Gebrochene Säule – Von der Integration zur
Deportation“
Bericht zur Ausstellung im
Stadtgeschichtlichen
Museum Ottweiler
Holger Schäfer, der Bürgermeister der Stadt
Ottweiler,
hebt am Ende seines Grußwortes in der Broschüre „Gebrochene
Säule – Von der Integration
zur Deportation“ hervor: „Es bleiben: Deportation – Ghetto –
Vernichtungslager
– Holocaust. Schlagwörter, die uns an einen einzigartigen
Völkermord und die
grausamste Zeit deutscher Geschichte erinnern.
Es bleiben aber
auch: „Haskala“ –
„Mazewa“ – und „Haus der Ewigkeit“ – und dies mitten unter
uns, in unserer
Stadt, auf unserem jüdischen Friedhof.“
„Haskala“
–
die jüdische Aufklärung zwischen 1770 und 1880, maßgeblich
geprägt durch
Moses Mendelssohn - beeinflusste
auch
zwei Bürger jüdischen Glaubens aus Ottweiler: die Brüder
Bonnevit/Bernhard und
Felix Coblenz, deren Vater seine letzte Ruhestätte auf dem
jüdischen Friedhof
Ottweiler gefunden hat. Insbesondere der Rabbiner Dr. Felix
Coblenz setzte sich
für eine Abkehr vom orthodoxen Judentum und für eine
Hinwendung zum
Reformjudentum ein. Nach der Ausbildung an der
Marks-Haindorf-Stiftung in
Münster/-Westfalen (gemeinsam mit seinem Bruder Bernhard) und
einer
vorübergehenden Anstellung in Siegen übernahm Felix Coblenz
1889 die
Bielefelder Reformgemeinde und verwirklichte dort – wie auch in Siegen – den Neubau einer
Synagoge: Im äußeren
Erscheinungsbild der Synagoge verdeutlichte die Bielefelder
Reformgemeinde ihre
Abkehr vom orthodoxen Judentum. Die 1905 eingeweihte
Syna-goge, deren
Entstehung maßgeblich von Dr. Coblenz beeinflusst sei, da sie
derjenigen in
Siegen gleiche, bei deren Einweihung 1904 Dr. Coblenz die
Einweihungspredigt
gehalten habe, spiegele wider, dass die „Bielefelder
jüdische Gemeinde (...)
sich um 1905 so weitgehend in ihre christliche Umwelt
integriert fühlt, daß sie
genügend Selbstbewusst-sein aufbringt, historisches Erbe der
Heimat, die sog.
Weserrenaissance, auch für die Juden zu reklamieren. Diese
Synagoge ist mit
keiner Kirche zu verwechseln -... – man wagt es, den
höchsten Turm der Stadt zu
haben und ihn mit einem man wagt es, den höchsten Turm der
Stadt zu haben und
ihn mit einem Davidstern zu krönen.“
In
seiner
Predigt zur Einweihung der Bielefelder Synagoge hob Felix
Coblenz hervor, entscheidend
für die Wahrhaftigkeit der
religiösen Grundüberzeugung sei ihre Umsetzung im alltäglichen
Leben. Dieser
Gedanke veranlasste selbst die Sozialdemokratie in „Die
Volks-wacht, 22.
September 1905“ auf diese Predigt einzugehen: „...
Wir müssen hier die
Erklärung dafür geben, wie wir dazu kommen, über die
Einweihung einer Synagoge
zu berichten, während wir über die Einweihung neuer Kirchen
keine Berichte
bringen... Mit der Reaktion, wie sie heute in den
christlichen Kirchen
herrscht, verbindet uns kein geistiges Band... Aber wir
waren doch überrascht,
als wir die Einweihungspredigt des Herrn Rabbiner Dr.
Coblenz hörten und sie
vom Geiste edelster Menschlichkeit einerseits, modernster
Wissenschaft
andererseits, erfüllt fanden... Aber auch die Religion als
Gesinnung allein ist
ungenügend, es gehört die Tat dazu, Religion ist Leben,
Leben ist Religion. Und
bestätigt werden soll die Religion nach den beiden
herrlichsten Sprüchen der
Thora (Lehre): Gott schuf den Menschen sich zum Bilde, und,
Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst. Menschenwürde und Nächstenliebe,
das soll die
Richtschnur unseres Handelns sein... Wahrlich, wie anders,
als die
kirchlich-christliche Ermahnung zur Bedürfnislosigkeit.
Durch diese Ermahnung
zur Achtung der Menschenwürde und Betätigung der
Menschenliebe wird auch jeder
Sozialdemokrat wahrhaft erbaut...“
Diese Haltung der
„Haskala“ – die
Forderung nach Integration des Judentums in die deutsche
Gesellschaft – brachte
Dr. Felix Coblenz auch als Rabbiner der Jüdischen
Reform-gemeinde Berlin (seit
1917) gegenüber dem aus Osteuropa nach Berlin strömenden
orthodoxen Judentum
deutlich zum Ausdruck. In seinen Beitrag „Ueber die
Ostjudenfrage in
Deutschland“ sprach
Coblenz deutlich an, dass die Ostjuden sowohl in ihrer
Religion, als auch in
ihrer Kultur den Deutschen, also auch den deutschen Juden
völlig fremd sind,
denn: „Es muß einmal ausgesprochen werden, daß unsere
Kultur eine andere ist
als die ihrige, und daß zwischen unseren und ihren
religiösen Anschauungen eine
tiefe Kluft gähnt. Die Kultur und die Religion der in
Deutschland lebenden
Ostjuden sind heute noch Kultur und Religion des Gettos...
und ich glaube,
darin werden die meisten deutschen Juden mir zustimmen: die
Ostjuden von heute
sind uns innerlich vollkommen fremd, in den Aeußerungen, in
jedem Hauch fremd;
sie haben eine andere Kultur, und ich füge hinzu, ein
anderes religiöses
Erleben.“ Trotzdem dürfe man dieser Bevölkerungsgruppe
die Unterstützung
nicht verwei-gern, zumal die Juden durch ihr in den
vergangenen Jahrhunderten
erlittenes Schicksal sich mit den Ostjuden verbunden fühlen
müssen. Es dürfe
jedoch keineswegs so weit kommen, dass die zugewanderten
Ostjuden gemeinsam mit
den Zionisten das Leben der deutschen Juden bestimmten, statt
dessen sollte es
Ziel sein, „daß die Ostjuden allmählich zur Einfügung in
das Leben der
deutschen Juden erzogen werden. Die Zionisten und Orthodoxen
wollen uns in das
Getto der Ostjuden zurückwerfen; wir wollen die Ostjuden aus
der Gettowelt
ihrer Heimat allmählich in die Kultur des deutschen Juden
hineinführen...; wir
möchten die Ostjuden dahin bringen, daß sie, die heute noch
als Gäste im
deutschen Volke leben, sich durch ihr Eingehen in das Wesen
des deutschen
Volkes allmählich das Heimatrecht bei uns erwerben... Unser
Blick muß auf die
Jugend gerichtet sein. Wir müssen die ostjüdischen Kinder
durch treue Arbeit in
der Schule zu deutschen Kindern erziehen, indem wir sie mit
deutschem Geiste
durchtränken und deutsche Wesensart ihnen nahebringen... Die
Ostjuden leben
heute als Gäste in Deutschland. Als Gäste müssen sie sich in
die Sitten derer
eingewöhnen, bei denen sie zu Gaste sind. Erst ihre
rückhaltlose Hingabe an
deutsche Kultur und Geistesart gibt ihnen bei uns das
Heimatrecht, das sie zu
willkommenen Mitarbeitern an dem Kulturleben unseres Volkes
macht.“
Das Lebensmotto
von Dr. Felix
Coblenz lautete: „Religion ist Leben, Leben ist Religion.“
Erinnerten
wir uns heute dieses Lebensmottos von Dr. Felix Coblenz bei
der Frage der
Integration andersgläubiger Zu- und Einwanderer, so erfüllten
wir sein
Vermächtnis.
Die Ausstellung
würdigt also auch
die Leistung des in Ottweiler geborenen Felix Coblenz und
macht deutlich, dass
die „Haskala“ in Deutschland von einem Ottweiler Bürger
entscheidend mitgeprägt
wurde. Näheres über Leben und Werk von Felix Coblenz kann
nachgelesen werden in
folgenden Publikationen (zu beziehen beim Stadtgeschichtlichen
Museum Ottweiler
oder Hans-Joachim Hoffmann 06824-7990):
„Gebrochene Säule
– Von der
Integration zur Deportation“, Schriftenreihe des Stadtmuseums
Ottweiler Band
16, Ottweiler 2012, € 7,80
Landkreis
Neunkirchen (Hg.),
Lebenswege jüdischer Mitbürger, Neunkirchen 2009, € 19.80