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2013/03/04 10:27:33
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[Regionalforum-Saar] Die Ruhe vor dem Sturm
Datum 2013/03/08 23:32:32
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[Regionalforum-Saar] Ausstellung "Otto der Gro ße und das Römische Reich"
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[Regionalforum-Saar] Nordafrika in römischer Zei t
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[Regionalforum-Saar] Die Ruhe vor dem Sturm
Autor 2013/03/08 23:32:32
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[Regionalforum-Saar] Ausstellung "Otto der Gro ße und das Römische Reich"

[Regionalforum-Saar] M. Wrede: Ohne Furcht und Tadel

Date: 2013/03/07 22:47:47
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Wrede, Martin: Ohne Furcht und Tadel - Für König und Vaterland.
Frühneuzeitlicher Hochadel zwischen Familienehre, Ritterideal und
Fürstendienst. Ostfildern: Thorbecke 2012. ISBN 978-3-7995-7466-2; 484
S.; EUR 64,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Günter Krüger, Neuere Geschichte, Universität Mannheim
E-Mail: <gkrueger(a)... Haupttätigkeit des Schwertadels war von jeher der Kampf, weswegen
Adel, Kriegertum und Rittertum eng miteinander verbunden waren. Im
Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit begann allerdings der
unaufhaltsame Niedergang einer mehr als halbtausendjährigen Profession.
Dass mit Rittern keine Schlachten mehr zu gewinnen waren und die aus den
Reihen des Adels aufgestellten schweren Panzerreiter gegenüber den
spießstrotzenden Heerhaufen und der aufkommenden Feuermacht zunehmend an
Bedeutung verloren, war aus militärisch-taktischer Sichtweise
offensichtlich. Zunehmend wurde die verunsicherte Nobilität damit
konfrontiert, wie man mit dieser Entwicklung - der militärische war nur
einer ihrer Aspekte - umgehen sollte. Wenn der Adel in der Folge mehr
und mehr auf andere Betätigungsfelder auswich, so unternahm er
gleichzeitig immense Anstrengungen, um den eigenen Stand auf den Ebenen
von Inszenierung, Repräsentation und Memoria zu überhöhen. Der Krise des
europäischen Adels zum Trotz ging auch die ritterliche Kultur mit ihren
Idealen, Zeichen, Symbolen, Zeremonien und Turnieren nicht unter. Sie
erwies sich, nicht zuletzt durch die von ihr ausgehende Symbolkraft, als
erstaunlich langlebig.

Beständigkeit und Wandel adeliger Mentalitäten ist das Leitmotiv der
vorliegenden Studie, mit der sich der Frühneuzeithistoriker Martin Wrede
2009 habilitierte. Die Einleitung wird recht unspektakulär eröffnet - in
Anbetracht des gewählten imposanten Titels, der sich an eine berühmte
Devise anlehnt, würde man eigentlich einen Schwank aus dem
abenteuerlichen Leben des heldenhaften Bayard, dem Ritter ohne Furcht
und Tadel erwartet haben. Wrede beginnt aber mit einem unbekannten homo
novus, dem Marquis Gaspard de Gueidan, einem Amtsträger der
französischen Krone, der danach strebte, das von ihm konstituierte Haus
Gueidan in den Reihen des alten Schwertadels zu etablieren. Der
ehrgeizige Marquis bemühte alle Mittel der Repräsentation. Er ließ sich
und seine Familienmitglieder mit ritterlichen Attributen porträtieren,
verschaffte seinem Sohn die Aufnahme in den Malteserorden und erhob
Anspruch auf eine genealogische Verbindung zu einer ausgestorbenen
Grafenlinie. Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, tatsächlich
wurden die Besitzungen des Parvenüs in den Rang eines königlichen Lehens
erhoben. Die Ambitionen Gueidans spiegeln eine allgemeine, idealtypische
Grundhaltung und Ausrichtung des europäischen Adels in der Frühen
Neuzeit wider: "das Bemühen um die Ehre des Hauses und deren [...]
Repräsentation; die Fixierung auf die Vergangenheit und der durchaus
kreative Umgang mit ihr" sowie den "Willen zum Festhalten an adeliger
Autonomie oder doch zumindest an deren chevaleresken Ausdrucksformen"
(S. 18).

Die Studie gliedert sich in zwei Teile: in "Erste Familien: Adelshäuser
imaginieren sich selbst", und "Letzte Ritter: vom sehr lang anhaltenden
Aussterben einer Profession und einer Haltung". Im ersten Teil werden in
fünf Kapiteln ausgewählte französische (La Trémoille, Bouillon),
burgundische (Croÿ) und deutsche (Arenberg, Nassau) hochadelige Häuser
unter dem Gesichtspunkt der Selbstauffassung und Selbstdarstellung
betrachtet. Untersucht wird, wie sich diese ersten Familien selbst
imaginierten, etwa als ritterliche Helden, als Anhänger des wahren
Glaubens, oder als königstreue Fürsten, und wie sie auf unterschiedliche
Herausforderungen und Krisen reagierten - hier geht es um territoriale
Selbstbehauptung und Autonomie gegenüber der Krone sowie Rivalitäten
innerhalb des Hauses oder mit anderen Adelsfamilien.

Im zweiten Teil stehen die Plattformen des Adels sowohl auf der Ebene
von Repräsentation als auch von Inszenierung durch das Rittertum und
seine Zeremonien im Zentrum. Drei Kapitel gliedern diesen Abschnitt. Im
ersten geht es um die Entstehung und Entwicklung weltlicher, höfischer
Ritterorden, wobei die Frage aufgeworfen wird, welche Funktion die
ritterliche Gemeinschaft in der Frühen Neuzeit erfüllte. Wrede benennt
hierfür vor allem drei Aspekte: Erinnerungsgemeinschaft,
Veranstaltungsgemeinschaft und Auszeichnungsgemeinschaft. Der erste
meint das Gedenken an verstorbene Ordensbrüder und historische
Ursprünge, aber mehr noch die Bewahrung der ritterlichen Idee. Der
zweite bezeichnet die Zusammenkünfte zum gesellschaftlichen Zweck im
Sinne eines sozialen Raumes für den Adel, den der Orden bot, während der
dritte sich auf die Auszeichnung und Anerkennung des Adels als Mitglied
des Ordens bezog. Eine weitere Funktion sieht Wrede in der Bedienung von
Nostalgie. Nicht in Turnieren, sondern in den Ritterorden versuchte der
Adel die Vergangenheit, die verlorenzugehen drohte, festzuhalten oder
gar wiederzuerlangen.

Turniere bilden überdies das Thema des zweiten Kapitels, in welchem
unter anderem Kontinuitäten und Wandel des Turniers vom ritterlichen
Kampfspiel der Renaissance, über das carrousel und die Rossballette des
17. Jahrhunderts, bis hin zum Regenschirmturnier des 19. Jahrhunderts
analysiert werden. Wrede nimmt hierbei den Gestaltwandel des
frühneuzeitlichen Ritterturniers in den Blick. Aufbauend auf einem
Vergleich zu den Vorläufern des Mittelalters und der Renaissance nach
Analogien und Anachronismen wird danach gefragt, welche Aussagen damit
über den Wandel adeliger Identität und Mentalität gezogen werden können.
Das Turnier, so konstatiert Wrede, veraltete in der Frühen Neuzeit
langsamer und nuancenreicher als angenommen. Drei Momente seien hierfür
ausschlaggebend gewesen, die überdies die funktionalen Elemente, im
Sinne eines militärischen Praxisbezugs, zurücktreten ließen: ein Prozess
der Zivilisation bzw. des Raffinements, ein Prozess der Monarchisierung,
der das Rittertum zunehmend auf den Monarchen konzentrierte und ein
Prozess der Historisierung, der es einer als abgeschlossen betrachteten
Vergangenheit zuwies. Schon für den Ritter an der Wende zur Neuzeit
bedeutete dies im Wettbewerb um Ehre und Ehren höfisch zu werden, es
genügte nicht mehr über ausschließlich militärische, sondern ebenso über
zivilisatorische Qualitäten zu verfügen. "Im kulturellen Totalitarismus
des absoluten Fürstenstaates" hingegen war kein Platz "für den
überkommenen heroisch-chevaleresken Individualismus des Adels" (S. 370)
vorgesehen, der zunehmend die Definitionshoheit über die Vergangenheit
verlor.

Das dritte Kapitel schließlich setzt sich mit den Themen Adelskrise,
Adelsreform und dem Verfall des Rittertums auseinander. Ausgehend vom
Niedergang der Adelskultur im 18. Jahrhundert - ein Prozess, der, wie
Wrede anmerkt, den Adel die gesamte Frühe Neuzeit hindurch begleitete -
bestand die Krise im Besonderen darin, dass sie eine der Wahrnehmung
war. Fürst und Hof, Bürger und Intellektuelle und der Adel selbst
formulierten und postulierten höchst unterschiedliche Vorstellungen
davon, was der Adel sein und was er tun sollte. Der zweite Stand verlor
zunehmend an Konturen, nicht zuletzt, da eine seiner Leitideen nicht
mehr tragfähig war - die Idee adeligen Rittertums.

Dass Adel als Stand von und in Erinnerung lebt, Adel sich per
definitionem über die Vergangenheit konstituiert, wurde, wie der Autor
abschließend einräumt, bereits in früheren Arbeiten dargelegt. Doch
diese Studie setzt andere Parameter: die Bedeutung des adeligen Hauses,
die Idee des Rittertums als eines übergreifenden Lebens- und
Handlungsideals sowie das Verhältnis zum Fürsten. Angelegt auf eine
Perspektive der longue durée vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert legt
Wrede nicht weniger als eine Bestandsaufnahme der Mentalität des
europäischen Adels der Frühen Neuzeit vor - und dies in einer in sich
stimmigen und stringenten Weise. Seine Untersuchung stellt damit nach
meinem Dafürhalten gegenwärtig eine der ergiebigsten Adelsstudien zur
Frühen Neuzeit dar.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan Brademann <jan.brademann(a)... for citation of this contribution
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-1-154