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2011/11/21 23:05:49
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] iwäntz 2012
Datum 2011/11/23 09:59:18
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] über die Auswanderungssucht
2011/11/15 15:05:13
Stephan Friedrich
[Regionalforum-Saar] Heimatkalender Spiesen-Elversberg 2012
Betreff 2011/11/08 09:00:31
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Ich hab' da noch 'ne Gesc hichte für Sie
2011/11/21 23:05:49
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] iwäntz 2012
Autor 2011/11/23 09:59:18
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] über die Auswanderungssucht

[Regionalforum-Saar] höchst brisant für St. Wendel 2012

Date: 2011/11/22 21:15:56
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Hammes, Barbara: Ritterlicher Fürst und Ritterschaft. Konkurrierende
Vergegenwärtigung ritterlich-höfischer Tradition im Umkreis
südwestdeutscher Fürstenhöfe 1350-1450 (= Veröffentlichungen der
Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B:
Forschungen 185). Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2011. ISBN
978-3-17-021796-6; XXXVIII, 406 S.; EUR 38,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Günter Krüger, Seminar für Neuere Geschichte, Universität Mannheim
E-Mail: <gkrueger(a)... ist das Rittertum? Diese Frage stellte bekanntermaßen bereits
François Louis Ganshof[1] in einem gleichnamigen Aufsatz. Eine einfache
Antwort auf diese zumindest augenscheinlich unbedarfte Frage geben zu
wollen, erschiene vermessen. Und bestünde der absurde Vorwurf, man könne
nichts Nennenswertes oder Substanzielles über das Rittertum beitragen,
würde das vorliegende Buch von Barbara Hammes den Gegenbeweis
erbringen.

Zum Wesen des Rittertums scheint es zu gehören, dass es eine
erstaunliche Langlebigkeit und Vitalität, unterbrochen von Zeiten
konjunkturellen Wandels, aufweist. Dass das Rittertum des Früh- und
Hochmittelalters nicht mit dem Rittertum des Spätmittelalters
gleichzusetzen ist, dürfte Konsens sein. Aufbauend auf diesem Merkmal
des Rittertums wendet sich die Arbeit, die als Dissertation aus dem
Teilprojekt "Könige und Fürsten des Spätmittelalters und ihre
Erinnerungskulturen" der Universität Gießen hervorging, einem ganz
speziellen Aspekt der Erinnerungskultur zu: dem der fürstlichen
Vergegenwärtigung ritterlich-höfischer Kultur. Der Aufbau der
vorliegenden Studie folgt der traditionellen Gliederung in drei
Hauptkapitel, in denen Barbara Hammes zunächst unter der Überschrift
"Medialität: Vergegenwärtigung ritterlich-höfischer Tradition am
Fürstenhof" eine Vielzahl von Traditions- und Überrestquellen
(unterteilt in die Sektionen Realien, Handlungen und Denkmäler)
betrachtet. Im daran anschließenden zweiten Hauptkapitel wendet sie sich
der titelgebenden Thematik von "Traditionskonkurrenz: Ritterschaft und
ritterlicher Fürst" zu. Das dritte Hauptkapitel folgt der Frage nach der
"Zuschreibung und Aberkennung von Ritterlichkeit".

Das Wesen des Rittertums und der Hofkultur des Spätmittelalters zu
erfassen und richtig zu deuten, ist eine Herausforderung, besonders wenn
man mit absoluten Kategorien wie Blüte, Verfall und Wiederbelebung
konfrontiert wird. Die Auffassung Johan Huizingas von einer
nostalgisch-wirklichkeitsfremden Ritterromantik[2] oder die Konzeption
der zwei Ritterrenaissancen von Werner Paravicini[3] teilt Barbara
Hammes nicht, konstatiert sie doch den Absolutheitsanspruch, den der
Renaissancebegriff in sich trägt, nämlich die mehr oder weniger
vollständige oder dauerhafte Wiederbelebung von etwas, was die
Zeitgenossen als mit deutlichem Abstand wahrgenommene Epoche betrachten
würden.

Auch die neuere Forschung sieht in der Bewahrung von ritterlichen
Traditionen kein konservatives Festhalten, sondern ein bewusstes
Anknüpfen, vielmehr Kontinuität als eine nostalgisch-wirklichkeitsfremde
Ritterrenaissance. Zweifellos ist im Spätmittelalter eine Wiederbelebung
ritterlicher Formen attestierbar, doch ist sie, wie Barbara Hammes es
formuliert, weniger retrospektiv-romantisch als
dynamisch-gegenwartsbezogen. Die Frage nach dem Verhältnis von Tradition
und Innovation innerhalb von Praktiken wie der Festkultur, wie sie hier
dargelegt wird, lässt sich nur unzureichend (aufgrund der dürftigen
Quellenlage) beantworten. Ebenso, ob so etwas wie das bewusste Anknüpfen
an vergangene Zeiten, also eine Wiederbelebung zwischenzeitlich
verschwundener Handlungen, sofern es so etwas um 1400 gab, existent war.
Barbara Hammes tendiert zu einer "grundsätzlichen Kontinuität bei (mehr
oder weniger) starker Standarisierung" (S. 92), wenngleich auch hier
differenziert werden muss. Im Ergebnis erkennt sie für das 15.
Jahrhundert keine grundsätzliche Abweichung hinsichtlich der Qualität
und Quantität der ritterlich-höfischen Festkultur, dafür aber
zweifelsohne eine (nach 1400) verstärkte Vergegenwärtigung und
Selbstthematisierung durch theatralische Inszenierungen
ritterlich-höfischer Traditionen.

Barbara Hammes stellt somit den Topos der Ritterrenaissancen, die sie im
Übrigen erst für die Zeit nach 1500 anerkennt, zurück und konzentriert
sich in ihrer Fragestellung darauf, wie ritterlich-höfische Tradition im
Spätmittelalter von unterschiedlichen sozialen Gruppen vergegenwärtigt
wurde. Untersucht wurden hierbei drei ausgewählte südwestdeutsche
Fürstenhöfe, nämlich der Pfalzgrafenhof in Heidelberg, der Hof der
fürstengleichen Grafen von Württemberg in Stuttgart, der badische
Markgrafenhof, und daran anknüpfend das Verhältnis von Fürsten und Adel,
insbesondere des niederen Adels am Hof und in seiner Umgebung. Hierbei
wird besonders die Interaktion der sozialen Gruppen als Träger einer
ritterlichen Kultur oder ritterlich-höfischen Identität neben dem
Fürsten betont und gefragt, auf welche Weise das Selbstbild des Fürsten
dadurch beeinflusst wurde. Zudem wird in einem weiteren
Untersuchungskriterium die zeitliche Dimension betrachtet, nämlich wie
Tradition durch Erinnerungsträger beibehalten, weiterentwickelt oder
wiederbelebt wurde.

Durchgehend wird der deutsche Raum in den Fokus gestellt. Es erfolgen
keine Vergleiche mit anderen europäischen Höfen, abgesehen von
Heiratsverbindungen mit italienischen Edeldamen oder englischen
Königstöchtern - wobei Barbara Hammes attestiert, dass die
südwestdeutschen Höfe im kulturellen Sinne den westeuropäischen ein
halbes Jahrhundert hinterherhinkten, was aber durch die einheiratenden
Frauen in vielfältigem Sinne kompensiert wurde. Wenn auch hier ein
einseitiger Kulturtransfer stattfand, sieht dies bei der
ritterlich-höfischen Tradition anders aus, da sie zwischen den Höfen
beständig neu ausgehandelt wurde. Im Zuge der eigentlichen Ausgangsfrage
nach der Vergegenwärtigung wird der Schwerpunkt auf bildliche und
rituelle Repräsentationsmuster, also den Traditionsmedien wie Realien,
Handlungen und Denkmäler, gesetzt. Dieser Abschnitt der Untersuchung ist
besonders hervorzuheben - insbesondere die anschaulich illustrierten
Kapitel über Siegel, Grabmäler und Dedikationsbilder -, denn die
Bildanalysen sind detailliert und verraten eine aufmerksame
Beobachtungsgabe.

Der letzte Untersuchungsgegenstand ist zugleich einer der
bemerkenswertesten. Barbara Hammes zeigt, dass auch andere
Herangehensweisen offenstehen, sich dem Rittertum anzunähern, nämlich
das Wesen des Rittertums nicht an Idealen zu messen. Ausgehend von der
Frage, was unter Ritterlichkeit um 1400 zu verstehen ist, wendet sie
sich von den propagierten und idealisierten Forderungen der höfischen
Tugend-Kataloge (aus Literatur und Didaktik) ab und wählt den
handlungsorientierten Ansatz. Nicht den Parzival Wolframs von
Eschenbach, sondern Urkunden und Chroniken sind ihre Quellen, aus denen
sich Zuschreibungen und Aberkennungen des realen Rittertums aufgrund von
ritterlichen Taten oder Missetaten entnehmen lassen.

Gewiss, Barbara Hammes erhebt nicht den Anspruch, das Rittertum an sich
erklären zu wollen, dennoch ermöglicht der von ihr gesetzte Schwerpunkt
auf regional verwurzelte Fürstentümer, verbunden mit einer zeitlichen
Begrenzung, Antworten auf die Frage nach dem Rittertum zu finden. Das
ist ihr in dieser Darlegung zweifelsfrei gelungen.


Anmerkungen:
[1] François Louis Ganshof, Was ist das Rittertum?, in: Arno Borst
(Hrsg.), Das Rittertum im Mittelalter, Darmstadt 1976, S. 130-142.
[2] Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und
Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und den
Niederlanden, Stuttgart 1961, S. 370.
[3] Werner Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters,
München 1999, S. 40-45.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <mueller(a)...