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2012/12/09 19:00:22
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] R. Beck: Ein Hexenprozess 1715-1723
Datum 2012/12/11 00:32:12
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[Regionalforum-Saar] Kreisheimatbuch 2012 erschienen
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[Regionalforum-Saar] R. Beck: Ein Hexenprozess 1715-1723
Autor 2012/12/11 00:32:12
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Kreisheimatbuch 2012 erschienen

[Regionalforum-Saar] Die Mathematik im Altertum. Von Algebra bis Zinseszins.

Date: 2012/12/11 00:24:42
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Hein, Wolfgang: Die Mathematik im Altertum. Von Algebra bis Zinseszins.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012. ISBN
978-3-534-24824-7; 192 S.; EUR 29,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Claas Lattmann, Institut für Klassische Altertumskunde,
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
E-Mail: <clattmann(a)... Hein gibt in "Mathematik im Altertum. Von Algebra bis
Zinseszins" einen knappen Überblick zu einem angesichts seiner immensen
Bedeutung für die moderne Zivilisation weithin zu Unrecht
vernachlässigten Bereich der antiken Kultur: "Mathematik, wie wir sie
heute kennen und in nahezu allen Lebensbereichen bewusst oder unbewusst
anwenden, hat ihre Wurzeln im antiken Griechenland" (S. 5). Die
griechische Mathematik sei jedoch nicht "aus dem Nichts heraus
geschaffen" (S. 5) worden, sondern sei eng mit der Mathematik der
orientalischen Hochkulturen verbunden. Entsprechend besteht das Buch -
abgesehen von der kurzen Einleitung zu "Zahlen und Figuren in der
Vorgeschichte" (S. 9-13) - aus zwei Teilen: Teil I behandelt die
Mathematik in Ägypten, Mesopotamien, Indien und China, Teil II die
griechische Mathematik. Ausdrücklich strebt Hein dabei keine
erschöpfende Darstellung an, sondern "eine möglichst charakteristische
Auswahl" (S. 6) mit dem Zweck, die "historischen, geistesgeschichtlichen
Voraussetzungen", die "Einflüsse" und die "Inspirationen" (S. 6) zu
beleuchten.

Der erste Teil (S. 15-91) zur Mathematik in den frühen antiken
Hochkulturen enthält drei Kapitel: In "Wozu Mathematik?" (S. 17-36)
skizziert Hein die allgemeinen geschichtlichen Grundlagen, vor allem in
politischer Hinsicht (1.1), geht auf "Technische und wirtschaftliche
Erfordernisse" als Bedingungen der Entwicklung der Mathematik ein (1.2)
und umreißt die Bedeutung von Mathematik für "Ausbildung und
Berufspraxis" (1.3), "Astronomie, Astrologie und Kalenderberechnung"
(1.4), "Philosophie, Theologie und Kunst" (1.5) sowie "Bildung und
Unterhaltung" (1.6). Das zweite Kapitel behandelt "Arithmetik und
Algebra" (S. 37-72): Nach Anmerkungen zu den verschiedenen Ausformungen
von Zahlschrift und Zahlsystemen (2.1) skizziert Hein den "Weg der
indischen Ziffern ins Abendland" (2.2) und die Verwendung der
"Grundrechenarten" (2.3). Hierauf spricht er spezielle Probleme wie
"Proportionale Verteilungen, Zinsrechnungen, Dreisatz" (2.4),
"Arithmetische und geometrische Folgen und Reihen" (2.5), "Lineare,
quadratische und kubische Gleichungen" (2.6) sowie "Unbestimmte
Gleichungen" (2.7) an. Abschließend diskutiert er die Problematik von
negativen Zahlen in China und Indien (2.8) und "Vom Nutzen algebraischer
Symbolik" für die allgemeine Entwicklung der Mathematik (2.9). Das
dritte Kapitel wendet sich der Geometrie zu (S. 73-91). Im Fokus stehen
der spätere griechische Blick auf ihre Entstehung (3.1), die implizite
Kenntnis der Sätze des Thales und des Pythagoras (3.2), die praktische
Bedeutung pythagoreischer Zahlentripel (3.3), "Flächen- und
Körperberechnungen" (3.4), Kreisberechnung (3.5) und die "Anfänge der
Trigonometrie" (3.6).

In vier weiteren Kapiteln behandelt Teil II (S. 93-184) die griechische
Mathematik: Der Abschnitt "Vorbereitungen" nimmt eine historische
Kontextualisierung griechischer Mathematik vor (S. 95-109). Hein
skizziert hierbei die politische Geschichte Griechenlands bis zum
Hellenismus (4.1); drei weitere Skizzen widmen sich der
Philosophiegeschichte: "Vom Mythos zum Logos - Der ionische
Rationalismus" (4.2), "Mensch und Kosmos - Die Pythagoreer" (4.3) sowie
"Parmenides und das tertium non datur" (4.4). Den Abschluss bilden
Anmerkungen zur Logistik, einer "Mathematik für den Alltag" (4.5). Das
fünfte Kapitel zeigt die griechische Mathematik "Auf dem Weg zu einer
beweisenden Wissenschaft - Die Frühzeit" (S. 110-135). Im Fokus stehen
die Problemkomplexe "Thales und die Geometrie" (5.1), "Alles ist Zahl -
Die pythagoreischen mathémata oder das Quadrivium" (5.2), "Ist alles
Zahl? Inkommensurabilität und das Irrationale" (5.3), Zenons Paradoxien
(5.4), Eudoxos' Proportionenlehre (5.5) und "Quod erat demonstrandum -
Die deduktive Methode" (5.6).

Das sechste Kapitel widmet sich dem Thema "Ausbau und Vertiefung - Athen
oder Die klassische Zeit" (S. 136-161). Der Schwerpunkt liegt einerseits
auf Platon - hier skizziert Hein Platons Philosophie der Mathematik
(6.1) und diskutiert die Quadratverdopplung im Menon (6.2), Platons
Verhältnis zu Konstruktionen mit Zirkel und Lineal (6.3) und die
platonischen Körper (6.4) -, andererseits auf den sogenannten drei
klassischen Problemen der antiken Mathematik einschließlich der Rolle
des Hippokrates von Chios (6.5) und auf Eudoxos' Exhaustionsmethode zur
Berechnung krummlinig begrenzter Flächen (6.6). Das letzte, siebente
Kapitel wirft einen Blick auf "Alexandria - Glanz und Elend der
griechischen Mathematik" (S. 162-184). Gegenstand sind in erster Linie
die Meisterwerke der griechischen Mathematik: Euklids Elemente (7.1),
Apollonios' Konika (7.2), Archimedes' Traktate, insbesondere die
Methodenschrift (7.3), und Diophants Arithmetika (7.4). Den Abschluss
bilden ein Kapitel zur späteren mathematischen Handbuch- und
Kommentartradition (7.5) sowie ein Kapitel zu den Epigrammen des
Metrodoros, "Mathematik zur Erbauung" (7.6).

Diesem etwas stumpfen Ende des Darstellungsteils - man vermisst eine
Zusammenfassung oder eine darüber hinaus weisende allgemeine kritische
Würdigung der antiken Mathematik in einem weiteren Rahmen - folgt ein
knappes Literaturverzeichnis (S. 185-187) sowie ein nützliches Personen-
und Sachregister (S. 189-192). Letzteres hätte freilich etwas mehr
Sorgfalt vertragen können: Zum einen sind bei fast allen Einträgen
zweiter Ebene Doppelungen zu verzeichnen.[1] Zum anderen sind die
Entscheidungen für die Aufnahme von Seitenangaben und Lemmata nicht
immer transparent: So werden etwa bei der Exhaustionsmethode und bei
Zenon von Elea nicht die gesamten Unterkapitel aufgenommen, sondern nur
einzelne Seiten (also nicht "158-161" bzw. "129-131", sondern "158, 160"
bzw. "129"); außerdem ist zum Beispiel van der Waerden verzeichnet,
nicht jedoch Zeuthen und Heiberg.

Mit den Namen dieser Forscher ist freilich der entscheidende Punkt
angesprochen, der ein gewisses grundsätzliches Unbehagen beim Lesen des
Buches erzeugt - das ansonsten sehr gut lesbar, alles in allem mit
großer Sorgfalt hergestellt sowie mit einer Vielzahl hilfreicher
Abbildungen illustriert ist und im Großen und Ganzen vermag, trotz der
extremen Reduktion der Stofffülle einen repräsentativen Überblick über
den Kern der antiken Mathematik zu geben: Angesichts der Tendenzen der
neueren Forschung erscheint es - spätestens seit Ungurus Aufsatz zur
sogenannten 'geometrischen Algebra' [2] aus dem Jahr 1975, der
bezeichnenderweise ebenso wie die einschlägige darauf folgende
Forschungsliteratur nicht zitiert wird - als problematisch, dass Heins
Herangehensweise stark von der älteren Mathematikgeschichte geprägt ist,
mithin ohne weitere Rechtfertigung das primäre Ziel darin sieht, die
antike Mathematik in der Begrifflichkeit moderner Mathematik
wiederzugeben und insbesondere in die moderne Formelsprache zu
überführen. So wird nicht eine einzige originale griechische
mathematische Proposition oder ein originales (bzw. als solches
überliefertes [3]) griechisches Diagramm gezeigt. Dies führt in
Verbindung damit, dass einerseits die geschichtliche Kontextualisierung
eher oberflächlich (also vornehmlich an der politischen Geschichte
orientiert) erfolgt, andererseits die Geschichte der Mathematik selbst
positivistisch als Geschichte eines mehr oder weniger linearen
Fortschritts von der Unwissenheit zum Wissen verstanden wird, dazu, dass
letztlich - anders als beabsichtigt (vgl. das Vorwort, S. 5f.) - kein
vertieftes Verständnis antiker Mathematik als kultureller Leistung
eigener Art mit originär eigenen Fragestellungen entstehen kann. Ganz im
Gegenteil wird die antike Mathematik mehr oder weniger ihrer
spezifischen Historizität entledigt, mit der Folge, dass wichtige
Charakteristika wie die strenge Formelhaftigkeit einer mathematischen
Proposition oder die grundlegende Bedeutung von Diagrammen nicht adäquat
gedeutet werden oder sogar überhaupt nicht in den Blick geraten.[4]

Hier ist freilich nicht der Ort, diese Problematik mit ihren
weitreichenden Konsequenzen im Detail zu erörtern. Es sei nur ein
knappes Fazit gezogen: Auch wenn Heins Überblick zur antiken Mathematik
methodisch nicht den state of the art der antiken Mathematikgeschichte
repräsentiert, gelingt es, auf knappstem Raum einen Interesse weckenden,
gut geschriebenen und erschwinglichen ersten Einblick in das Themenfeld
zu geben und dabei speziell die Verbundenheit von vor- bzw.
nichtgriechischer und griechischer Mathematik in den Blick zu rücken.


Anmerkungen:
[1] Als Beispiel sei der Extremfall "Gleichung" angeführt: "lineare 58,
59, 62", "lineare 178", "quadratische 59, 61", "quadratische 121",
"quadratische 122", "unbestimmte 66", "unbestimmte 66", "unbestimmte
177"; auf erster Ebene auch bei "Hippokrates von Chios".
[2] Sabetai Unguru, On the Need to Rewrite the History of Greek
Mathematics, in: Archive for History of Exact Sciences 15 (1975/1976),
S. 67-114.
[3] Diese Problematik wird in der aktuellen Forschung intensiv
diskutiert: Vgl. exempli gratia Ken Saito, A preliminary study in the
critical assessment of diagrams in Greek mathematical works, in: SCIAMUS
7 (2006), S. 81-144.
[4] Siehe zum gesamten Problemkomplex exempli gratia Reviel Netz, The
Shaping of Deduction in Greek Mathematics. A Study in Cognitive History,
Cambridge 1999.