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2018/05/07 08:22:35
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Ein Schnellschuß gelehrter La bertaschen?
Datum 2018/05/09 22:54:20
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Tagungsbericht: Populäre Ge nealogie, Geschichtswissenschaft und Historische Demographie
2018/05/13 12:55:17
Hans-Joachim Hoffmann
[Regionalforum-Saar] Dr. Ing. Otto Eberbach
Betreff 2018/05/07 08:22:35
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Ein Schnellschuß gelehrter La bertaschen?
2018/05/07 08:22:35
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Ein Schnellschuß gelehrter La bertaschen?
Autor 2018/05/09 22:54:20
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Tagungsbericht: Populäre Ge nealogie, Geschichtswissenschaft und Historische Demographie

[Regionalforum-Saar] Ein Besuch bei meiner Cousine zu Trier am 5ten Mai AD 2018.

Date: 2018/05/08 09:52:46
From: Roland Geiger <alsfassen(a)...

Ein Besuch bei meiner Cousine zu Trier am 5ten Mai AD 2018.

Eine Reiseerzählung von Roland Geiger

komponiert am 8ten Mai 2018

 

Am letzten Samstag wollte ich meine Cousine in Trier besuchen und machte mich erst mit der Eisenbahn, dann mit dem Linienbus R200 der Deutschen Bahn auf den Weg in die Stadt an der Mosel. Natürlich ging so ein Besuch nur in festlicher Kleidung, die ein paar erstaunte Blicke bewirkte. „Hann Sie nédd waam én dem schwatze Mandel?“ Dabei sind es eher die langen weißen Strümpfe, die unter der dreiviertel langen weißen Hose ständig drohen, nach unten zu rutschen und deshalb - unsichtbar unter der Hose knapp unterm Knie - durch ein weißes und ein gelbes Knieband gehalten werden müssen, die langen weißen Strümpfe also, die unangenehm schön die Beine, vor allem die Füße erwärmen, weshalb ich die Schuhe stets geschlossen halte, damit es im klimatisierten Bus nicht zum klassischen ABC-Alarm wegen geruchlicher Kontamination kommt.

 

Die Vlexx kam pünktlich um 9.22, so daß ich in Türkismühle den Bus nach Trier gut erreichte. Der gurkte daraufhin gut eine Stunde vierzig durch den Hochwald nordwestlich Türkismühle, südöstlich Triers und folgte der ehemaligen Route der schnellen Post, die gut 170 Jahre zuvor mit weit weniger Pferdestärken und in weit längerer Zeit hier durch gerattert und geschaukelt ist. Erste Station war Hermeskeil, und von dort geht es nach schräg links oben über Höfchen und Farschweiler, die hohe Wurzel bei Reinsfeld und schließlich nahe Kenn runter ins Moseltal, wo wir die Autobahn nach Trier hinein nahmen. Spätestens hier bedauerte ich meine Entscheidung, mit öffentlichen Verkehrsmitteln diesen Weg eingeschlagen zu haben, denn verkehrsmäßig war auf den Straßen weniger los als sonst wochentags. Ich hatte mit „Landunter“ und ewig langen Staus gerechnet - aber die Straßen waren leer, was auch den Busfahrer erstaunte, den ich - an der Endstation „Kaiserthermen“ aussteigend - angesprochen hatte.

 

Ich stolzierte von der Weberbach aus quer durch die Stadt - am Kornmarkt vorbei, wo rechterhand eine Besichtigung der Ruinen unter dem großen Glasbau weiterhin meinen ersten Besuch erwartet - überquerte noch eine Straße und bog beim Friedrich-Ebert-Haus um die Ecke und sah mich dem Karl-Marx-Haus gegenüber. Davor baute das Fernsehen gerade seinen Ü-Wagen zusammen. Ein paar wohlgekleidete Damen und Herren - die mich ansahen, als fragten sie sich, wie der Kerl mit seinem Zylinder aber seltsam aussieht - na, die hattens notwendig … - flanierten ein und aus. Ich betrat das Haus, bezahlte meinen Obulus (5 Euro) und machte mich auf, das Haus zu erkunden. Im Zimmer gegenüber - keine Möbel, aber Malereien an den Wänden - posierten jede Menge Chinesen vor Porträits mit Karl, Che und was-weiß-ich-noch, was mich nach dem Eintreten schnell verschwinden ließ. Ich schaute mich auch in den anderen Räumen um, betrat den Garten, wo sich noch mehr Wohlbetuchte (zumindest klamottenmäßig) aufhielten, kehrte aber auch demselben schnell wieder den Rücken. Ich stieg die Treppen hoch in die oberen Stockwerke, wo es mir aber recht schnell zu politisch wurde. Überhaupt geht es in dem ganzen Haus eigentlich nur um Politik, gepaart mit Philosophie. Letztere die von Karl Marx, erste derer, die seine Philosophie für ihre Zwecke benutzt haben. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß mich beides noch nie wirklich interessiert hat, weshalb ich im KM-Haus weniger die Inhalte als vielmehr die künstlerische Ausgestaltung aufgenommen habe. Die meisten Texte waren zweisprachig - Deutsch und Englisch, seltsamerweise kein Chinesisch - in Schreibschrift auf die Wand gemalt. Nicht immer ganz einfach zu lesen, aber - es sieht klasse aus. Was absolut bescheuert aussieht, ist der - ganz im Stil der heutigen Zeit - verwendete Dschender-Schwachsinn. Da gibt es keine Faschisten ohne „Faschist_innen“, keine Kommunisten ohne „Kommunist_innen“. Oh, Leute, geht’s noch? So ein Schwachs_inn.

 

Und jeder Raum wurde genutzt. Da ist ein langer Gang im ersten Stock, der das Vorder- mit dem Hinterhaus verbindet. Ein langes Fenster öffnet den Blick in den Hof, wo gerade eine Gruppe Leute ein Lied zum Besten gab, das ich aber ob des dicken Glases nicht verstehen konnte. Die Internationale war es nicht, die verlangt ernste bis grimmige Blicke, die Sänger dagegen wirkten gelöster. Die Wand rechterhand zierte ein Foto von Karl M., das etwa einen halben Meter hoch war, aber dafür über die ganzen vier, fünf Meter des Ganges in die Breite gezogen war. Man konnte ihn erkennen, aber das wars auch schon. Sah richtig stark aus. Hier oben und noch ein Stockwerk höher findet man den Menschen Karl Marx nicht mehr, dafür jede Menge andere, die aus seinen Lehren Lehren für sich selbst und andere fanden - wenn sie diese anderen nicht schon vorher auf die ein oder andere Art aus dem ein oder anderen Grund abgemurkst hatten. In einem Raum thronte einsam ein hoher Lehnstuhl, das ist der, in dem er seinerzeit sein Leben ausgehaucht haben soll. Meine Cousine, die ich eigentlich besuchen wollte, war damals ganz in der Nähe. D.h. eigentlich hat sie gerade General Fritz unten die Tür aufgemacht, als der große Mohr oben seinen letzten Atemzug tat.

 

Aber Cousinchen, die zu Lebzeiten dieses Haus gar nicht gekannt haben wird, fand ich auch heute nicht hier. D.h. zunächst nicht. Kurz bevor ich nach 20 min das Haus verließ, sprach mich die Leiterin der hiesigen Friedrich-Ebert-Stiftungsfiliale, Frau Neu, an und meinte, das sei eine schöne Kluft, die ich da trage. „Nur das Feinste für einen Besuch bei meiner Cousine.“ Und erklärte auf ihren fragen Blick: „Ja, Lenchen Demuth“. Noch ein Blick in ein Zimmer im Parterre, wo die Stationen in Karls Leben durch Nennung ihrer wichtigsten Städte aufgezeigt wurde. Dort fand ich die Cousine in einem Fotoalbum, das unscheinbar auf einem kleinen Tisch liegt. Dort fand ich auch den Menschen Karl Marx und seine Familie. Ein Bild von Tussie, die - oh, ein Euphemismus - den „Freitod“ wählte (sie hat Blausäure getrunken), eins von ihrer anderen Schwester, die ebenfalls Selbstmord beging. Eins der beiden Altersbilder von Helene, auf den Kopf beschränkt, mit ein bißchen Andeutung zu Freddie, aber nur ein bißchen, sonst menschelt es zu sehr.

 

Wieder draußen zückte ich mein Weltverbindungsgerät und wählte Klaus Gietinger an, den Regisseur von „Lenchen Demuth“-Films, dem ich während der Dreharbeiten ein klein wenig helfen konnte. Er war in der Stadt, das wußte ich. Er meldete sich von der Einweihung der neuen KM-Statue nahe der Porta Nigra. Klaus ist immer gut zu erkennen, weil er - wie ich - nie ohne Hut unterwegs ist.

Ich durchmaß die Stadt mit forschen Schritten, erstand bei einer der vielen Trierer Filialen der Biebelhausener Mühle ein Kaffeestückchen und eilte zum östlichen Tor, das man das „schwarze Tor“ nennt. Ob ich ihm sagen könnte, wo die nächste Bank sei, fragte mich ein Holländer mit erkennbarem Akzent. Nö, sagte ich, sorry, schbin auch nicht von hier, was ihn angesichts meiner Klamotten erstaunte.

 

„Hallo, Roland“ rief jemand. Ich schaute hin, nee, der Mann mit dem Bart isses nicht, der guckt mich zwar an, aber grimmig. Aber daneben am Tisch, das war Bodo B., der letzte Woche in der SZ einen uraltinformationigen Artikel über Lenchen verfaßt hatte. Ich begrüßte ihn und seine beiden Söhne, die ich das letzte Mal gesehen hatte, als sie noch Windeln trugen. Jerres, ma genn elda. Bodo hatte sich vor vielen, vielen, vielen Jahren während seiner Tätigkeit beim Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel mit Lenchen befaßt; aus dieser Zeit stammten auch seine Informationen.

 

Ich eilte weiter und traf unweit der Porta N. links auf eine durch Polizeiautos abgesperrte Straße, die nur links zwischen dem ersten Wagen und einer Hausecke einen schmalen Durchgang offen ließ, durch den Passanten passieren konnten, dabei argwöhnisch und grimmig beobachtet von Polizisten in Kampfanzügen. Ich spürte die Blicke vorn, dann im Rücken brennen, als ich unter dem Zylinder den Kopf einzog und vorsichtig vorbeischlich, den Kopf leicht nach rechts neigend und wohlwollend nickend. Weit kam ich da nicht, nach etwa hundert Metern traf ich auf eine mehr oder minder solide Mauer von Menschen, die alle nach rechts schauten. Viele Fähnlein allerei Colour wurden geschwenkt, links skandierte einer Undeutliches, von rechts kamen Wortfetzen um die Ecke, durch einen Lautsprecher und den allgemeinen Lärm, der wie eine Wolke über der Menge lag, in Unkenntlichkeit verzerrt. Ich trat an diese Menschenmauer heran, deren Ränder sich bei näherem Hinsehen in Einzelpersonen auflöste. Vor mir stand ein Paar, ein „Er“ und eine „Sie“, die ich fragte, was denn hier vorgehe und wo denn der Marx stehe. Sie nickte mit dem Kopf nach rechts, wo ich entlang einer Hauskante gegenüber einen Schimmer von rot erkannte. „Der ist ja immer noch verhüllt“, sagte ich. „Ja“, meinte sie, „die hören nicht auf zu labern.“ Da mußten wir beide lachen. Dabei fiel mein Blick auf den Boden, und ich sah, daß sie lange Füße hatte, die in Latschen steckten und deren Zehennägel mit einer bräunlichen Farbe bemalt waren. Aber als ich aufschaute, erkannte ich, daß das gar nicht ihre Füße waren, denn sie trug geschlossene Schuhe, sondern die ihres Begleiters. Worauf mir wieder einmal gewahr wurde, was ich doch für ein Landei bin, das nur ab und zu aus der Provinz in die große Stadt darf.

 

Ich drehte um und umging die Sperrzone Richtung Porta und traf nahe der tourist info auf eine weitere Stelle, wo ein hoher Drahtzaun die Passanten am Durchgehen hinderte und in hundert Metern Entfernung die Statue zu sehen war. D.h. nicht die Statue, sondern das rote Ganzkörperkondom, das sie trug. Immer noch war irgendwer am Labern, und immer noch verstand ich kein Wort. Und wieder sprach mich jemand an und stellte wiederum die gleiche Frage: „Was machen Sie denn hier in dieser Kleidung?“ Und wieder kam meine Antwort, das ich meine Cousine besuchen wolle und mich deshalb fein gemacht habe. „Ja. Helene Demuth“ beantwortete ich die danach noch nicht gestellte Frage, „aber im Karl-Marx-Haus habe ich sie nicht gefunden“. Der mich fragte, stand auf einer Säule, trug eine rote Hose und schaute von dort über den Zaun auf das große rote Tischtuch. Wir kamen ins Gespräch, und er erzählte mir, daß er einer von drei Trierer Nachtwächtern sei. „Hallo, Herr Kollege,“ sagte ich, „ich bin einer von drei Nachtwächtern aus St. Wendel.“ So verging die Zeit unter vielerlei Scherzen, und irgendwann kam Bewegung ins Spiel. Das Tuch rutschte, das Volk johlte und klatschte und zerstreute sich dann so schnell wie es kam. Ich wartete noch einige Zeit und schaute, ob ich wohl Klaus G. in der Menge erspähen konnte. Da gab es jede Menge Leute mit Hut, aber das Gesicht von keinem paßte wirklich. Aber das gab mir auch Gelegenheit, die Typen mir anzuschauen, die gegen die Aufstellung der Statue protestierten - natürlich vergebens. Deshalb hat es in St. Wendel damals bei der Aufstellung der L-Demuth-Statue auch keine wirklichen, d.h. nonverbalen Protestaktionen gegeben. Wobei die Karl-Marx-Statue vielleicht ein wenig chinesische Gesichtszüge hat, aber sonst sehr nach Karl Marx aussieht, während die Lenchen Demuth in St. Wendel an der Stadtmauer auf ihre Schwangerschaft reduziert wird. Dann gab es da noch jede Menge gelb gekleidete Chinesen einer bestimmten Gruppe, die auf Extremstände in ihrem Land aufmerksam machen wollten, u.a. auf Organraub und ähnliches.

 

Wieder klingelte mein Telefon, und ich begab mich in den „Domstein“ gegenüber des Trierer Doms, wo ich in Gegenwart von Klaus, Uschi, Iris und Andreas (sicher hab ich noch einen vergessen, man sehe es mir nach, komme langsam in das Alter) ein paar vergnügte halbe Stunden in gutem Gespräch verbrachte, die zu umfangreich sind, hier wiedergegeben zu werden. Gegen 14 Uhr gingen wir gemeinsam zurück zur Statue, wo Klaus einige Videoaufnahmen drehte, die er sicher in seiner Langversion des Lenchen-Films verwenden wird. Dort trafen wir auch auf die Familie Demuth, das sind Michael Demuth aus Saarbrücken, seine Ehefrau und seine Mutter, die ich vom Filmset her kannte. Michael ist ein Urur…enkel von Lenchens älterer Schwester Katharina, speziell von derem ältesten überlebenden vorehelichen Sohn (von seinem Bruder stammt die Bliesener Demuth-Linie ab). Sie waren offiziell nach Trier geladen worden, weil sie direkte Verwandte von Lenchen waren.

Ja, ich weiß, warum wurden sie, warum wurden wir anderen nicht eingeladen, z.B. die Bliesener. Oder ich - schließlich war meine Urururururururururgroßmutter Elisabeth Demuth eine Schwester von Helenes Ururururururgroßvater Johann Demuth. Also quasi direkte Linie …

 

Der Nachmittag war vorangeschritten, die Abfahrtszeit meines Buses dreute, also verschob ich den Besuch der beiden anderen Ausstellungen auf einen späteren Zeitpunkt, verabschiedete mich und schlenderte zum Bahnhof, von wo aus ich auf gleicher Route mit gleichen Verkehrsmitteln den Rückweg nach Hause antrat und dort wohlbehalten um viertel vor sechs am Nachmittag eintraf.

Als ich mich zu Hause aus meinem Anzug schälte und die Strümpfe abzog, stellte ich fest, daß meine Schilderung oben nicht übertrieben war.

 

Das Fazit: Es war ein schöner Tag in Trier in der Sonne, ich habe viel gesehen und viele Leute getroffen - Fremde und Freunde. Nur Lenchen Demuth habe ich bei soviel Marx nicht gefunden.

Wirklich schade.