Germanenideologie. Einer völkischen
Weltanschauung auf der
Spur
Herausgeber Martin Langebach
Reihe Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung
10589
Erschienen Bonn 2020: Bundeszentrale
für politische Bildung
Anzahl Seiten 208 S.
Preis € 4,50
ISBN 978-3-7425-0589-7
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-59564.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Marcus Coesfeld, Bielefeld
Dieses Thema ist äußerst aktuell. Germanenbilder durchdringen
weite Kreise der
gegenwärtigen Geschichtskultur und sind präsent in den Medien. Auf
Netflix etwa
läuft die Serie „Barbaren“, in der es um die Varus-Schlacht geht.
Diese haben
allein in den ersten vier Wochen bereits über 37 Millionen
Zuschauer gesehen.[1] In Berlin präsentiert das
Museum für Vor-
und Frühgeschichte gerade die Sonderausstellung „Germanen. Eine
archäologische
Bestandsaufnahme“. Da die Ausstellung in die Coronakrise fällt,
lässt sich
zurzeit zwar kaum anhand der Besucherzahlen ablesen, wie groß das
Interesse in
der Öffentlichkeit für das Thema ist, doch deutet sich dieses in
einer großen
medialen Präsenz an. Und während die Ausstellung nicht nur den
aktuellen
Forschungsstand über Germanen wiedergeben will, möchte sie eben
auch mit
falschen Vorstellungen über die Thematik aufräumen.[2] Diese halten sich
teilweise, wie im Band
aufgezeigt wird, sehr hartnäckig.
Auf der Fachtagung „Odins Rückkehr – Ahnenkult und
Rechtsextremismus“[3] erläuterte Christian
Meyer-Heidemann,
Landesbeauftragter für politische Bildung in Schleswig-Holstein,
dass die
extreme Rechte Germanenbilder für zwei Zwecke missbrauche: Erstens
nutze sie
den ideologisch verfärbten Ahnenkult als positives
Identifikationsmittel,
zweitens bringe sie unter ihrem Deckmantel rechtsextremes
Gedankengut in eine
politische Mitte unter. Und genau hierin liegt eine präsente
Gefahr.
Dass Germanen „ein geschichtspolitisches Paradebeispiel für die
Indienstnahme
der Vergangenheit für gegenwärtige oder zukünftige politische
Ziele [sind],
ohne dass es vielen überhaupt bewusst“ ist (S. 9), darauf macht
auch
Herausgeber Martin Langebach in seiner Einleitung aufmerksam. Die
Fragestellungen des Bandes, so Langebach, zielen daher auf den
Ursprung, die
Entwicklung und gegenwärtige Formen der Germanenideologie. Und so
stellt die
Einleitung die folgenden sechs Aufsätze in Aufzeigung der
Zusammenhänge vor.
Mischa Meier erläutert in seinem Beitrag zunächst die Frage, ob es
überhaupt
eine Volksgruppe gegeben hat, die sich als Germanen bezeichnete,
und kommt auf
die durchaus nicht neue Antwort: Wir wissen es nicht, denn die
archäologischen
Funde geben uns keinen Beleg hierfür. Viel mehr spitzt die These,
Cäsar habe
die Germanen „erfunden“, den Fakt zu, dass der Germanenbegriff von
Anfang an
eine römische Fremd- und Sammelbezeichnung für eine Vielzahl
ethnischer Gruppen
gewesen ist.
Aufgrund mangelhaften Wissens über „die Germanen“ dienen ebendiese
seit jeher
als Projektionsfläche eigener Vorstellungen seitens der
Rezipienten. So war es
schon bei den Römern zur Abgrenzung der eigenen Identität – und
dies geschah,
wie Ingo Wiwjorra aufzeigt, insbesondere seit dem 19. Jahrhundert,
als man
durch die Gleichsetzung der Germanen mit dem zur Nation werdenden
Deutschland
eine historische Kontinuität zur Identitätsstiftung konstruierte.
Nationalistisch und rassistisch aufgeladen entstand hier die
Germanenideologie,
auf der die Völkische Bewegung fußen konnte.
Wie sich diese verbreitete, Netzwerke auf- und ausbaute und wie
sie sich
zunehmend radikalisierte, erläutert Uwe Puschner in seinem
Beitrag. Auf dem
Fundament eines teilweise rassistischen und antisemitischen
Gedankenguts
praktizierten einige Anhänger der unterschiedlichen völkischen
Gruppierungen
sogar eine neuheidnisch-religiöse Tiefe, die sich vornehmlich aus
der
nordischen Mythologie speiste und die der Politisierung und
weiteren
Radikalisierung im folgenden Nationalsozialismus den Weg
bereitete.
Wie dann im „Dritten Reich“ viele Archäologen weitestgehend
selbstständig ihre
Forschungen ideologisierten und dem NS-Regime anpassten, zeigt Uta
Halle
kritisch auf. Die Archäologen des SS-Ahnenerbes und des Amtes
Rosenberg
verbreiteten ein Germanenbild, das eine rassische Überlegenheit
der Deutschen
gegenüber anderen Völkern propagierte. Um auch die
Expansionsbestrebungen der
Nazis zu legitimieren, erweiterten die Forscher den
Germanenbegriff auf die
Wikinger und setzten die beiden gleich.
Diese völkisch/nationalsozialistisch geprägten Germanenbilder sind
medial so
umfassend in die Gesellschaft eingeflossen, dass sie in Teilen bis
heute
nachwirken. Miriam Sénécheau spricht von einem „lebendigen Wissen“
(S. 167)
über Germanen, das sich seit 1945 gehalten hat und ab der
Milleniumwende in den
populären Geschichtskulturen als „Germanenboom“ (S. 145) wieder
stärker ablesen
lässt. Dazu skizziert sie, wie teils stark veraltete, aber immer
noch gängige
Germanenbilder in Filmen, Wissensmagazinen und Schulbüchern
transportiert
werden.
Den Macherinnen und Machern in den Mainstream-Medien sei dies
meist gar nicht
bewusst. Sehr bewusst hingegen werden entsprechende Narrative in
der extremen
Rechten verbreitet. Wie und in welchen Organisationsformen dies
geschieht,
stellen schließlich Karl Banghard und Jan Raabe in ihrem Aufsatz
dar. Obgleich
schon die Nationalsozialisten Wikinger zu Germanen machten, wie
Halle aufzeigt,
und dieses Bild auch heute in den Medien zusammengelegt wird, wie
Sénécheau
erläutert, sind Wikinger heute immer noch weniger belastet als
„Germanen“.
Daher nutzt man im rechtsextremen Milieu tendenziell eher das Bild
des
Wikingers als das des Germanen.
Die Autoren des Bandes sind allesamt ausgewiesene Expertinnen und
Experten auf
ihren jeweiligen Gebieten. Ihre Aufsätze geben ihren
Forschungsstand wieder und
bieten daher nicht in erster Linie neue Erkenntnisse, sondern
einen breit
gefächerten Überblick über die Thematik. Sie bauen sinnvoll
aufeinander auf und
ergänzen sich dahingehend, dass sie unterschiedliche Episoden der
Germanenrezeptionsgeschichte von der Römerzeit bis heute unter
unterschiedlichen
Gesichtspunkten beleuchten. Es wird herausgestellt, dass das
Germanenbild seit
jeher eine identitätsstiftende Ebene hatte – zur römischen Zeit
zur Abgrenzung
der Römer von den Völkern jenseits des Rheins, in der Neuzeit zur
Konstruktion
einer nationaldeutschen Kontinuität. Wissenslücken über die unter
dem
Sammelbegriff gefassten Völker wurden seit jeher durch
ideologische Narrative
aufgefüllt und so der eigenen Weltanschauung angepasst. Darum wäre
vielleicht
auch ein Aufsatz wünschenswert gewesen, der die jüngeren und
gegenwärtigen
Perspektive(n) außerhalb des deutschsprachigen Raums näher
beleuchtet: Welches
Germanenbild oder welche Germanenbilder entwickelten sich in den
Geschichtskulturen der Länder, die sich nicht im gleichen Maße wie
die Deutschen
als Nachfolger der Germanen verstehen? Aber auch andere, etwa
komparatistische
oder medienpädagogische Ansätze hätten den Band bereichern können.
Eine
Aufzählung von Perspektiven, aus denen Germanenbilder noch
untersucht werden
müssten und teils ja auch werden, ist aber müßig. Das Thema ist
groß und die
Möglichkeiten sind vielfältig.
Insgesamt bietet der vorliegende Band nicht nur einen breiten
Überblick über
die Geschichte und aktuellen Tendenzen von Germanenbildern,
sondern wird auch
der Intention seines Herausgebers vollkommen gerecht, sich „auf
die Spurensuche
der Germanenideologie“ zu begeben und „entsprechende Bilder“ zu
hinterfragen
(S. 11). Dadurch sensibilisiert er in recht kompakter Weise dafür,
welche
politischen Dimensionen hinter scheinbar unpolitischen Narrativen
stehen
können.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Deutsche Serie
"Barbaren"
stellt Netflix-Rekord auf, in: Süddeutsche Zeitung, 20.11.2020, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/medien-deutsche-serie-barbaren-stellt-netflix-rekord-auf-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201120-99-404452
(20.12.2020).
[2] Vgl. Michael Schmauder /
Matthias Wemhoff,
Einleitung, in: Gabriele Uelsberg / Matthias Wemhoff (Hrsg.),
Germanen. Eine
archäologische Bestandaufnahme. Begleitband zur Ausstellung,
Berlin 2020, S.
14.
[3] Diese fand vom 14. bis 15.
Dezember 2020
Corona-bedingt online statt, vgl. https://ahnenkult-und-rechtsextremismus.de
(20.12.2020).
Zitation
Marcus Coesfeld: Rezension zu: Langebach, Martin (Hrsg.):
Germanenideologie.
Einer völkischen Weltanschauung auf der Spur. Bonn 2020. ISBN 978-3-7425-0589-7, In: H-Soz-Kult,
29.01.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-93832>.
Copyright (c) 2021 by H-NET, Clio-online and H-Soz-Kult, and the
author, all
rights reserved. This work may be copied and redistributed for
non-commercial,
educational purposes, if permission is granted by the author and
usage right
holders. For permission please contact
|