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Datum 2013/06/08 09:44:40
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[Regionalforum-Saar] Die Juden in Spiesen

Date: 2013/06/08 09:42:23
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heute in der SZ:
 
 

Den Lebenswegen der Juden von Spiesen nachgeforscht

Stephan Friedrich hat ein bemerkenswertes Buch über das jüdische Leben in dem saarländischen Ort geschrieben

Von SZ-Mitarbeiter Dieter Gräbner

Schon der Titel ,,Wir sind Dornen geworden in fremden Augen“ macht neugierig auf ein ungewöhnliches Buch, das die Geschichte der Juden in Spiesen dokumentiert und erzählt. Der Autor Stephan Friedrich (54) ist Oberstudienrat und unterrichtet Deutsch und Englisch am Albertus-Magnus-Gymnasium in St. Ingbert. Gleichzeitig ist Friedrich Hobby-Historiker und Mitglied des Redaktionskreises für den Heimatkalender Spiesen-Elversberg. Fünf Jahre, von 2006 bis 2011, hat er für das Buch recherchiert und geforscht.

Die Geschichte der Juden von Spiesen beginnt damit, wie die Juden lebten im Saarland im 18. Jahrhundert. Dass sie einen Leibzoll zahlen mussten, wenn sie von Nassau-Saarbrücken in die Grafschaft der Familie von der Leyen einreisen wollten, um dort ihren Geschäften nachzugehen. Juden war es untersagt, „ordentliche Berufe“ wie Landwirt oder Schmied auszuüben. Wenn sie reisen wollten, dann kostete das „Zoll“: Für Grenzüberschreitung waren 1779 laut Leyen'schem Zolltarif für „Juden, Judenknecht und Jungen von 13 Jahr, für den Leib 5 Albus“ fällig; eine Kuh kostete 3 Albus und ein Kalb 5 Albus. Ein Albus war ein Silberpfennig, eine gängige Währung damals im Südwesten Deutschlands. Das Leben der Juden war strengen Regeln unterworfen. Sie brauchten Schutzbriefe, die natürlich Geld kosteten und von den jeweiligen Fürsten ausgestellt wurden. Die Schutzbriefe, so kann man nachlesen, befreiten die Juden vom Leibzoll und von sonstigen Lasten. Soweit die Kurzbeschreibung der jüdischen Lebensverhältnisse damals.

Und wie lebten die Juden in Spiesen? 1840 hatte der Ort rund 900 Einwohner, 80 waren Juden. Sie hatten das verbriefte Recht, Handel zu treiben. Seit 1819 gab es eine Synagoge (eine richtige Synagoge ab 1861) und auch eine jüdische Schule, die 1841 erweitert wurde. Eines der ältesten Gebäude Spiesens ist Lions Haus, das nach dem ersten jüdischen Besitzer Theobald Lion heißt, der es wahrscheinlich 1818 erwarb. Soweit einige Zahlen und Fakten über das jüdische Leben in Spiesen und Umgebung.

Das Verdienst des Autors ist es aber vor allem, dass er die persönlichen Lebenswege Spiesener Juden bis nach Australien und in die USA nachrecherchiert hat und das nüchtern beschreibt. Dabei fehlt selbstverständlich auch die Verfolgung der jüdischen Familien und die Fahrt in den Tod in den Konzentrationslagern der Nazis nicht.

Zum Beispiel das Schicksal von Erna Lea Lion, die am 23. Januar 1899 in Spiesen geboren wurde. Sie war die Tochter von Karl Lion und Blandine Vollmer und wuchs in Spiesen auf. Sie war verheiratet und wohnte wahrscheinlich schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in Frankreich. Auf einer Karteikarte des Sammellagers Drancy etwa 20 Kilometer nördlich Paris findet sich ihr Name und der Vermerk „Z.O. – Z.N.O.“. Das Kürzel bedeutet ,,zone occupée – zone non occupée“. Sie hatte ein Uhrmachergeschäft in der 48 Avenue de Anatol France in Nancy. Das war ihre letzte Adresse. Am 3. Februar 1943 wurde Erna Lea Lion in das Lager Drancy gebracht und von dort am 25. März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor im Osten Polens transportiert, in dem insgesamt 250 000 Juden ermordet wurden. Der Autor verweist darauf, dass SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der verantwortliche Organisator der Transporte der Juden in die Vernichtungslager, selbst den Transportbefehl (Überschrift: „Geheim – Dringend – Sofort vorlegen“) für die Judentransporte vom 23. bis 25. März 1943 erteilte. Eichmann wurde 1962 in Israel zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Ausführlich schildert Stephan Friedrich auch das Schicksal des jüdischen Malers und Schriftstellers Max Jacob, der am 12. Juli 1886 in Quimper, einer Stadt in der Bretagne in Frankreich, geboren wurde. Sein Großvater Samuel Alexander stammte aus Spiesen und war nach Frankreich ausgewandert. Max Jacob war einer der angesehensten Künstler und Intellektuellen Frankreichs. Er war befreundet mit Pablo Picasso, Guillaume Apollinaire, Jean Cocteau, Amadeo Modigliano und mit Jean Moulin, dem späteren Chef der französischen Résistance. Moulin wurde festgenommen, und von keinem anderen als von Klaus Barbie, dem berüchtigten „Schlächter von Lyon“ verhört und misshandelt. Moulin starb schließlich nach Folterungen – man hatte ihm beide Arme und Beine gebrochen – am 8. Juli 1943.

Und Max Jacob? Im Buch liest man: Der Jude Max Jacob fühlte sich vom Katholizismus angezogen und ließ sich 1915 taufen. Picasso war sein Taufpate. 1933 wurde er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. 1943 wurde sein Bruder Gaston und 1944 seine Schwester Lea mit ihrem Ehemann nach Auschwitz gebracht und umgebracht. Max Jacob sagte: „Ich werde als Märtyrer sterben.“ Am 24. Februar 1944 wurde er nach der Morgenmesse von der Gestapo verhaftet. Vom Gefängnis in Orléans brachte man ihn in das Lager Drancy. Dort starb er am 5. März 1944 an einer Lungenentzündung.

Auf den Seiten 207 und 208 des Buches sind die Namen von 19 Juden aus Spiesen und ihrer 48 Angehörigen aufgelistet, die in Nazi-Lagern ermordet wurden.

Auf einen Blick

Der Buchtitel „Wir sind Dornen geworden in fremden Augen“ stammt aus einem Gedicht der jüdischen Lyrikerin Rosa Ausländer. Das Buch hat 324 Seiten und ist im Conte-Verlag, Saarbrücken, erschienen (ISBN 978-3-941657-47-2, 34,90 Euro). Stephan Friedrich dankt der Sparkasse Neunkirchen, dem Redaktionskreis Heimatkalender Spiesen-Elversberg und der KEW AG für die Unterstützung. gräb

 

Ziel: Den Menschen ihre Identität zurückgeben

Spiesen-Elversberg. Stephan Friedrich hat die Geschichte der Juden von Spiesen sachlich aufgeschrieben – in einer eher spröden und kaum emotionalen Sprache. Das, was in dieser jüdischen Gemeinde geschah, steht exemplarisch für viele andere jüdische Gemeinden im Saarland. Der Autor selbst meint zu seiner Intention: „Der biografische Ansatz macht die Schrecken erst wirklich spürbar, denn Mitgefühl bleibt eine abstrakte Größe angesichts von sechs Millionen Opfern. Aus der gesichtslosen Masse der Holocaust-Opfer soll den Menschen aus Spiesen ihre individuelle Identität zurückgegeben werden. Der Rekonstruktionsversuch ihres Opfergangs, ihres Leidens, aber auch Überlebens unter kaum vorstellbaren Bedingungen hebt sie aus der Anonymität heraus und stellt sie in das Licht der Öffentlichkeit, wo ihr Sterben nicht nur an Vergangenes erinnert, sondern verweist auf täglich tausendfachen Mord in der Welt. Gustav Meyrinck sagt: ,Wenn das Wissen kommt, kommt auch die Erinnerung. Wissen und Erinnerung sind dasselbe.‘ In diesem Sinn soll die Dokumentation dazu beitragen, durch Vermehrung des Wissens die Erinnerung an die Menschen zu bewahren, die Spiesen mit aufgebaut, seine kulturelle und historische Entwicklung mitbestimmt haben und letztlich auf so schändliche Weise behandelt wurden.“ gräb/red