Weihnachtliches
Theater. Zur Entstehung und Geschichte einer bürgerlichen
Fest- und
Theaterkultur
Autor: Schmidt, Laura
Erschienen Bielefeld 2017: Transcript
– Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Umfang 396 S.
Preis € 39,99
ISBN 978-3-8376-3871-4
Rezensiert für H-Soz-Kult von Christoph Schlemmer, Insitut für
Neuere
Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen
Alle Jahre wieder diskutiert die Öffentlichkeit die
fortschreitende
Kommerzialisierung und Profanisierung von Weihnachten. Laura
Schmidt
veranschaulicht in ihrer 2016 angenommenen Münchner
Dissertation, dass besagte
Tendenzen und Kritik daran bereits im 19. Jahrhundert teils
erstaunliche
Ausmaße annahmen. Dabei gliedert die Absolventin der
Bayerischen
Theaterakademie diese Debatten in den historiographisch bisher
wenig beachteten
Kontext weihnachtlicher Theater- und Festkultur ein.[1]
Schmidt analysiert „Weihnachtliches Theater“ als Teil einer
dezidiert
bürgerlichen Festkultur und geht von zwei Annahmen aus:
Erstens entwickelte
sich Weihnachten seit Ausgang des 18. Jahrhunderts zu einem im
privaten Rahmen
begangenen Familienfest. Zweitens etablierte sich das Theater
zeitgleich als
ein „Leitmedium bürgerlicher Kultur“ (S. 11). Diese beiden
Entwicklungslinien
zusammenzuführen und Reaktionen des Theaters in Deutschland
auf eine sich
wandelnde Festkultur zu untersuchen, ist Schmidts erklärtes
Ziel. Darüber
hinaus erörtert sie, wie weihnachtliches Theater in
zeitgenössische Diskurse
und die Phänomene „Privatisierung“ und „Säkularisierung“
einzuordnen ist, wobei
sie die These aufstellt, die Theatergeschichte des 19. und
frühen 20.
Jahrhunderts lege den Wandel im „Verhältnis von Kirche,
Religion und
Gesellschaft in der Moderne“ besonders evident zutage (S. 17).
Als
Untersuchungsgegenstand macht Schmidt Werke und deren
Aufführungsformen in
Deutschland, die Weihnachten zum Anlass oder Gegenstand haben,
zwischen Ende
des 18. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg, aus. Als
Quellen dienen ihr
Stücktexte, Zeitungsartikel, Spielpläne sowie volkskundliche
Abhandlungen.
Die Arbeit gliedert sich in neun Kapitel, wobei der Einleitung
und einem
Kapitel über „das Weihnachtsfest im späten 18. und 19.
Jahrhundert“ (S. 19)
sechs Analysekapitel und ein Resümee folgen. Schmidt
erarbeitet im
Vorlaufkapitel zunächst ein Bild bürgerlicher Festpraxis mit
Heiligabend als cultural
performance im Zentrum, dem Wohnzimmer als Ort und dem
24. Dezember als Zeitpunkt
einer privatisierten Feier, während die Vorweihnachtszeit
öffentlich blieb. Die
zentralen Akteure waren Eltern und Kinder, wobei erstere die
Zeit nutzen
konnten, „ein bürgerliches Idealbild von Familie zu
realisieren“ (S. 29). Das
Auftauchen säkularer Gabenbringer wie dem Weihnachtsmann trug
dazu bei, das
Wohnzimmer in eine Bühne zu verwandeln, ebenso wie gemeinsames
Singen den
Kirchenraum ins profane Heim holte. Im bürgerlichen Haushalt
wurde folglich das
Stück „Familie“ und nicht die christliche Weihnacht gegeben –
und dies mit
einem „beträchtlichen Maß an Theatralität“ (S. 22).
Das darauffolgende dritte Kapitel beschäftigt sich mit der
Genese des
weihnachtlichen Theaters bis Mitte des 19. Jahrhunderts.
Nachdem sich „regional
geprägte Traditionsstränge und Spielformen“ (S. 42) vom
Mittelalter ausgehend
etablierten, fand ein Paradigmenwechsel erst zum Ende des 18.
Jahrhunderts
statt. Dieser ging mit obrigkeitlichen Maßnahmen zur
Eindämmung
öffentlich-religiöser Praktiken einher, die jedoch weniger
Wirkung zeigten als
erhofft. Manche Spieltraditionen blieben erhalten, viele
veränderten sich, so
dass von einer Ausdifferenzierung einst christlich-religiöser
Festpraktiken ab
1800 auszugehen ist. In der Weihnachtsdramatik entwickelten
sich jenseits
professioneller Theater kurze und einfache Stücke mit
musikalischer
Untermalung. Die meisten Werke besaßen einen „moralisierenden
Ton“, waren teils
in Handwerker- oder Kaufmannshaushalten angesiedelt (S. 57),
dezidiert für
private Aufführungskontexte verfasst und transportierten
Aspekte der cultural
performance des Heiligenabends. Die immer beliebter
werdenden
Weihnachtsausstellungen repräsentieren dagegen frühe Formen
kommerzialisierten,
öffentlich und in der Vorweihnachtszeit zelebrierten
Weihnachtstreibens.
Über detaillierte Werksanalysen erarbeitet Schmidt in Kapitel
4 sowohl die
Entwicklung weihnachtlichen Theaters nach 1850 allgemein, als
auch die
Etablierung der Weihnachtsmärchen als populärster Form des
institutionalisierten weihnachtlichen Theaters. Dabei sieht
Schmidt die
1860er-Jahre als take-off Phase, geprägt durch
„Ausdifferenzierung,
Verbürgerlichung, Spezialisierung, Kommerzialisierung und
Professionalisierung“
(S. 125), und Weihnachtsmärchen als Katalysatoren. Kulturell
traf die
Verarbeitung von Märchenstoffen einen Nerv im Bürgertum und
koppelte den
Theaterbesuch an das heimische Wohnzimmer, in dem die
Märchenlektüre gewöhnlich
stattfand. Des Weiteren beruhte der Erfolg auf
inszenatorischen Entscheidungen:
Die Stücke waren auf Spektakel ausgerichtet, explizit
Weihnachtliches kam nur
dezent vor, was einer Säkularisierung weiter Vorschub
leistete.
Als Kontrastprogramm hierzu diskutiert Schmidt im fünften
Kapitel
volkssprachliche Weihnachtsspiele. Philologen, Volkskundler
und Theologen aus
städtischem Milieu verschriftlichten mündlich tradierte Stücke
und verleugneten
zugleich ihre Autorenschaft. Romantik und eine
„deutschtümelnde Ideologie“ (S.
161) verbanden sich in den Texten mit einem romantisch
verklärten Mediävismus
und abstrakten Ideen über ländliches Brauchtum. Die Editoren
erschufen eine
„Volkskultur“, verfolgten die „Konstruktion nationaler
Identität“ und
definierten Volkstheater sowie Bräuche als „Denkmale“ eines
nationalen Erbes
(S. 170–171). Dabei gliederten sich die Stücke erstaunlich
rasch ins säkulare
und kommerzielle Theater ein. Das volkstümliche Theater wurde
zugleich
praktisch neu erfunden und einem städtischen Publikum als
Tradition verkauft,
wodurch es mit „zum Mythos des deutschen Nationalismus“
beitrug (S. 210). Auch
die Theaterkritik sprang darauf an: Vertreter völkischen
Gedankenguts folgten
den Romantisierungstendenzen; Thomas Mann hingegen
argumentierte polemisch
gegenüber dem etablierten Theater. Eine besondere Form der
Auseinandersetzung
mit dem volkssprachlichen Weihnachtstheater stellte die
Neubearbeitung der
„Oberuferer Spiele“ durch den Anthroposophen Rudolf Steiner
dar, die Schmidt
abschließend präsentiert, sich aber hütet, zu tief in Steiners
Theorien zu
versinken.
Stattdessen beschäftigt sich das darauffolgende Kapitel mit
dem Verhältnis von
Sozialdemokratie und weihnachtlichem Theater sowie mit den
Jahren des Ersten
Weltkriegs. In beiden Fällen erkennt Schmidt von der
bürgerlichen Norm
abweichende Festkulturen und macht eigene Spieltraditionen
aus. Die
Arbeiterbewegung nutzte Weihnachten zum Anlass,
„gesellschaftskritische Töne“
anzustimmen (S. 251), wobei keine Ablehnung des Festes selbst
stattfand, viel
mehr kam es zu Parodien der bürgerlichen
Weihnachtstraditionen. Schmidt
konstatiert, dass die Stücke paradoxerweise das private
Weihnachtsfest
bürgerlicher Prägung bestätigen, während zugleich Kritik an
der Feierkultur
besitzender Schichten geübt wurde (S. 266). Eine bewusste
Aufrechterhaltung
weihnachtlicher Festkultur strebten dagegen Obrigkeit und
Kirchen während des Krieges
an. Die institutionalisierten Theater versuchten spätestens ab
1916, mit der
Aufführung von Weihnachtsmärchen einen „Rückzug in ferne
Idyllen“ zu
ermöglichen (S. 276). Abseits der großen Bühnen aber schien
die
kriegsalltägliche Tristesse auch das Theater zu erobern –
wenig originelle
Stücke mit einer „typischen Mischung aus plakativem
Patriotismus und
folkloristisch anmutendem Militarismus“ dominierten (S. 281).
Interessant ist
Schmidts Befund, dass sich während des Krieges keine
eigenständigen Weihnachtsstücke
für das Fronttheater etablierten.
In der Zeit der Weimarer Republik sieht Schmidt abseits der
professionellen
Bühnen mehr denn je die bedeutenden Entwicklungen.
Arbeitertheater versuchten
„eine stärkere Zusammenführung von darstellendem Spiel,
weihnachtlichem Fest
und politischer Erziehung“ (S. 311) zu erreichen,
präsentierten allegorisch
sozialdemokratische Werte und setzten sich kritisch mit dem
Weihnachtsfest und
der Religion auseinander. Zwar spielten „alle Stücke (…) am
Weihnachtsabend zu
Hause bei einer Familie, meist im Wohnzimmer“ (S. 330), aber
die Familie wurde
im Arbeitertheater nun nicht mehr von der Öffentlichkeit
separiert dargestellt.
Im Kapitel zu weihnachtlichem Theater im „Dritten Reich“
nähert sich Schmidt
dem Thema zunächst über einen Abschnitt zur weihnachtlichen
Festkultur, wie die
NS-Führung sie sich erträumte. Während die großen Theater
weiterhin
Weihnachtsmärchen als Spektakel aufführten, versuchte die
Partei jenseits
davon, das Fest zu vereinnahmen beziehungsweise durch einen
nationalsozialistischen Weihnachtskult zu ersetzen und aus
seinem „vermeintlich
germanischen Erbe herzuleiten“ (S. 342). Wie solche Methoden
im Bereich des
Theaters funktionierten, analysiert Schmidt anhand der
„Südender
Weihnachtsspiele“.[2] Das zweifelsohne
zentrale Motiv dieses
Stückes war, die SA nach 1933 von einem Kampfbund zum
Kulturverband umzudeuten.
Das klassische Krippenspiel wurde vollends ersetzt, wenn
Familien und SA als
weihnachtliche Feiergemeinschaft zum „Kristallisationspunkt
der
Volksgemeinschaft“ (S. 346) wurden.
Schmidt erörtert auf rund 360 Seiten durchweg präzise
formuliert, welche
weihnachtlichen dramatischen Texte zwischen dem Ende des 18.
und der Mitte des
20. Jahrhunderts entstanden und in welcher Beziehung sie zu
einer sich
„verändernden […] weihnachtlichen Festkultur“ standen (S.
355). Dabei gelingt
es ihr, die Dichotomie zwischen institutionalisiertem und
nicht-professionellem
Theater offenzulegen und ihre Entwicklungen nachzuzeichnen:
Auf den großen
Bühnen trat der Kommerz erstaunlich früh seinen Siegeszug an,
Fest und Theater
entkoppelten sich zusehends. Fernab der institutionalisierten
Theater fanden
sich „überraschend vielfältige und zahlreiche Initiativen, die
Beziehungen
zwischen Fest und darstellendem Spiel“ (S. 356) herstellten
und intensivierten.
Schmidt vermag es, die komplexe Beziehung von weihnachtlichem
Fest und
weihnachtlichem Theater anschaulich zu machen. Besonders ihre
Erkenntnisse zur
Wiederentdeckung und Entwicklung der volkssprachlichen
Weihnachtsstücke bis hin
zum Nationalsozialismus dürfen lobend hervorgehoben werden.
Der
Theaterwissenschaft hat sie mit ihren Werksanalysen
zweifelsohne einen großen
Dienst erwiesen.
Bleibt zuletzt die Frage nach dem Mehrwert für
Historiker/innen, versteht
Schmidt ihre Arbeit doch auch als Beitrag „zu einer
historischen Phänomenologie
bürgerlicher Kultur“ (S. 17). Die historisch orientierte
Leserschaft sucht
teils vergebens nach der Diskussion von Begriffen wie
Säkularisierung,
Privatisierung, Bürgertum oder Volksgemeinschaft. Das von
Schmidt erarbeitete
Bild bürgerlicher Fest- und Theaterkultur verliert für die
1920er- und 30er
Jahre zunehmend an Kraft. Leider gelingt es -ihr nur bedingt,
die
Stellschrauben neu zu justieren, wenn sie schlicht von einem
„Verlust einer
Illusion von Bürgerlichkeit, der diese Epoche kennzeichnet“
ausgeht (S. 306).
Schmidt verabschiedet sich unverhofft vom Bürgertum, sieht das
Theater der
Weimarer Republik hauptsächlich durch die Topoi
„Radikalisierung,
Ideologisierung, Ausdifferenzierung und Spezialisierung“ (S.
303)
gekennzeichnet.[3] Dass Schmidt das
Narrativ von der
bürgerlichen Epoche im 19. Jahrhundert nutzt, ist
verständlich, kann sie doch
zeigen, dass Weihnachten, Fest- und Theaterkultur untrennbar
mit dem
„bürgerlichen Wertehimmel“ verwoben waren.[4] Kritisch ist, dass sie
hierzu teils überholte
Theorien als Schablone nimmt: So begegnet einem unverhofft
Otto Brunners
Konzept des „Ganzen Hauses“, allerdings nicht aus dessen,
sondern aus Heidi
Rosenbaums Werk, wenn Schmidt die Privatisierung des
bürgerlichen Wohnzimmers
erläutert (S. 26).[5]
Nichts desto trotz stellt der Band einen lesenswerten Beitrag
zur Erforschung
der bürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts dar. Es gelingt
zudem, ein großes
Panorama weihnachtlicher Fest- und Theaterkultur über rund 150
Jahre deutscher
Geschichte zu eröffnen. Schmidt liefert eine gut lesbare,
quellen- und
erkenntnisreiche Darstellung, die mit ihrem ungewöhnlichen
Untersuchungsgegenstand zudem Anregungen für zukünftige
Studien gibt.
Anmerkungen:
[1] Doris Foitzik, Rote
Sterne, braune Runen,
Politische Weihnachten zwischen 1870 und 1970, Münster 1997.
[2] Eberhard Wolfgang Möller,
Das Südender
Weihnachtsspiel, Berlin 1935.
[3] Kritische Ansätze zur
Reduktion Weimars als
krisenhafte Zeit vgl. Moritz Föllmer / Rüdiger Graf (Hrsg.),
Die „Krise“ der
Weimarer Republik, zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt
am Main 2005;
APuZ 68 (2018), Heft 18–20.
[4] Vgl. Manfred Hettling /
Stefan-Ludwig
Hoffmann (Hrsg.), Der bürgerliche Wertehimmel, Innenansichten
des 19.
Jahrhunderts, Göttingen 2000.
[5] Schmidt verweist selbst
nicht einmal auf
Brunner; zur Theorie des „Ganzen Hauses“ vgl. Philip Hahn,
Trends der
deutschsprachigen historischen Forschung nach 1945, Vom
‚ganzen Haus‘ zum
‚offenen Haus‘, in: Joachim Eibach / Inken Schmidt-Voges
(Hrsg.), Das Haus in
der Geschichte Europas, ein Handbuch, Berlin 2015, S. 47–64.
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