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2017/11/26 01:10:12
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Drohnenflug über der Kernstad t St. Wendel
Datum 2017/11/26 22:42:34
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag Bauopfer und andere Funde in saarländischen Bauern- und Wohnhäusern
2017/11/28 20:42:56
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Erfolgreiche Suche nach Überr esten von Weltkriegssoldaten
Betreff 2017/11/22 11:11:13
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Jahresheft der ASF erschienen (2017)
2017/11/26 01:10:12
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Drohnenflug über der Kernstad t St. Wendel
Autor 2017/11/26 22:42:34
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag Bauopfer und andere Funde in saarländischen Bauern- und Wohnhäusern

[Regionalforum-Saar] Erinnerung zwischendurch

Date: 2017/11/26 12:06:32
From: Roland Geiger <alsfassen(a)...

 

Die FRANKFURTER HEFTE entstanden 1946 im linkskatholischen Milieu und erreichten als Pioniere der nachkriegsdeutschen Publizistik eine Spitzenauflage von 70.000. Ihre Gründer waren der Politologe Eugen Kogon, Autor des Buches "Der SS-Staat", und die Publizisten Walter Dirks, Walter Maria Guggenheimer und Clemens Münster. Nachdem Kogon und Dirks noch das christlich-sozialistische Gründungsprogramm der hessischen CDU verfasst hatten, wandten sie sich rasch von der Partei Konrad Adenauers ab und standen in Opposition zur Regierungspolitik der frühen Bundesrepublik. In ihren Europavisionen forderten Kogon und Dirks eine Abkehr vom klassischen Nationalstaat und den Aufbau einer europäischen Republik. Außerdem spielte die Zeitschrift mit den Debatten um eine paritätische Mitbestimmung in Großbetrieben lange Zeit eine herausragende Rolle.

 

1985 wurden die FRANKFURTER HEFTE von der NEUEN GESELLSCHAFT übernommen. Heute versteht sich die Zeitschrift nicht mehr als Theorieorgan klassischen Typs, sondern als Zeitschrift für Politik und Kultur, der kluge Zeitdiagnosen und Kommentare ebenso am Herzen liegen wie praktische Zukunftsentwürfe. 

 

 

Ich habe in der Ausgabe von 1948 geblättert und bin dabei auf einige interessante Artikel gestoßen, die ich Tag um Tag über das Forum schicke.

 

Roland Geiger

 

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Erinnerung zwischendurch

 

Am Frankfurter Sender liest Erich Lissner wöchentlich einmal Notizen aus seinem Tagebuch.

 

Eine davon war neulich folgende:

 

Meine Hörerinnen und Hörer! Es kam vorhin ein Besuch zu mir, eine Frau aus Berlin. Wir hatten geschäftlich miteinander zu reden, aber, wie es so geht, wir gerieten dann auch auf Privates. Sie erzählte von ihren Kindern. Es sind vier. Das älteste, die Tochter aus erster Ehe, sei zur Zeit in Schweden.

„Famos", sagte ich, „da hat sies gewiß gut." —

„Sie ist krank gewesen," sagte die Mutter. —

„Was hat ihr denn gefehlt?" —

„Doppelseitige Tuberkulose." —

„Schlimm," sagte ich. „Wie ist denn das gekommen?" —

„Ja, Unterernährung." —

Hm, dachte ich.

Aber dann erzählte sie. Ihre Tochter ist jetzt achtzehn. Damals war sie noch Kind.

„Wann damals?" —

„1938, im November, Sie wissen doch. Sagte ichs Ihnen nicht schon? Mein erster Mann ist gestorben. Er war Jude. Ich bin Halbjüdin. Damals mußte das Kind aus unserer Wohnung. Es durfte nicht länger mit ‚Ariern zusammenwohnen. Es war zwar mein Kind, aber die Rassenschranke fiel zwischen uns. Eine ganz fremde jüdische Familie mußte es nehmen, man nähte ihm den gelben Judenstern auf, nur noch in der Dunkelheit schlich es zu uns. Wissen Sie noch, wie das damals war: Die Kleine bekam keine Milch, kein Fleisch mehr. Sie durfte nicht Straßenbahn, nicht Untergrundbahn fahren, vom elften Jahr an keine Schule mehr besuchen, und sie war doch wissensdurstig. Ganz für sich lernte sie auswendig, zum Beispiel ,Der Mond ist aufgegangen, und anderes. Meine Tochter war christlich erzogen. Eine hämische Frau entdeckte eines Sonntags ihren Stern am Mantel und wies sie aus der Kirche."

 

Ja, meine Hörerinnen und Hörer, Sie werden sagen, dafür sitzt sie jetzt in Schweden und ist fein heraus. Das schon, aber vorher kamen ein paar Kriegsjahre, in denen sich die braune Brutalität immer ungeschminkter gab. Eines Tages hörte die Mutter: Morgen gehts fort. Ihre Tochter ist bei dem Transport dabei.

Wohin? Nach Theresienstadt. Sie konnten sich nicht verabschieden.

Theresienstadt war nicht die letzte Station. Es kam Ravensbrück und Auschwitz. Das Mädchen hat viel sehen müssen auf diesen Reisen, vieles, was sie nie wieder vergessen wird.

 

Zum Beispiel, wie man in Auschwitz kleine Kinder in den Krematoriumsofen warf. Weil es sich als älter ausgab, wurde es in eine unterirdische Rüstungsfabrik gesteckt. Harte Arbeit, für die es aber nur einen Teller Suppe bekam. Da war sie fünfzehn Jahre alt. Dabei Glücksfall, diese Fabrik! Denn die arbeitsuntauglichen Kinder sind vergast worden.

 

Es hat wie durch ein Wunder durchgehalten. Nur mit den Lungen war es beinahe zu Ende, als die Alliierten kamen und das Lager befreiten. Das Rote Kreuz brachte das Mädchen nach Schweden. Im Januar 1946 erhielt Mutter eine erste Nachricht. „Wir schreiben uns viel," sagte die Mutter. „Ich selbst bekomme kein Visum ..."

 

Es gibt nun Leute, die sagen,man  solle nicht immer wieder solche „alten Wunden" aufreißen. Oder - was ist da schon dran, sagen sie, mein Kind ist seinerzeit auf der Flucht aus Schlesien elend umgekommen!

 

Gewß - schreckliches Unrecht ist schrecklichem Unrecht gefolgt. Aber jenes, das geschah rein ohne Grund, bloß Willkür und Niedertracht. Wundert es wirklich, wenn solche Wunden nicht so schnell vernarben?

 

Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, es wäre Ihr Kind! Sie würden wahrscheinlich auch nicht „vergeßlich" sein. Sie sind es ja nicht einmal — in Ihrem eigenen Fall!

 

Aber ich weiß: jetzt will die Mehrzahl unserer Hörer wieder Tanzmusik hören.