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[Regionalforum-Saar] Elmar Peiffers Gedichte zum Donnerstag
Datum 2011/10/26 09:43:49
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[Regionalforum-Saar] Römerlager an der Lippe
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[Regionalforum-Saar] Elmar Peiffers Gedichte zum Donnerstag
Autor 2011/10/26 09:43:49
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[Regionalforum-Saar] Römerlager an der Lippe

[Regionalforum-Saar] Troja

Date: 2011/10/23 19:49:19
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Ulf, Christoph; Rollinger, Robert (Hrsg.): Lag Troia in Kilikien? Der
aktuelle Streit um Homers Ilias. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 2011. ISBN 978-3-534-23208-6; 448 S.; EUR 49,90.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_14723.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Bernadette Descharmes, Historisches Seminar, Technische Universität
Braunschweig
E-Mail: <b.descharmes(a)... und kein Ende - kaum ein anderes Thema der Altertumswissenschaften
vermag die Meinungen der Experten so tief, so dauerhaft und so emotional
zu spalten, wie die Frage nach der geographischen Lokalisierung Troias
und den historischen Hintergründen eines Troianischen Krieges. Im Jahr
2008 hatte Raoul Schrott mit seinem Buch "Homers Heimat" Stoff für neue
Spekulationen geliefert.[1] Seine Thesen, unter anderem dass der
Verfasser der Ilias aus Kilikien stamme und die dortige Burg Karatepe
ihm als Vorlage für die Beschreibung Troias gedient habe, wurden in den
Feuilletons zum Teil akribisch auseinandergenommen.[2] Man war aber auch
hier wieder mit einer bemerkenswerten Emotionalität zugange, was
letztlich zeigte, dass es bei dieser Frage um weit mehr als um einen
Streit unter Fachwissenschaftlern geht. Wie die Herausgeber im Vorwort
zum vorliegenden Band andeuten, steht hinter der Debatte das Problem der
Indienstnahme Homers für eine europäische Identität. Robert Rollinger
und Christoph Ulf sehen ihren Sammelband als Möglichkeit, "die Debatte
auf eine sachliche Ebene zurückzuführen" (S. 8). Er basiert auf den
Beiträgen der im November 2008 veranstalteten Tagung "Homer - Troia -
Kilikien. Symposion über die Thesen von Raoul Schrott".

Den Einstieg bilden die Beiträge der Herausgeber: Ulf fordert generell
neue Ansätze in der Homer-Forschung, bislang gehe man an Homer immer
wieder heran, um ein bestehendes Bild bestätigt zu finden (S. 12). Indem
Ulf die Debatten um die Entstehung der homerischen Epen noch einmal
nachvollzieht, steckt er die Entfaltungsmöglichkeiten neuer
Fragestellungen ab. Einer dieser neuen Ansätze beschäftigt sich mit der
"kulturpolitischen Situation", die dazu veranlasste, Texte wie die Ilias
und Odyssee abzufassen. Ulf sieht diese "kulturpolitische Situation" in
der Herausbildung einer hellenischen Identität gegeben, welche die
Konstruktion einer gemeinsamen Vergangenheit notwendig machte (S. 22).
Rollinger wendet dann den Blick nach Osten und fragt nach den Einflüssen
aus dem Gebiet, das wir - und wohlgemerkt nicht der Ilias-Dichter - als
"Orient" bezeichnen. Der Entstehungsprozess der Texte sei gewiss durch
Kulturkontakte mit dem Orient geprägt. Aber letztlich sei er, so
Rollinger, "um ein Vielfaches komplexer" als von Schrott angenommen (S.
39).

Um nun diese Komplexität leichter zu durchdringen, erweist sich als
hilfreich, dass die weiteren Beiträge in größere Themenblöcke gegliedert
sind. Im ersten Block werden die "Naturräumlichen Gegebenheiten" in
ihrem Verhältnis zur Ilias betrachtet. Dieter Hertel zeigt dabei auf,
dass Homer die Troas nicht nur oberflächlich kennt, wie Schrott
behauptet, sondern über ein detailliertes Wissen zum Gebiet verfügt (S.
57). Dabei erörtert er Konvergenzen und Divergenzen zwischen dem
epischen Troia und dem viel umstrittenen Hügel Hisarlik. Dort verorte
Homer sein Troia, so Hertel, nicht in Kilikien. Doch wie sieht es mit
dem Kulturkontakt zwischen Griechen und der in Kilikien lebenden
Bevölkerung aus, der für Schrotts These zentral ist? Marion Meyer und
Wolfgang Röllig legen für diese Frage ebenfalls einen negativen Befund
vor. Auf Basis des archäologischen Materials aus Karatepe, für Schrott
das eigentliche Troia Homers, ließe sich weder auf eine Zuwanderung von
Mykenern bzw. Griechen noch auf tiefgreifende Einflüsse aus dem Westen
schließen. Doch woher bezieht Homer seine "orientalischen Anregungen"
(S. 36), wenn nicht aus einem vom Kontakt nach Osten geprägten
kilikischen Umfeld? Josef Wiesehöfer weist in dieser Frage Kilikien
neben Phönikien und Nordsyrien durchaus eine gewisse Bedeutung als
Kontaktraum zu. Jedoch sollte dieser Befund nicht überbewertet werden;
Wiesehöfer geht vielmehr davon aus, dass die Griechen in vorpersischer
Zeit weniger über Anatolien nach Mesopotamien gereist seien, sondern den
Seeweg bevorzugt hätten.

Ein nächster Block thematisiert das "historisch-politische Umfeld" und
dessen möglichen Einfluss auf das Epos. Erwägt werden dabei Verbindungen
zu Ägypten (Francis Breyer), den Hethitern (Stefano di Martino), den
Assyrern (Giovanni B. Lanfranchi) und Zypern (Andreas Mehl). Bei Schrott
nimmt gerade Zypern als Vermittlungspunkt zwischen Griechenland und
Kilikien eine zentrale Funktion für die Ausgestaltung des Sagenstoffs in
den Kypria ein. Mehl jedoch zeigt, dass Zypern im relevanten Zeitraum
durch die politische Organisation des Neuassyrischen Reiches zwar
Kontakte zu Phönikien, nicht aber zu Kilikien unterhielt. Dass sich der
Name des Sagenstoffes von der Insel Zypern herleite, sei
unwahrscheinlich (S. 217) - eine Meinung, die so nicht von jedem
vertreten wird (vgl. den Beitrag von Burkert, S. 419).

Auf die von Schrott bemühten sprachlichen Belege, wie Namen,
Ortsbezeichnungen und Personennennungen, gehen die Beiträge von Ivo
Hajnal und Gerd Steiner ein. Hajnal stellt dabei zunächst eine mögliche
Methode etymologischer Beweisführungen dar, um an wenigen Beispielen
methodische Ungenauigkeiten bei Schrott aufzudecken. In einem weiteren
Schritt stellt er die für Schrott grundlegende sprachliche Gleichsetzung
des keilschriftlichen "Ahhiiaua" mit den homerischen "Achaioi" und deren
Anbindung an Kilikien in Frage. Steiner geht allgemeiner vor, indem er
die "Griechen-Hypothese", also die Annahme von griechischen Namen in
hethitischen Keilschrifttexten, in ihren unterschiedlichen Phasen
nachvollzieht und eine Lokalisierung einzelner Orte unternimmt. Einen
Zusammenhang zwischen griechischen und hethitischen Namen sieht er
jedenfalls nicht gegeben.

All diese Beweisführungen bekräftigen die Haltung, den Ilias-Text als
Dichtung und damit auch als fiktives Gebilde zu verstehen, wobei ein
historisches Ereignis als Ausgangspunkt der Erzählung damit nicht
unbedingt ausgeschlossen werden muss. Ähnlich argumentiert auch Schrott,
worauf Wolfgang Kofler genauer Bezug nimmt. Kofler beobachtet, wie
Schrott den Text immer wieder historisch kontextualisiert, indem er von
einer Intertextualität zwischen Ilias und Gilgamesh-Epos auf einen
historischen Dichter Homer schließt, der das Gilgamesh-Epos gekannt
habe. Hätte Schrott verstärkt nach der Funktion der aufgefundenen
parallelen Motive gefragt, so Kofler, wäre er "dem von ihm selbst immer
wieder hervorgehobenen Kunstwerkcharakter der Ilias gerechter geworden"
(S. 316). Den fiktionalen Charakter der Ilias führt auch Martin L. West
auf nicht ganz unironische Weise vor Augen, indem er selbst die
Lebensgeschichte des Ilias-Dichters in Form eines - zwar kurzen, aber
dafür in sich schlüssigen - Romans erzählt. Im selben Themenkomplex
erörtert Georg Danek, wie die Ilias aus einer mündlichen Erzähltradition
entstehen konnte. Während sich Kofler, West und Danek dem Verhältnis von
Fiktion und Historizität vor allem aus literaturwissenschaftlicher
Perspektive nähern, greift Kurt Raaflaub demgegenüber eine für die Alte
Geschichte relevante Auseinandersetzung auf, welche schon immer die
Frage nach der Historizität der "homerischen Gesellschaft" mitbestimmt
hat. Man versuchte zu erklären, wie die Helden Homers gleichzeitig in
der Hoplitenphalanx und mit Streitwagen kämpfen konnten. Anhand der
Schlachtenbeschreibungen in der Ilias beleuchtet Raaflaub die epische
Erzählweise in ihrem Verhältnis zu einer historischen Realität des
Kampfes. Raaflaub unterscheidet dabei zwischen heroischen Beschreibungen
und einer sogenannten Normalschlacht. Letztere stelle ein "dem Publikum
zeitnahes und vertrautes Element" (S. 363) dar, während er die
Streitwagen eher in einen "unwahrscheinlichen und unrealistischen
Zusammenhang eingebettet" (S. 357) sieht, der dazu diene, die einzelnen
Helden zu präsentieren.

Ein letzter großer Themenblock greift wieder die Frage nach der
Komplexität der Kulturkontakte zwischen Ägäis und Orient auf. Einige
bereits angerissene Probleme kehren dabei zurück, auch die Frage, welche
Gegenden sich in der Ilias wiederfinden, wird erneut erörtert. Johannes
Haubold kommt zu dem Ergebnis, dass sich Homer zwar für das Lykien des
Sarpedon interessiert habe, dass aber eine besondere Verbindung zwischen
der Ilias und Kilikien nicht nachzuweisen sei. Barbara Patzek befasst
sich mit Schrotts These einer Prägung Homers durch altorientalische
Texte, und Walter Burkert geht den unterschiedlichen Möglichkeiten und
Orten des Aufeinandertreffens von Griechen und Orientalen nach. Der Band
schließt mit dem Beitrag von Justus Cobet, der den Streit um Homers
Ilias in den Kontext einer Vereinnahmung Homers durch Europa verortet.
Diese sei einer sich seit der Antike fortsetzenden Rezeption geschuldet,
in der sich dann auch eine nach-homerische Erdteilung zwischen Europa
und Asien verfestigt habe, was letztlich auch die Emotionalität der
Diskussion erkläre.

Den Aufsätzen schließt sich jeweils ein eigener Fußnotenapparat und eine
Bibliographie an, was mühsames Blättern angesichts des Gesamtumfangs des
Bandes erspart. An manchen Stellen wäre jedoch weiteres Kartenmaterial
von Vorteil gewesen. Zugute kommt dem Band seine weitreichende
Interdisziplinarität. Der "klassisch geprägte" Althistoriker sieht sich
so gezwungen, weit über den Rand des griechisch-römischen Kulturkreises
hinauszublicken, um "seinen" Homer innerhalb der griechischen
Frühgeschichte neu zu verorten oder um dessen angestammten Platz zu
behaupten. Dass für die Geschichte der frühen Griechen ein größeres
Gebiet als die Ägäis betrachtet werden muss, ist keine neue Erkenntnis.
Die Notwendigkeit dazu erscheint jedoch nach der Lektüre des
Sammelbandes umso dringlicher.

Anmerkungen:
[1] Raoul Schrott, Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen
Hintergründe, München 2008.
[2] Der Buchveröffentlichung war ein breit angelegter Artikel in der FAZ
vorausgegangen (Raoul Schrott, Homer hat endlich ein Zuhause - in der
Türkei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2007). Eingehende
Reaktionen erfolgten u.a. durch Joachim Latacz (Poeten wissen, was man
mit dem Material alles anstellen kann, in: Süddeutsche Zeitung,
3.1.2008) und Stefan Rebenich (Ein ehrgeiziges Migrantenkind, leider
kastriert, in: Neue Zürcher Zeitung, 15.3.2008).

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann <hartmannu(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-057>