Woodrow Wilson. Amerika und die Neuordnung der
Welt
Autor Berg, Manfred
Erschienen München 2017: C.H.
Beck Verlag
Umfang 277 S.
Preis € 13,99
ISBN 978-3406707780
Rezensiert für H-Soz-Kult von Richard
Rohrmoser,
Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Universität Mannheim
Am 7. Mai 1915 versenkte die deutsche Flotte das britische
Passagierschiff RMS
Lusitania vor der Südküste Irlands. Unter den insgesamt 1.198
Toten befanden
sich auch 128 US-BürgerInnen, doch trotz des rhetorischen
Säbelrasselns einiger
US-Politiker erklärte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson
erhaben:
„There is such a thing as a man being too proud to fight. There is
such a thing
as a nation being so right that it does not need to convince
others by force
that it is right.“[1] Nachdem das Deutsche
Kaiserreich im
Februar 1917 den zwischenzeitlich eingeschränkten U-Boot-Krieg
jedoch erneut
eskalieren ließ, schlug schließlich auch der US-Präsident
interventionistischere Töne an und begründete den Kriegseintritt
der USA mit
dem Diktum: „The world must be made safe for democracy. Its peace
must be
planted upon the tested foundations of political liberty.“[2]
Ebenso widersprüchlich wie diese beiden Statements sind, ist seit
jeher auch
die historische Bewertung des Politikers Woodrow Wilson. Für die
einen stellt
der Pionier des Völkerbundes einen „weitsichtigen Realisten“ dar,
für die
anderen war er lediglich ein „weltfremder Idealist, der die innen-
und
außenpolitischen Realitäten ignorierte und so selbst dazu beitrug,
dass seine
Vision einer Neuordnung der Welt scheiterte“ (S. 10).[3] In seiner 2017
erschienenen Biographie
über Wilson schildert der Heidelberger Historiker Manfred Berg in
sehr
flüssigem Stil nicht nur den Lebenslauf des 28. US-Präsidenten. Er
entwirft
ferner ein differenziertes Bild dieser „Schlüsselfigur der
Weltpolitik“ (S. 9),
indem er von dichotomen und simplifizierenden Erklärungsansätzen
absieht und
stattdessen jenseits von Schwarz-Weiß-Bewertungen die Grautöne
sucht und
auskonturiert.
In den ersten drei von insgesamt sieben Kapiteln beschreibt Berg
zunächst
Wilsons Kindheit und frühes Erwachsenenalter – seine
strikt-religiöse
Sozialisation in den US-Südstaaten, das Studium in Princeton und
die Promotion
in Baltimore – sowie seine rasante Karriere zum Universitätsrektor
(1902),
Gouverneur von New Jersey (1910) und schließlich seine Wahl zum
Präsidenten der
USA (1912). Anschließend verweist der Autor anschaulich auf die
Ironie des
Schicksals, wonach Wilson als „Bannerträger des Progressivismus“
(S. 57) die
Nation in erster Linie innenpolitisch strukturell reformieren
wollte, dass
jedoch der Konflikt in Europa schon bald den Fokus des Präsidenten
auf außenpolitische
Entwicklungen lenkte. Das fünfte Kapitel thematisiert, wie Wilson
dem Eintritt
der USA in den Ersten Weltkrieg – nolens volens – „einen
historischen Sinn und
ideelle Ziele geben“ und in der Tradition des amerikanischen
Exzeptionalismus
„nationale Interessen mit universalen Prinzipien verbinden“ musste
(S. 119). In
den letzten beiden Kapiteln schildert Berg das unermüdliche
Engagement des
US-Präsidenten auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 für eine
liberal-demokratische Nachkriegsordnung und die Gründung des
Völkerbundes,
wofür er später den Friedensnobelpreis verliehen bekam, auch wenn
die USA der
zwischenstaatlichen Organisation selber letztlich nie beitraten.
Schlussendlich
resümiert der Epilog die ambivalente historische Bewertung
Wilsons, die im
Laufe der Geschichte ein äußerst breites Spektrum abdeckte[4]: Von radikaler
Diskreditierung seiner
Person in einer (neo)isolationistischen Phase der USA in den
1920er/30er-Jahren
über eine Rehabilitierung seiner Visionen nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges
und der Gründung der Vereinten Nationen bis zu einer fatalen
Re-Interpretation
seiner Doktrin des „liberalen Internationalismus“ durch die
Neokonservativen zu
Beginn des 21. Jahrhunderts.
Das Besondere an der ersten deutschsprachigen Biographie über
Woodrow Wilson
seit 1971[5] ist die Tatsache, dass
Berg nicht einfach
seine Interpretation der Geschichte diktiert, sondern dem
Lesepublikum oftmals verschiedene
plausible Erklärungsansätze und Lesarten zu diversen
Forschungskontroversen
anbietet, sodass sich dieses jeweils selbst ein Urteil dazu bilden
kann.
Beispielsweise stellt der Historiker ausführlich zur Diskussion,
ob Wilson als
„kühler Machtpolitiker den Krieg nutzen [wollte], um Amerika zum
globalen
Schiedsrichter und Hegemon zu machen“, oder ob er vielmehr als
„naiver Idealist
der diplomatischen Herausforderung der Neutralität nicht gewachsen
[war] und
sich von den geschickt taktierenden Alliierten in einen Krieg
verwickeln ließ,
in dem gar keine vitalen amerikanischen Interessen auf dem Spiel
standen?“ (S.
90f.). Ebenso differenziert Berg etwa in der jüngst erneut
kontrovers
diskutierten Frage über Wilsons Position zur Segregation. Er kommt
dabei zu der
Einschätzung, dass der 28. US-Präsident zwar keiner der
Scharfmacher seiner
Zeit war, die „Schwarze als tödliche Gefahr für die
angelsächsische
Zivilisation diffamierten und die Lynchjustiz öffentlich
rechtfertigten“, dass
er jedoch einen „typischen Vertreter der weißen paternalistischen
Elite“
darstellte und durchaus als Rassist zu bewerten sei (S. 78).
Basierend auf den 69 Bänden der Papers of Woodrow Wilson, die
neben
öffentlichen auch private Korrespondenzen des Präsidenten
dokumentieren, versucht
der Autor des Öfteren, richtungsweisende Entwicklungen im Leben
Wilsons – im
Positiven wie im Negativen – durch einige seiner stark
ausgeprägten
Charaktereigenschaften wie etwa Idealismus, Prinzipientreue und
Starrsinn zu
erklären. Insofern hätten auch dessen enorme Gewissenskämpfe
bezüglich des
Kriegseintritts der USA im Jahr 1917 noch etwas detaillierter
beschrieben
werden können; besonders aufschlussreich wäre dazu beispielsweise
der
Schriftverkehr zwischen dem Präsidenten und seinem
außenpolitischen Berater
Edward M. House oder seiner zweiten Ehefrau, Edith White Bolling
Galt Wilson.
Der Autor setzt sich jedoch erklärtermaßen nicht zum Ziel, dieses
Buch auf eine
Stufe mit etlichen wesentlich voluminöseren Publikationen in
englischer Sprache[6] zu stellen; stattdessen
will Berg dem
deutschen Publikum vor allem in relativ konzentrierter Form
schildern, weshalb
Woodrow Wilson zu den wichtigsten US-Präsidenten der Geschichte
und zu den
prägenden Figuren des 20. Jahrhunderts zählt (S. 16). Diesem
Anspruch wird
dieses sehr lesenswerte Buch zweifellos gerecht.
Anmerkungen:
[1] Woodrow Wilson, „An Address
in Philadelphia
to Newly Naturalized Citizens“, in: Arthur S. Link (Hrsg.), The
Papers of
Woodrow Wilson, Vol. 33, 17. April – 21. Juli 1915, Princeton
1980, S. 149.
[2] Woodrow Wilson, „An Address
to a Joint
Session of Congress“, 2. April 1917, in: Arthur S. Link (Hrsg.),
The Papers of
Woodrow Wilson, Vol. 41, 24. Januar – 6. April 1917, Princeton
1980, S. 525.
[3] Lloyd E. Ambrosius, „Legacy
and Reputation“,
in: Ross A. Kennedy (Hrsg.), A Companion to Woodrow Wilson,
Malden, MA 2013, S.
569–587.
[4] Die enorme Bandbreite an
historischen
Bewertungen von Woodrow Wilson lässt sich im Kern vor allem durch
eine These
der folgenden Publikation begreifen: William Appleman Williams,
Tragedy of
American Diplomacy, Cleveland 1959. Für den Historiker der New
Left stellt
Wilson ein Paradebeispiel für eine tragödische US-Außenpolitik
dar, die zwar
friedlich konzipiert worden sei, bei ihrer Realisierung jedoch
oftmals
kriegerische Konflikte und Unterdrückung zur Folge hatte.
[5] Klaus Schwabe, Woodrow
Wilson. Ein
Staatsmann zwischen Puritanertum und Liberalismus, Göttingen 1971.
[6] Siehe etwa: John Milton
Cooper, Jr., Woodrow
Wilson. A Biography, New York 2009.
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