollen
Warum? Weil das Sprengen der Clan-Fesseln den Individualismus
begünstigte, die
Mobilität und den Austausch mit Fremden förderte und damit die
Horizonte in
Europa nachhaltig erweiterte
Auch wenn Henrich es tunlichst vermeidet, die sich aus diesem
wegweisenden
Kappen verwandtschaftlicher Prägungen formende, heutige
westliche Lebensform
als erfolgreicher zu titulieren – letztlich ist dies doch eine
der
mitschwingenden Kernaussagen seiner monumentalen Studie.
„Menschen aus den europäischen
Regionen, die der Kirche und dem EFP länger ausgesetzt waren“,
seien, wie
Henrich unter Rückgriff auf zahllose Studien, Statistiken und
Erhebungen nachzuweisen
sucht, „heute individualistischer und unabhängiger, weniger
gehorsam und
konformistisch sowie unpersönlich vertrauensvoller und fairer
als solche aus
weniger exponierten Regionen“
Dass ausgerechnet die eher für autoritäre Strukturen und
Konformismus
einstehende Kirche Demokratie und Weltoffenheit befördert haben
soll, erstaunt
zunächst
Die kulturelle Evolution, die sich Henrich zufolge bei
sonderbaren Menschen
weit stärker als in tradierten Gesellschaften in Richtung
Selbstbestimmung und
Innovation vollzog, sei von der Kirche im Zuge ihres Polygamie-
und
Inzestverbots eher „versehentlich“ angestoßen
Dass sich langfristig so in westlichen Gesellschaften
Demokratien etablierten
und Selbst- statt Fremdbestimmung durch Traditionen, Rituale und
Familienbande
Geltung erlangte, war bekanntlich nicht das Ziel der kirchlichen
Verbote
„Warum sind wir so anders?“, lautet die wiederkehrende Frage des
Buches. Wie
kam es dazu, dass Europa, das bis ins 15. Jahrhundert in Sachen
Erkenntnis und
Fortschritt eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, auf einmal
zur treibenden
Kraft werden und im späten 18. Jahrhundert das Zeitalter der
Aufklärung und
später das der Industrialisierung ausrufen konnte? Kurz gesagt,
weil man in
Henrichs Lesart dort weniger Wert auf Rollen und Relationen
legte als in
anderen Kulturen, sondern stärker auf sich selbst vertraute.
Weil Lebensplanung
mehr auf Selbst- denn auf Fremdbestimmung gründete.
Nicht-westliche Gesellschaften
gründeten hingegen stärker auf der „Wertschätzung des Anderen“.
In
verwandtschaftsbasierten Gesellschaften wirksam sei „ein mit
Gleichrangigen
konformes Verhalten, Ehrerbietung gegenüber traditionellen
Autoritäten, ein
starkes Schamgefühl sowie eine Orientierung eher am Kollektiv
(also etwa dem
Clan) als an den eigenen Befindlichkeiten“
Was Henrichs süffig zu lesende, hervorragend übersetzte Studie
so aufschlussreich
und ergiebig macht, das sind die vielen Verifizierungen seiner
Thesen anhand
psychologischer Experimente, anthropologischer Feldstudien sowie
historischer Datenanalysen.
Immer wieder misstraut Henrich eigenen Befunden und Vermutungen,
weshalb er
ihre Gültigkeit mittels wissenschaftlicher Belege abklopft.
Alleine der Anmerkungsapparat
und die Bibliographie umfassen jeweils knapp 100 Seiten
Dennoch stößt auch Henrichs sozialpsychologische
Universaltheorie ungeachtet
aller Komplexität an ihre Grenzen. Was sie seltsamerweise völlig
ausblendet,
das sind all die zweifelhaften Seiten der „seltsamen“ westlichen
Gesellschaften
Henrich fokussiert auf Aspekte wie Individualität und
Selbstbeherrschung. Ist
Letzteres uns wirklich eigen? Schön wär‘s! Er reichert dieses
wohlwollende
Charakterbild im Fortgang noch um Eigenschaften wie Geduld und
ein mittels
Strebsamkeit abzutragendes (und im Sinne von Max Webers
protestantischer
Arbeitsethik psychologisch tief grundiertes) Schuldempfinden an.
Die westliche
Historie des Kolonialismus und politisch-militärischer Anmaßung
und Gewalt berücksichtigt
er mit keiner Silbe
Unbedingt empfehlenswert ist sein Wälzer dennoch: Kurzweiliger
und lehrreicher
als hier kann moderne Anthropologie schlichtweg kaum sein
Joseph Henrich: Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie der
Westen reichlich
sonderbar und besonders reich wurde. Aus dem Amerikanischen von
Frank Lachmann
und Jan-Erik Strasser
Suhrkamp, 913 Seiten, 34 Euro.