famfo-esens-l - Nachricht 2010-03 00014

[Wiard Hinrichs <wiard1(a)...]

Hallo Rainer,
das alte Dienstzeugnis betrifft einen Steuereinnehmer a.D., man muss nur die Schriftzüge der mittleren 3 Buchstaben des zweiten Worts ein wenig anders zusammenpuzzlen, damit der Oud Ontremger zum Oud Ontvanger wird und man sich den Weg nach Übersee erspart.
Spannend wären da für mich Empfänger, Aussteller / Behörde und Datum dieses Dienstzeugnisses.
Unter napoleonischer Herrschaft wurde die Steuerverwaltung überall grundlegend reorganisiert und bei allem, was sie sonst politisch gegen Napoleon haben mochten, war dies der Teil seines Erbes, an dem die Nachfolgeregierungen am ehesten festhielten.
Im Königreich Holland hatte man schon Anfang 1806 hauptamtliche Steuerannehmer auf der Ebene der einzelnen Gemeinden angestellt. Preussen trat Ostfriesland im Frieden von Tilsit am 9.7.1807 an Napoleon ab, dieser überließ es im Traktat von Fontainebleau vom 11.11.1807 zusammen mit der Herrschaft Jever und den wie rheinbündische Standesherrschaften zu behandelnden Herrschaften Varel und Kniphausen des Grafen Bentinck an seinen in Holland regierenden Bruder Louis. Die Einverleibung in das Königreich Holland geschah durch Gesetz vom 30.1.1808, die feierliche Besitznahme des seit Oktober 1806 bereits militärisch besetzten Gebiets erfolgte in Aurich am 11.3.1808.
Das kompizierte und reichhaltige holländische Steuersystem wurde zum 1.1.1809 in Ostfriesland eingeführt, für die Grundsteuer blieb es, da ein genaues Kataster fehlte, noch für 1809-1811 bei einer jährlichen Abschlagssummen von 320.000 holl. Gulden, von denen das Amt mit seinen 18.629 Diemat 21.280 fl, das Amt Wittmund mit 22.795 dt 23.040 fl zu tragen hatte. Dieses Steuersumme mußte in den einzelnen Gemeinden veranlagt und erhoben werden, ebenso die anderen persönlichen und die zahlreichen indirekten Steuern.
Zum 1.7.1810 legte Louis Napoleon die Krone von Holland zugunsten seines Sohnes (des späteren französischen Kaisers Napoleon III.) nieder, doch schon am 9.7.1810 dekretierte der große Bruder Napoleon in Rambouillet die Vereinigung Hollands mit dem Kaiserreich Frankreich. Das Zollwesen wurde zum 1.1.1811, die übrige Steuerverwaltung zum 1.1.1812 auf das französische System umgestellt, nach dem das Departement Ost-Ems 480.000 Francs Grund- und Häusersteuer aufzubringen hatte.
Unbeliebt waren vor allem die Einnehmer der indirekten Verbrauchssteuern, Wiarda, Ostfriesische Geschichte Bd. 10, S. 530f schildert Exzesse in Esens Ende Februar 1809, nachdem bei 10 von Steuerbedienten bewohnten Häusern die Fenster eingeworfen worden waren. Der als Rädelsführer gefangene Bauer aus Barkholt wurde am 1. März von ungefähr 100 Bauern aus dem Amtsgerichtsgefängnis befreit, und als am 3. März ein Militärkommando von 40 Mann erschien, traten ihnen ungefähr 400 Bauern entgegen, von denen 24 nach Esens in Haft kamen.
Was sonst so ein friesischer Steuerempfänger machte und sah ist an einem anderen Beispiel nachzulesen in einem 1978 erschinenen (und in 18 Monaten 4 Auflagen erreichenden) Buch: Kroniek van een Friese boer. De aantekeningen (1821-1856) van Doeke Wijgers Hellema te Wirdum, bewerkt door H. Algra. (Fryske Akademy Nr. 542), Franeker: Wever, 1978. 445 S. Der Autor war mit 16 Jahren 1782 Schulmeister geworden und kam als solcher 1792 nach Wirdum südlich von Leeuwaarden, wo er dann 1806 Steuereinnehmer (ontvanger) wurde und bis 1838 dort sein Amt ausübte. Wohl durch die vielen Kontakten dabei und die Erfahrung im Umgang mit dem Geld der örtlichen Steuerpflichtigen gehörte er 1815 zum Gründerkreis der "Onderlinge Brand-Assurantie Sociëteit"in Wirdum, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit für Mobiliarbrandversichungen ähnlich der Neuharlingersieler Versicherung.
Ob um Esens herum damals auch jemand so eifrig Tagebuch geführt hat?
 
Wiard Hinrichs
 
 
 



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