"Ich weiß nicht, wer wahr sagt, wer lügt". Fake News und ihre
kulturelle Aushandlung im europäischen Mittelalter
Veranstalter Marcel Bubert / Pia Claudia Doering (Exzellenzcluster
"Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation")
Ausrichter Exzellenzcluster "Religion und Politik. Dynamiken von
Tradition
und Innovation"
Veranstaltungsort Münster
Vom - Bis
01.07.2021 - 02.07.2021
Deadline 30.06.2021
Von Marcel Bubert, Universität Münster, Historisches Seminar
Die Tagung untersucht "Fake News" als Phänomene kultureller
Aushandlung im europäischen Mittelalter aus geschichts- und
literaturwissenschaftlicher Perspektive.
Die Diagnose des ‚postfaktischen Zeitalters‘ sowie die Wahrnehmung
einer
neuartigen Bedrohung durch scheinbar unkontrollierbare Fake News
sind zentrale
Elemente gegenwärtiger gesellschaftlicher Selbstbeschreibung.
Sowohl der
digitale Medienwandel, der die Emergenz fragmentierter
Teilöffentlichkeiten
begünstigt, als auch die Expansion eines ‚postmodernen‘
Relativismus wurden
dafür verantwortlich gemacht. Die Frage, wie einschneidend und
historisch
‚neuartig‘ sind diese Entwicklungen tatsächlich sind, ist jedoch
nach wie vor
umstritten.
Auf der Tagung möchten wir aus geschichts- und
literaturwissenschaftlicher
Perspektive der Frage nachgehen, ob oder inwieweit sich analoge
Konstellationen
während des europäischen Mittelalters beobachten lassen. Dabei
sind zunächst
die ganz unterschiedlichen Kommunikationsbedingungen der
Zirkulation von
(falschen) Nachrichten in Rechnung zu stellen. Wie könnte sich ein
der
Gegenwart vergleichbarer Fake News-Diskurs in einer Gesellschaft
formieren, die
viel stärker durch eine Kommunikation unter Anwesenden geprägt
war? Und war
nicht gerade das Mittelalter durch eine statische ‚Ordnung der
Dinge‘ und
religiös begründete Gewissheiten bestimmt, die derartige
Verunsicherungen
verhinderten?
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass in Krisensituationen,
Konflikten und
gesellschaftlichen Umbruchphasen die Aushandlung von
‚(Un-)Wahrheiten‘
spezifische Dynamiken entfalten konnte. Eine Behauptung
anzufechten und
Zeitgenossen davon zu überzeugen, dass diese nachweislich ‚falsch‘
sei, konnte
dazu dienen, Gegner zu delegitimieren und unter Druck zu setzen,
ihrerseits
neue Evidenz zu generieren, welche die Zweifler beschwichtigen
sollte.
Wir wollen daher vorschlagen, Fake News als Phänomene kultureller
Aushandlung
zu begreifen. Folglich soll es nicht darum gehen, Nachrichten zu
identifizieren, die aus heutiger Sicht ‚falsch‘ waren. Vielmehr
soll die Frage
in den Vordergrund treten, unter welchen Bedingungen Geltungs- und
Wahrheitsansprüche in einer Teilöffentlichkeit auf Akzeptanz oder
Ablehnung
stießen. Besondere Aufmerksamkeit wollen wir dabei
sprachlich-rhetorischen
Strategien schenken, wie sie in politischen, religiösen und
literarischen
Texten zur Herstellung von Evidenz für (Schein-)Wahrheiten ebenso
wie zu deren
Infragestellung zum Einsatz kommen.
Die Tagung findet digital statt. Alle Interessierten sind herzlich
willkommen,
sich bis zum 30.06. bei Marcel Bubert (
Kaffeepause
12.15–13.00 Uhr Eine Professionalisierung im Umgang mit Fake News?
Modelle für
den Umgang mit Falschmeldungen in den Briefstellern des 12. und
13.
Jahrhunderts (Florian Hartmann, Aachen)
Mittagspause
II. Fake News und literarische Evidenzproduktion
14.00–14.45 Uhr "plus desireux de grande, que de bonne
reputation".
Montaignes Reflexion über die Lüge (Karin Westerwelle, Münster)
14.45–15.30 Uhr Malebouche. Textuelle und bildliche Darstellung im
Roman de la
Rose (Luca Tonin, Münster)
Kaffeepause
16.00–16.45 Uhr New Fakes. Evidenzen des Artusromans (Bernd
Bastert und Michael
Ott, Bochum)
16.45–17.30 Uhr Unbestimmtheit. Evidenzstrategien in
mittelalterlichen
Mariendichtungen (Bruno Quast, Münster)
Kaffeepause
18.00–18.45 Uhr Frauen als Fake-News-Produzentinnen? Beobachtungen
an zwei
spätmittelalterlichen Schwänken (Simone Loleit, Duisburg-Essen)
Freitag, 02.07.2021
II. Evidenzproduktion im religiösen und politischen Diskurs
09.15–10.00 Uhr Vertrauenswürdige Glaubenszeugen? Der Streit um
religiöse
Autorität im Umfeld der sogenannten Märtyrer von Córdoba (Wolfram
Drews,
Münster)
10.00–10.45 Uhr Fakten schaffen. Ritualmordanschuldigungen und
making sense
durch antijüdische Ausschreitungen (Cordelia Heß, Greifswald)
Kaffeepause
11.15–12.00 Uhr Ursachenkommunikation während der Pest in
Straßburg (1349)
(Harald Haferland, Osnabrück)
12.00–12.45 Uhr Living with known unknowns: Moral questions about
evidence
gathering and unreliable information from thirteenth century
confessors’
manuals (Emily Corran, London)
Mittagspause
IV. Fake News, Wissens- und Wahrheitsdiskurse
14.00–14.45 Uhr Fake News über das Morgen von gestern? Zu den
Kontroversen über
Anspruch und Aussagemöglichkeiten der Astrologie im späten
Mittelalter (Klaus
Oschema, Bochum)
14.45–15.30 Uhr Verzerrte Bilder: das Politikum ‚Aristoteles‘ in
der
Philosophie und der Literatur des 13. Jahrhunderts Virginie
(Pektaş, Münster)
Kaffeepause
16.00–16.45 Uhr Attendite vobis a falsis prophetis (Mt 7,15) –
Fake News vor
der Ära der social networks (Thomas Wetzstein, Eichstätt)
16.45–17.15 Uhr Schlussdiskussion
Kontakt
Die Tagung findet digital statt. Anmeldung bei:
Marcel Bubert (
"Ich weiß nicht, wer wahr sagt, wer lügt". Fake News und ihre
kulturelle Aushandlung im europäischen Mittelalter. In:
H-Soz-Kult, 31.05.2021,
<www.hsozkult.de/event/id/event-98004>.