Guten Abend,
seit ein paar Jahren übertrage und übersetze ich für eine
Amerikanerin aus dem
Staate Washington Briefe, die ihre Vorfahren im und gegen Ende des
Zweiten
Weltkrieges aus Deutschland erhalten haben.
Bei der letzten Ladung ist ein Brief, den "Cousine Emmy" aus
Hamburg am 3.
Februar 1948 an ihre Cousinen und ihre Tante in Californien
geschrieben hat.
Meines Wissens haben sich die Briefschreiberin und ihre
Verwandtschaft
zumindest bis dahin nie getroffen.
Diesen Brief möchte ich Euch zum Lesen geben, weil es darin um die
Zusammensetzung von Care-Paketen sowie um Lebensmittelrationen im
Nachkriegsdeutschland geht.
„Hamburg den 3. Februar 1948
Liebe Cousinen, liebe Frau Hendel!
Es ist stets eine Freude für uns, wenn von Euch ein so schönes
Paket kommt. Wir
danken Euch herzlich dafür. Leider kam es dieses Mal beschädigt
an. Was nun
herausgenommen worden ist, wissen wir ja nicht. Aber die Not ist
ja zu groß. So
wollen wir Euch wenigstens schreiben, was noch darin war. 1 Dose
Kaffee, 1
Paket Pflaumen und 1 Paket Reis, 1 Tüte Zucker, 2 Paar Schuhe, 1
Kleid rot, 1
Kleid dunkelblau, 1 Mantel, 2 Blusen, 1 Schlafanzug, 1
Wäschegarnitur, 1
Knabenbluse. Unsere Post hat es nachgewogen und es fehlten circa 2
Pfund.
So wisst Ihr wenigstens, was genommen wurde. Ganz unversehrt waren
die
Säcke, welche Ihr uns mal geschickt habt, da können Sie nicht so
leicht dabei
kommen.
Wie geht es sonst bei Euch? Habt Ihr die Weihnachtstage gut
verlebt? Und seid gut
ins neue Jahr gekommen? Habt Ihr unseren Weihnachtsbrief erhalten?
Bei uns war
alles so still und so traurig. Wir haben uns einen Kuchen
gebacken, natürlich
ohne Fett, und von Eurem Kaffee dazu getrunken. Am Sylvester waren
Mutter und
ich alleine, und was war es sonst bei uns für ein Leben. Und unsre
Gedanken
gingen immer auf frühere Jahre zurück. Wie schön es bei uns war.
Aber wir
müssen uns in das Unvermeidliche fügen. Wir leben nur noch von
Erinnerungen. Augenblicklich sind unsere Zuteilungen sehr gering,
in der
letzten Zuteilungsperiode bekamen wir 150 Gramm Fett, 400 Gramm
Fleisch, ein
Pfund Zucker, mit Brot 10000 Gramm kommen Mutter und ich aus,
Nährmittel 2 1/2
Pfund, dann etwas Fleisch und 62,5 Gramm Käse, dieses ist für 4
Wochen
berechnet. In der 1. Periode gibt es nur 9000 Gramm Brot, Fleisch
und Fett noch
weniger und dafür etwas mehr Zucker, wir müssen uns damit
abfinden, es hilft ja
alles nichts. Wenn wir nur Milch bekämen, um uns jeden Tag eine
Milchsuppe zu
machen, aber auch das nicht mal. Allerdings gibt es etwas trocken
Milch, aber
auch nur sehr wenig. Nun habt Ihr so ungefähr einen Überblick über
unsere Ernährung, und wir freuen uns sehr, wenn ein Paket von Euch
was schönes
enthält.
Mutter geht es gesundheitlich so einigermaßen. Auch haben wir
bisher in diesem
Winter nicht frieren brauchen, der Winter war bisher überaus
milde. Wir hatten
nur einige kalte Tage.
Wie war der Winter bei Euch, habt Ihr auch Frosttage gehabt?
Nun nochmal herzlichen Dank für alles Schöne.
Es grüßen Euch recht herzlich
Eure Tante Luise und Cousine Emmy.“
Bleibt gesund.
Roland Geiger
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