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2014/06/05 20:57:51
Bernd Brill
Re: [Regionalforum-Saar] Ärger mit der Liste
Datum 2014/06/06 09:14:41
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] kriegstagebücher
2014/06/02 08:25:12
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] D-Day
Betreff 2014/06/29 20:48:48
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] das ist mal wieder ein Test - einfach ignorieren
2014/06/05 17:07:24
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] noch ein test - bitte ignorieren
Autor 2014/06/06 09:14:41
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] kriegstagebücher

[Regionalforum-Saar] d-day

Date: 2014/06/06 09:13:07
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

heute in der SZ: 

Der Mann, der die Hölle überlebte

Der unvorstellbare Horror des D-Day lässt

Harold Baumgarten (89) bis heute nicht los

Von SZ-Korrespondent Frank Herrmann

Der D-Day beginnt grau und windig und kalt, die Füße sind steif nach drei Stunden Fahrt in dem kleinen Boot. Es ist der 6. Juni 1944, 6.40 Uhr, und Harold Baumgarten, ein Teenager aus New York, landet mit der ersten Angriffswelle am Omaha Beach in der Normandie. Mit der Selbstmordwelle, wie er sagt.

Sie sind ausgelaugt, denn mit ihren Helmen mussten sie pausenlos Wasser aus dem Boot schöpfen, Wasser und das Erbrochene von Seekranken. Die Pumpe reichte nicht bei den meterhohen Wellen im Ärmelkanal. Vor ihnen fährt ein Boot auf eine Mine, Holzplanken und Körperteile fliegen durch die Luft, es regnet Blut. Den jungen britischen Matrosen am Steuer packt die Angst vor weiteren Minen, weshalb er sich nicht dichter an den Strand heranwagt. Die Klappe, über die 30 Amerikaner das Boot verlassen sollen, lässt er so früh herunter, dass Baumgarten, knapp 1,80 groß, bis zum Hals im Wasser steht. Der Mann, der vor ihm über die Rampe gerannt ist, Clarius Riggs aus Pennsylvania, ist tot, noch bevor er das Wasser erreicht.

Ungefähr ahnte Baumgarten, was ihn erwartete. Drüben in England, wo seine Einheit wochenlang für die Invasion übte, hatten sie Luftbilder studiert. Am Omaha Beach, so wussten sie, glich der deutsche Atlantikwall einer nahezu uneinnehmbaren Festung. Am Ufer, nur bei Ebbe sichtbar, Landminen und Spanische Reiter, Stahlkreuze, die Panzer aufhalten sollten. Überall Stacheldraht. In den Klippen die Bunker mit den gefürchteten Maschinengewehren. „Ich hatte mich abgefunden mit dem Gedanken, am Omaha Beach zu sterben“, sagt Baumgarten. Seiner Schwester schrieb er aus England, sie solle das Telegramm mit der Todesnachricht abfangen, wenn es eintreffe, und es den Eltern schonend beibringen.

Irgendwann erreicht Baumgarten die Spanischen Reiter, plötzlich spürt er, wie das Gewehr in seinen Händen vibriert. Schüsse hatten das Magazin getroffen, „das Magazin hat mein Leben gerettet“. Er wirft sich zu Boden und sieht, wie Robert Dittmar, 19 Jahre alt wie er selbst, schwer verletzt auf eine der Panzersperren zustolpert, noch einen Satz macht und auf dem Rücken landet. „Es hat mich erwischt, Mama, Mutter!“, schreit Dittmar, bevor er verstummt. „Dann taumelt mein Sergeant heran, Clarence Roberson, ohne Helm, auf seiner Stirn ein Loch, das blonde Haar blutverschmiert.“ Roberson kommt noch bis zu einer Betonmauer am Ufer, kniet nieder und beginnt zu beten, einen Rosenkranz in den Händen. Die Salve eines Maschinengewehrs reißt ihn buchstäblich in zwei Teile.

Dann detoniert eine Granate, deren Splitter Baumgarten ein Stück der Wange wegreißen und seinen Kiefer zerschmettern. Er kriecht zu der Mauer, an der Roberson gestorben war. Dort liegt auch Robert Garbett, sein bester Freund, mit dem Gesicht nach unten im seichten Wasser.

Wenn Baumgarten erzählt, klingt er wie ein akribischer Militärhistoriker, der Wert darauf legt, dass jedes Detail stimmt. Er bauscht nichts auf, glorifiziert nichts – und lässt nichts weg, nur weil es sich makaber anhören könnte. Die Namen seiner Kameraden, ihr Alter, sogar ihre Körpergröße – alles hat er auf Anhieb parat, es hat sich eingebrannt in sein Gedächtnis. Um Rache an den Deutschen, sagt er zu Beginn des Gesprächs, sei es ihm nicht gegangen. Wohl aber um Würde.

Baumgarten trug eine Tarnjacke, auf deren Rückseite er einen Davidstern malte, dazu die Worte Bronx, New York. Baumgarten ist Jude, er stammt aus der Bronx, an der High School dort hat er Fußballspielen gelernt von jüdischen Mitschülern, deren Familien aus Europa fliehen mussten. Das mit dem Stern, sagt er, sei eine Trotzhandlung gewesen.

Eigentlich wollte er zur Luftwaffe, daraus wurde aber nichts, und im Juni 1943 kam der Einberufungsbefehl zur Armee. Baumgartens Einheit wurde an die britische Südwestküste verlegt, in die Nähe von Plymouth. Bevor sie am Abend des 5. Juni 1944 an Bord der „Javelin“ gingen, des Schiffs, das sie mitsamt den Landungsbooten über den Ärmelkanal bringen sollte, gab ihm sein Kumpel Garbett noch einen praktischen Rat: Zieh die schwere Kampfjacke nicht an, die sie uns vorschreiben wollen. Sie wird sich im Nu mit Wasser vollsaugen und dich nach unten ziehen, du wirst darin ertrinken.

Nachmittags gegen fünf, die Hänge hinauf zum Dorf Vierville-sur-Mer sind inzwischen gestürmt, robbt Baumgarten neben einer Landstraße auf eine Hecke zu, als ein stechender Schmerz durch seinen linken Fuß zuckt. Er ist auf eine Mine getreten, aus der sich eine Kugel löste und den Fuß durchbohrte. In der Nacht kommen sie erneut unter Beschuss, er wird erneut verwundet, spritzt sich Morphium, um den Schmerz zu betäuben, und nickt ein. Im Halbschlaf spürt er eine Hand auf seiner Schulter und hört gebrochenes Englisch: „Don't worry, Yankee Boy, it will be fine.“ Eine deutsche Patrouille, erfährt er Jahre später, durchsuchte die Uniformen toter Amerikaner nach Zigaretten, entdeckte dabei, dass einer noch lebte – und sprach ihm Trost zu.

In derselben Nacht lesen ihn die eigenen Rettungssanitäter auf. Im August, nach zwei Monaten in britischen Lazaretten, ist Baumgarten zurück in der Bronx. Am 14. Februar 1945 sitzt er im Hörsaal der New York University, um sein Studium fortzusetzen, Biologie und Chemie. In den Fünfziger Jahren wird er zusätzlich Medizin studieren.

Wie er den Horror des D-Day verarbeitet hat? „Du hast es runtergeschluckt“, antwortet Baumgarten. „Ich wollte ja zurück ans College, und schon deshalb hab' ich den Ärzten nie von Albträumen oder so was erzählt.“ Seit 40 Jahren lebt er in Jacksonville in Florida, wo er sich als Arzt niederließ. Es dauerte bis 1988, ehe er in die Normandie zurückkehrte. Vorher konnte er über den D-Day einfach nicht sprechen, nicht mal mit Rita, seiner Frau. Foto: D-Day Survivor/PPC