Guten Abend,
eben komme ich von einem Tagesausflug nach Luxemburg (1 Stunde
entfernt)
zurück. Heute ist Sonntag, 14. November, der diesjährige
Volkstrauertag, an dem
überall in Deutschland der Opfer aller Kriege und
Gewaltherrschaften gedacht
wird. Das findet bei uns traditionell auf den Friedhöfen in der
Sektion statt,
wo die Toten der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts ruhen.
Seit vielen Jahren fahre ich zusammen mit meinem Freund Hermann
Scheid, der in
den letzten Monaten des 2. Weltkriegs selbst noch Soldat war, nach
Luxemburg.
Auf dem deutschen Friedhof in Sandweiler unweit des Luxemburger
Airports liegt
ein Bruder seiner Schwägerin begraben. Albert Nilles wurde 1920 in
Oberthal
geboren und starb am 15. Februar 1945 nicht sehr weit von seinem
Heimatort
entfernt. Hermann Scheid fährt am Volkstrauertag immer nach
Sandweiler zu
diesem Grab, um für seinen Bruder zu trauern, der 1945 irgendwo in
Pommern
gefallen ist und dessen Grab bis heute unentdeckt geblieben ist.
Wir fahren morgens los, überqueren nahe der uralten Stadt Trier
die Mosel und
nehmen hinter der Grenze unser Mittagessen ein. Das ist eine gute
Gelegenheit
zum günstigen Tanken, denn in Luxemburg kostet das Benzin bis zu
20 Cent
weniger als in Deutschland (heutiger Preis: 1.52 Euro pro Liter,
zuhause kostet
das Benzin fast 1.80 Euro pro Liter). Normalerweise essen wir dort
in der Nähe
zu Mittag, aber das ging heute nicht, weil das Restaurant
abgerissen wurde und
gerade neu gebaut wird. Also fuhren wir weiter und fanden im Ort
Sandweiler
nicht weit des Friedhofs ein italienisches Restaurant, wo wir sehr
gut
speisten.
Die Zeremonie hier in Luxemburg besteht aus zwei Teilen. Erst wird
am
amerikanischen Militarfriedhof, wo auch General George Patton jr
seine letzte
Ruhestände gefunden hat, durch den deutschen Botschafter, einen
Vertreter der
luxemburgischen Regierung und des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge
ein Kranz
niedergelegt. Eine halbe Stunde später beginnt dann in Sandweiler
(etwa 1
Kilometer entfernt) die deutsche Veranstaltung.
Wir kamen um kurz nach 13 Uhr zum amerikanischen Friedhof. Durch
das
schmiedeeiserne Tor gelangt man zu einer riesigen Rotunda, in
deren Mitte ein
großer Turm steht, das Ehrenmal in Form einer Kapelle. Sein
Eingang liegt einem
großen Platz gegenüber, der von großen Quadern flankiert wird, auf
deren
Innenseiten die Kämpfe des letzten halben Kriegsjahres dargestellt
sind, soweit
sie amerikanische Einheiten betrafen. Dort bleiben wir immer
stehen und
betrachten die Pfeile der 10th Armored und der 80th Infantry
Division, die im
März 1945 unsere unmittelbare Heimat eroberten. Sie gehörten beide
zum XX Corps
der Third Army, die unter dem Kommando von General Patton das
sogenannte
Saargebiet besetzten. Auf den Außenseiten sind die Namen, die
Dienstgrade und
die Truppenzugehörigkeit von 371 vermissten Soldaten eingraviert.
Auf dem weiten sanften Hang dahinter stehen in neun Abteilungen
die Monumente
der 5076 Gefallenen. Die meisten sind Grabkreuze, aber es finden
sich auch
viele Davidssterne darunter. 101 Gräber wurden für nicht
identifizierte
Gefallene errichtet. (https://www.abmc.gov/Luxembourg). Wir kamen
gerade
rechtzeitig für die Zeremonie, weshalb wir auf den schon fast
obligatorischen
Besuch des Grabs von General Patton verzichten mußten.
Die drei genannten Männer schritten die langen Stufen zur Kapelle
hinauf und
nahmen vor einem riesigen Gedenkkranz Aufstellung. Die Vertreter
der deutschen
Bundeswehr - alle in Uniform - nahmen Haltung an und legten die
Hand zum
militärischen Gruß an die Schläfe. Wir nahmen die Kopfbedeckungen
ab, und der
Trompeter - er ist Luxemburger und spielt hier seit mehr als 27
Jahren -
intonierte „taps“. Wie immer waren nicht viele Leute hier,
vielleicht 20
Personen. In zehn Minuten war die Zeremonie vorbei, und wir
schlenderten zum
Auto zurück und fuhren nach Sandweiler.
Während der amerikanische Friedhof allein durch seinen perfekt
gepflegten Rasen
und die marmornen Grabmonumente ein wirklich toller Anblick ist,
wirkt der
deutsche Friedhof in Sandweiler im Gegensatz dazu düster und
trist. Vom
Parkplatz spazierten wir einen Waldweg entlang zum Haupteingang,
der stets wie ein
grauer Bunker wirkt. Vor der Tür wartete heute eine junge Frau,
die
unsere Impfpässe überprüfte, denn auf den Friedhof durfte heute
nur, wer geimpft oder
genesen war. Hier wurdedie 2G-Regelung genau kontrolliert. Durch
das Dunkel des
Eingang betraten wir den engen Innenhof, der einen Blick auf das
gesamte Feld
der 10913 Gräber deutscher Wehrmachtssoldaten gibt, die hier
ruhen. Sandweiler
war die erste Kriegsgräberstätte, die nach dem Zweiten Weltkrieg
im Ausland
angelegt wurde.
Der amerikanische Gräberdienst bestattete dort 5599 deutsche
Gefallene aus den
Kämpfen des Frühjahres 1945 in mehreren Blocks zu 300 Gräbern.
Entsprechend
eines Abkommens zwischen Luxemburg und Deutschland bettete der Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge weitere 5286 Gefallene aus 150
luxemburgischen
Gemeinden ebenfalls dort hinzu, teilweise aus Massengräbern
geborgen. Der amerikanische Friedhof hat für jeden einzelnen
Soldaten ein
einzelnes Monoment. In Sandweiler gibt es ausschließlich Kreuze
aus Naturstein,
die auf beiden Seiten mit bis zu sechs Namen beschriftet sind.
4829 Tote liegen
in einem Gemeinschaftsgrab, von denen 4014 namentlich zugeordnet
werden
konnten, d.h. 815 sind unbekannt.
Erst vor kurzen wurden in einem Massengrab im Norden Luxemburgs
Überreste
deutscher Soldaten entdeckt, deren Identität nicht festgestellt
werden konnten.
Sie wurden heute während der Zeremonie bestattet. Der Botschafter
sagte in
seiner Ansprache sinngemäß: „Kein Name wird vermerkt, kein
Angehöriger
benachrichtigt. Keine Suche findet ein Ende.“
Der Besucher waren weniger geworden in den letzten Jahren. Ich
kann mich an
einen katholischen Geistlichen und einen jüdischen Rabbi erinnern,
die hier
gesprochen hatten. Den Jugendchor eines deutsch-luxemburgischen
Gymnasiums, die
lange Jahre von ihrem Lehrer begleitet hier sangen. An helle und
dunkle Tage, trockene und regennasse. Und daran, daß wir während
meiner ersten
Besuche stets jenseits der Straße im Industriegebiet parken
mußten, weil hier
längst alle Parkplätze belegt waren. Im letzten Jahr waren wir
auch hier
gewesen, obwohl die offizielle Veranstaltung wegen Corona
ausgefallen war.
Der Botschafter eröffnete die Veranstaltung mit einer Rede, die
nicht selten
weh tat. Er zählte gleich zu Beginn die Orte auf der Welt auf, in
denen heute
noch oder wieder gekämpft wird. Dabei sollen doch Orte wie dieser
dazu
ermahnen, daß das Kämpfen aufhört. Ihm folgte ein protestantischer
Pfarrer, dem
es gelang, in allen dem Chaos aus Blut und Tränen auch Worte der
Hoffnung zu
finden. Währendessen spielte der Trompeter mehrere Lieder, deren
Titel mir
nicht bekannt sind. Klagende Weisen.
Soldaten der deutschen Bundeswehr - darunter eine Frau (ich sah
nie zuvor eine
junge Frau im Grau des deutschen Heeres - als ich damals diente,
bestand die
Bundeswehr noch aus lauter Männern) - trugen den Kranz den langen
Weg hinauf
zum Ehrenmal, wo die toten Soldaten beerdigt wurden. Wir Besucher
trotteten
hinterdrein; der Trompeter spielte eine Version von Amazing Grace.
Ich achtete
auf meinen Begleiter, der mit seinen 93 Jahren einer der ältesten
Teilnehmer
war und schon seit über 30 Jahren immer am Volkstrauertag
hierkommt. Wir
blieben auf halber Strecke stehen und beobachten das Geschehen
oben am Ehrenmal.
Die sterblichen Überreste wurden eingebettet, der Geistliche
stimmte das „Vater
unser“ an. Dann spielte der Trompeter sein letztes Stück, das über
200 Jahre
alte deutsche Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“, womit die
Zeremonie offiziell
zu Ende war. Während die Teilnehmer zum Eingangsbereich
zurückströmten, um bei
Kaffee und Tee (und leckerem Kuchen) noch ein wenig zu plaudern,
widmeten
Hermann und ich uns der alljährlichen Suche nach Albert Nilles’
Grab. Irgendwo
rechts oben oder in der Mitte. Einer von zwei Namen. Früher stand
dort mal ein
Baum, aber schon lange nicht mehr. Diesmal würden wir ihn sicher
direkt finden.
Nun - wie im letzten Jahr - kapitulierte ich vor der schier
endlosen Masse an
Gräbern, ging zum Eingangsbereich, wo ich in den beiden
Gefallenbüchern die
Position nachschaute: Sektion J, Grab 135. Dort lag er natürlich,
wie schon
seit über 70 Jahren. Ich überließ Hermann seinen Gedanken und
Erinnerungen an
die beiden Männer, den einen hier im Grab und den anderen irgendwo
auf der
anderen Seite der Republik, beide schon mehr als 75 Jahre tot. Er
schlug ein
letztes Kreuzzeichen über dem Grab, dann gesellten wir uns zu den
anderen. Der
Punsch war ohne Alkohol und nicht wirklich heiß, aber schmeckte
richtig gut.
Und der Kuchen erst.
Wir trafen unseren alten Freund Bodo Bost, der uns zu einer Tasse
Kaffee einlud. Nach einigen guten Gesprächen fuhren wir über Trier
wieder
nachhause in Saarland. Mit der festen Absicht, nächstes Jahr
wiederzukommen.
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https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kriegsgr%C3%A4berst%C3%A4tte_Sandweiler
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