A.-V. Bognár: Der Architekt in der Frühen
Neuzeit
Der Architekt in der Frühen Neuzeit. Ausbildung – Karrierewege –
Berufsfelder
von Anna-Victoria Bognár
Reihe Höfische Kultur interdisziplinär (HKI) – Schriften und
Materialien des
Rudolstädter Arbeitskreises zur Residenzkultur (2)
Erschienen Heidelberg 2020: Heidelberg
University Publishing
Anzahl Seiten 566 S.
Preis € 69,90
ISBN
978-3-947732-78-4
URL https://doi.org/10.17885/heiup.580
Rezensiert für H-Soz-Kult von Marina Beck, Institut für
Kunstgeschichte,
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
Anna-Victoria Bognár untersucht in ihrer Dissertation die
Entwicklung des
Berufsbildes der „Entwerfer“ und „Planer“, die wir heute als
Architekten
bezeichnen, im deutschsprachigen Raum des Alten Reiches zwischen
1500 und 1800.
Im Detail werden hierbei die Berufsausbildung und
Reisetätigkeiten, die
verschiedenen Formen der Auftragsvergabe und Dienstverhältnisse,
die unterschiedlichen
Aufgabenbereiche sowie die Arbeitsteilung im Sinne der Abgrenzung
des
Tätigkeitsfeldes des Architekten zu anderen Berufen genauer
betrachtet. Des
Weiteren werden der Rang und Status sowie die Frage nach der
künstlerischen
Souveränität des Architekten in den Blick genommen. Die Arbeit
knüpft damit
unmittelbar an wichtige methodische Fragestellungen der
Künstlersozialgeschichte an, die sich in den letzten Jahren unter
anderem
intensiv mit der sozialgeschichtlichen Verortung des Malers als
Zunfthandwerker
und/oder Hofkünstler beschäftigt haben.[1]
Die Arbeit gliedert sich neben Einleitung (Kapitel 1), Resümee
(Kapitel 4) und
dem umfangreichen Quellenanhang in zwei große Hauptkapitel.
Kapitel 2 behandelt
allgemein die Grundlagen der Berufstätigkeit der Architekten;
Kapitel 3 im
Speziellen den Bauamtsarchitekten. In Kapitel 2 werden nach einer
Begriffsgeschichte des Architekten (2.1) die verschiedenen
Möglichkeiten der
Architektenausbildung (2.2), die Reisen von Architekten sowie ihre
Beweggründe,
solche zu unternehmen (2.3), und verschiedene Tätigkeitsfelder
(2.4)
untersucht.
Bognár erweitert in ihrer Arbeit die Definition des Architekten
folgendermaßen:
Der Architekt entwirft im künstlerischen, technischen und
wirtschaftlichen
Sinn, was nach modernem Verständnis ebenfalls Ingenieure und
Bauunternehmer
umfasst, und leitet die Ausführung dieser Arbeiten. Damit ist ein
Architekt
nicht nur „Entwerfer“, sondern auch „Bauleiter oder -führer“ (S.
54). Eine
wesentliche Erkenntnis dieses Kapitels ist, dass es den
Architekten in der
Frühen Neuzeit nicht gab. Stattdessen bildeten sich eine Vielzahl
von
handwerklichen Berufen, die eine zünftische Ausbildung erfahren
hatten, sowie Personen,
die eine theoretische Ausbildung an Akademien oder Universitäten
erhalten
hatten, zu Entwerfern weiter. Zu den großen Leistungen Bognárs
zählt es, diese
Berufsgruppen identifiziert und ihre unterschiedlichen Wege aus
ihrem
ursprünglichen Berufsfeld hin zum Berufsbild des Architekten
aufzuzeigen.
In Kapitel 3 wendet sich Bognár dann der speziellen Berufsgruppe
der
Architekten in Bauämtern zu. Detailliert zeichnet sie anhand
unterschiedlicher
Bauämter im Reich nach, unter welchen Arbeitsbedingungen die
Architekten
angestellt waren, welche Aufgaben sie hatten und wie ihre
Entlohnung erfolgte.
Mit dieser Fokussierung legt Bognár eine gelungene Detailstudie
vor, die anhand
eines Berufsfeldes eingehend aufzeigt, wie der Arbeitsalltag des
Architekten
aussah. Um den regionalen, zeitlichen, ständischen und
konfessionellen
Unterschieden der einzelnen Territorien im Reich gerecht zu
werden, trifft die
Autorin bei ihrer Analyse eine repräsentative Auswahl von
Bauämtern an
verschiedenen Höfen und in Städten, um dort die Tätigkeit des
Architekten zu
untersuchen. Das Kapitel basiert auf dem umfangreichen
Quellenstudium Bognárs,
die neben Dienstanweisungen, Dekreten, Ordonanzen, Konzepten und
Gehaltslisten
zahlreiche Bestallungen und Instruktionen ausgewertet hat.
Letztere werden in
einem 100 Seiten umfassenden Quellenanhang in Transkription zur
Verfügung
gestellt.
Methodisch beschreitet Bognár in ihrer architekturhistorischen
Dissertation,
die an der Fakultät für Architektur- und Stadtplanung an der
Universität Stuttgart
eingereicht wurde, ungewöhnliche Wege: Neben kunst- und
architekturgeschichtlichen Ansätzen wie dem umfangreichen
Quellenstudium sowie
philologischen Methoden zur Begriffsdefinition wertet Bognár
empirisch nach
sozialwissenschaftlichen Fragestellungen 409 Architektenbiografien
aus, um
hierdurch quantitative Aussagen zu gewinnen.[2] Gestützt auf diese
Datenbasis bildete sie
sieben so genannte Kohorten in Generationenabschnitten von je 25
Jahren. Anhand
dieser Daten kann die Autorin konkrete Aussagen beispielsweise
hinsichtlich der
Frage treffen, wie viele Architekten aus Familien stammten, in
denen der Vater
bereits im Bauhandwerk tätig oder bei Hof angestellt war. Diese
Vorgehensweise
ermöglicht es Bognár die Biografien der verschiedenen Entwerfer,
die über
unterschiedliche Wege zum Architektenberuf gelangten, nach
allgemeinverbindlichen Kriterien auszuwerten und miteinander
systematisch zu
vergleichen. Die Auswertungen werden in den Kapiteln jeweils in
tabellarischer
Form abgedruckt und im Text kontextualisiert. Die einzelnen
Ergebnisse zur
Ausbildung und Berufsausübung der Architekten nach Kohorten finden
sich
abschließend pointiert in dem Kapitel „Musterhafte Karrieren“ im
Resümee
zusammengefasst.
Bognárs methodische Vorgehensweise und ihre inhaltliche
Fragestellung stellen
in mehrfacher Hinsicht ein Novum in der Forschung dar. Die Autorin
identifiziert eine Vielzahl von Berufen, die wir heute als
Architekten fassen,
und ermöglicht anhand der ausgewerteten Biografien einen Einblick
in die
Lebensläufe von Personen, die diesem Beruf nachgingen. Durch ihren
innovativen
methodischen Zugang der quantitativen Analyse werden die
verschiedenen
Karrierewege erstmals aufgearbeitet und vergleichbar gemacht,
wodurch sich die
Entwicklung des Berufsbildes des Architekten in der Frühen Neuzeit
nun
nachvollziehen lässt. Das große Verdienst der Autorin ist es
hierbei,
konsequent den kompletten Zeitraum der Frühen Neuzeit zu
untersuchen, womit
auch die vermeintlich architekturarme Zeit des Dreißigjährigen
Krieges
mitberücksichtigt wird. Geschickt bindet Bognár in ihrer Analyse
immer wieder
Rückbezüge zwischen den Architektenkarrieren und der Entwicklung
der Epochen
(Spätmittelalter, Renaissance, Dreißigjähriger Krieg, Barock,
Frühklassizismus)
sowie den relevanten zeitgenössischen architekturhistorischen
Themen (z.B.
Festungsarchitektur) ein. Das umfangreich erhobene Quellenkorpus
wird in dem
umfassenden Anhang übersichtlich aufbereitet, was den Leser:innen
ein
systematisches Weiterarbeiten mit dem Material erlaubt.
In ihrer Arbeit betrachtet Bognár handwerkliche und akademische
Ausbildungswege
sowie die Arbeit des Architekten im städtischen und höfischen
Umfeld. Die
Fokussierung auf den Architekten in den meist an Höfen situierten
Bauämtern
(Kapitel 3) widerspricht dem nicht, sondern spiegelt die
Arbeitsrealität des
zunehmend um Professionalisierung und Anerkennung seiner Position
bemühten
Architekten in der Frühen Neuzeit wider.[3] Bognárs in der Einleitung
gestellte
Frage, „ob der moderne Architekt dem höfischen oder städtischen
Raum“
zuzuordnen ist und „ob er der akademischen oder der handwerklichen
Ausbildung
entspringt“ (S. 13), lässt sich mit diesem
Professionalisierungsprozess
beantworten (Kapitel 4.3). Er führte zu einer Kompetenzentwicklung
und
-erweiterung, die zunehmend nicht mehr durch die zünftische
Ausbildung erfolgen
konnte. Dadurch verloren die Handwerker die Chance, entsprechende
Stellen in
den Bauämtern zu erhalten, und wurden von akademisch gebildeten
Personen
verdrängt. Hier wäre eine Einbindung der aktuellen
künstlersozialgeschichtlichen Forschung wünschenswert gewesen, die
sich jüngst
unter ähnlichen Fragestellungen mit der Berufsgruppe des Malers
auseinandergesetzt hat. Leider fehlen entsprechende Hinweise auf
diesen
wichtigen methodischen Ansatz und weitere Vergleichsbeispiele.[4]
Bognár schließt mit ihrer Dissertation für den Architektenberuf
eine wichtige
Lücke in der sozialhistorischen und künstlersozialgeschichtlichen
Forschung.
Erstmals wird hier der Architektenberuf als sozial- und
kulturhistorisches
Phänomen in einer umfangreichen Arbeit, die zahlreiche Quellen
zugänglich
macht, umfassend erforscht. Damit ergänzt sie sinnfällig die
Arbeiten, welche
in den letzten Jahren zur Ausbildung und Berufsausübung des Malers
bei Hof und
in der Zunft in der Frühen Neuzeit im Alten Reich erschienen sind.
Anmerkungen:
[1] Verwiesen sei hier
exemplarisch auf die
zahlreichen Projekte, die in der Trierer Arbeitsstelle für
Künstlersozialgeschichte an der Universität Trier unter der
Leitung von Prof.
Dr. Dr. Andreas Tacke umgesetzt worden sind. Unter den zahlreichen
Publikationen sind zu nennen: für die Hofkünstler Jens Fachbach,
Hofkünstler und
Hofhandwerker am kurtrierischen Hof in Koblenz/Ehrenbreitstein
1629–1794,
Petersberg 2017, sowie Andreas Tacke u.a. (Hrsg.), Hofkünstler und
Hofhandwerker in deutschsprachigen Residenzstädten der Vormoderne,
Petersberg
2017; und zu den Künstlern als Zunfthandwerkern die Quellenedition
von Andreas
Tacke u.a. (Hrsg.): Statuta pictorum. Kommentierte Edition der
Maler(zunft)ordnungen im deutschsprachigen Raum des Alten Reiches,
5 Bde.,
Petersberg 2018, sowie die zahlreichen von Andreas Tacke, Birgit
Münch und anderen
herausgegebenen Bände aus der Schriftenreihe „Kunsthistorisches
Forum Irsee“,
die sich mit Künstler:innen, Künstlerhäusern, Künstlerfesten,
Künstlerreisen
usw. auseinandersetzen.
[2] Die Auswahl der
Architektenbiografien
erläutert Bognár auf S. 25f. Eine Auflistung der ausgewerteten
Architekten,
ihre Zuordnung zu einer Kohorte und der Literaturverweis auf die
Biografie
finden sich im Anhang auf S. 490–501.
[3] Dies begründet auch die
Aufnahme des Buches
in die Reihe der „Schriften und Materialien des Rudolstädter
Arbeitskreises zur
Residenzkultur“, da die Analyse der Tätigkeit des Architekten im
höfischen
Umfeld gerade für die Residenzenforschung einen großen Mehrwert
liefert.
[4] Siehe Anm. 1.
Zitation
Marina Beck: Rezension zu: Bognár, Anna-Victoria: Der Architekt in
der Frühen
Neuzeit. Ausbildung – Karrierewege – Berufsfelder. Heidelberg
2020: ISBN 978-3-947732-78-4, , In: H-Soz-Kult,
22.03.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-93248>.
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