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2013/06/01 09:58:55
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Archäologiepark Bliesbruck- Reinheim
Datum 2013/06/04 08:52:55
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[Regionalforum-Saar] (Kein Thema)
2013/06/01 09:55:55
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[Regionalforum-Saar] Das St. Wendeler Land und seine Kulturgeschichte
Betreff 2013/06/08 09:42:23
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[Regionalforum-Saar] Die Juden in Spiesen
2013/06/01 09:58:55
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[Regionalforum-Saar] Archäologiepark Bliesbruck- Reinheim
Autor 2013/06/04 08:52:55
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[Regionalforum-Saar] (Kein Thema)

[Regionalforum-Saar] Die Ahnenprobe in der Vormode rne. Selektion - Initiation - Repräsentation

Date: 2013/06/04 00:45:47
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Harding, Elizabeth; Hecht, Michael (Hrsg.): Die Ahnenprobe in der
Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation (= Symbolische
Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 37). Münster: Rhema
Verlag 2011. ISBN 978-3-86887-006-0; 434 S.; EUR 58,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Martin Wrede, Université Pierre-Mendès-France, Grenoble
E-Mail: <martin.wrede(a)... Ahnenprobe - der Nachweis (rein) adeliger Abstammung über mehrere
Generationen hinweg - hat, zumal in ihrer deutschen Ausprägung,
spätestens seit dem 18. Jahrhundert allerlei Spott hervorgerufen.
Bekannt sind etwa die Sentenzen aus Voltaires "Candide", nach denen im
westfälischen Adel alle möglichen Schicksalsschläge oder menschliche
Regungen nichts zählten im Vergleich zu 72 bzw. 71 adeligen Ahnen. Die
Liste ließe sich fortsetzen bis zu Fontane oder Proust, und einige der
Beiträge des hier zu besprechenden Bandes tun dies mit pointierten
Beispielen. Die Ahnenprobe ist offenbar sogar im kollektiven Gedächtnis
präsent. Zumindest ist sie es gewesen. Demgegenüber kann es überraschen,
wie wenig systematische Untersuchung das anscheinend so provokative
Instrument mobilisiert hat. Diesen Missstand endlich abzustellen, ist
das Ziel des Bandes von Elizabeth Harding und Michael Hecht. Es wird, um
dies vorwegzunehmen, auf die erfreulichste Weise erreicht.

Der Band gliedert sich nach einer sehr gründlichen Einleitung der
Herausgeber in fünf Sektionen. Sie zeigen die Ahnenprobe "als
Repräsentation von Verwandtschaft", "in Städten, Domkapiteln und
Damenstiften im Alten Reich", "in Ritterschaften im Alten Reich", "am
Wiener Hof und in habsburgischen Territorien" sowie "in europäischer und
außereuropäischer Perspektive". Die Konzentration auf die Adelswelt des
Alten Reiches ist evident und zwangsläufig, doch überschreitet der Band
sowohl dessen Grenzen wie die des adeligen Standes, indem -
sinnvollerweise - außerdeutsche und auch nichtadelige Muster der
Ahnenprobe diskutiert werden.

Das Hauptaugenmerk jedoch liegt, wie gesagt, zwangsläufig auf
Deutschland: Kurt Andermann und Ute Küppers-Braun untersuchen hier die
zentralen Themen der Ahnenproben in Domkapiteln bzw. in Damenstiften.
Andermann zeigt, von einem Streitfall in Speyer ausgehend, die Praxis
der Aufschwörungen auf; Küppers-Braun unter anderem die Verknüpfung von
Stiftsfähigkeit und Konnubium: Damenstifte waren "nicht nur
Versorgungseinrichtung [...], sondern gleichzeitig korporative
Kontrollinstanz für die Ebenbürtigkeit" (S. 185). Daneben steht der
Beitrag von Knut Schulz zu den Konstituenten der Handwerksehre -
"Geburt, Herkunft und Integrität" -, der zeigt, dass die Welt des Adels
und die der Zünfte durchaus enger verwandt waren.

In der "ritterschaftlichen" Sektion bietet Joachim Schneiders Beitrag
über die Ahnenprobe in der Reichsburg und Ganerbschaft Friedberg eine
Nahaufnahme der sozialen Praxis in einer der wohl kleinteiligsten
Herrschaftsformen des Alten Reiches, in der die Ahnenprobe sowohl der
sozialen Abschließung diente als auch der (letztlich unvermeidlichen)
Rekrutierung von Nachrückern - ein Befund, den so auch andere Beiträge
teilen. Josef Matzeraths Aufsatz über die Einführung der Ahnenprobe in
der kursächsischen Ritterschaft zielt seinerseits auf die soziale
Stabilisierungsfunktion dieses Instruments: durch die Sicherung der
Standesgrenze nach unten ebenso wie durch Gemeinschaftsstiftung, Ordnung
und Befriedung. Dabei gab es jedoch offenkundig stets einen gewissen
Handlungs- bzw. Aushandlungsspielraum. Das letztere zeigt auch der
Beitrag von Andreas Müller zur Praxis der Ahnenprobe im kurkölnischen
Herzogtum Westfalen. Vor allem jedoch wird hier klar gemacht, wie
überhaupt die konkrete Durchführung der Ahnenprobe vor sich ging bzw.
vor sich gehen konnte.

Bereits an den Grenzen des Reiches operieren die Aufsätze von Gerard
Venner zur Ritterschaft im Oberquartier des Herzogtums Geldern und von
Arnout Mertens zu den Spanischen bzw. dann Österreichischen Niederlanden
insgesamt. Ähnlich wie in Friedberg wird im geldrischen Oberquartier die
soziale Ergänzungsfunktion der Ahnenprobe deutlich, die in größeren
Korporationen naturgemäß etwas weniger dringlich war. Mertens macht auf
die Uneinheitlichkeit der niederländischen Adelslandschaft und ihrer
Aufnahmeregeln aufmerksam, in der der "erste Adel" sich gegenüber
Nachrangigen und Nobilitierten sozial behaupten konnte (wenn er auch
politisch tendenziell eher einen Bedeutungsverlust erlitt). Die Wiener
Regierung und der jeweilige Generalgouverneur versuchten dabei wohl
verschiedentlich, regulierend einzugreifen, ein einheitliches Maß der
Ahnenprobe in Stiftern und Ständen durchzusetzen, dies aber nicht sehr
nachdrücklich. Das Projekt "Adelsregulierung" war für Wien zu wenig
aussichtsreich. Dies sah am Hof selbst, hierauf zielt der Beitrag von
William Godsey, graduell anders aus. Die Zugangsregeln für die
Kämmererwürde wurden hier durchaus bewusst verändert, die Hürden erhöht,
um die Aristokratie zu privilegieren (und für kriegsbedingte finanzielle
Verluste zu entschädigen), doch die unterschiedlichen Kronländer wurden
weiterhin auch unterschiedlich behandelt.

Wien bot dem deutschen Adel ein Forum für Kontakte vor allem mit
Südosteuropa und Italien. Auf die ganz anders strukturierte französische
Adelswelt traf man in Versailles. Einige aus dem Reich stammende
(Fürstenberg, Salm) oder über traditionelle Verbindungen dorthin
verfügende Familien (La Tour d'Auvergne) konnten sich dort etablieren
und eine Art Brückenfunktion über den Rhein wahrnehmen oder doch
zumindest bis ins Elsass: Da sie über Stiftsfähigkeit verfügten, konnte
königliche Patronage, wie Leonhard Horowski vorführt, sie trefflich in
Straßburg oder anderswo platzieren. Allerdings ließ die geringe Zahl der
in Frage kommenden Häuser der Krone in der Regel keine oder nur eine
geringe Wahl unter diesen Klienten, was deren Position nicht wenig
stärkte. Handelte es sich hier um ein prominentes, aber schmales Segment
des Adels, zielt der Beitrag von Moritz Trebeljahr auf ein
"Breitenphänomen", wenn auch natürlich ein exklusives, hochgeschätztes:
Auf den Malteserorden und seine enorme Bedeutung für Distinktion (und
Alimentation) des Adels in Südwesteuropa. Ahnenproben und "quartiers"
bzw. "Adel in vier Vierteln" (so der Titel des Aufsatzes) gab es eben,
anders als Voltaire Glauben machen wollte, auch außerhalb Deutschlands.
Allerdings waren die Ergebnisse dieser Ahnenproben nicht selten
situationsbedingt und dies wohl letztlich in noch höherem Maße als im
Reich bzw. in Westfalen.

Der abschließende Beitrag von Nikolaus Böttcher weist dann gar über
Europa hinaus. Betrachtet wird die Ahnenforschung in Hispanoamerika, das
heißt Anwendung und Abwandlung des Postulats der "limpieza de sangre".
Die Bedeutung der (hispanisch-europäischen) Blutsreinheit als sozialen
Ordnungsprinzips Spanisch Amerikas wird betont - dort naturgemäß nicht
gegenüber Juden und Mauren, sondern gegenüber Mestizen und Mulatten.
Zugleich jedoch wird klargemacht, dass es, wie schon in Kursachsen oder
in Westfalen, auch etwa in Mexiko Ermessens- und Verhandlungsspielräume
gab: Notfalls wurden eben Abkömmlinge der von Beginn der spanischen
Eroberung an mit der Krone bzw. mit Cortés verbündeten Tlaxcalteken als
geblütsrein betrachtet, da ihnen dieses Privileg vom König verliehen
worden sei (S. 406). Der Vorzug dürfte die Einwohnerzahl von Tlaxcala
rückwirkend deutlich heraufgesetzt haben.

Eingeleitet und ideell gerahmt wird der Band freilich von den Beiträgen
der ersten Sektion zur Repräsentation der Ahnenprobe, hier besonders vom
Aufsatz von Simon Teuscher, der ganz allgemein und zu Recht das Konzept
"Verwandtschaft in der Vormoderne" nachdrücklich auf das Tableau der
historischen Forschung von Mittelalter und Frühneuzeit setzt.

Bei- und Erträge des Bandes sind hochzuschätzen. Die Ahnenprobe wird in
ihren wesentlichen deutschen und europäischen (und auch
außereuropäischen) Kontexten vorgestellt, Prinzip und Praxis werden
analysiert. Als communis opinio kristallisiert sich heraus, dass es
zwischen Westfalen und der Neuen Welt konstellations- bzw.
situationsbedingt recht weite Spielräume dafür gab, wie mit dem
scheinbar klaren Postulat des (einigermaßen) "reinen" adeligen Geblüts
umzugehen sei. - Der Band hätte eine frühere Besprechung verdient. Die
Verzögerung ist allein dem Rezensenten anzulasten.