[Etwas sehr lang, etwas kompliziert, aber ein starker
Text; ich
empfehle, ihn zum Lesen auszudrucken. Roland Geiger]
Die globale Verortung der Geschichte
Von Dietmar
Rothermund,
Dossenheim E-Mail:
In den letzten
Jahrzehnten hat
die Geschichtswissenschaft mehrfach einen Wandel erlebt. Nach
einer Betonung
von Sprache und Kultur wurde der Raum hervorgehoben. Dabei ging es
nicht nur um
den Raum als gegebene Dimension, sondern als Beziehung zwischen
Orten. Diese
Orte wiederum wurden von einigen Theoretikern als die eigentlichen
Stätten der
Geschichte betrachtet. Geschichte fand statt; um sie darzustellen,
musste man
sie "verorten". So verortet, konnte man die Geschichte
"kartieren" und ihre Ordnung erfassen. Wenn man sich der
Geschichte
in diesem Sinne näherte, musste man schließlich an die globale
Dimension
denken. So lief der Raumbezug der Geschichte auf die
Globalgeschichte hinaus.
Dieser Zusammenhang wurde von den Globalhistorikern nicht
unbedingt gesehen.
Andere Beweggründe legten ihnen die Beschäftigung mit globalen
Themen nahe. Man
denke nur an den Klimawandel, der gar nicht anders als global
betrachtet werden
konnte, oder die ungemein rasche Ausbreitung der sozialen Medien,
die durch das
Internet verbreitet wurden. Solche globalen Phänomene erregten
unmittelbare
Aufmerksamkeit und bewirkten einen Bewusstseinswandel, der dann in
dem
Schlagwort "Globalisierung" seinen prägnanten Ausdruck fand.
Der Prozess der
Globalisierung
"Globalisierung" ist
kein Zustand, sondern ein Prozess. Meist ist von diesem Prozess im
Singular die
Rede. Damit wird impliziert, dass es sich um ein umfassendes
Phänomen handelt,
das wie eine Schicksalsmacht alles prägt. Es wäre jedoch
sinnvoller von
Globalisierungen zu sprechen, die jeweils nur gewisse Bereiche
erfassen.
Globalisierungen in einem Bereich können unbeabsichtigte Folgen in
einem
anderen haben. So etwa die Verbreitung des ertragreichen
mexikanischen Weizens
in Indien: eine sehr erfolgreiche Globalisierung, die Hungersnöte
abwendete,
aber dann eine rasante Bevölkerungsvermehrung verursachte. Die
Geschichte der
Globalisierung wird über viele solche Beispiele zu berichten
haben.
Bereichsglobalisierungen können sich überschneiden und
Interferenzerscheinungen
verursachen oder geradezu gegenläufige Prozesse hervorrufen. Dazu
gehören auch
Kontraste verschiedener Lebensformen. Man denke nur an das Bild in
einer
indischen Zeitung, das einen nackten Asketen zeigt, der ein
Smartphone benutzt.
Es wäre falsch, von der Globalisierung eine allgemeine Konvergenz
der
Lebensformen zu erwarten. Interaktionen können unerwartete
Konsequenzen haben.
Der "arabische Frühling", der 2011 plötzlich ausbrach und sich von
Tunis über Libyen und Ägypten bis nach Syrien verbreitete,
enttäuschte die Erwartungen
derer, die eine Ablösung der diktatorischen Regime durch
freiheitliche
Regierungen erhofften. In seiner frühen Phase verdankte der
"arabische
Frühling" viel der Vernetzung junger Rebellen mithilfe der
sozialen
Medien. Doch diese Art der Vernetzung kann Strohfeuer entfachen,
daraus
entsteht selten eine stabile Ordnung. Soziale Bewegungen können zu
gewalttätigen Unruhen führen und diese wiederum lösen
Flüchtlingsströme aus. Im
Zeitalter der Globalisierung sind Millionen auf der Flucht.
Das Zeitalter des
Anthropozän
Historiker und
Politologen, die
sich mit der Globalisierung beschäftigen, haben versucht, den
Beginn dieser
Epoche zu definieren. Sie sind sich weitgehend einig, dass sie in
der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzt. Parallel zu diesem Zeitalter
der
Globalisierung ist ein neues Erdzeitalter, das "Anthropozän",
proklamiert worden, das ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts
beginne. Der Begriff wurde von dem niederländischen Chemiker P. J.
Crutzen in
Umlauf gebracht und fand ein begeistertes Echo. Er bezieht sich
darauf, dass
der Mensch einen rasch wachsenden Einfluss auf die Gestaltung der
Erde hat. Die
Erderwärmung, der Rückgang der Artenvielfalt, die rasante
Vermehrung der
Menschen und vieles andere mehr sind die Signaturen des
Anthropozäns. Als
deutliche Markierung seines Beginns dient das Auftreten
künstlicher Isotope
nach den Atomtests. Der Abwurf der Atombombe zeugt von der
Möglichkeit der
totalen Vernichtung der Menschheit durch den Menschen, die der
Geschichte eine
ganz neue Qualität verleiht. Naturwissenschaftler, die sich mit
dem Anthropozän
beschäftigen, denken nicht nur an eine Klassifizierung seiner
Symptome, sondern
auch an gezielte Eingriffe zur Korrektur der bisher
stattgefundenen schädlichen
Entwicklungen. So wäre etwa an Strahlungsmanagement durch Spiegel
im All zu
denken oder die Produktion künstlicher Wolken usw. Mit einer
Konvergenz von
Forschungen zur Geschichte der Globalisierung und zum Anthropozän
ist zu
rechnen.
Einige Autoren
wollen den Beginn
des Anthropozän schon früher datieren. Charles Mann sieht den
"Columbian
Exchange", die Übertragung amerikanischer Pfanzen (Kartoffel,
Mais,
Tomate, etc.) nach Europa als Anfang des Anthropozän an, das er
Homogenozän
nennt. Er beruft sich auf die globalen Auswirkungen dieses
Phänomens auf die
Lebensbedingungen der Menschen und stellt das sehr anschaulich
dar. Man kann
dies bereits als einen Beitrag zur Konvergenz der Forschung
betrachten.
Die frühe
Globalisierung,
1850-1950
Eine Beschränkung
der Geschichte
der Globalisierung auf die Zeit nach 1950 trifft auf berechtigte
Kritik.
Bereits die Zeit von 1850 bis 1950 kann als eine frühere Epoche
der
Globalisierung reklamiert werden. Es zeigten sich in diesen
hundert Jahren
sowohl positive, zukunftsweisende Tendenzen von globaler Dimension
als auch
neuartige Konflikte von bisher ungeahnter Brisanz und Reichweite.
Zu den
positiven Phänomenen gehört zum Beispiel die alle nationalen
Grenzen
überschreitende Kommunikation, die in der Gründung der
International Telegraph
Union (1865) und des Weltpostvereins (1874) ihren Ausdruck fand.
Es ist
bezeichnend, dass diese Organisationen ihre Zentralen in der
neutralen Schweiz
hatten. Die Telegraphenkabel umspannten sehr rasch den ganzen
Globus. Unterseekabel
durchquerten die Weltmeere.
Der amerikanische
Unternehmer
Cyrus Field schaffte es 1866, das Kabel durch den Atlantik zu
verlegen, nachdem
ihm ein früherer Versuch misslungen war. Danach wollte er auch den
Pazifik bezwingen,
aber er starb 1892 bevor es dazu kam. Briten und Amerikaner
rüsteten
schließlich zu einem Wettrennen durch den Pazifik. Die Briten
verlegten ihr
Kabel von Kanada nach Australien und Neuseeland und erreichten ihr
Ziel 1902.
Die Amerikaner vollendeten ihre Verbindung von San Francisco über
Hawaii und die
Midway Islands nach den Philippinen nur wenige Monate später. Die
britische
Nachrichtenagentur Reuters und die amerikanische Associated Press
(AP) waren
stark an dieser Verbindung interessiert. Reuters versorgte vor
1903 auch die
USA mit Nachrichten aus Asien, die über London mit einiger
Verzögerung in New
York eintrafen. Nach 1903 musste Reuters die Nachrichten aus Asien
zum großen
Teil von AP beziehen.
Die telegraphische
Nachrichtenübermittlung diente in erster Linie kommerziellen
Zwecken. Sie erleichterte
auch Regierungen ihre Arbeit. Instruktionen aus London erreichten
den Vizekönig
in Indien nun in wenigen Minuten und konnten ebenso schnell
beantwortet werden,
während zuvor Monate vergingen, bis die Depeschen eintrafen und
dann die
Antwort ihr Ziel erreichte. Doch der kulturelle Einfluss der
Telegraphie war
vielleicht noch bedeutsamer. Der rasche Nachrichtenverkehr prägte
die Presse
und schuf eine neue Öffentlichkeit. Im Hinblick auf das koloniale
Indien kann
man sogar argumentieren, dass der Telegraph zur Nationsbildung
beitrug. Während
die Nationsbildung in Ländern, die der Kolonialherrschaft
unterworfen waren,
wohl positiv zu bewerten ist, hatte der wachsende Nationalismus in
den
imperialen Ländern, die miteinander konkurrierten, gefährliche
Konsequenzen,
zumal die technischen Möglichkeiten in dieser Epoche der frühen
Globalisierung
rasant zunahmen. Der Erste Weltkrieg demonstrierte dies auf
katastrophale
Weise. Doch war dieser Krieg nur der Beginn einer fatalen Sequenz,
die nach
einer globalen Wirtschaftskrise rasch in einem noch
schrecklicheren Krieg
mündete.
Die Sequenz
Krieg-Krise-Krieg
Die Sequenz
Krieg-Krise-Krieg
bezeichnete das Ende der ersten Phase der Globalisierung, sie soll
daher hier
ausführlicher behandelt werden. Einer einflussreichen Analyse
zufolge, sollen
die Staatsmänner wie "Schlafwandler" in den Ersten Weltkrieg
hineingeraten sein. Es gab jedoch bereits lange zuvor konkrete
Kriegsvorbereitungen. Sowohl bei den Landstreitkräften als auch
zur See wurde
aufgerüstet. Der technische Fortschritt, vor allem bei der
Artillerie und den
Kriegsschiffen, zwang zum Wettrüsten. Detaillierte Schlachtpläne
lagen schon
geraume Zeit in den Schubladen. Man denke nur an den
Schlieffen-Plan, den der
deutsche Generalstabschef bereits1905 entworfen hatte. Graf von
Schlieffen war
ein umsichtiger Mann und hatte eine globale Perspektive. Seiner
Ansicht nach
konnte die Welt aufgrund ihrer Verflechtung keinen langen Krieg
ertragen. Er
musste also für einen Blitzkrieg planen, der sich gegen Frankreich
und Russland
richtete. Der japanische Sieg über das Zarenreich in dem Jahr, in
dem er seinen
Plan konzipierte, ermutigte ihn dazu, den Blitzkrieg gegen
Frankreich
vorzusehen, und Russland erst danach anzugreifen. Frankreich hatte
jedoch seine
Ostgrenze im späten 19. Jahrhundert mit einem Festungsgürtel
versehen, der die
"Eiserne Barierre" genannt wurde. Daher plante Schlieffen einen
Vorstoß durch das neutrale Belgien, um der französischen Armee in
den Rücken zu
fallen. Die Verletzung der belgischen Neutralität drohte jedoch
einen
britischen Kriegseintritt herbeizuführen. Hier ergänzte die
Flottenpolitik des
Großadmirals Alfred von Tirpitz die deutschen Kriegspläne. Tirpitz
war als
junger Marineoffizier oft in England zu Gast, sprach fließend
Englisch und
sandte seine Töchter auf englische Schulen. Er wurde ein Günstling
von Kaiser
Wilhelm II., der seinen Plan, die deutsche Flotte mit
Schlachtschiffen auszurüsten,
unterstützte. Tirpitz war politisch sehr geschickt und brachte den
Reichstag
dazu, den Flottenbau langfristig und großzügig zu finanzieren.
Tirpitz hatte
nicht das Ziel, die Briten zu besiegen, er wollte sie nur von
einem
Kriegseintritt abhalten, indem er das Risiko eines Angriffs auf
die deutsche
Flotte erhöhte. Er kannte die Sorge der Briten um ihr Empire, zu
dessen
Verteidigung sie ihre Flotte brauchten. Die Briten betrachteten
den deutschen
Flottenbau mit Argwohn und rüsteten ihrerseits kräftig auf. Als
der Weltkrieg
begann, hatten sie eine Flotte, die der deutschen zahlenmäßig weit
überlegen
war, und traten schließlich doch in den Krieg ein, nachdem
deutsche Truppen in
Belgien eingefallen waren. Das Aufeinandertreffen der beiden
Flotten bei
Skagerrak im Mai 1916 endete unentschieden, aber mit besonders
hohen Verlusten
auf der britischen Seite. Die britischen Schiffe waren in der
Überzahl, aber
die deutsche Schiffsartillerie hatte die besseren Granaten. Einige
britische
Schlachtschiffe explodierten geradezu und sanken blitzschnell mit
ihrer ganzen
Mannschaft. Die beiden Flotten trennten sich schließlich und
sollten sich nie
wieder begegnen. Tirpitz trat in diesem Jahr zurück. Er hatte sich
inzwischen
der U-Boot-Produktion verschrieben und war entrüstet, weil die
Regierung den
unbegrenzten U-Boot-Krieg nicht billigte. Als sie es 1917 dann
doch tat, führte
dies zum Kriegseintritt der USA. Obwohl die britische Flotte 1916
große
Verluste erlitten hatte, konnte sie doch weiterhin die Seeblockade
aufrechterhalten, die Deutschland empfindlich traf.
Schon wenige Monate
nach
Kriegsbeginn hätte der durch diese Blockade verursachte Mangel an
Salpeterimporten,
die für die Schießpulverproduktion erforderlich war, dem Krieg ein
Ende setzen
können. Deutschland wäre schon 1915 wegen Mangel an Munition dazu
gezwungen
gewesen, zu kapitulieren, doch die deutsche Industrie fand einen
Ausweg.
Deutschland hatte in den Jahren vor dem Krieg große Fortschritte
in der
chemischen Industrie gemacht. Das Haber-Bosch Verfahren
ermöglichte die
Ammoniaksynthese. So konnte der Salpeter ersetzt, aber auch
Kunstdünger
hergestellt werden. Der Kunstdünger führte später zu einer
globalen Steigerung
der Weizenernte und zur Bevölkerungsvermehrung. Im Krieg war
zunächst die
Schießpulverproduktion von Bedeutung, die Millionen von Menschen
den Tod
brachte. Ohne Zweifel war diese technische Errungenschaft ein
Vorbote des
Anthropozän. Entgegen der Annahme, dass der Weltkrieg aufgrund der
globalen
Situation nur kurz sein könnte, zeigte sich, dass die
Industrienationen wider
Erwarten enorme Ressourcen mobilisieren konnten, die dem Krieg
eine lange Dauer
verliehen.
Die USA gingen als
der
eigentliche Sieger aus diesem Krieg hervor. Ihr Präsident Woodrow
Wilson machte
sich denn auch anheischig, die Nachkriegsordnung zu bestimmen. Der
Völkerbund
verdankte ihm seine Gründung, doch leider traten die USA dieser
Organisation
nicht bei. Während Amerika sich so jeder politischen Verantwortung
entzog,
blieb es doch auf finanziellem Gebiet sehr präsent, denn es hatte
Großbritannien als Weltkreditgeber abgelöst. Vor dem Krieg flossen
Großbritannien jährlich 170 Millionen Pfund an Zinsen und
Dividenden zu und
davon konnte es den größten Teil wiederum im Ausland investieren.
Nach dem
Krieg waren es nur noch 40 Millionen, die die Briten im Ausland
investieren
konnten. Großbritannien hatte Kriegsschulden bei den USA in Höhe
von 4,1
Milliarden US Dollar, weitere 6,2 Milliarden schuldeten andere
europäische
Kriegsteilnehmer den Amerikanern, die keineswegs bereit waren,
auch nur den
geringsten Teil davon zu erlassen. Daneben hatten die europäischen
Nationen
auch noch Schulden bei den eigenen Staatsbürgern, die
Kriegsanleihen gezeichnet
hatten. In Großbritannien waren dies rund 2 Milliarden Pfund, die
zum Teil erst
nach hundert Jahren zurückgezahlt wurden. Das Deutsche Reich hatte
164
Milliarden Reichsmark Kriegsschulden in Form von Anleihen, die
aber bereits
1923 durch die Hyperinflation gelöscht wurden. Diese Inflation
blieb jedoch ein
Trauma für die Deutschen, von denen viele ihre Ersparnisse
verloren. Besonders
die Mittelklasse war davon betroffen. Bürgerliche Parteien
verloren Unterstützung.
Linke und rechte Parteien wuchsen an. Es kam zu einer
Polarisierung, die die
Weimarer Republik zerstörte.
Die Weimarer
Republik war von
Anfang an durch die hohen Forderungen von Reparationen belastet.
Die Allierten
waren auf sie angewiesen, weil sie mit ihnen die Kriegsschulden
bei den USA
bezahlten. Deutschland hätte die Reparationszahlungen durch
erhöhte Exporte
verdienen müssen. Doch diese Möglichkeit gaben die Alliierten
Deutschland
nicht. Der britische Ökonom J.M. Keynes publizierte eine treffende
Analyse der
Zwangslage, die sich so ergab. Das Buch wurde in zwölf Sprachen
übersetzt und
machte Keynes weltberühmt. Er prophezeite, dass die deutsche
Reaktion in 20
Jahren zu einem zweiten Weltkrieg führen würde - und so kam es
dann auch. In den
1920er-Jahren wurde das Dilemma von Kriegsschulden und
Reparationen zunächst
dadurch gelöst, dass amerikanische Kapitalisten enorme Summen in
Deutschland
investierten, das durch den Zufluss von Devisen in der Lage war,
Reparationen
zu zahlen, so dass die Alliierten ihre Kriegsschulden in Amerika
begleichen konnten.
Der Kreislauf hätte andauern können, doch 1928 wurde er von den
Amerikanern
unterbrochen, die Deutschland keine weiteren Kredite mehr gaben.
Die USA stürzten
Ende der
1920er-Jahre die Welt in eine globale Wirtschaftskrise.
Verschiedene Ursachen
trugen dazu bei. Eine davon war die Perversion des internationalen
Goldstandards, eine weitere die Überproduktion von Weizen, die zu
einem
Zusammenbruch des Weltagrarmarkts führte, schließlich auch die
Aktienspekulation,
die 1929 zu einem Börsencrash in New York führte, der wiederum
eine Finanzkrise
auslöste, die viele amerikanische und dann auch europäische Banken
hinwegfegte.
Das wiederum bewirkte die weltweite Depression, die lange
andauerte. Die Globalisierung
zeigte zum ersten Mal ihre gefährlichen Konsequenzen. Der
Goldstandard, der zu
einem weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung vor dem Ersten
Weltkrieg
beigetragen hatte, erwies sich nun als trügerisch, nicht zuletzt
weil er von
den USA pervertiert wurde. Dort war 1913 eine Zentralbank (Federal
Reserve
Board = Fed) gegründet worden, die eigentlich nur der
Kreditsicherung dienen
sollte, aber im Ersten Weltkrieg sich auch die Sicherung der
Preisstabilität
zur Aufgabe machte. Nach dem Krieg strömte viel Gold in die USA.
Nach der
Theorie des Goldstandards hätte das dort eine Inflation auslösen
müssen, die
dann zu einem Rückfluss des Goldes und damit zu einer
Wiederherstellung des
Gleichgewichts geführt hätte. Die Fed thesaurierte jedoch das
Gold, um die Preisstabilität
zu wahren, gewährte dann aber ihrerseits den Ländern großzügige
Kredite, die
zum Goldstandard zurückkehrten, um das Niveau der Vorkriegszeit
wieder zu
erreichen. Die Fed stimulierte so aber auch das
Wirtschaftswachstum in den USA
und regte zur Börsenspekulation an, die sie dann durch Erhöhung
der Zinsen
wieder eindämmen wollte. Spekulanten wurden dadurch nicht
entmutigt, weil sie
auf höhere Kurse ihrer Aktien hofften. Sie konnten zudem ihre
Aktien bei Banken
hinterlegen und sich Geld für weitere Aktienkäufe besorgen. Die
Agrarkredite
funktionierten ähnlich. Getreidehändler konnten ihre vollen
Lagerhäuser den
Banken als Sicherheit für ihre Kredite anbieten und so den Preis
halten. Als
die Fed die Zinsen erhöhte, verteuerte sie damit auch die
Agrarkredite. Es kam
zu Panikverkäufen und die lösten eine Weizenlawine aus, die sich
auf dem
Weltmarkt ergoss. In Indien fiel der Weizenpreis 1930 um die
Hälfte, obwohl es
dort keine Überproduktion gab. Im nächsten Jahr folgte der
Reispreis - auch in
den anderen Ländern Asiens. Er fiel 1933 sogar tiefer als der
Weizenpreis, obwohl
der Reispreis sonst stets höher gewesen war als der Weizenpreis.
Der Agrarpreisverfall
blieb nicht auf das Getreide beschränkt, die Baumwollpreise fielen
sogar noch
mehr.
Die Bauern wurden
weltweit zu
Globalisierungsverlierern. Das galt auch für viele Arbeiter der
Industrieländer,
von denen man eher Notiz nahm als von den Bauern. Für Arbeiter,
die ihren
Arbeitsplatz behielten, waren die Krisenjahre freilich eine gute
Zeit, weil bei
fallenden Preisen ihre Reallöhne stiegen. Aber die wachsende Zahl
der
Arbeitslosen litt unter der Krise. Sie gaben radikalen Parteien
Auftrieb. Die
Ökonomen waren ratlos. Sie betrachteten den Arbeitsmarkt als einen
Markt wie
jeden anderen. Auf diesem Markt hätte jedes Angebot an Arbeit beim
richtigen
Preis (Lohn) seinen Absatz finden müssen. Warum gelang es den
Arbeitgebern
nicht, die Löhne zu drücken? Ben Bernanke, der später einmal Chef
der Fed
wurde, hat sich als Wissenschaftler mit diesem Problem der "sticky
wages"
beschäftigt. Er erklärte es damit, dass die Arbeitgeber lieber
Arbeiter
entließen, aber ihre fähigsten Arbeiter zu den alten Bedingungen
hielten, um
bei einem erhofften Aufschwung wieder produktiv zu sein. Er hätte
hinzufügen
können, dass die Gewerkschaften einen entscheidenden Beitrag zu
den
"sticky wages" leisteten. Sie kümmerten sich notgedrungen nicht um
die Arbeitslosen, sondern konnten nur um die Erhaltung der Löhne
der
Arbeitenden kämpfen. Für die Arbeitgeber war es leichter, Arbeiter
zu
entlassen, als Löhne zu drücken. In Deutschland gab es in den
Jahren der Krise
Millionen von Arbeitslosen, die für Hitler stimmten, der
versprach, die Krise
zu bewältigen. Dies gelang ihm, weil er in Hjalmar Schacht einen
kreativen
Wirtschaftspolitiker an seiner Seite hatte, der, lange bevor
Keynes dies
empfahl, die Nachfrage stimulierte, indem er eine kontrollierte
Inflation
betrieb. Dabei blieben die deutschen Löhne verglichen mit den
britischen und
französischen in den 1930er-Jahren sehr moderat. Hitler konnte auf
dieser
Grundlage seine Kriegsvorbereitungen vorantreiben. Darüber kam er
mit Schacht
in Konflikt, der ihn 1939 vor einer Inflation warnte. Schacht war
ein
konservativer Nationalist, der mit Hitler darin übereinstimmte,
dass
Deutschland den Diktatfrieden von Versailles überwinden müsse. Das
hatte Hitler
nach Schachts Ansicht nun erreicht, Rüstungsausgaben waren nicht
länger nötig
und erhöhten nur die Inflationsgefahr. Hitler aber wollte den
Krieg und entließ
Schacht und den gesamten Vorstand der Reichsbank. Er konnte keine
unbequemen
Mahner gebrauchen.
Ein besonderer
Trumpf der
deutschen Rüstung war die große Zahl mächtiger Panzer. Im Ersten
Weltkrieg
hatte Deutschland auf Panzer verzichtet, weil die deutschen
Generäle meinten,
sie seien auf dem Schlachtfeld zu nichts nütze. Die Briten
schlugen dann das
deutsche Heer mit ihren Panzern auf den französischen
Schlachtfeldern, doch da
war es für die Deutschen zu spät, um sich noch mit Panzern zu
versorgen. Erst
gegen Kriegsende gab es ein paar deutsche Panzer, die aber nicht
mehr zum
Einsatz kamen. Hitler dagegen zog mit Tausenden von Panzern in den
Zweiten
Weltkrieg. Bei seinem Überfall auf die Sowjetunion war er der
russischen Armee
auf diesem Gebiet haushoch überlegen. War bereits der Erste
Weltkrieg von
Materialschlachten geprägt, die die Leistungsfähigkeit der
Industrie bewiesen,
so war der Zweite Weltkrieg noch sehr viel gewaltiger in seiner
zerstörerischen
Dimension. Der amerikanische Kriegseintritt, der auch diesmal
wieder mit einer
Verzögerung von einigen Jahren erfolgte, steigerte dann die
Schlagkraft der
Alliierten enorm. Hitler unterschätzte die Amerikaner zunächst,
erlebte aber
dann, wie die USA Truppen und eine Woge von Kriegsgerät über den
Atlantik
sandten. Ihre industrielle Produktivität war unschlagbar. Nachdem
die Europäer
sich selbst zerfleischt hatten, trugen die Amerikaner geradezu
mühelos den Sieg
davon. Diesmal zogen sie sich nicht wieder zurück und blieben in
Europa. Sie
prägten die nun einsetzende zweite Phase der Globalisierung.
Diese zweite Phase
war
gekennzeichnet durch eine enorme Vermehrung der Nationalstaaten
nach der
raschen Dekolonisierung in den Jahren von 1947 bis 1960. Zugleich
wuchs die
Weltbevölkerung bis 2016 auf über sieben Milliarden an, während
sie um 1945
weniger als drei Milliarden betragen hatten. Erst aufgrund dieses
enormen
Anstiegs konnte man vom "Anthropozän" sprechen. Doch die
Globalgeschichte beschränkt sich nicht auf die Epoche der
Globalisierung,
sondern umfasst auch die früheren Epochen der Geschichte der
Menschheit.
Die früheren Epochen
der
Globalgeschichte
Der Bericht des
Historikers muss
auf Quellen basieren - und dies sind in erster Linie schriftliche
Dokumente.
Alles was nicht schriftlich belegt werden kann, gilt als
prähistorisch. Doch
nach den jüngsten Fortschritten von Archäologie, Paläobiologie und
Genforschung
lassen sich auch über sehr frühe Zeiten der Menschheitsgeschichte
Aussagen
machen, die wissenschaftlich nachprüfbar sind. Die so genannte
"Neolithische Revolution", die Zeit, in der die Menschheit in der
Jungsteinzeit sesshaft wurde und Ackerbau und Viehzucht betrieb,
kann als der
Beginn der Globalgeschichte bezeichnet werden. Die räumliche
Differenzierung
dieser frühen Globalgeschichte ist bemerkenswert. Sie beruht auf
der
verschiedenen Gestalt der großen Kontinente. Jared Diamond, der
zuerst
Physiologe war jetzt aber Professor für Geographie ist, hat darauf
hingewiesen,
dass der eurasiatische Kontinent, der sich über ca. 150
Längengrade und 75
Breitengrade erstreckt, besonders gut für eine horizontale
Diffusion der
Errungenschaften der "Neolithischen Revolution" geeignet war,
während
der amerikanische Kontinent, der sozusagen vertikal über viele
Breitengrade und
Klimazonen verläuft, für eine solche Diffusion äußerst ungeeignet
war. In Eurasien
bot der "Fruchtbare Halbmond" den Ansatzpunkt für die
"Neolithische Revolution", die sich dann in einer ähnlichen
Klimazone
nach Westen und Osten ausbreiten konnte. Amerika war dagegen in
viele
Klimazonen unterteilt. Außerdem lebten in Eurasien viele
Tierarten, die sich
wie Rind und Pferd für die Domestizierung eigneten. Amerika fehlte
es an
solchen Tieren.
Die "Neolithische
Revolution" war kein plötzliches Ereignis, sondern vollzog sich
vom 10.
bis 6. Jahrtausend v.Chr. in mehreren fruchtbaren Gegenden. Große
Flusstäler
(Nil, Euphrat und Tigris, Indus) waren dafür besonders günstig.
Diese Flüsse
überschwemmten Jahr für Jahr große Ebenen und lagerten dabei Erde
ab, die hohe
Erträge lieferte. Der Indus führt doppelt so viel Wasser wie der
Nil. Die Pioniere
der "Neolithischen Revolution" machten ihre landwirtschaftlichen
Experimente aber zunächst in kleineren Nebentälern der großen
Flüsse, ehe sie
sich trauten, die großen Schwemmländer unter den Pflug zu nehmen.
Zu diesen
Experimenten gehörte auch das Finden der Getreidesorten. Es waren
dies Mutanten
von Gräsern, deren Samenkörner am Halm blieben, statt sich selbst
auszusäen.
Nur die am Halm verbliebenen Körner konnte der Mensch ernten und
ausdreschen.
Die Menschen, die das entdeckten, waren die eigentlichen
"Revolutionäre". Dann kam es darauf an, die geeigneten Mutanten zu
kultivieren. Das wiederum zwang zur Sesshaftigkeit und diese
wiederum erzeugte
menschliche Gesellschaften. Die Bevölkerungsvermehrung führte dann
zur
Intensivierung der Landwirtschaft durch Pflügen, Bewässerung,
Felderwechsel
etc. Dabei konnten global mehrere Agrarsysteme koexistieren, da
der technische
Wandel sich den lokalen Bedingungen anpasste. Dem Ackerbau folgte
die
Viehzucht. Das Pflügen erforderte Zugvieh. Die Domestizierung des
Rindviehs
ging der des Pferdes voraus, das nicht wie der Ochse an ein Joch
geschirrt
werden konnte, sondern allenfalls einen Sattel tragen oder mit
einem
Brustblattgeschirr einen leichten Wagen ziehen konnte. Erst das
Kummet, ein
Kragen, der um Brust und Schultern gelegt wurde, machte das Pferd
zum Zugvieh,
das schwere Böden pflügen konnte. In China war das Kummet bereits
500 v.Chr. bekannt.
In Europa verbreitete es sich erst im Mittelalter. Die Induskultur
kannte das
Pferd nicht, das erst von den einwandernden Ariern mitgebracht
wurde, die auch
den Streitwagen verwendeten, der in Ägypten und Westasien bereits
lange bekannt
war. Der Streitwagenkampf erforderte erfahrene Wagenlenker, die zu
einer Art
niederem Adel wurden. Sie wurden meist vom König ernannt und waren
Angehörige
einer Garde. In Indien gehörte auch der Wagenbauer zu dieser
Elite. Er wurde in
den vedischen Texten besonders erwähnt. In Ägypten wurde der
Streitwagen um
1500 v.Chr. von fremden Eroberern, den Hyksos, eingeführt. Hyksos
bedeutet
"Königsschäfer" und scheint auf die Herkunft von einem Hirtenstamm
hinzuweisen. Sie kamen wohl aus Palästina und errichteten ihre
Herrschaft
zunächst im östlichen Nildelta. Nachdem die Ägypter die Herrschaft
der Hyksos
wieder abgeschüttelt hatten, übernahmen sie deren Militärtechnik.
Der Pharao
Ramses II. (1304-1237 v.Chr.) wurde als Streitwagenkrieger
abgebildet.
Die sesshaften
Bauerngesellschaften boten die Grundlage für die Königsherrschaft,
ein globales
Phänomen, das in den alten Kulturen jedoch sehr verschiedene
lokale
Ausprägungen zeigte. Die ägyptischen Pharaonen sind der Nachwelt
meist gut
bekannt, sogar ihre Namen sind überliefert. Für sie wurden große
Paläste und
monumentale Gräber erbaut. Auch die mesopotamischen Reiche von Ur
und Babylon
und das Reich der Assyrer hatten namhafte Könige, die in großen
Palästen wohnten.
Über das riesige Reich der Induskultur wissen wir dagegen weit
weniger. Seine
Schrift ist noch nicht entziffert. Es hat dort große Städte
gegeben, aber keine
Paläste und Königsgräber. Vermutlich wurde es von einer
priesterlichen Elite
beherrscht. Ein über das riesige "Staatsgebiet" gleichförmiges
System
von Maßen und Gewichten zeugt von mächtigen Kontrollinstanzen.
Dieses Reich
trieb mit Mesopotamien einen regen Seehandel, war aber offenbar
von ganz
anderer Struktur. Eine besondere dürreresistente Weizensorte
(Triticum
Sphaerococcum) und Gerste waren die wichtigsten Nahrungsgetreide.
Der Reis ist
nur an wenigen Stellen und in kleinen Mengen von den Archäologen
gefunden
worden. Die Blütezeit dieses Reichs war um ca. 2500-1500 v.Chr.
Sein Untergang
wurde wohl vom Klimawandel und tektonischer Veränderung der
Flussläufe
verursacht. Ausgrabungen in Mehrgarh am Bolan-Pass in Baluchistan
haben
gezeigt, dass die "Neolithische Revolution" hier schon im 7. bis
6.
Jahrtausend einsetzte. Die Induskultur hatte offenbar lokale
Wurzeln und war nicht aus
Mesopotamien
"importiert" worden. Sie hatte auch ihre eignen Haustiere wie das
indische Buckelrind (Bos Indicus), das die Siegel der Induskultur
ziert. Während
Diamonds Darstellung der eurasiatischen Diffusion eine
Gleichförmigkeit
nahelegt, zeigt das Beispiel der Induskultur doch deutliche lokale
Eigenheiten.
Diamond hat sich übrigens in seinem Buch nicht mit der Induskultur
beschäftigt.
Für die
Globalgeschichte war der
von Diamond betonte Kontrast zwischen Eurasien und Amerika auch
später noch von
großer Bedeutung. Als die Europäer mit Kolumbus nach Amerika
kamen, brachten
sie ihre Seuchen mit, die die Eingeborenen dort dezimierten. Die
Europäer
hatten sich über lange Zeiten bei ihren Haustieren angesteckt und
gegen die
Seuchen immunisiert. Bei den Indianern gab es praktisch keine
Haustiere, sie
hatten sich nicht gegen Seuchen immunisieren können und starben
wie die
Fliegen. Dazu kamen die Europäer hoch zu Ross. Die Indianer aber
hatten damals
noch keine Pferde. Die Europäer wiederum übernahmen viele
amerikanische
Nahrungsmittel.
Sprache und Schrift
Nachdem die Menschen
sesshaft
geworden waren und Gesellschaften bildeten, intensivierte sich
auch ihre Kommunikation.
Sprache und Schrift bildeten sich sehr differenziert aus und
traten global auf,
zeigten aber viele lokale Varianten. Sie gingen ohne Zweifel nicht
von einem
Ursprungsort aus, sondern waren räumlich getrennt jeweils neu
erfunden worden.
Die weiteren Entwicklungen verliefen dabei nicht von einfachen
Strukturen zu
größerer Komplexität, sondern eher umgekehrt. Man vergleiche nur
einmal das
alte Sanskrit mit der modernen Weltsprache Englisch. Sanskrit hat
einen großen
grammatischen Formenreichtum, das Englische dagegen nicht, dafür
hat es jedoch
ein sehr umfangreiches Vokabular. Die frühen Sprachschöpfer
konzentrierten sich
wohl auf die semantischen Zusammenhänge und die präzise Wiedergabe
der
zeitlichen Folge des Geschehens und der Beziehungen der
Handelnden, während
später die Bezeichnung der beobachteten Phänomene das Vokabular
vermehrte.
Die Gestaltung der
Schriften war
ähnlich komplex. Die frühen Schriften bestanden aus Piktogrammen
(Hieroglyphen,
alte chinesische Schriftzeichen). In einem nächsten Schritt
entstanden aus Piktogrammen
zusammengesetzte Ideogramme. Es konnten auch Piktogramme in
Lautzeichen verwandelt
werden, indem man Laute des Wortes, das das Piktogramm abbildete,
durch dieses
wiedergab. Diese Art der Verwandlung entsprach der gedanklichen
Gestaltung
einer Synekdoche (Segel für Schiff). Es gab auch merkwürdige
Interaktionen
verschiedener Schriftsprachen, so ist zum Beispiel die mongolische
Schrift, die
alphabetisch ist, als Interlinearversion zu chinesischen
Schriftzeichen
entstanden und wird daher auch vertikal geschrieben. Es wird
gesagt, dass sie
auf Befehl Dschingis Khans geschaffen wurde.
Eine besonders
eindrucksvolle
Entwicklung erlebte die Keilschrift, die von den Sumerern im 4.
Jahrtausend
v.Chr. erfunden wurde und zunächst auch aus Piktogrammen bestand,
aber dann in
eine Lautschrift verwandelt wurde, die ganz verschiedenen Sprachen
(Akkadisch,
Assyrisch, Hethitisch) dienen konnte, so wie später die von den
Phöniziern
eingeführte alphabetische Schrift in abgewandelter Form noch den
Griechen und
Römern dienen konnte. Die Erforschung der Entwicklung von Sprache
und Schrift
ist ein besonders interessantes Feld der Globalgeschichte. Aus
globaler Perspektive
ist besonders die "raumgreifende" Qualität von Schrift und Sprache
interessant. Sprache und Schrift haben keine natürlichen Grenzen.
Sie haben ein
Verbreitungspotenzial, das aber durch verschiedene Bedingungen
eingeschränkt
werden kann.
Die Eroberung der
Weltmeere
Die raumgreifendste
Aktivität der
Menschen in historischer Zeit war die Eroberung der Weltmeere. Der
Bau von
hochseetüchtigen Schiffen war eine wichtige Voraussetzung dafür,
aber auch die
nautischen Kenntnisse, die eine Orientierung auf See ermöglichten.
Dass selbst
ein primitives Floß mit einem Segel hochseetüchtig sein konnte,
wurde 1947 von
dem Norweger Thor Heyerdahl mit der "Kontiki" bewiesen. Er segelte
von Peru über 6.000 km westwärts über den Pazifik und landete auf
einer
Südseeinsel. Er wollte zeigen, dass Eingeborene Südamerikas die
Oster-Inseln
besiedeln konnten. Heyerdahl hatte etliche Nachahmer, die in den
folgenden
Jahren ähnliche Expeditionen erfolgreich durchführten. Die
Polynesier hatten
bereits Jahrtausende zuvor von Osten kommend mit ihren Kanus den
Pazifik
bezwungen. Diese Boote waren mit Auslegern versehen, die sie
stabilisierten. So
konnten die Polynesier die meisten pazifischen Inseln und zuletzt
auch
Neuseeland erreichen. In Europa und Asien wagte man sich zunächst
nicht aufs
offene Meer, sondern beschränkte sich auf die Küstenschifffahrt.
Die erste
historisch belegte Hochseefahrt war die des griechischen Kapitäns
Hippalos, der
es wagte um etwa 100 v.Chr. vom Roten Meer mit dem Südwestmonsun
über den Indischen
Ozean an die südindische Küste zu segeln. Man hatte zuvor
geglaubt, dass die
indische Westküste von Westen nach Osten verlief. Erst zur Zeit
des Hippalos
wurde bekannt, dass sie von Nord nach Süd verläuft. Indische
Seefahrer dieser
Zeit fuhren oft mit leichten Schiffen, deren Planken nicht mit
Nägeln, sondern
mit Seilen zusammengehalten wurden, an der Küste entlang und
mieden den Monsun.
Die einzige Quelle, die über die Aktivitäten der indischen
Seefahrer jener Zeit
aber auch über den intensiven Handel Roms mit Indien berichtet,
ist der von
einem anonymen Autor ca. 50 v.Chr. verfasste "Periplus des
eriträischen
Meeres". Der Name "eriträisches Meer" bezog sich ursprünglich
nur auf das Rote Meer, wurde aber von diesem Autor bereits auf das
Meer bis zur
indischen Ostküste angewandt. Parallel dazu nannten die Chinesen
das Meer bis
zur indischen Ostküste "Nan Hai" (Südmeer), ein Name, der sich
zunächst nur auf das Meer vor der chinesischen Küste bezog. Das
ist ein
interessantes Beispiel für den historischen Wandel der
Raumwahrnehmung.
In der Neuzeit waren
die
Portugiesen die Pioniere der Seefahrt. Nach den Zeiten der Pest im
14.
Jahrhundert hatten die Portugiesen sich hauptsächlich an der
Atlantikküste
niedergelassen und waren zu Hochseefischern geworden. Ihre Schiffe
(Karavelle)
waren sehr wendig und konnten gegen den Wind kreuzen. Sie wurden
später mit
Geschützen bestückt. Auch Kolumbus überquerte den Atlantik mit
einer Karavelle.
Die portugiesische Seefahrt wurde entscheidend von Prinz Heinrich,
dem
Seefahrer, gefördert. Er war gar kein bedeutender Seefahrer. Seine
Fahrten
beschränkten sich auf kurze Ausflüge, aber er war ein großer
Unternehmer, der
als Großmeister des Christusordens über beträchtliche Mittel
verfügte. Er
errichtete in Sagres an der Südwestspitze Portugals eine
"Akademie",
in der seine Kapitäne eine nautische Ausbildung erhielten. Man
sieht dort noch
heute eine riesige Windrose, die wohl als eine Art nautischer
Exerzierplatz
diente. Bei den Fahrten entlang der Atlantikküste Afrikas, die
Prinz Heinrich
energisch vorantrieb, konnten sich die Kapitäne nicht mehr am
Polarstand
orientieren, sondern mussten ihre Position anhand des Sonnenstands
ermitteln.
Hierfür waren sie auf Tabellen angewiesen, die den täglichen
Sonnenstand
(Ephemeriden) errechnen ließen. Der deutsche Astronom
Regiomontanus
veröffentlichte 1474 solche Tabellen, die Kolumbus bei der
Überquerung des
Atlantiks benutzte. Die Tabellen von Regiomontanus waren die
besten, aber schon
vor ihm hatten die Kapitäne entsprechende Tabellen zur Hand. Prinz
Heinrich
starb 1460. Zu seinen Lebzeiten war das Werk des Regiomontanus
noch nicht verfügbar.
Aber die von König Joao II. 1483 gegründete Junta dos Matematicos
hatte die
Aufgabe, die Ephemeriden weiterhin zu berechnen. Ihr gehörte auch
der deutsche
Seefahrer Martin Behaim an, der ein Schüler des Regiomontanus war
und an den
portugiesischen Fahrten entlang der afrikanischen Küste
teilgenommen hatte.
Behaim stellte 1492 in Nürnberg den ersten Globus her, der
allerdings noch
nicht Amerika zeigte. Er kehrte dann an seinen Wohnort auf den
Azoren zurück,
wo sein Schwiegervater Statthalter war. Die Azoren war ebenso wie
Madeira von
Prinz Heinrich in Besitz genommen worden.
Der Genuese
Kolumbus, der sich in
Lissabon niedergelassen hatte, bat zunächst die portugiesische
Krone um
Unterstützung für seine Expedition, die nach Westen übers Meer
nach Asien
führen sollte. Doch die Junta dos Matematicos lehnte den Plan ab,
weil Kolumbus
sich verrechnet und eine viel zu geringe Entfernung angenommen
hatte. Die Junta
ermittelte die genaue Entfernung. Die spanische Krone, an die sich
Kolumbus
danach wandte, gewährte ihm die Unterstützung. Als er dann Amerika
entdeckte,
hielt er es für Asien. Die Portugiesen glaubten das nicht,
beeilten sich aber,
einen neuen Vertrag mit Spanien zu schließen, der die vom Papst
vorgenommene
Aufteilung des Globus zwischen Portugal und Spanien revidierte.
Dieser neue
Vertrag, der 1494 in Tordesillas geschlossen wurde, verschob die
ursprüngliche
Grenze bis zum 46°30' westl. Länge. Damit fiel Portugal der größte
Teil
Brasiliens zu. Die Spanier hatten von der Existenz Brasiliens noch
keine
Ahnung, auch die Portugiesen entdeckten es offiziell erst 1500,
aber sie hatten
wohl schon zuvor davon Kenntnis. Sie hatten bereits 1488 Afrika
umrundet,
nachdem sie den widrigen Winden getrotzt hatten, die ihnen an der
Küste
Südafrikas entgegenwehten. Der Kapitän, der das Kap umrundet
hatte, nannte es
Cabo Tormentoso, der glückliche König, der die widrigen Winde
nicht erlebt
hatte, nannte es dankbar "Kap der Guten Hoffnung", denn nun hatte
man
die Aussicht darauf, Indien zu erreichen. Doch es dauerte ein
Jahrzehnt, bis
Vasco da Gama tatsächlich Kalikut in Kerala erreichte, über dessen
Bedeutung
als Handelshafen, wo es den begehrten Pfeffer gab, man schon durch
Reisende,
die es auf dem Landweg besucht hatten, gut unterrichtet war. Was
war in den
Jahren von 1488 bis 1498 geschehen? Die Quellen schweigen darüber.
Die
Portugiesen hielten ihre Unternehmungen streng geheim. Sie müssen
in dieser
Zeit den südlichen Atlantik erforscht haben, um eine Route
jenseits der
widrigen Winde zu finden. Dabei wichen sie weit nach Westen aus
und könnten
dabei schon Brasilien gesichtet haben. Als Vasco da Gama dann nach
Indien
aufbrach, nahm er ein Proviantschiff mit, das am Kap verbrannt
wurde, weil
seine Ladung nach dreimonatiger Fahrt aufgezehrt war. Das zeigt,
dass die
Erkundungsfahrten eine genaue Berechnung des Fahrplans und des
entsprechenden
Proviantbedarfs ermöglicht hatten.
Vasco Da Gama fand
in Ostafrika
einen fähigen arabischen Lotsen, der ihn sicher nach Kalikut
brachte, wo er
eine wertvolle Pfefferladung erwerben konnte, die bei der Ankunft
in Lissabon
großen Gewinn erbrachte und die Venezianer in Schrecken versetzte,
die bisher
ganz Europa über das Mittelmeer mit Pfeffer versorgt hatten. Die
Rückreise
hatte aber lange gedauert, weil Vasco da Gama diesmal keinen
kundigen Lotsen
hatte und im Indischen Ozean in eine Windstille geriet. Erst nach
Umrundung des
Kaps ging es zügig voran, weil es nun starken Rückenwind gab. Es
folgte 1500
rasch eine weitere Expedition unter Pedro Cabral, der auf dem
Hinweg Brasilien
entdeckte. Vermutlich war er mit dieser offiziellen Entdeckung
beauftragt
worden, weil die Portugiesen nun ihre Geheimniskrämerei aufgeben
konnten.
Die Eroberung der
Weltmeere
brachte einen harten Konkurrenzkampf mit sich - zunächst zwischen
Portugal und
Spanien, bald kamen aber auch die Niederländer und die Briten
hinzu. Der
nächste portugiesische König, Manuel I., kannte sich in den
Meeren, die die
Portugiesen durchquert hatten, recht gut aus. Er hatte wohl auch
die Traktate
gelesen, die weitgereiste Autoren geschrieben hatten, um die
europäischen
Herrscher zu neuen Kreuzzügen aufzurufen. Einer dieser Autoren war
der Dominikaner
Gullielmus Adam. Er war um 1300 bis an die indische Küste gekommen
und nannte
die Häfen Cambay, Div, Thane, und Kullum (Quilon in Kerala). Er
hatte sich auch
längere Zeit auf der Insel Sokotra aufgehalten, die vor dem
Eingang des Roten
Meeres liegt, allerdings nicht nah genug, um von dort aus das Rote
Meer zu
blockieren. Dazu musste man einen Stützpunkt in Aden suchen. Genau
das riet
König Manuel seinem Seefahrer Afonso de Albuquerque, den er 1503
mit genauen
Instruktionen nach Indien entsandte. Er sollte auch Goa und
Malakka erobern,
was er 1510 und 1511 tat. Nur die Belagerung Adens scheiterte und
die Blockade
des Roten Meeres blieb unvollkommen. Albuquerque eroberte auch
Hormus im
Persischen Golf und die Insel Sokotra, die bereits Adam besucht
hatte.
Wenige Jahre nach
Albuquerque
brach der Apotheker Tomé Pires nach Asien auf, wo er als
Botschafter in China
dienen sollte. Von 1512 bis 1515 verfasste er seine berühmte "Suma
Oriental". Er zeigte ein bemerkenswertes geostrategisches
Bewusstsein. Vom
Hafen Cambay sagte er, dass von hier die gujaratischen Händler wie
mit zwei
Armen nach Westen und Osten greifen, und über Malakka schrieb er,
dass wer
diesen Hafen besitze, die Hand an der Kehle Venedigs habe. Pires
kam in China
ums Leben, aber die Portugiesen errichteten einen Stützpunkt in
Macao in der
Mitte des 16. Jahrhunderts, der bis Ende des 20. Jahrhunderts in
ihrem Besitz
blieb.
Während die
Portugiesen von
Westen nach Osten vordrangen, wählten die Spanier den Weg vom
Atlantik über den
Pazifik und landeten in den Philippinen. Der portugiesische
Seefahrer Fernando
Magellan (Maghelaes), der an der Eroberung Malakkas teilgenommen
hatte, segelte
wenige Jahre später im Auftrag der spanischen Krone über den
Pazifischen Ozean,
dem er diesen Namen gab, und nahm die Philippinen in Besitz, die
er nach dem
spanischen Kronprinzen nannte. Er fiel dort 1521 in einer
Schlacht, aber ein
Kapitän seiner Flotte, Sebastian Elcano, setzte die Reise nach
Westen fort und
wurde so der erste Weltumsegler. Der zweite Weltumsegler war der
Spamier Andrés
de Urdaneta. Er war zunächst zu den Gewürzinseln gereist und dort
von den
Portugiesen gefangen genommen worden, die ihn nach Lissabon
transportierten und
ihm so die Weltumsegelung ermöglichten. Eine weitere Reise, nun
aber wieder im
Dienst der spanischen Krone, führte ihn 1565 wieder zu den
Philippinen, von wo
er die Rückreise nach Acapulco über die Nordroute fand. Er wusste
um die atlantischen
Strömungen und vermutete, dass auch im Pazifik ein Luftstrom zu
finden sei, der
die Schiffe mit starkem Rückenwind von Osten nach Westen bringt.
Er musste dazu
nahezu bis zum 38. Breitengrad nach Norden vordringen und kam dann
entlang der
kalifornischen Küste bis nach Acapulco. So entstand die berühmte
"Volta do
Mar", die dann jährlich von der spanischen Galeone befahren wurde,
die
Silber von Mexico nach Manila brachte. Die Europäer hatten so von
1492 bis 1565
alle wichtigen Ozeanrouten erkundet. Es fehlte nur noch eine Route
über die
südliche Hemisphäre nach Westen, die es erlaubte, sich vom Monsun
unabhängig zu
machen. Diese Route fand der Niederländer Henrik de Brouwer 1611,
der vom Kap
der Guten Hoffnung mit den "Roaring Forties", den stürmischen
Winden,
die entlang des 40. Grades südlicher Breite bis nach Australien
wehen, die
Fahrt nach Java um die Hälfte der Zeit verkürzte. Damals konnte
man die
Längengrade noch nicht bestimmen. Brouwer hatte das Glück, zur
rechten Zeit den
Kurs nach Norden zu nehmen und dann durch die Sundastrasse
zwischen Sumatra und
Java den Hafen Batavia zu erreichen. Einige, die nach ihm dieselbe
Route
nahmen, zerschellten an der Küste Australiens.
Die Erkundung der
Meere führte zu
einem enormen Kenntnisgewinn in Europa. Es entstand ein neuer
Beruf, der des
Kosmographen, der Bücher über die Entdeckungen schrieb, die durch
den zu gleicher
Zeit aufkommenden Buchdruck weite Verbreitung fanden. Diese
Horizonterweiterung
trug zum Kulturwandel im Zeitalter der Renaissance bei.
Wissenschaft als
Public Domain
Für die
Globalgeschichte war der
Durchbruch der modernen Wissenschaft im 17. Jahrhundert von
entscheidender
Bedeutung. Der Buchdruck und die europäischen Akademien und
Universitäten trugen
dazu bei, dass die Erkenntnisse der verschiedenen Wissenschaften
Verbreitung
fanden. Es entstand so eine Public Domain (Wissensallmende), die
Interaktionen
ermöglichte. Während die physische Allmende durch Übernutzung
zerstört werden
kann, kann die Wissensallmende durch Nutzung nur bereichert
werden. Der
einzelne Wissenschaftler oder Erfinder, der zur Mehrung der
Wissensallmende
beiträgt, mag jedoch einen Gewinn aus seinem Beitrag ziehen
wollen. Das kann er
aber nur, wenn er sein Eigentumsrecht an seinem Beitrag durch ein
Patent
schützen lässt. Solche Patente wurden von der Republik Venedig
seit 1450
gewährt. Zu dieser Zeit nahm in Europa der Schutz des
Eigentumsrecht seinen
Anfang. Dieses Recht wurde von Wirtschaftshistorikern als
Grundlage für das
Wirtschaftswachstum Europas angesehen. Doch dabei sollte nicht
vergessen
werden, dass zumindest auf dem Gebiet der Wissenschaft die
umfassende
Wissensallmende immer weit bedeutsamer blieb als der durch Patente
begrenzte
Bereich. Patentierbare Erkenntnisse konnten überhaupt erst in
diesem Umfeld
entstehen. Der Wissenschaftler sah den Lohn für seine Bemühungen
meist in der
Anerkennung durch Seinesgleichen. Er fand diese in den gelehrten
Vereinigungen
und Akademien seiner Zeit. Die Accademia dei Lincei in Rom,
gegründet von dem jungen
Aristokraten Frederico Cesi im Jahr 1603, war eine der ersten
Akademien dieser
Art. Sie nannte sich nach dem scharfsichtigen Luchs, weil sie sich
der genauen
Beobachtung der Natur widmete. Galilei wurde 1611 ihr Mitglied und
war sehr
stolz darauf. In Deutschland wurde 1652 eine
naturwissenschaftliche Akademie gegründet,
die nach ihrer Anerkennung durch den Kaiser den Namen Leopoldina
erhielt. In
Großbritannien wurde 1660 die Royal Society ins Leben gerufen,
deren
prominentestes Mitglied bald darauf Isaac Newton wurde. Die
"Philosophical
Transactions" der Royal Society sind die älteste kontinuierlich
erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift. Publikationen wie
diese zeugen von
der Vitalität der Wissensallmende.
Galilei war in
vieler Hinsicht
der Vater der modernen Wissenschaft. Er war Mathematikprofessor
und Astronom,
erfand ein Fernrohr, dessen Linsen er selber schliff, und war auf
vielen
Gebieten bahnbrechend. Wie viele Gelehrte hatte er freilich auch
die Eigenheit,
unliebsame Kollegen totzuschweigen. Sein Zeitgenosse, der
kaiserliche Astronom
Tycho Brahe, wurde von ihm so behandelt. Auf dessen genaue
Sternbeobachtungen
stützte dann sein Nachfolger im Amt, Johannes Kepler, seine
berühmten
Berechnungen der Planetenbahnen, die nicht Kreise, sondern
Ellipsen sind.
Galilei, der mit Kepler korrespondierte und ihn schätzte, war
jedoch nicht
bereit, die Ellipsen zu akzeptieren. Doch der Fortschritt der
Wissenschaften
wurde durch solche Debatten vorangetrieben.
Wissenschaft ist ein
Prozess, der
sich in Wechselbeziehungen mit seinem Umfeld vollzieht. Er gedeiht
am besten in
einer offenen Wissensallmende. Für eine globale
Wissenschaftsgeschichte ist es
wichtig, dies zu berücksichtigen. Es ist freilich auch wichtig, zu
verfolgen,
wie die Ergebnisse der Wissenschaft von der Gesellschaft genutzt
wurden und
welche Rückwirkungen sie wiederum auf sie hatten. Eine intensive
Interaktion
kam erst zustande, nachdem im 19. Jahrhundert Naturwissenschaften
und
Technologie unmittelbar zusammenwirkten, wie es zuvor am Beispiel
der
Telegraphie gezeigt worden ist. Damit wurde auch das
Eigentumsrecht an
technischen Erfindungen in der Form von Patenten immer
bedeutsamer. Die
Technologie gab dem Wissenschaftler auch neue Instrumente an die
Hand. Die
Instrumente, die heute zur Forschung eingesetzt werden, verlangen
große Investitionen.
Galilei schliff noch die Linsen seines Teleskops mit eigener Hand.
Heute wird
selbst das Schleifen der Linsen von computergesteuerten Automaten
bewältigt.
Damit wären wir wieder im Zeitalter der Globalisierung angelangt,
mit dem wir
uns zu Anfang beschäftigt hatten.
Epilog: Der
Funktionswandel der
Umwelt
Während der langen
Lebenszeit der
Menschheit auf der Erde. spielten die Menschen die meiste Zeit nur
eine sehr
marginale Rolle. Die Umwelt dominierte sie. Wenn sie überleben
wollten, mussten
sie sich an sie anpassen. Doch im Unterschied zu anderen Lebewesen
waren sie
nicht an ein spezifisches Biotop angepasst. Sie konnten ihre
Intelligenz dazu
benutzen, sich an viele verschiedene Umwelten anzupassen. Aber für
Jahrtausende
waren das noch immer Methoden der Anpassung an die Umwelt und
nicht solche der
Verwandlung der Umwelt, um sie dem Menschen zu unterwerfen. Frühe
Formen des
Gebrauchs von Werkzeugen oder von Ackerbau und Viehzucht waren
bereits
Eingriffe in die Umwelt, aber es dauerte lange bis die Menschheit
ein Stadium
erreichte, in dem sie die Umwelt völlig umgestalten konnte. Die
starke
Vermehrung der Menschheit, die bald über 8 Milliarden zählen wird,
zeigt
bereits die Emanzipation von den durch die Umwelt gesetzten
Grenzen an. Viel
davon ist dem technischen und medizinischen Fortschritt zu
verdanken. Aber der
Fortschritt wird von unbeabsichtigten Folgen begleitet, wie der
Klimawandel
sehr deutlich zeigt, der durch die Menschen verursacht aber nicht
beabsichtigt
wird. Die Menschheit muss sich nun bemühen, solche
unbeabsichtigten Folgen zu
erkennen und zu korrigieren. Das ist nicht leicht, weil die
Grundausstattung
des Menschen aus einer Zeit stammt, als seine Vorstellungswelt von
einer
dominanten Umwelt geprägt wurde, die ihm als unveränderlich
erschien. Die
Beschäftigung mit der globalen Geschichte kann dazu beitragen,
diese
Vorstellungswelt zu wandeln.