Date: 2017/11/01 10:47:27
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Guten Morgen,
gestern abend sang in der Wendalinusbasilika in St. Wendel der Taize-Projektchor St. Wendel aus Anlaß einer ökumenischen Andacht aus Anlaß des sog. „Reformationstages“.
Im Nachhinein gab es manche Reaktion auf die Reformation und die Frage, warum das eigentlich „Reformation“ heißt, wo eine solche bei der katholischen Kirche nicht wirklich stattgefunden hat (obwohl sie Änderungen auslöste), während es andererseits zur Folge hatte, daß die, die sie betrieben, nicht die Kirche reformierten, sondern sich von ihr abspalteten. Also eher eine erfolgreiche Rebellion als eine Reformation. Heiße Behauptungen mit anschließender heißer Diskussion.
Im Nachgang wurde mir dieser Artikel zugesandt:
Montag, 31. Oktober 2016 "Wir brauchen symbolische Daten" Luthers Thesenanschlag ist eine Legende Wittenberg, 31. Oktober 1517: Der mutige Reformator Martin Luther marschiert aufgebracht zur zentralen Schlosskirche, in der Hand seine 95 Thesen gegen den Ablass. Dort hämmert er sie öffentlichkeitswirksam an die massive Holztüre der Kirche. Diese Szene ist zum Symbol geworden für das, was Protestanten alljährlich feiern – so auch im kommenden Jahr beim großen Jubiläum zum 500. Jahrestag. Doch hält der sogenannte Thesenanschlag einer historischen Überprüfung stand? Nein, sagt der evangelische Kirchenhistoriker Volker Leppin. n-tv.de spricht mit dem Tübinger Professor über die Legende des Thesenanschlags, die eigentlich gar nicht so revolutionären Gedanken des Reformators und darüber, warum es durch Luther dann doch zum spektakulären Bruch mit der damaligen Kirche kam. n-tv.de: Herr Leppin - der Überlieferung nach hat Luther am 31. Oktober vor 499 Jahren seine 95 Thesen zum Ablass öffentlichkeitswirksam an Türe der Wittenberger Schlosskirche genagelt. Hat das so stattgefunden oder ist das eine Legende? Volker Leppin: Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es eine Legende. Luther selbst hat nie berichtet, dass er das getan hätte. Er hat nie gesagt: Ich bin an die Schlosskirche gegangen und habe da etwas angenagelt. Im Gegenteil. Er hat sogar gesagt: Ich habe erstmal den Bischöfen die Thesen gegen den Ablass zugeschickt, ganz privat, und mich dann erst an die Öffentlichkeit gewandt. Das passt mit der Vorstellung eines Thesenanschlags nicht zusammen. Eine solche Erzählung ist erst vielleicht in den letzten Lebensjahren Luthers in seinem Umfeld entstanden oder eventuell sogar erst nach seinem Tod. Vor allem Philipp Melanchthon hat dazu beigetragen, dass die Szene vom Thesenanschlag so populär wurde. Augenzeuge kann er nicht gewesen sein, da er erst später nach Wittenberg kam. Was sind denn die Motive, aus denen heraus dann eine solche Erzählung "erfunden" wurde? Wir Protestanten haben ja nicht viel, bei dem wir sagen können: Guck dahin – das ist protestantisch! Auf katholischer Seite kann man auf Messgewänder, auf den Papst oder dergleichen verweisen. Mit der Szene vom Thesenanschlag hatte man einen Moment, in dem sich das verdichtet. Da ist ein Protest gegen die Kirche, der kommt aus dem akademischen Kontext und geht mutig an die Öffentlichkeit. Man hatte damit ein Symbol, eine Erzählung. Das ist dann typischerweise durch die Reformationsjubiläen immer populärer geworden. 1617 hat man den Thesenanschlag gefeiert, und ganz massiv wird es dann 1817 und 1917. Was hat Luther dann am 31. Oktober 1517 gemacht? Briefe geschrieben - ist ja auch nicht das Schlechteste. Er schrieb an den Bischof, der für seine Region zuständig war, den Bischof in Brandenburg. Und er schrieb an den Bischof von Mainz, der zuständig war für die Verkündigung des Ablasses in der Region rund um Wittenberg. Er hat diesen Briefen seine 95 Thesen gegen den Ablass beigelegt. Das heißt, er wollte erstmal die kirchliche Obrigkeit warnen und sie auch ins Gespräch mit einbeziehen. Es war vielleicht auch ein stückweit illusorisch, zu denken, ein Bischof diskutiere mit einem Professor aus Wittenberg. Aber das war offenbar seine Vorstellung am 31. Oktober 1517. Unser Lutherbild heute ganz wesentlich auch von diesem Akt geprägt: Der aufgebrachte Augustinermönch Luther, der durch seine revolutionären Thesen das finstere Mittelalter beendet. Sie sagen: Luthers Gedanken waren gar nicht so revolutionär. Nein, waren sie nicht. Luthers Vorstellungen und seine Impulse stammen aus einer bestimmten Richtung der spätmittelalterlichen Frömmigkeit. Das Mittelalter ist nicht so ein einheitlicher Block, wie wir uns das gerne vorstellen. Es gibt ein Nebeneinander von Formen einer sehr veräußerlichten Frömmigkeit – dafür steht der Ablass – und einer sehr innerlichen, tiefen Frömmigkeit: der Mystik. Luther kommt aus diesen mystischen Frömmigkeitsimpulsen und wendet diese nun massiv gegen das, was als Ablass rund um ihn zu beobachten ist. Daraus entsteht ein starker Protest. Aber der Zwiespalt, der Konflikt, der ist im Mittelalter schon angelegt. Wenn diese Strömungen bereits vorher nebeneinander existierten: Was war das besondere an Luther, dass es auf einmal zum Bruch kam? Das Besondere war das Zusammenschließen ganz unterschiedlicher Linien. Der Zwiespalt zwischen innerer und äußerlicher Frömmigkeit ist nur eine der vielen Linien, die man im Mittelalter hat. Eine andere beispielsweise ist die zwischen der Vorstellung auf der einen Seite, die Kirche müsse ganz zentral von Rom aus geleitet werden oder auf der anderen Seite der Vorstellung, Kirchenleitung solle vor Ort passieren – durch die städtischen Räte, die Fürsten und dergleichen. Bei Luther kommt es dazu, dass sich diese unterschiedlichen Spannungen bündeln. Es kommt dazu, dass Fürsten seine Gedanken aufnehmen, weil er die Gedanken auch so weiterentwickelt, dass Fürsten sie aufnehmen können. Vor allem aufgrund der Vorstellung vom allgemeinen Priestertum, die er ja auch aus der spätmittelalterlichen Mystik zwar nicht komplett übernimmt, aber weiterentwickelt. Damit ist mit einem Mal eine starke politische Kraft da, die sagt: Ja, jetzt wollen wir Kirche ändern. Ihr Lutherbild ist nicht unumstritten, sie bekommen auch Gegenwind. So mancher Kritiker sagt: Würden wir Ihrem Lutherbild folgen, könnten wir das Reformationsjubiläum 2017 auch abblasen. Die Frage stellt sich ja schon: Was kann man am Reformationstag feiern, wenn nicht dieses revolutionäre Moment? Das Evangelium. Das finde ich keinen schlechten Grund. Luther geht es ja um etwas viel Tieferes. Er selbst hat gesagt: Was bin ich armer stinkender Madensack, dass ihr euch lutherisch nennt? Es ging ihm nicht darum, eine eigene Kirche zu gründen, auch wenn im Ergebnis daraus eigene Konfessionen geworden sind. Luther geht es darum, daran zu erinnern, dass Jesus Christus uns zuspricht, dass wir Gnade ohne eigene Leistung bekommen. Das ist ein Gedanke, der so immer wieder in der Kirchengeschichte erscheint, der immer wieder auch versteckt wird und in den Hintergrund tritt. Diesen Gedanken hat Luther sehr massiv vorgebracht. Und das ist ein Gedanke, der immer wieder Anlass zum Feiern geben kann. Warum dann der 31. Oktober? Man braucht solche symbolischen Daten. Wenn man es letztlich historisch ernsthaft einordnet, muss man sagen: Am 31. Oktober 1517 findet eine innermittelalterliche Diskussion statt. Mehr nicht. Aber durch die Entwicklungsgeschichte danach ist dieser Tag zu einem symbolischen Datum geworden. Wenn wir einen Hochzeitstag feiern, dann heißt das ja auch nicht, dass an diesem Tag die Liebe zwischen zwei Menschen begonnen hat. Es ist ein besonderer Höhepunkt, dessen man sich in besonderer Weise erinnern kann. Und in dieser Weise - dass man in einer langen Geschichte einen Tag hervorhebt -, macht der 31. Oktober Sinn. Welche Konsequenzen könnte ihr Lutherbild zum Beispiel für das protestantische Selbstverständnis und auch den ökumenischen Dialog haben? Wenn man sich daran erinnert, dass die Reformation ihre Wurzeln im Mittelalter hat, dann eröffnet man neue Gesprächsmöglichkeiten. Gerade im Bereich der Mystik hat man die Möglichkeit, sich eine Stufe unter die ganzen Begriffe zu begeben, mit denen wir unsere Konfessionen momentan definieren. Die machen uns in der Ökumene nämlich große Schwierigkeiten. Wir führen Gespräche, in denen wir uns über sehr kleinteilige Formulierungen auseinandersetzen und deshalb nicht vorankommen. In dem Sinne, wie Wolfgang Huber das mal formuliert hat: Eine Ökumene der Spiritualität neu zu beginnen - dazu könnte die Mystik einen Anlass geben. Mit Volker Leppin sprach Fabian Maysenhölder Volker Leppin zeichnet in seinem Buch "Die fremde Reformation – Luthers mystische Wurzeln" nach, wie der Reformator Martin Luther durch und durch in Gedanken der mittelalterlichen Mystik verankert ist. Er zeichnet ein Bild der Reformation, wie wir es heute nicht (mehr) kennen – weil es uns fremd geworden ist.
http://www.n-tv.de/panorama/Luthers-Thesenanschlag-ist-eine-Legende-article18937366.html
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Date: 2017/11/01 11:07:49
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
rom: Verena Bunkus <verena.bunkus(a)uni-erfurt.de> Date: 01.11.2017 Subject: Tagber: Falsche Prinzessinnen, Scharlatane und selbsternannte Experten. Hochstapler in neuzeitlichen Gesellschaften ------------------------------------------------------------------------ Martin Mulsow / Iris Schröder, Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt 10.07.2017-12.07.2017, Gotha Bericht von: Kirsten Eppler / Verena Bunkus, Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt E-Mail: <verena.bunkus(a)uni-erfurt.de> Hochstapler (und seltener auch Hochstaplerinnen) sind ein wahrscheinlich in fast allen historischen Epochen vorkommendes Phänomen, in dem schlaglichtartig die impliziten handlungs- und verhaltensleitenden Normen, Regeln und Erwartungshaltungen einer jeweiligen Gesellschaft sichtbar werden. Dies lässt es reizvoll erscheinen, sich diesem Phänomen aus dem Blickwinkel verschiedener historischer Epochen und unterschiedlicher Disziplinen zu nähern, und gab somit das passende Thema für das 3. Alumnitreffen des internationalen Herzog-Ernst-Stipendienprogramms der Fritz Thyssen Stiftung vor, zu dem sich im Juli rund ein Dutzend ehemalige StipendiatInnen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Ländern sowie einige auswärtige ExpertInnen in Gotha zusammenfanden. Eröffnet wurde die Tagung von IRINA PODGORNY (Buenos Aires / Berlin) mit einem Abendvortrag über "Scharlatan-Netzwerke" im 19. Jahrhundert in Lateinamerika. Podgorny stellte dabei das Wirken des reisenden Arztes, Museums- und Krankenhausgründers Guido Bennati vor, der sich durch Zertifikate und Qualifikationen jedes Verdachts der Scharlatanerie zu entheben hoffte. Allerdings erwiesen sich diese selbst als gefälscht oder mindestens dubios. So legitimierte sich Bennati durch den Besitz einer Medaille als Mitglied eines Ordens, der von der angeblichen indischen Prinzessin Alina Deldir gegründet worden war, die Jahrzehnte vorher am französischen Hof gelebt hatte und sich aus heutiger Sicht ebenfalls als Hochstaplerin darstellt. Bild- und faktenreich wies Podgorny nach, dass sich das Leben der Scharlatane des 19. Jahrhunderts auf einer Parallelebene des Wissens abspielte, ohne dass die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion immer deutlich würde. Scharlatane trugen damit maßgeblich zur Popularisierung der Wissenschaften bei. Sie machten gesellschaftliche Spielregeln des wissenschaftlichen Renommees sichtbar und waren Agenten der Zirkulation der Dinge und des Wissens, die regelmäßig in Grauzonen der Seriosität agierten. Die erste Sektion setzte sich im Anschluss an die Einführung von MARKUS MEUMANN (Gotha) und IRIS SCHRÖDER (Gotha / Erfurt), in der diese die Aktualität des Themas "Hochstapler" betonten und das Tagungskonzept erläuterten, mit Hochstapelei als sozialer, politischer und intellektueller Praxis in der Frühen Neuzeit auseinander. Am Beispiel des Exulanten Georg Holík aus Böhmen ging MARIE RYANTOVÁ (Ceské Budejovice) dem zeitgenössischen Verdacht der religiösen Hochstapelei nach. Dass Holík, der aus einer im Zuge des Dreißigjährigen Krieges zwangsweise rekatholisierten Familie stammte, sich im Erwachsenenalter erst dem Dominikanerorden anschloss, dann aber zum evangelischen Glauben (re-)konvertierte, machte ihn für seine Zeitgenossen verdächtig. So erregte der als Prediger wirkende Holík in seinem neuen protestantischen Umfeld nicht zuletzt auch durch seine publizistischen Aktivitäten, denen man katholische Tendenzen nachsagte, Aufsehen. Nach Konflikten mit dem sächsischen Herzog reiste er mit seiner Familie nach Schweden, wo er in weiteren Publikationen verfolgte böhmische Protestanten zu Märtyrern stilisierte. Die 1680er-Jahre markierten eine weitere abrupte Wende in Holíks Biographie, die ihn nach Königsberg und Riga führte und zum Autor von Gartenbüchern werden ließ. Anschließend analysierte REINHARD MARKNER (Innsbruck) die Entstehung der 1781 anonym erschienenen Schrift "Ein paar Tröpflein aus dem Brunnen der Wahrheit", die in Briefform einen Angriff auf die Figur des Cagliostro, vorgeblicher Graf, Scharlatan und gleichzeitig hochrangiges Mitglied der Freimaurer, enthielt. Der Referent konnte darlegen, dass es sich bei dem anonymen Autor um den Braunschweiger Freimaurer Johann Joachim Christoph Bode (1731-1793) handelte. Eine weitere zentrale Figur im Zusammenhang mit diesem Text war Ernst Traugott von Kortum (1742-1811), der Bode bereits vor dessen Textveröffentlichung in Wolfenbüttel getroffen hatte. Die weitreichenden Beobachtungen von Cagliostros vermeintlichen Wundertaten auf dessen Reisen durch Europa von Warschau bis Straßburg stammten hauptsächlich aus Kortums Feder. Bode und Kortum ging es bei der Aufdeckung von Cagliostros wahrer Identität, so Markner, jedoch mehr um seine Rolle in der Freimaurerei als um seine generelle Entlarvung als Hochstapler bzw. Scharlatan. Im folgenden Vortrag sprach PABLO TORIBIO PÉREZ (Madrid) über das vermeintlich gefälschte klandestine Manuskript "Origo et fundamenta religionis christianae" des schlesischen Theologen Martin Seidel. Der antitrinitarisch und auch sozinianisch beeinflusste Seidel stellte darin seinen heterodoxen Standpunkt heraus. So galt ihm Christus lediglich als moralische, nicht aber als göttliche Instanz. Die These, Seidels Text könnte eine Fälschung aus dem 18. Jahrhundert sein, widerlegte der Referent anhand eines Briefs von Seidel, in dem dieser seine theologische Prägung aus dem mosaischen Dekalog herleitete. Dass Seidel dem Christentum Betrug vorwarf, lässt sich Toribio zufolge zurückführen auf seine Zweifel am Argument, Christus sei ein direkter Nachfahre König Davids gewesen. Die einzige zu seiner Zeit belastbare Quelle bezüglich dieser Frage hatte indes keine antike Grundlage, sondern stützte sich auf Annius von Viterbos "Auctores vetustissimi sive commentarii super auctores de antiquitate loquentibus" aus dem Jahre 1498, wobei seit Anfang des 16. Jahrhunderts bereits bekannt war, dass Annius' Text auf Fälschungen antiker Quellen beruhte. Trotzdem dienten die offenkundig falschen "Antiquitates" Martin Seidel zur Untermauerung seiner Kritik am Christentum. Die Konstruktion der schwedischen Frühgeschichte im Kontext früher nationaler Identitätsbildung war Gegenstand von BERNHARD SCHIRGS (Berlin / Gotha) Beitrag. In seiner "Atlantica" (1679-1702) stellte der schwedische Gelehrte Olof Rudbeck Schweden - analog zur Situation des ausgehenden 17. Jahrhunderts - als bereits antike Großmacht dar. Rudbeck war dabei bestrebt, mythologische Texte durch empirische Untersuchungen zu belegen, wozu er materielle Quellen der schwedischen Antike wie astrologische Runenkalender oder Runensteine nutzte. So interpretierte er Zeichnungen eines vorgeschichtlichen heidnischen Tempels in Uppsala als Vorbild für klassische griechische Tempelbauten und den Tempel Salomos. In diesem Zusammenhang spielten gezielte Fälschungen - sowohl in literarischer Form, wie etwa Sagas, als auch in materieller Gestalt, wie zum Beispiel im Falle einer eine Inschrift tragenden Alabastervase - eine zentrale Rolle, um das nationale Narrativ im Kampf um die Hegemonie im Ostseeraum zu stärken. Die zweite Sektion wandte sich exotischen Hochstaplern der Frühen Neuzeit zu, die sich als fremde Potentaten ausgaben, aber auch als betrügerische Bettler entpuppen konnten. STEFANO SARACINO (Hamburg / Wien) zeichnete die Aktivitäten griechischer Almosenfahrer aus dem Osmanischen Reich zwischen 1660 und 1740 im Heiligen Römischen Reich nach. Er zeigte auf, wie diese entweder als Wohltäter, Wissensvermittler oder Hochstapler beschrieben wurden. Obwohl es sich zumeist nicht um gelehrte Personen handelte, trugen die Almosenfahrer dennoch zur interkulturellen Wissensvermittlung bei. In manchen Fällen wurden sie gar als "lebende Wörterbücher" betrachtet und systematisch zu verschiedenen theologischen Begriffen befragt. Andererseits standen griechische Almosenfahrer oft auch unter dem Verdacht der Hochstapelei. Als Beispiel dafür führte Saracino einen Artikel aus Wilhelm Ernst Tentzels "Monatlichen Unterredungen" (1693) über den Besuch des Archimandriten Metrophanes Tzitzilianos am Gothaer Hof an. Dieser wird darin als unbeständiger Zeitgenosse geschildert, der sowohl Lutheranern als auch Reformierten "nach dem Mund" redete. Passend zum Tagungsort spielte auch im Beitrag von TOBIAS MÖRIKE (Erfurt / Gotha) eine Begegnung am Gothaer Hof eine zentrale Rolle. Im Februar 1725 hielt sich ein gewisser Spaada Habaisci, angeblicher Prinz vom Berg Libanon, in Gotha auf. Er bat um Lösegeld für seine von den Türken entführte christliche Familie und wurde vom Herzog freundlich empfangen. Ob es sich um einen Prinzen im Sinne eines zukünftigen souveränen Staatsoberhaupts handelte, ist jedoch fraglich. Laut dem Referenten stehe es aber außer Frage, dass Spaada Habaisci einer feudalen Familie entstammte. Die wahren Gründe für seine Reise seien jedoch schwer zu eruieren. Habaisci war zu seiner Zeit nur ein reisender maronitischer Prinz unter vielen. Mörike stellte solche Prinzen weniger als übelwollende Betrüger dar, sondern hob ihre Rolle als Wissensvermittler in den Vordergrund: Im höfischen Milieu wurden sie gerne als Schrift- und Sprachexperten zur Pflege orientalischer Sammlungsbestände oder zur Entzifferung arabischer Dichtkunst herangezogen. Im Anschluss an den Vortrag wurde diskutiert, ob es sich um Wissenstransfer handelte oder um eine Form der Unterhaltung und europäischer Wissensbestätigung, für die man gerne auch von "falschen" Prinzen Gebrauch machte. LIONEL LABORIE (Leiden) und OLAF SIMONS (Gotha) schlossen die Sektion mit ihrem Vortrag über zwei Akteure, die Betrügerei mit radikalen religiös-politischen Projekten verbanden. Einer der Protagonisten, Philippe de Gentil, Marquis de Langallerie, der in zahlreichen, ganz unterschiedlichen militärischen Dienstverhältnissen gestanden hatte, verfolgte angesichts naher Endzeiterwartungen das Ziel, das Papsttum auf militärischem Wege zu beseitigen. Dabei erhielt er durch einen gewissen Prince de Linange Unterstützung. Zusammen gründeten die beiden eine theokratisch anmutende Organisation, die halb religiöser Orden, halb Aktiengesellschaft war. Von Amsterdam aus versuchten sie, Madagaskar zum Standort einer Handelskompanie, ähnlich der Niederländischen Ostindienkompanie (VOC), zu machen, um von dort mit einer Flotte und Armee den Papst in Rom zu stürzen. Das abenteuerliche Unterfangen scheiterte schließlich 1716 mit ihrer Verhaftung. Der Vortrag warf zudem neues Licht auf die Herkunft und den Lebenslauf von Linange, der, obwohl er aus einer adeligen katholischen Familie stammte, schon in jungen Jahren Pläne hegte, eine hugenottische Republik in Südfrankreich zu errichten. Die Referenten stellten neue Quellen zur Familiengeschichte Linanges vor und konnten zeigen, dass sich dieser bei der Konstitution der eigenen Identität seiner Familie abhanden gekommener Titel und familieninterner Biographien bediente. Die dritte Sektion widmete sich der Aufdeckung von falschen Forschern, selbsternannten Entdeckern und Scharlatanen im 19. und 20. Jahrhundert. MICHAEL PESEK (Hamburg) referierte über das Verhältnis von Geographen und Forschungsreisenden im 19. Jahrhundert. Expeditionen stellten die wichtigste Form geographischer Wissensproduktion dar, die immer mehr von der Empirie und dem Verständnis der Geographie als Wissenschaft geprägt waren. Forschungsreisende wurden in geographischen Zeitschriften bejubelt und konnten zu Vermögen gelangen, was verständlicherweise Hochstapler anzog. Doch auch die wissenschaftliche Erschließungspraxis europäischer Expeditionsreisender war stets mit Spekulationen und waghalsigen Einschätzungen verbunden. Eine Disziplinierung der Forschungsreisenden setzte Anfang des 19. Jahrhunderts mit Reiseratgebern und der Etablierung von Universitätsfächern ein, sodass es ab den 1890er-Jahren immer schwerer wurde, Reisen und deren Ergebnisse vorzutäuschen. Am Beispiel eines 1879 zur Veröffentlichung eingesandten Reiseberichtes für "Petermanns Geographische Mitteilungen" fragte INES EBEN VON RACKNITZ (Nanjing / Berlin), welche Strategien die neu entstehende akademische 'community' des 19. Jahrhunderts verwendete, um Hochstapelei zu entlarven. Das Genre des Reiseberichtes erfuhr zu dieser Zeit eine schärfere Trennung zwischen Unterhaltung und Wissenschaftlichkeit. Experten wurden nur noch dann anerkannt, wenn sie eine spezifische Ausbildung genossen hatten und sich aus Netzwerken wie Staats- und Militärdienst sowie geographischen Forschungsgesellschaften rekrutierten; zugleich entwickelten sie Methoden, um Wissen exklusiv zu erhalten. Hochstapeleien ließen sich durch die untereinander bestehenden Informationsnetzwerke und mittels zahlreicher Dokumentationen schnell aufdecken. BRICE KOUAKAP NDJEUTCHAM (Dschang, Kamerun) verhandelte anhand der heutigen Pfingstkirchenbewegung in Kamerun die Frage, wie diese Täuschungen nutzbar macht und wie die kamerunische Gesellschaft auf Hochstapelei reagiert. Dafür untersuchte er diskursanalytisch zwei Dokumentationen über selbsternannte Pfarrer und Propheten in der Bewegung. Erscheinungsformen der Hochstapelei wie Betrug, Einmischung in die Angelegenheiten der Gläubigen und die Selbsternennung zu Pfarrer, Prophet und Doktor ohne jede Ausbildung lösten dabei unterschiedliche Reaktionen aus: Die Mitglieder der Bewegung nähmen den Wohlstand ihrer "Propheten" nicht als Hinweis auf Korruption und Machtmissbrauch wahr, sondern sähen darin eine Bestätigung der Kraft Gottes und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Gegner der Pfingstkirchen dagegen betrachteten diese "Propheten" als Geschäftemacher und Diebe; die Regierung schließlich lasse gelegentlich Kirchen in Reaktion auf derartige Vorfälle schließen. In der letzten Sektion zum Thema "Hochstapelei in Literatur und Theorie" referierte zunächst TILMAN VENZL (Stuttgart) anhand von Carl Zuckmayers 1931 erschienenem Theaterstück "Der Hauptmann von Köpenick" über die Deutung der Hochstapelei in militärischer Uniform. Dabei ging er der Frage nach, welche Rolle der viel diskutierte preußische Militarismus in dem Stück spielt, das häufig als militarismuskritisch gedeutet wurde. Anders als es der Forschungsbegriff des Militarismus nahelegen würde, stelle dieser in dem Drama jedoch keine Gewaltinstitution dar, sondern werde als integraler, wichtiger Bestandteil der Gesellschaft ausgewiesen. Daher sei das Werk keine Satire auf den preußischen Militarismus, sondern zeige eher einen Folkloremilitarismus, der die kriegerische Zweckbestimmung in der Zivilgesellschaft ausblende. IVETA LEITANE (Riga) erprobte in ihrem Vortrag, wie sich die Kultursemiotik der Tartu-Schule, die sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts im Umkreis Juri Lotmans formierte, für eine Konzeptualisierung des Phänomens der "Hochstapelei" fruchtbar machen lässt. Leitanes Blick fiel hier auf Überlegungen zum Kartenspiel und zum "samozvancestvo", dem Wahlverfahren des zaristischen Russlands, das Anfang des 16. Jahrhunderts in den Wirren um die drei Pseudo-Dimitris (von Polen in einem Akt der Hochstapelei lancierte "falsche" Thronerben) Anwendung fand. Leitanes Überlegungen galten zentral der Frage nach der Struktur, die Vergleichsfälle in der Modellbildung aufweisen müssten. Das gelingende Modell müsse im komplexeren Raum zusammengesetzt werden, so das methodologische Diktum. Zum Abschluss fassten IRIS SCHRÖDER (Erfurt / Gotha) und MARKUS MEUMANN (Gotha) in Diskussion mit den ReferentInnen die Tagung zusammen. Sie stellten heraus, dass nicht nur menschliche, sondern auch nicht-menschliche Akteure eine wichtige Rolle bei Scharlatanerie und Hochstapelei spielten: Zur Validierung der Legenden wurden immer wieder Objekte eingesetzt. Die Grenzüberschreitungen der Akteure wurden in den Medien und in der Öffentlichkeit aufgegriffen, weshalb die Akteursbezeichnungen zumeist Fremdattributierungen darstellten. Die Beiträge hätten die Spannbreite gesellschaftlicher Reaktionen und staatlicher Sanktionen verdeutlicht, wobei die juristische Perspektive auf Scharlatane und Hochstapler weitere gewinnbringende Aufschlüsse bringen könnte. Konferenzübersicht: Begrüßung Martin Mulsow / Iris Schröder (Forschungszentrum Gotha) / Kathrin Paasch (Forschungsbibliothek Gotha) Knut Kreuch (Oberbürgermeister der Stadt Gotha): Grußwort Eröffnungsvortrag Irina Podgorny (Buenos Aires / Berlin): Scharlatan-Netzwerke: Die unglaubliche Geschichte von der einfältigen Sultanin Deldir und ihrem Commandatore Bennati Iris Schröder (Erfurt / Gotha) / Markus Meumann (Gotha): Einführung in das Tagungsthema Sektion 1: Hochstapeln als soziale, politische und intellektuelle Praxis in der Frühen Neuzeit Moderation: Markus Meumann (Gotha) / Olaf Simons (Gotha) Marie Ryantová (Ceské Budejovice): Der Exulant Georg Holík: Dominikaner, Konvertit, Prediger, Gärtner - und auch Hochstapler? Reinhard Markner (Innsbruck): Ein paar Tröpflein aus dem Brunnen der Wahrheit (1781). Eine Schrift gegen Cagliostro und ihre Autoren Pablo Toribio Pérez (Madrid): Radical Receptions of Forgery: the last descendant of David, Annio da Viterbo and Martin Seidel Bernhard Schirg (Berlin / Gotha): Convenient discoveries - Forgeries of manuscripts and artifacts in the service of the Swedish Empire (c. 1650-1720) Sektion 2: Fremde Potentaten oder betrügerische Bettler? Exotische Hochstapler in der Frühen Neuzeit Moderation: Markus Meumann (Gotha) Stefano Saracino (Hamburg / Wien): Griechisch-orthodoxe Almosenfahrer aus dem Osmanischen Reich im Heiligen Römischen Reich (1660-1740): Wissensquellen, Wohltäter, Betrüger Tobias Mörike (Erfurt / Gotha): Der Prinz vom Berg Libanon. Die Reise des Spaada Habaisci (1725-1728) als Wissensgeschichte einer Höflichkeitslüge Lionel Laborie (Leiden) / Olaf Simons (Gotha): The resourceful "Count de Linange": King of Madagaskar, Grand Admiral of the Theocracy and global trading strategist Sektion 3: Falsche Forscher, selbsternannte Entdecker und Scharlatane im 19. und 20. Jahrhundert Moderation: Iris Schröder (Erfurt / Gotha) Michael Pesek (Hamburg): Unter Verdacht. Das Verhältnis von Geografen und Forschungsreisenden im 19. Jahrhundert Ines Eben v. Racknitz (Berlin / Nanjing): Die Erforschung der Erde in der Hochstapelei: Phantasiebericht und Wissenschaftlichkeit am Beispiel des Theodor Mundt-Lauff Brice Kouakap Ndjeutcham (Dschang, Kamerun): Vom Christentum zur Hochstapelei: Falsche Pfarrer und Propheten in Afrika im 20. Jahrhundert. Der Fall Kamerun Sektion 4: Hochstapelei in Literatur und Theorie Moderation: Kai Merten (Erfurt) Tilman Venzl (Stuttgart): (K)ein militärischer Hochstapler! Zu Carl Zuckmayers Hauptmann von Köpenick Iveta Leitane (Riga / Tallinn): Semiotische Modelle der Hochstapelei aus der Sicht der Tartu-Schule Iris Schröder (Erfurt / Gotha) / Markus Meumann (Gotha): Schlussdiskussion |
Date: 2017/11/07 18:28:08
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Guten Abend,
letztens habe ich mir im Landesarchiv Saarbrücken ein paar Notariatsakten aus dem Jahre 1884 angeschaut und darin zwei alte Zeitungen entdeckt, die der Notar als Belegexemplare für geschaltete Anzeigen in die Akte mitaufgenommen hatte. Daraus ein paar Meldungen.
Quelle: Landesarchiv Saarbrücken, Notariat St. Wendel, Notar Schneider, Akt 6182 vom 19.12.1884
St. Wendeler Volksblatt Nr. 98, Samstag, 6. Dezember 1884
Urexweiler, 3. Dezember. Wie schwer es hält, zustehende Erbschaften aus Amerika zu erhalten, hat jetzt wieder die Familie H. hier gelegentlich zu erfahren. Vor ungefähr 30 Jahren verließ ein junger Mann unseres Ortes Europa und siedelte sich in After Kingston, Staat New=York an. Als Musiklehrer und Organist sammelte er sich ein bedeutendes Vermögen von ca. 60,000 Dollars. Im vorigen Jahre besuchte ihn von Urexweiler aus sein Bruder. Im Mai dieses Jahres ward der Mann unweit Kingston tot aufgefunden. Seine Ehe war kinderlos geblieben. Vor einigen Jahren benachrichtigte der deutsche Konsul die hiesigen Anverwandten von dem Tode mit dem Hinzufügen, daß ihnen 4000 Dollar als Erbe zugetheilt worden seien. Gleichzeitig aber gab er ihnen die Adresse verschiedener tüchtiger Anwälte an, um gerichtlich gegen die Ehefrau und ihre Anverwandten wegen der ihnen zustehenden vollen Erbschaft vorgehen zu können. -------------
Ein interessanter naturhistorischer Fund ist dieser Tage im Deutzer Hafen gemacht worden. Durch eine dort arbeitende Baggermaschine wurde ein colossaler Zahn im Gewichte von 8 Pfund und nicht etwa ein Stoßzahn, sondern der Backzahn eines urweltlichen Tieres zu Tage gefördert. Mit dem Zahne ist sehr deutlich die Wurzel und die Krone zu erkennen. Er hat die Gestalt einer breiten, niedrigen Flamme und mißt in der Länge 27, in der Höhe 17 und in der Dicke 7 Zentimeter und besteht aus zweierlei Material, nämlich aus zwanzig Schichten fester, glasirter Masse, die durch eine weichere Mittellage verbunden sind, welche sich mit dem Fingernagel abkratzen läßt. Die einzelnen Schichten der harten Masse bestehen aus zusammengesetzten Rippen, und jede Schicht hat die Gestalt einer langgestreckten Flamme.
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Nahe=Blies=Zeitung Nr. 145, Samstag, 6. Dezember 1884
Alles schon dagewesen. Laut dem „B.B.C.“ hat die Bilanz der „Erdmannsdorfer Spinnerei“ einen Aditionsfehler aufzuweisen, demzufolge 3 pCt. Dividende zu viel vertheilt wurden. Das erinnert an eine Geschichte aus meinem Leben. Ich kam einmal vor vielen Jahren in eine Familie, wo großer Jubel herrschte. „Brillante Bilanz“ sagte der Vater, „1900 Thaler verdient!“ - Ich gratulirte. Vierzehn Tage später kam ich in den Laden des Mannes. Vater und Mutter weinten und in der anderen Ecke stand der Sohn mit rothen Ohren, gleichfalls heulend. Was ist? frug ich betroffen. Ach denken Sie sich, sagte die Frau: Der Esel, unser Sohn, hat in der Bilanz die Jahreszahl mitaddiert.
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Eine Karte. An Alle, welche an den Folgen von
Jugendsünden,
nervöser Schwäche, Entkräftung, Verlust der Manneskraft etc.
leiden, sende ich
kostenlos ein Recept, das sie kuriert. Dieses große Heilmittel wurde von einem Missionair in Süd=Amerika entdeckt. Schickt ein adressirtes Couvert an Rev. Josef T. Inman, Station D. New York City, U.S.A.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
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Date: 2017/11/08 13:05:41
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Salve,das China Zentrum mit Sitz in Bonn hat in der neuesten Ausgabe seiner Zeitschrift "China heute" auch einen Artikel über den hl. Wendelin in China veröffentlicht. Der Untertitel lautet "Der Schutzpatron der Landbevölkerung und der Tiere in der Süd-Shandong-Mission der Steyler Missionare".
Zu finden ist der Artikel online als pdf unter "http://www.china-zentrum.de/china-heute/"
Ein anderer Artikel in der gleichen Ausgabe befaßt sich mit dem Thema "Vorschriften für religiöse Angelegenheiten", also dem Umgang des Staates mit den Religionen in China, was ja auch im neuen Wendalinusfilm "Wendelin Weltweit" thematisiert wurde.
Mit freundlichem Gruß Roland Geiger, St. Wendel
Date: 2017/11/09 22:04:16
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Tagber: Die Urkunde. Text - Bild - Objekt ------------------------------------------------------------------------ Andrea Stieldorf, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 27.09.2017-29.09.2017, Bonn Bericht von: Tobias Weller / Mareikje Mariak / Anne Sowodniok / Maximilian Stimpert, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn E-Mail: <tobias.weller(a)uni-bonn.de> Urkunden sind zunächst einmal Rechtsdokumente. Ausgehend von diesem Sachverhalt nahm die historische Urkundenforschung in den letzten Jahrzehnten verstärkt den zeitgenössischen Kommunikationsprozess in den Blick, in den Urkunden eingebettet waren: Entsprechende Studien beleuchten beispielsweise die Entstehungsbedingungen der Urkundenausstellung, die performativen Aspekte des Privilegierungsaktes, aber auch die Materialität von Urkunden, ihr Layout und ihre konkrete, teils sehr repräsentative Gestaltung. Gerade dieser Aspekt der "Bildlichkeit" findet in neuester Zeit verstärkt Beachtung. Diese Ansätze wurden auf einer von ANDREA STIELDORF (Bonn) organisierten und der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Bonner Tagung vom 27. bis 29. September 2017 aufgegriffen und in eine fachübergreifende Perspektive gerückt. In ihrem einleitenden Beitrag unterstrich Stieldorf den heuristischen Wert von Untersuchungen, die Urkunden vor ihrem sozio-kulturellen Hintergrund betrachten und ihrer Wirksamkeit und Rezeption nachgehen. Dabei müsse der Blick auch über die eigenen Kulturgrenzen hinausgehen und somit aktuellen Forschungstendenzen Rechnung getragen werden. Die Leitfragen der Tagung zielten auf die Kommunikationsprozesse, die der Verankerung von Urkunden in ihrem jeweiligen kulturellen Umfeld zugrunde lagen: Welche Rolle spielten Urkunden als Objekte der Repräsentation für den Aussteller oder Empfänger? Welche visuellen Strategien verfolgte die jeweilige Urkundengestaltung? Auf welche Art und Weise generierten Urkunden Rechtssicherheit? Die erste Sektion "Urkunden als Quellen und als Rechtsmittel" eröffnete EVELINE BRUGGER (St. Pölten) mit ihrem instruktiven Einblick zur "Rolle christlicher Obrigkeiten in der Entwicklung des jüdischen Urkundenwesens im spätmittelalterlichen Österreich". Viele Urkunden mit jüdischer Beteiligung wurden im Kontext von Darlehensgeschäften ausgefertigt und mussten dem Bedürfnis sowohl der jüdischen, als auch der christlichen Geschäftspartner nach Rechtssicherheit genügen. Die jüdische Seite war darauf bedacht, sogenannten "Tötbriefen" vorzubeugen, mit denen die landesherrliche Obrigkeit als Inhaber des Judenregals Schulden ihrer christlichen Untertanen für nichtig erklären konnte. Im Interesse christlicher Schuldner lag es, wenn an die mehrheitlich deutschsprachigen Kredit- oder Pfandurkunden hebräische Urkunden angeheftet wurden oder eine hebräische Bestätigung unter den Text gesetzt wurde, die die Vereinbarung nach jüdischem Recht erst gültig machte. ALHEYDIS PLASSMANN (Bonn) hielt mit ihrem Beitrag "Datamining in Urkunden" ein Plädoyer für die statistische Auswertung von Informationen, die hinreichend große Urkundenkorpora quasi nebenbei bieten, wie Empfänger, Zeugen, Ausstellungsorte und geographische Angaben. Auf Grundlage einer entsprechenden Datenerhebung bei den Urkunden Heinrichs II. von England konnte sie die Konturen der Vernetzung des Königs mit dem Adel des englischen Festlandbesitzes (Normandie, Maine, Anjou, Aquitanien, Bretagne) aufzeigen, aber auch charakteristische Unterschiede zwischen den Regionen herausarbeiten. So lassen sich etwa die spezifischen Relationen zwischen Ausstellungort und dem Bezugsgebiet der Betreffe ermitteln und auch, welche Distanzen die Empfänger zurücklegten, um eine Herrscherurkunde zu erlangen. Ebenso in Bezug auf das Verhalten sozialer Gruppen bietet das diplomatische "Data-Mining" interessante Aufschlüsse: So begegnen Bischöfe und weltliche Hochadlige aus der Normandie vergleichsweise selten als Zeugen in Herrscherurkunden, die in England ausgestellt wurden, wohingegen kleinere normannische Herren hier häufiger auftauchen. In ihrem Vortrag "Mit brief und insigel. Reflexe von Beglaubigungsstrategien in mittelhochdeutschen Romanen" ging ANDREA SCHINDLER (Saarbrücken) der Frage nach, inwieweit das mittelalterliche Urkundenwesen sich in der mittelhochdeutschen Romanliteratur niederschlug: Die Begriffe brief, urkund, hantveste bzw. sigel, in(ge)sigel oder wahszeichen wurden in den literarischen Texten in erster Linie im metaphorischen oder übertragenen Sinne gebraucht, insbesondere im semantischen Zusammenhang mit Tod, Treue und Liebe. Klarer tritt hingegen die literarische Verarbeitung von Beglaubigungsstrategien hervor, wenn etwa der Titelheld im "Reinfried von Braunschweig" in der Ferne eigenhändige Briefe seiner Gemahlin erhält und die Botschaften seiner Untertanen mit silbernen Siegeln versehen sind. KLAUS HERBERS (Nürnberg/Erlangen) arbeitete in seinem Vortrag "Papstbriefe und Papsturkunden. Abgrenzen und Überscheidungen" die Unterschiede zwischen den entsprechenden Schreiben heraus, die in der gängigen diplomatischen Einführungsliteratur eher nivelliert werden. Am Beispiel entsprechender Dokumente aus dem Frühmittelalter konnte Herbers Kriterien der Abgrenzung entwickeln, wobei er auf den im Vergleich zu Urkunden geringeren Formalisierungsgrad von Papstbriefen hinwies. Vor allem aber zeigen sich Divergenzen im Funktionskontext: Bei Briefen spielt die Kommunikation über Boten eine gewichtige Rolle, hier kommt es auch immer wieder zur Ausfertigung von Ersatzexemplaren. Grundlegende Unterschiede lassen sich zudem in der Überlieferung von Papstbriefen konstatieren: Ihre Kenntnis beruht zumeist auf Briefsammlungen unterschiedlicher Konzeption und Zielrichtung oder - in Konsequenz ihres normativen Wertes - auf der Rezeption in Kanonessammlungen. ANDREAS KAPLONY (München) machte in seinem Vortrag "Kataloge, Editionen, Lexika und Typologien. Elektronische Hilfsmittel bei der Auswertung arabischer Dokumente durch Allgemeinhistoriker" zum einen deutlich, dass die Kategorien der europäischen Urkundenlehre nicht auf die Dokumente des arabischen Kulturraums übertragen werden können, weshalb in der Islamwissenschaft an einer eigenen diplomatischen Typologie gearbeitet werde. Kurz stellte er verschiedene Typen von Dokumenten (Protokolle, Tabellen, Briefe, offizielle Briefe, Urkunden, informelle Notizen und literarische Dokumente) vor. Bei der Einordnung einzelner Dokumente sei die disparate Überlieferungslage problematisch. Nur in einigen Regionen des islamischen Kulturraumes, wie in Spanien oder im Iran, gebe es eine ungebrochene Archivkultur. Im Folgenden stellte Kaplony Hilfsmittel und Datenbanken vor, die sich auch ohne Arabisch-Kenntnisse nutzen lassen und somit auch den Diplomatikern anderer Kulturräume einen Einblick in die Welt der arabischen Dokumente bieten können. Ebenfalls auf die Problematik, die sich bei der Übertragung von Begrifflichkeiten aus der europäischen Diplomatik ergibt, ging CHRISTOPH WERNER (Marburg) in seinem Vortrag "Die 'Privaturkunde' im perso-islamischen Kultur- und Rechtsbereich. Herausforderungen einer komparatistischen Diplomatik" ein. Besonders schwierig sei das bei der Kategorie der "Privaturkunden", die auch in der europäischen Diplomatik kritisch gesehen wird, wie in der anschließenden Diskussion deutlich wurde. Für den iranischen Bereich stellte Werner die Einteilung in zwei Kategorien vor, wie sie in der iranischen "Dokumentenlehre" gängig ist: Es werden asnad-i sar'i (islamrechtliche Dokumente) und asnad-i divani (Dokumente staatlicher Verwaltungsstellen) unterschieden. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Bezeichnung von Kategorien mit persischen Begriffen, die im Kontext des Aufschwungs der Diplomatik im Iran geradezu zwangsläufig ist, einerseits hilft, die Texte und ihre Hintergründe präziser zu fassen, andererseits aber auch den interdisziplinären Dialog erschwert. "Wenn Sinologen von 'Dokumenten' sprechen. Mit besonderer Berücksichtigung des mittelalterlichen China", war das Thema von REINHARD EMMERICH (Münster). Dabei betonte er zunächst die besondere Überlieferungssituation: Chinesische Dokumente sind zum Großteil nicht im Original erhalten, sondern im Kontext historiografischer Quellen überliefert. Anschließend stellte er aber zwei der seltenen Korpora von original überlieferten Dokumenten vor, welche aus Turfan und Dunhuang stammen. Diese Stücke sind sehr heterogen: Sie behandeln ganz unterschiedliche Inhalte (unter anderem Scheidungsurkunden, Testamente, Pachtverträge und Werkverträge mit Handwerkern), sind sprachlich und formal nicht genormt sowie auf verschiedene Weise datiert und beglaubigt (zum Beispiel durch eigenhändige Unterschrift, Nennung von Zeugen, Handzeichen, Siegel oder Abzeichnung der Abstände der Fingerknöchel). Eine Beteiligung öffentlicher Stellen, so Emmerich, lasse sich in den vorgestellten Dokumenten nur schwer greifen. In der zweiten Sektion "Urkunden als Schriftbilder zwischen Recht und Repräsentation" wurde der Objektwert der Urkunden in den Mittelpunkt gestellt. Den Anfang machte hier PETER SCHWIEGER (Bonn) mit seinem Vortrag "Das Erscheinungsbild tibetischer Herrscherurkunden. Visuelle Strategien zur Erzeugung von Feierlichkeit" über verschiedene Aspekte, die von der Schrift und dem Beschreibstoff über Siegel bis hin zu Illuminationen reichen. Mehrfach thematisiert wurde der Aspekt der Mehrsprachigkeit; so gibt es Urkunden, die einen tibetischen und einen chinesischen Text aufweisen, sowie Siegel, auf denen Inschriften in vier verschiedenen Sprachen zu finden sind. Überraschend war für die europäischen Diplomatiker, dass ihre Terminologie für Formularbestandteile auch sehr gut auf tibetische Herrscherurkunden anwendbar ist. ANDREAS E. MÜLLER (Wien) beschäftigte sich in seinem Vortrag "Sichtbare Macht" mit den visuellen Merkmalen byzantinischer Kaiserprivilegien. Was für das lateinische Westeuropa in detaillierten Einzelstudien bereits gut erforscht ist, stellt für das Kaiserreich Byzanz noch weitestgehend ein Forschungsdesiderat dar. Dies liegt nicht zuletzt an der unbefriedigenden Überlieferungssituation. Dass sich eine Beschäftigung damit dennoch als sehr lohnenswert herausstellt, konnte die Betrachtung einiger beispielhaft ausgewählter Kaiserprivilegien des 11. und 12. Jahrhunderts zeigen. So wurde neben einer herausgestellten Invocatio und Intitulatio für bestimmte Authentifizierungsmerkmale gezielt mit roter Tinte gearbeitet. Im Anschluss daran widmete sich IRMGARD FEES (München) "graphischen Symbolen in Bischofsurkunden des Hochmittelalters". Ein gezieltes Durchsuchen des Marburger Lichtbildarchivs zeigt, dass es sich hier eher um ein Sonderphänomen handelt. So treten Symbole wie Rota oder Monogramm überhaupt nur in einem Zeitraum von etwa 150 Jahren und nur bei etwa sechs Dutzend Urkunden auf. Auffällig sind neben zahlreichen einmaligen bzw. sporadischen Fällen die Bistümer Salzburg und Augsburg, auf die der Löwenanteil der graphischen Symbole entfällt. Als Motiv dieser graphischen Aufwertung ist in den meisten Fällen wohl die Eigenrepräsentation anzuführen; eine wirkliche Tradition bildete sich jedoch nicht. Einen noch mehr auf das Objekt bezogenen Ansatz verfolgte GABRIELE BARTZ (Wien) in ihrem Beitrag "Same same but different", der sich dem Bereich der illuminierten Urkunde widmete. Ihre Betrachtungen verfolgten das Schaffen der Avignoner Bischofsammelindulgenzen-Werkstatt. Diese erkannte den Wunsch der Empfänger nach einer entsprechenden Ausstattung dieser großformatigen Urkunden, welche an ihren Bestimmungsorten repräsentativ ausgestellt wurden. Für die aktive Zeit der Werkstatt konnte zum einen eine Steigerung der künstlerischen Ausgestaltung aufgezeigt werden, zum anderen wurde aber auch deutlich, dass sich die einzelnen Künstler aus einer Art Baukastensystem bedienten, welches aber durchaus offen für Innovationen war. Zudem wird hier der Einfluss der Empfänger bzw. das Ausmaß ihres Geldbeutels offenbar. Dieser Aspekt leitete zum Abendvortrag von MARTIN ROLAND (Wien) "Illuminierte Urkunden - Bildmedium und Performanz" über. Auf Grundlage des von Michael Clanchy konstatierten Dreischritts vom Machen (making), Verwenden (using) und Bewahren (keeping) legte er dar, welche (macht)politischen Bedeutungen an den illuminierten Urkunden nachvollzogen werden können. Anhand zahlreicher Beispiele wurden alle drei "Stadien" eindrucksvoll veranschaulicht. So zeigte Roland etwa zum making illustrierter Urkunden, dass dabei eine intendierte Wirkweise sichergestellt werden soll, was er unter anderem an einer Initiale einer Urkunde Ludwigs des Bayern für Balduin von Trier demonstrierte, in der der Erzbischof auf Augenhöhe mit dem Herrscher gezeigt wird. Beim using rückte er den Rechtsakt und die damit einhergehenden Handlungsabläufe in den Fokus: Das Panorama reicht von publikumswirksamen Übergabeakten bis zur Zurschaustellung von Ablassurkunden. Die Praxis unter Karl V. von Frankreich, illuminierte Urkunden für das eigene Archiv anzufertigen, um seiner Herrschaft auch postum Ruhm und Gegenwärtigkeit zu sichern, wurde als eine Möglichkeit des keeping präsentiert. Die dritte und abschließende Sektion "Der Medienwechsel. Urkunden in Kopiaren und auf Stein" behandelte das Tagungsthema anhand weiterer Quellen. Einleitend referierte FRANZ-ALBRECHT BORNSCHLEGEL (München) über "Urkundeninschriften und Urkunden imitierende Inschriften. Gestaltungsformen und -möglichkeiten". Zentraler Gegenstand waren dabei graphische und paläographische Merkmale von Urkunden in epigraphischem Material, besonders nördlich der Alpen. Am Beispiel des Marktportals des Mainzer Domes, in welches das von Erzbischof Adalbert 1135 verliehene Stadtprivileg eingraviert wurde, fragte Bornschlegel, welche Merkmale der Urkundengestaltung auf die Stein- oder Metallarbeiten übergingen und inwieweit hiervon wiederum Anregungen für die Gestaltung späterer Mainzer Urkunden ausgingen. WOLFGANG HUSCHNER (Leipzig) sprach anschließend zu "Originalen, Fälschungen, Kopien. Die Nutzung und Sicherung mittelalterlicher Herrscherurkunden, durch geistliche Empfänger Italiens (9. bis 12. Jahrhundert.)". Im Zentrum stand dabei die Fragestellung, zu welchem Zweck italienische Bischöfe, Domkapitel und Klöster Herrscherurkunden imitierten oder imitieren ließen, die dem Original teils sehr nahe kommen. Bei den Imitationen handelt es sich häufig um Sicherungskopien: Wenn das Original beispielsweise zu Gerichtsterminen mitgeführt werden musste, sollte im Archiv Ersatz für seinen möglichen Verlust vorgehalten werden. Ebenso ging Huschner auf Fälschungen ein, die - ebenfalls das Original imitierend - etwa im Zuge von Rechtsstreitigkeiten angelegt wurden und sich meist kaum von den anderen Imitationen unterscheiden. Dass Kartulare und Register Objekte von Authentifizierung, Legitimation und Macht sein können, zeigte im dritten Sektionsvortrag SUSANNE WITTEKIND (Köln). Anhand von fünf Codices veranschaulichte sie die "Visuelle Rechtsordnung und Herrschaftslegitimation in Aragonesischen Urkundensammlungen (1190 - 1341)". Dabei stellte Wittekind heraus, dass die Kartulare im Untersuchungszeitraum den unterschiedlichen Intentionen des Machterhalts, Machtausbaus oder der Machtsicherung dienten. Besonders anhand der Illuminationen konnte gezeigt werden, welche Rolle sie für die jeweilige Herrschaft spielten, da sie entweder auf die einzelnen Urkundeninhalte oder aber auf den Codex bezogen Bildprogramme erkennen lassen. Neben der Selbstinszenierung des Königtums werden hier auch soziale Netzwerke der Königsherrschaft sichtbar. Abschließend trug MARK MERSIOWSKY (Stuttgart) paraphrasierend das Vortragsmanuskript von LAURENT MORELLE (Paris) zu "Copiers des chartes sur des pages blanches de manuscrit. Une pratique encore à explorer" vor. In der Abschlussdiskussion verständigte man sich darauf, den Austausch und das Gespräch zwischen den einzelnen Disziplinen, die die Tagung ein Stück weiter zusammen brachte, zu intensivieren. Festgestellt wurde, dass gerade bei Fragen der Typologie, Terminologie und an den Schnittstellen der Fächern noch intensiver miteinander geredet werden sollte, um eine gefestigte gemeinsame Basis für weiterführende, interdisziplinäre Projekte zu schaffen. Konferenzübersicht: Sektion 1: Urkunden als Quellen und Rechtsmittel Eveline Brugger (St. Pölten): Et si iudeus hoc per suas literas et sigillum probaverit. Die Rolle christlicher Obrigkeiten in der Entwicklung des jüdischen Urkundenwesens im spätmittelalterlichen Österreich Alheydis Plassmann (Bonn): Datamining in Urkunden. Die kontinentalen Besitzungen Heinrichs II. von England als Beispiel Andrea Schindler (Saarbrücken): Mit brief und insigel. Reflexe von Beglaubigungsstrategien in mittelhochdeutschen Romanen Klaus Herbers (Nürnberg/Erlangen): Papstbriefe und Papsturkunden. Abgrenzungen und Überschneidungen im früheren Mittelalter Andreas Kaplony (München): Kataloge, Editionen, Lexika und Typologien. Elektronische Hilfsmittel bei der Auswertung arabischer Dokumente durch Allgemeinhistoriker Christoph U. Werner (Marburg): Die "Privaturkunde" im perso-islamischen Kultur- und Rechtsbereich. Herausforderungen einer komparatistischen Diplomatik Reinhard Emmerich (Münster): Wenn Sinologen von "Dokumenten" sprechen. Mit besonderer Berücksichtigung des mittelalterlichen China Sektion 2: Urkunden als Schriftbilder zwischen Recht und Repräsentation Peter Schwieger (Bonn): Das Erscheinungsbild tibetischsprachiger Herrscherurkunden. Visuelle Strategien zur Erzeugung von Feierlichkeit Andreas E. Müller (Wien): Die sichtbare Macht. Visuelle Signale im Rahmen der kaiserlichen Privilegienurkunde in Byzanz Irmgard Fees (München): Graphische Symbole in Bischofsurkunden des hohen Mittelalters Gabriele Bartz (Wien): The same but different. Die Werkstatt der Avignoner Sammelindulgenzen Martin Roland (Wien): Illuminierte Urkunden. Bildmedium und Performanz Sektion 3: Der Medienwechsel. Urkunden in Kopiaren und auf Stein Franz-Albrecht Bornschlegel (München): Urkundeninschriften und Urkunden imitierende Inschriften. Gestaltungsformen und -möglichkeiten Wolfgang Huschner (Leipzig): Originale, Fälschungen, Kopien. Die Nutzung und Sicherung mittelalterlicher Herrscherurkunden durch geistliche Empfänger (9. bis 12. Jahrhundert.) Susanne Wittekind (Köln): Visuelle Rechtsordnung und Herrschaftslegitimation in Aragonesischen Urkundensammlungen URL zur Zitation dieses Beitrages <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=7390> |
Date: 2017/11/16 08:39:33
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Hallo. Der Rohrbacher Bahnhof ist zur Zeit in aller Munde. Das 122 Jahre alte, historische Bauwerk ist total marode und soll am morgigen Freitag für 9000 Euro versteigert werden. Ein Fernsehteam des Saarländischen Fernsehens war gestern vor Ort und hat einen Bericht angefertigt. Dieser soll am heutigen Donnerstag ab 19.20 Uhr im Aktuellen Bericht des Saarländischen Fernsehens gesendet werden. Wer interessiert ist kann ja mal reinschauen. Gruß Karl Abel
Karl Abel Ebertstraße 47 66386 St. Ingbert-Rohrbach Telefon: 06894 – 5 35 65 und 582 4417 E-Mail: karlabel(a)gmx.de Webseite: www.rohrbach-nostalgie.de
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Date: 2017/11/16 08:45:30
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Burwitz, Ludwig; Nassauer, Armin; Wagener, Olaf (Hrsg.): Der Deutsche Krieg von 1866. Die Feldpostbriefe des Soldaten Louis Ernst (= Militärhistorische Untersuchungen 14).
Frankfurt am Main: Peter Lang/Frankfurt am Main 2016. ISBN 978-3-631-66658-6; 194 S., 17 s/w Abb., 1 Tab.; EUR 44,95.
Inhaltsverzeichnis: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_27033.pdf>
Rezensiert für H-Soz-Kult von: Ulf Morgenstern, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh, E-Mail: <morgensternulf(a)web.de>
Vor 151 Jahren führten die beiden größten deutschen Monarchien, in deren Nachfolge-Demokratien im Herbst 2017 nationale Parlamentswahlen stattfanden, einen Krieg um die Vorherrschaft in Mitteleuropa. Aus der Sicht der heute friedlichen EU-Partnerschaft wirkt der Deutsche Krieg von 1866 noch befremdlicher, weil dem allgemeinen Bewusstsein entrückter, als die post-jugoslawischen Kriege der 1990er-Jahre oder die im kulturellen Gedächtnis und auf der politischen Bühne stets präsenten europäischen Weltkriege. Da Österreich und Deutschland in letzteren in "Nibelungentreue" bzw. im "Rassenkampf" verbunden waren, fällt es schwer, in die Vehemenz ihrer Auseinandersetzung des Jahres 1866 einzutauchen. Will man das tun, ist ein in die Richtung des Imperativs der dichten Beschreibung gehender Schritt die Lektüre von Zeitzeugenaufzeichnungen. Wer meint, in dieser Memoirengattung nur antiquierte Ausgaben apologetischer Autobiographik in schwülstiger Aufmachung des Spät-Biedermeiers konsultieren zu können, irrt. Denn immer wieder finden sich in Archiv-Nischen und auf privaten Dachböden ungedruckte Dokumente mit der "authentischen" Perspektive der 1860er-Jahre. Mit kritischer Distanz ediert, vermitteln sie Einblicke in eine Zeit, in der Kriege unter deutschen Staaten noch ein probates Mittel der Politik waren.[1] Wie diese auf den einzelnen Kombattanten wirkte, verdeutlichen die Feldpostbriefe des 26-jährigen Siegener Kaufmannssohnes Louis Ernst (1839-1900).
In seiner lesenswerten Einleitung (S. 9-25) nähert sich Ludwig Burwitz der Biographie des Briefschreibers an. Vor seiner Teilnahme an den Feldzügen 1866 und 1870/71 hatte Ernst verschiedene Naturwissenschaften in Bonn und Heidelberg studiert, seinen Militärdienst abgeleistet und erste berufliche Schritte als Chemiker getan. In Elberfeld, wo er in das "Droguen- und Chemikaliengeschäft" eines Bruders eingestiegen war, erreichte ihn der Gestellungsbefehl. Nach dem Krieg heiratete er, 1872 kehrte er in seine Heimatstadt Siegen zurück, wo er in der Folge Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, langjähriger nationalliberaler Reichstags- und Landtagsabgeordneter und Direktor einer landwirtschaftlichen Schule wurde. Den bürgerlichen Meriten ging der Feldzug von 1866 voraus, den Olaf Wagener militär- und kulturhistorisch einordnet (S. 27-78). Minutiös verfolgt Wagener das Itinerar Ernsts (tabellarisch S. 76-78). Die Dichte seiner Schilderungen und Nachweise in Anmerkungen erübrigt - das mag zunächst merkwürdig erscheinen - jegliche Annotation im folgenden Editionsteil.
Die Vorlage für diesen eigentlichen Kern des Buches liefern 64 Dokumente (S. 79-194), die Ernst in Buchform binden ließ. Darin befinden sich neben seinen Briefen auch Rechnungen und Druckwerke; die Antwortbriefe seiner Verwandten fehlen, lediglich der erste Brief stammt von Ernsts Vater, der ihm am 7. Mai 1866 die Einberufung und die Marschorder nach Attendorn mitteilte (S. 79f.). Das letzte Dokument ist eine Rechnung über Uniformteile vom 10. Oktober desselben Jahres, die der zum Offizier aufgestiegene Ernst stolz aufbewahrte. Die Herausgeber haben der Zusammenstellung keine weiteren Archivalien hinzugefügt und auch die Reihenfolge beibehalten. Eine Reihe von grafisch ansprechenden Dokumentteilen (Briefköpfe etc.) sind faksimiliert. Man hat dadurch und durch den Verzicht auf einen Anmerkungsapparat einen der Vorlage nahekommenden Eindruck, wobei der Lesefluss gegenüber der handschriftlichen Vorlage erheblich erleichtert ist.
Aber was liest man da eigentlich? Ernst lässt seine Angehörigen sowohl Anteil an den äußeren militärischen Ereignissen wie auch an den eigenen Empfindungen nehmen. Wichtig ist ihm der Aufstieg in den Kreis der Offiziere. Immer wieder kreisen seine Gedanken um die notwendige Uniform (vgl. unter anderem S. 133-135). Auch wenn der Grundzug seiner Schilderungen freundlich und abgewogen ist, ist beim eigenen Status in der Abgrenzung zu den Mannschaften eine gehörige Portion Dünkel im Spiel. Das Erleben des Krieges wird hier also in der Wahrnehmung eines (noch rangniedrigen) Offiziers vermittelt, die soziale Ordnung spielt für den Epistelografen eine wichtige Rolle.
Bekleidungs-, Transport- und Einquartierungsprobleme werden ausführlich behandelt. Weniger Raum nehmen die Schlachten in Böhmen ein, die tatsächlich auch nur ein zeitlich begrenzter Teil der Kampagne waren. Aufmerksam schaut Ernst nachher wie ein Tourist in die böhmische Landschaft und die ländliche Gesellschaft. Erstaunlich ist dabei, wie schnell er die Schrecken der Schlachten und die Präsenz des Todes verdrängt. Regelrechte touristische Interessen zeigen sich, wenn etwa am 24. August die Rede von einer "Tour nach Prag" ist (S. 174).
Fazit: Mit dem schmalen Band liegt eine ansprechende Edition von Kriegsbriefen des Jahres 1866 vor, die über den biographischen Nutzen für die Vita des späteren Parlamentariers Ernst hinaus wichtig ist. Der Schreiber hat ein Dokument der Normalität des Krieges hinterlassen, dessen lakonischer Stil uns mentalitätsgeschichtlich fremd ist und der trotz der Schilderung von Eisenbahnfahrten noch nichts vom mechanisierten und maschinisierten Krieg des 20. Jahrhunderts erahnen lässt.
Anmerkung: [1]: Pars pro toto Thorsten Loch / Markus Vette (Hrsg.), Friedrich Clauson von Kaas, "Potsdam ist geschlagen". Briefe aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, Freiburg 2016; Ulf Morgenstern (Hrsg.), Arzt und Abenteurer, Minister und Memoirenschreiber. Autobiographische Aufzeichnungen des Bismarck-Vertrauten Robert Lucius von Ballhausen, Friedrichsruh 2017.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von: Daniel Menning <daniel(a)mennings.de>
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Date: 2017/11/17 09:18:30
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
heute in der SZ:
Archäologie
Ein Schatzgräber auf den Spuren der Kelten
Saarbrücken. Walter Reinhard wühlt seit fast 50 Jahren in der Erde. Er warnt vor einem Stillstand der archäologischen Kelten-Forschung. Von Cathrin Elss-Seringhaus
Nach der Grabung ist vor der Grabung. Vor zwei Jahren ging Walter Reinhard (67) in Rente. Seit fast 50 Jahren – davon rund 40 beruflich – sucht, erforscht und dokumentiert er archäologische Funde, unter anderem das Fürstinnengrab in Reinheim, den Hunnenring in Otzenhausen oder den römischen Vicus in Borg. Auch jetzt noch wühlt sich der frühere Leiter der Bodendenkmalpflege im Saarland durch heimische Erde. In Kirrberg (bei Homburg) läuft die Suche nach Zeugnissen einer der ältesten steinzeitlichen Siedlungen im Saarland, 5000 Jahre ist sie alt. Hätte Reinhard einen Wunsch frei, würde er sich richtig viel Geld in der Hand wünschen. Um was zu tun? „Ich würde private Grabungen finanzieren und die Funde dann der Öffentlichkeit schenken.“
Das sagt er bei einem Treffen, zu dem er sein jüngstes Buch mitgebracht hat: „Die Kelten im Saarland“, eine Art lexikalisches Handbuch zur Epoche 900 bis 300 v. Chr., mutmaßlich ein zukünftiges regionales Standardwerk. Es bietet eine bemerkenswerte Vollständigkeit und seltene Fülle an Abbildungen. Letzteres macht das Fachbuch auch für Kelten-Fans jenseits der Wissenschaft bekömmlich.
Die Kelten hatten keine Schrift, also fehlen schriftliche Überlieferungen. Auch hinterließen sie keine steinernen Zeugnisse ihrer Religion, ihrer Wohn- und Sozialstruktur, denn sie bauten mit rein organischen Materialien, die sich zersetzten. „Letztlich bleiben nur die Gräber als archäologische Quellen“, so Reinhard. Jedoch wurden nur für die keltische Elite Grabhügel angelegt, die heute noch in der Landschaft identifizierbar sind. Geschätzte 3600 waren es einst im Saarland, davon sind 1200 bekannt und erst 350 ergraben, 71 von Reinhard selbst. Bis zu 30 Meter breit und 1,50 Meter hoch waren die Kalkstein-Haufen über einer oberirdischen hölzernen Grabkammer. Über der Steinabdeckung wurde dann noch ein Erdhügel errichtet. Reinhard hat sich selbst mal die Mühe gemacht, die Steine einzeln zu zählen: 3030 waren es, acht Tonnen schwer. Diese Steine kamen laut Reinhard nicht aus Steinbrüchen, sondern wurden durch Pflüge aus dem Ackerboden nach oben gedrückt – ein Hinweis auf eine bäuerliche Gesellschaft, die allerdings in Sachen Eisenverarbeitung hochinnovativ war. Das „erzählen“ die mehrfach geschmiedeten und gefalteten Schwerter, die man in den Gräbern fand. Außerdem lässt sich an Perlen aus dem Baltikum oder karthagischen Edelsteinen ablesen, dass die Kelten weitreichende Handelsbeziehungen unterhielten beziehungsweise an bedeutenden Handelsstraßen siedelten.
Reinhard arbeitet in seinem Buch Grabungsergebnisse und Forschungserkenntnisse der vergangenen 35 Jahre auf, bis etwa 2010. Denn seitdem, so Reinhard, habe es hierzulande keine gezielten Forschungsgrabungen mehr in Sachen Kelten gegeben. Weshalb auch sein neues Buch keine Überraschungen oder Sensationen mehr bieten könne. Reinhard resümiert: „Das, was mit heutiger Technologie zu rekonstruieren ist, haben wir im Saarland geleistet.“ Das gilt wohl auch europaweit, weshalb die Kelten nur mehr aus Mystifikations- und Werbezwecken das Geheimnis umwitterte Volk sind, „Europas vergessene Macht“, wie sie ein „Terra X“-Fernseh-Dreiteiler nannte.
Trotzdem warnt Reinhard vor einem „Stillstand“ der archäologischen Forschung und Grabungsarbeit. Zwar könne man manches tatsächlich künftigen Generationen und deren neuen Methoden überlassen, aber keinesfalls alles. „Außerdem ist längst erwiesen, dass es heutzutage nicht mehr stimmt, wenn man sagt, der Boden sei der beste Konservator. Die Umwelteinflüsse zersetzen die Objekte. Man verliert enorm viel.“ Deshalb fand man im Saarland auch keinerlei Stoffreste in den Gräbern, anhand derer man Material, Schnitt und Farbe keltischer Trachten hätte rekonstruieren können. Dennoch tauchen in Reinhards Buch Darstellungen der Alltagskleidung auf. Anhand keltischer Funde in anderen europäischen Regionen sei diese Spekulation legitim, meint er. Und zwingend, wenn man für archäologische Funde Akzeptanz erreichen wolle. „Der Mensch ist ein Seh-Mann“, lautet Reinhards Credo. Ohne Anschaulichkeit und Erlebbarkeit könne man keine gesellschaftliche Basis für seine Wissenschaft erreichen, sagt er. Deshalb war und ist Reinhard auch ein Streiter für Großprojekte wie etwa den Kulturpark Bliesbrück-Reinheim und rümpft keineswegs die Nase über die Reenactment-Bewegung oder „Celtoi“-Feste im Otzenhausen. Wobei er selbst mit dem Kostümieren wenig anfangen kann.
Aber warum überhaupt graben? Was lernte er durch die Beschäftigung mit den Kelten? Fortschrittsorientierung und Respekt vor den Toten. Zudem setzt die Archäologie Schwingungen anderer Art frei: Jagdfieber. Reinhard war bereits als 16-jähriger Pennäler infiziert, durch einen Lehrer in Blieskastel, der viel über die Römer erzählte. Eines Tages zogen Reinhard und seine Kumpels los. Sie rammten bei Breitfurt einfach mal ihre Schaufeln in den Boden und: bingo. Da war sie, die antike Mauer und mit ihr kam das, was Reinhard nie mehr missen wollte: der Schatzgräber-Kick.
Walter Reinhard: Die Kelten im Saarland. (Denkmalpflege im Saarland, Bd. 8, 2017), 381 Seiten, 25 Euro.
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Date: 2017/11/21 07:44:58
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Schanetzky, Tim: "Kanonen statt Butter". Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich (= Die Deutschen und der Nationalsozialismus). München: C.H. Beck Verlag 2015. ISBN 978-3-406-67515-7; Broschur; 272 S., 5 Abb.; EUR 16,95. Rezensiert für H-Soz-Kult von: Gustavo Corni, Dipartimento di Lettere e Filosofia, Università degli Studi di Trento E-Mail: <gustavo.corni(a)unitn.it> Der Band ist Teil einer von Norbert Frei herausgegebenen Buchreihe, die auf originelle Art und Weise "eine Erfahrungsgeschichte der deutschen Gesellschaft" darstellen will, und zwar "nah an den Menschen und in einer Sprache, die die Lebensrealität unter dem Hakenkreuz begreiflich macht". Tim Schanetzky kommt mit seinem Buch diesem Ziel sehr nahe. Er verbindet makrohistorische Daten und Analysen mit Fragmenten der subjektiven und der Alltagsbetrachtung, die Verhaltensweisen von Männern und Frauen in dieser Zeit reflektieren. Das Thema ist breit angelegt, jedoch mit einem ganz eigenen Zuschnitt. Schanetzky untersucht die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Politikansätzen. Auf der einen Seite sind das die Bemühungen, die der Wiederbewaffnung dienen und von einer zunehmenden Spirale der Gewalt (zuerst in Friedenszeiten und dann verstärkt im Krieg) begleitet sind; auf der anderen solche, die eine solide Grundlage für die individuellen Konsumbedürfnisse der Bevölkerung bieten und gleichzeitig die Erwartungen erfüllen und den Konsens mit dem neuen Regime stärken sollen. Die Zusammenhänge, die der Autor dabei in den Vordergrund rückt, bilden das Novum seines Ansatzes: Er spannt den Bogen vom skrupellosen Vorgehen in der ersten Phase nach der Machtergreifung, das darauf abzielte, Juden aus dem bürokratischen Apparat und den Spitzenpositionen der Wirtschaft zu entfernen, bis zur Arbeitsbeschaffungspolitik - wie etwa dem Autobahn-Plan; von den Plänen für den Volkswagen, den Volksempfänger oder einer Volkswohnung zur erbarmungslosen "Arisierung"; von der Ausbeutung der Zwangsarbeiter zur Erhaltung (bis fast in die letzten Kriegsmonate hinein) guter Standards der Lebensmittelversorgung für die Zivilbevölkerung im Reich. Was dabei herauskommt, ist eine Mischung aus "Butter" und "Kanonen". Diese trägt im Kern die gewaltsame Unterdrückung derer in sich, die in den Augen des Regimes nicht Teil der Volksgemeinschaft waren. Das Buch bietet auch die Erzählung einer engen Wechselbeziehung zwischen Regime und Bürgern, wobei die Grenze zwischen Konsens und Gewaltausübung oft fließend ist. Das Regime verfolgt seine Ziele, die nach Ansicht des Autors von Anfang an kriegerisch und auf Expansion ausgerichtet sind, mit einer Politik der Vereinnahmung der Bevölkerung mittels gut orchestrierter Pläne zur Förderung des privaten Konsums. So schreibt Schanetzky in seinen Schlussfolgerungen: "Hitlers Priorität hatte von Anfang an auf Kanonen statt Butter gelegen, und nur mit den Mitteln einer skrupelloser Raub- und Mordökonomie ließ sich der karge Lebensstandard der Deutschen zuletzt überhaupt noch aufrechterhalten." (S. 243) Trotzdem liegt das Hauptaugenmerk auf der Beteiligung einer großen Anzahl von Bürgern an den Unterdrückungsmaßnahmen. Das zweite Unterkapitel trägt den Titel "Moralischer Zusammenbruch" und handelt von dem allgemeinen Nachgeben der Eliten in Industrie, Bankensektor und Handel gegenüber dem von der neuen Regierung Hitler ausgeübten Druck, mit dem diese sich jüdischer Aufsichtsräte und Führungskräfte entledigen wollte - wobei dieser Druck zum damaligen Zeitpunkt keine Rechtsgrundlage hatte. Das Regime, so schreibt der Autor, war "von der Zustimmung der Deutschen abhängig". Für diese Zustimmung gab es laut Schanetzky vor allem wirtschaftliche Gründe: die Bevorzugung der Interessen der wohlhabenden Schichten, die Förderung der Unternehmergewinne durch die Unterdrückung der Gewerkschaften und der sozialen Konflikte. Des Weiteren bekam auch der Mittelstand garantierte Möglichkeiten zum Erwerb von Wohnungen oder von Handels- und Industrieunternehmen (dank "Arisierung") zu besonders günstigen Preisen. Breite Bevölkerungsschichten hatten die Aussicht auf den Erwerb von begehrten Konsumgütern, wie etwa dem Automobil, die bis dahin den Eliten vorbehalten waren. Die Liste reicht bis hin zur Garantie ausreichender Lebensmittelrationen, als rundherum bereits Zerstörung, Hunger und Tod herrschten. Man könnte dieser Argumentation entgegenhalten, dass Schantzky ideologische Motive oder auch andere Faktoren, wie etwa den manipulativen Einsatz der Propaganda, vernachlässigt hat, die bei der dauerhaften Konsensbildung eines Teils der Bevölkerung mit Hitler eine erhebliche Rolle spielten. Das Buch hat jedoch einen anderen Ansatz, den der Autor konsequent verfolgt. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass von den großen Entwürfen viele gescheitert sind oder wenig Konkretes erbracht haben. Einige der Beispiele, die der Autor aufführt, wie die 1933 umgesetzten Pläne zur Arbeitsbeschaffung endeten mit quantitativ bescheidenen Resultaten. Die anspruchsvollen Versprechungen, Konsumgüter wie Autos, Kühlschränke, Radio- und Fernsehapparate zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung zu stellen, hatten nur auf dem Papier Bestand. Der durchschnittliche Lebensmittelverbrauch stieg im Vergleich zu den goldenen Jahren der Weimarer Republik nur wenig an. Der vom Regime ins Leben gerufene Sozialstaat gründete mehr auf Solidarität und Opferbereitschaft (Winterhilfe) als auf staatlichen Ressourcen. Alles trug zur "Stiftung von Gemeinschaft" bei (S. 69). Was jedoch zählte, war die "subjektive Wahrnehmung" (S. 71). Und die noch frische Erinnerung an die Krisenjahre 1929-1933 beeinflusste diese mehr als die kühle Analyse der statistischen Zahlen. "Zwar blieb der Lebensstandard der Deutschen auch im Aufschwung relativ niedrig. Aber unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Krisenjahre zählte neben der Überwindung der größten Not vor allem, dass es überhaupt aufwärts ging." (S. 96) Schanetzky widmet der Analyse der Agrarpolitik viel Raum und beurteilt sie letztlich als "Desaster" (S. 141); ihrer strukturell bedingten Begrenztheit konnte man in den Augen der nationalsozialistischen Führungselite in Friedenszeiten nur durch verstärkte Importe und später, während des Kriegs, durch die radikale Ausbeutung der besetzten Gebiete entkommen. Hitler beschleunigte zugleich schon in den ersten Monaten nach der "Machtergreifung" die Wiederbewaffnung und die Kriegsvorbereitungen. Diese Dynamik fand die volle Unterstützung der Finanzwelt und der Industrie. Der Wiederbewaffnungsprozess erstreckte sich noch bevor der Krieg ausbrach auch auf das Ausland - und ging insbesondere mit dem von Schacht ausgearbeiteten "Neuen Plan" in eine unablässige "Flucht nach vorn" über. Das Scheitern vieler Volksprodukte verdeutlichte dabei die "Einschränkungen der Rüstungsökonomie" (S. 114). Nach Kriegsbeginn kamen zur Wiederbewaffnung weitere große, wenn auch nur zum Teil verwirklichte Pläne hinzu, die eine hemmungslose Ausbeutung des bereits eroberten Großraums und des Territoriums vorsahen, das man noch besetzten wollte. Mehr oder weniger formalisierte Einverleibungen von Unternehmen in den besetzten Gebieten, die "Arisierungen", der buchstäbliche Raub an den verfügbaren Ressourcen sowie die skrupellose Plünderung der besetzten Gebiete mit einer geplanten Hungerpolitik bildeten die einzige Möglichkeit, um eine angemessene Lebensmittelrationierung für die Reichsbürger aufrecht zu erhalten. Die Nachkriegsplanung, der Schanetzky ein umfangreiches Unterkapitel (S. 175ff.) widmet, beinhaltete für die unterworfenen Völker noch weitreichendere und schrecklichere Vorhaben. Alle oder jedenfalls viele zogen ihre Vorteile, wenn auch unterschiedlicher Natur, aus dieser Eroberungs- und Plünderungspolitik: von den Parteibonzen bis zu den Unternehmern, die Militärs an der Kriegsfront ebenso wie die Bürger an der Heimatfront. "Für die Haushalte der meisten Deutschen brachte der Krieg steigende Einkommen." (S. 196) Das letzte Kapitel ist der Endphase des Kriegs gewidmet, der Wende des Kriegsverlaufs zwischen 1942 und 1943, während der die strukturellen Schwächen sowohl der Aufrüstung als auch des vermeintlichen Aufbaus einer Konsumgesellschaft zum Vorschein kamen. Der Lebensstandard fiel nun deutlich ab und der Staat zeigte sich unfähig, die vorherige soziale Fürsorge zu garantieren. So mussten die Deutschen am eigenen Leib erfahren, dass Rüstungs- und Versorgungswunder nur solange bestanden, wie Plünderung, Gewalt und die Ausbeutung der anderen Völker funktionierten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es das Verdienst dieses Buches ist, mit umfassender Kenntnis und auf überzeugende Weise das Thema Konsum in den Mittelpunkt der Geschichte des Dritten Reichs gerückt zu haben, und zwar als ein "dezidiert politisches Programm, das die Volksgenossen für den NS-Staat gewinnen sollte" (S. 142). Dieses Programm wird der Aggressions- und Ausbeutungspolitik, aber auch der Alltagserfahrung der Reichsbürger gegenübergestellt. Der Schreibstil des Autors ist dabei hilfreich für ein besseres Verständnis eines nicht einfach zu fassenden Themas, da er es auch einem breiten Publikum zugänglich macht. Diese Rezension wurde redaktionell betreut von: Sina Fabian <sina.fabian(a)hu-berlin.de> URL zur Zitation dieses Beitrages <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2017-4-106> |
Date: 2017/11/22 09:30:10
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Gestern in der Saarbrücker Zeitung, St. Wendeler Teil. Die Tasche des Edmund Fickeis Ottweiler. Nach über 70 Jahren erhält eine Ottweiler Familie Nachricht aus Neuseeland. Dort wartet auf sie ein Erinnerungsstück. Von Michael Beer
„Ich habe ihn!“ Diesen Satz wird Axel Fickeis wohl so schnell nicht wieder vergessen. Es war eines von diesen Telefonaten, bei denen sich nach zwei drei Sätzen die Frage stellt: Auflegen oder weiter zuhören? Denn eine ihm unbekannte Frau meldete sich aus Bayreuth. Ihre Einstiegsfrage: „Hieß Ihr Vater Edmund?“ Dann nannte sie die Namen von den Schwestern des Vaters. Axel Fickeis bejahte beides. Was wollte die Person am anderen Ende der Telefonleitung? Der erste Gedanke bei vielen Menschen dürfte sein: Ist das womöglich eine Trickbetrügerin, die sich mit ein paar Daten aus der Familiengeschichte Geld ergaunern will? Fickeis legte nicht auf. Er war zu verdutzt. Denn nach dem zweiten Ja kam jenes „Ich habe ihn!“ und ein lauter Jubelschrei.
Zwei Tage später, Anfang Juni, saßen die fremde Frau und ihr Lebensgefährte, Wiebke Finkler und Llyod Spencer Davis, bei der Familie Fickeis in Ottweiler am Tisch. Und erzählten die ganze Geschichte, die fürs erste Telefonat zu lange gewesen wäre. Eine alte Ledertasche, die Axel Fickeis’ längst verstorbener Vater Edmund als Soldat im Zweiten Weltkrieg bei sich trug, lag demnach seit über 70 Jahren in Neuseeland bei einer Maori-Familie mit Namen Chissell. Und diese Familie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Tasche und Unterlagen, die sich darin befinden, wieder dorthin zurückzubringen, wo sie hingehören. Das war in den Zeiten vor den sozialen Medien eine deutlich schwierigere Aufgabe als heute. Dazu kommt, dass die Post in der alten deutschen Schrift Sütterlin geschrieben war und der Name des Soldaten für die Menschen vom anderen Ende der Welt wohl nicht eindeutig zu entziffern war. Über Facebook gerieten die Maori schließlich an Wiebke Finkler, eine Deutsche, die seit 19 Jahren in Neuseeland lebt. Die wiederum wusste den Namen richtig zu lesen und kam schließlich über das Einwohnermeldeamt in Neunkirchen an die Ottweiler Familie heran. „Es ist wie ein Märchen“, sagt Axel Fickeis, nachdem er sich entschlossen hat, der SZ von der Sache zu erzählen. Neben seiner Frau ist auch sein Bruder Rolf mit am Tisch. Es ist für ihn immer noch beinahe unbegreiflich, auch wenn er mit Finkler und der Maori-Familie mittlerweile eine rege Korrespondenz über das Internet führt. „Ich war am Anfang schon irritiert“, sagt er, „unser Vater war nie in Neuseeland“. Er konnte nicht verstehen, wie diese Tasche mit den wenigen Habseligkeiten aus der Soldatenzeit ans andere Ende der Welt in die Stadt Dunedin gekommen war. Jetzt plant er mit seiner Frau eine Reise dorthin – in ein Land, das er immer gerne mal sehen wollte – um das Erinnerungsstück abzuholen. Denn das soll dem Ehepaar von offizieller Seite überreicht werden. Vermittlerin Finkler, von Hause aus Meeresbiologin und Dokumentarfilmerin, würde darüber gerne einen Filmbeitrag drehen – wenn sie dafür Sponsoren findet.
In der Weltkriegstasche befinden sich Briefe, Fotos, etwas technisches Gerät. Erinnerungen, die den Bewahrern dieses Erbes offensichtlich sehr wichtig waren und sind, die unbedingt wieder dorthin sollten, wo sie hingehörten. Die Maori- und die Ottweiler Familie haben sich mit tatsächlich wundersam langer Verzögerung gefunden – aber wie waren die beiden Soldaten damals aufeinandergestoßen? Nach allem, was bekannt ist 1941 an der ägyptisch-libyschen Grenze? Ein Maori in Diensten der Briten und der deutsche Wehrmachtssoldat? Dies ist ein Punkt in der Geschichte, der sich nicht mehr klären wird. Walter Chissell war damals davon ausgegangen, das Erbe eines sterbenden Soldaten mitzunehmen. Doch dem war nicht so. Während Edmund Fickeis letztlich wohlbehalten aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen war, hatte Chissell weniger Glück. Wie die Ottweiler Familie erfahren hat, war er nach den Kriegstagen stark traumatisiert, lebte zurückgezogen. Nur wenn es um die Tasche des Deutschen ging, wurde er lebhaft. Der Neuseeländer war verwundet in die Heimat zurückgebracht worden, eine Möglichkeit, selbst die Tasche nach Deutschland zu bringen, habe er nicht gehabt. Er starb Jahre später und nahm seinen Kindern das Versprechen ab, sich weiter um die Sache zu kümmern. Seine Tochter Shirley Witehira und ihre Schwägerin Eleni Witehira hielten sich daran. Aber es war Elenis Tochter Xzenia, die Facebook ins Spiel brachte und somit den Durchbruch schaffte. Finkler sah den Facebook-Aufruf Ende April, als sie gerade mit ihrer Doktorarbeit fertig war. Sie hatte den Witehiras ein paar Tipps gegeben und erklärt, sie fliege in Kürze nach Deutschland. Sie musste es schneller tun als geplant. Ihr Vater war krebskrank, die letzte Unterhaltung, schreibt sie in einer E-Mail aus Neuseeland, habe sich um Edmund Fickeis gedreht. Und so, erläutert sie, hat die alte Tasche auch für sie Bedeutung erhalten. Ihre Großväter hätten beide im Zweiten Weltkrieg gekämpft, das Thema Menschlichkeit verbinde sie auch mit eben diesem alten Fundstück. Der Film, den sie gerne machen würde, handele mithin von den kleinen privaten Geschichten von Familien in Deutschland und Neuseeland, aber auch von den großen Themen. In E-Mails schreibt Eleni Witehira in überschwänglichen Worten, wie froh ihre ganze Familie sei, dass jetzt endlich die Nachfahren von Edmund gefunden sind. Sie erzählt, jener deutsche Soldat sei für sie über die Jahre ein Familienmitglied geworden. Es sei ein Wunder geschehen, von dem sie so lange geträumt hätten. Das Bild des deutschen Soldaten habe sie immer mal wieder in Händen gehalten, sie habe zu ihm gesprochen. Dass der Kontakt jetzt zustande gekommen sei, schreibt sie in ihrer E-Mail auch dem Zutun der Großväter zu, die eine Hand über allem hätten. Es habe in all den Jahren mehrfach Angebote von dritter Seite gegeben, die Tasche zu kaufen. Aber das kam für die Chissells und Witehiras nicht in Frage. Es sei für sie eine Frage der Ehre und des Respektes gewesen, die Dinge nur der Familie von Edmund Fickeis auszuhändigen.
Edmund Fickeis dürfte manch älterem Neunkircher bekannt sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg und sechs Jahren Gefangenschaft unterrichtete er als Grundschullehrer in der damaligen Schlossschule und der Falkenschule in Neunkirchen. Seinen Söhnen hat er von den Kriegsjahren nicht viel erzählt, die Tasche war nie Thema. Auch die beiden Söhne rätseln, ob sich Walter Chissell und Edmund Fickeis tatsächlich begegnet sind? Wahrscheinlicher scheint, dass es sich um eine Verwechslung handelt, die den Maori so eng an die Tasche band. Sie muss offenbar bei dem sterbenden Soldaten gelegen haben, dessen Schicksal den Maori so sehr rührte. Wie auch immer – in Neuseeland steht bald eine Begegnung an. Monika und Axel Fickeis, 65 und 68 Jahre alt, sind schon etwas aufgeregt, sich auf den weiten Weg auf die andere Seite der Welt aufzumachen. Sie werden nach Christchurch auf der Südinsel Neuseelands fliegen und von dort weiter nach Dunedin reisen. Es mag in gewisser Weise ein sonderbares Aufeinandertreffen werden, wenn sich die Saarländer und die neuseeländischen Maori dort treffen – vielleicht mit Wiebke Finkler hinter der Kamera. Fremde, die sich gefunden haben. Dank der Tasche von Edmund Fickeis.
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Date: 2017/11/22 10:22:53
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Fundgrube für Heimatforscher
Das neue Heimatkunde-Buch von Autor Günter Scholl.
Namborn. Der Heimat- und Verkehrsverein Namborn präsentiert als Herausgeber im Nachgang zu seinem 40-jährigen Bestehen das Buch „Verwaltungsgliederungen im Kreisgebiet St. Wendel 1835- 1974“. Der 200 Seiten starke Band von Autor Günter Scholl beschäftigt sich, wie der Titel schon verrät, mit der gemeinsamen Geschichte im Landkreis St. Wendel von 1835 bis 1974 in politischer, gesellschaftlicher und geografischer Hinsicht.
Am Donnerstag, 23. November, 19 Uhr, wird das Werk in derMarienschule in Namborn vorgestellt. Dann wird auch Bürgermeister a.D. der Gemeinde Nohfelden, Hermann Scheid, dabei sein.
Laut Verein ist das Buch interessant für Laien, als auch für die Fachwelt. Es eigne sich zu Recherchen für Autoren künftiger Heimatbücher. Auch ist in dem Band eine Übersicht zu Fundorten von Kirchenbüchern und des Zivil- beziehungsweise Personenstandsregisters eingegliedert. Das könnte, so der Verein, Familienforscher interessieren.
Der Abgabepreis beträgt 20 Euro. Zum Verkauf stehen rund 100 Exemplare. Ein Nachdruck ist derzeit nicht geplant. Bei der Buchvorstellung steht der Band zum Verkauf bereit. Bestellungen: E-Mail doku(a)hvv-namborn.de. Außerdem gibt es das Buch im Rathaus der Gemeinde Namborn
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Date: 2017/11/22 11:11:13
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Guten Morgen,
heuer ist der Jahresband der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienforschung (ASF) erschienen, und es sind noch einige Exemplare übrig.
Der Einzelband kostet 10,00 Euro plus Versandkosten von 1,50 Euro und kann bei mir bestellt werden: alsfassen(a)web.de, solange der Vorrat reicht.
ASF-Mitglieder brauchen nicht zu bestellen, weil ihr Exemplar im Mitgliedsbeitrag enthalten ist und im Laufe der Woche versandt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
Zum Inhalt:
SFK Band 13/2, Jahrgang L, 2017
Margarete STITZ Die ältesten Wendelin-Legenden
Roland GEIGER Der heilige Wendalinus reist nach Nordamerika
Paul GLASS »Isch's aa kaddolisch?« — Reformation und Gegenreformation in Ensheim im' 16. und 17. Jahrhundert
Irene MAUERN Isaac Haudot (21.11.1697 — 15.08.1752) - Der Weg eines hugenottischen Auswanderers vom Metzer Land nach South Carolina.
Marta KNOBLOCH Eine Reise in die Vergangenheit. Vorfahren im 17. Jahrhundert
Edgar SCHWER U-Boot Gefallene des I. Weltkriegs aus dem Saarland, Lothringen und den angrenzenden Kreisen
Alfred SAAM Die Evakuierung der Familien aus Hassel im Saarland in die Pfarrei Burkardroth zu Beginn des Zweiten Weltkriegs
Paul GLASS Amtliche Bekanntmachungen als wahre Fundgrube für Familienforscher. Dargestellt am Beispiel des Amtblattes für das Saarland (1945ff.)
Verleihung des Ankerkreuzes der Stadt Püttlingen in Gold an Günter Altmeyer (Markus DETEMPLE)
NACHRUFE Nachruf Harald Reviol Nachruf Walter Klär
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Date: 2017/11/23 21:33:26
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Lange
Nacht des Lesens im Hiwwelhaus Alsweiler
Am Samstag, 25.11., um 19.00 Uhr laden das
Geschichtsforum Alsweiler e.V., die Edition Schaumberg und
die »Aktion Fairer Handel« der Pfarrgemeinde
Marpingen zur »Langen Nacht des Lesens« ins Hiwwelhaus ein. Die
Veranstaltung findet überwiegend im Historischen
Teil des Hauses statt. Beim Kaminfeuer lesen
Autoren der Edition Schaumberg aus ihren Büchern vor, wir
erzählen Geschichten zum Hiwwelhaus, Tanja Endres-Klemm macht
Musik, und es gibt Tee und Plätzchen von der »Aktion Fairer
Handel«.
Wir
würden uns freuen, wenn recht viele von Ihnen die
Veranstaltung besuchen und sich mal einen fernsehfreien,
vorweihnachtlichen Abend gönnen würden.
Sie sind uns herzlich willkommen!
Tom Störmer |
Date: 2017/11/26 01:10:12
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
https://www.sankt-wendel.de/drohnenflug/
Unter diesem Link finden Sie einen
Zusammenschnitt eines Drohnenfluges über der St. Wendeler Kernstadt.
Das Video (mit Ton) dauert 1:32 min.
-- Mit freundlichen Grüßen Roland Geiger -------------------- Roland Geiger Historische Forschung Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel Tel. 06851-3166 email rolgeiger(a)aol.com oder alsfassen(a)web.de www.hfrg.de |
Date: 2017/11/26 12:06:32
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Die FRANKFURTER HEFTE entstanden 1946 im linkskatholischen Milieu und erreichten als Pioniere der nachkriegsdeutschen Publizistik eine Spitzenauflage von 70.000. Ihre Gründer waren der Politologe Eugen Kogon, Autor des Buches "Der SS-Staat", und die Publizisten Walter Dirks, Walter Maria Guggenheimer und Clemens Münster. Nachdem Kogon und Dirks noch das christlich-sozialistische Gründungsprogramm der hessischen CDU verfasst hatten, wandten sie sich rasch von der Partei Konrad Adenauers ab und standen in Opposition zur Regierungspolitik der frühen Bundesrepublik. In ihren Europavisionen forderten Kogon und Dirks eine Abkehr vom klassischen Nationalstaat und den Aufbau einer europäischen Republik. Außerdem spielte die Zeitschrift mit den Debatten um eine paritätische Mitbestimmung in Großbetrieben lange Zeit eine herausragende Rolle.
1985 wurden die FRANKFURTER HEFTE von der NEUEN GESELLSCHAFT übernommen. Heute versteht sich die Zeitschrift nicht mehr als Theorieorgan klassischen Typs, sondern als Zeitschrift für Politik und Kultur, der kluge Zeitdiagnosen und Kommentare ebenso am Herzen liegen wie praktische Zukunftsentwürfe.
Ich habe in der Ausgabe von 1948 geblättert und bin dabei auf einige interessante Artikel gestoßen, die ich Tag um Tag über das Forum schicke.
Roland Geiger
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Erinnerung zwischendurch
Am Frankfurter Sender liest Erich Lissner wöchentlich einmal Notizen aus seinem Tagebuch.
Eine davon war neulich folgende:
Meine Hörerinnen und Hörer! Es kam vorhin ein Besuch zu mir, eine Frau aus Berlin. Wir hatten geschäftlich miteinander zu reden, aber, wie es so geht, wir gerieten dann auch auf Privates. Sie erzählte von ihren Kindern. Es sind vier. Das älteste, die Tochter aus erster Ehe, sei zur Zeit in Schweden. „Famos", sagte ich, „da hat sies gewiß gut." — „Sie ist krank gewesen," sagte die Mutter. — „Was hat ihr denn gefehlt?" — „Doppelseitige Tuberkulose." — „Schlimm," sagte ich. „Wie ist denn das gekommen?" — „Ja, Unterernährung." — Hm, dachte ich. Aber dann erzählte sie. Ihre Tochter ist jetzt achtzehn. Damals war sie noch Kind. „Wann damals?" — „1938, im November, Sie wissen doch. Sagte ichs Ihnen nicht schon? Mein erster Mann ist gestorben. Er war Jude. Ich bin Halbjüdin. Damals mußte das Kind aus unserer Wohnung. Es durfte nicht länger mit ‚Ariern zusammenwohnen. Es war zwar mein Kind, aber die Rassenschranke fiel zwischen uns. Eine ganz fremde jüdische Familie mußte es nehmen, man nähte ihm den gelben Judenstern auf, nur noch in der Dunkelheit schlich es zu uns. Wissen Sie noch, wie das damals war: Die Kleine bekam keine Milch, kein Fleisch mehr. Sie durfte nicht Straßenbahn, nicht Untergrundbahn fahren, vom elften Jahr an keine Schule mehr besuchen, und sie war doch wissensdurstig. Ganz für sich lernte sie auswendig, zum Beispiel ,Der Mond ist aufgegangen, und anderes. Meine Tochter war christlich erzogen. Eine hämische Frau entdeckte eines Sonntags ihren Stern am Mantel und wies sie aus der Kirche."
Ja, meine Hörerinnen und Hörer, Sie werden sagen, dafür sitzt sie jetzt in Schweden und ist fein heraus. Das schon, aber vorher kamen ein paar Kriegsjahre, in denen sich die braune Brutalität immer ungeschminkter gab. Eines Tages hörte die Mutter: Morgen gehts fort. Ihre Tochter ist bei dem Transport dabei. Wohin? Nach Theresienstadt. Sie konnten sich nicht verabschieden. Theresienstadt war nicht die letzte Station. Es kam Ravensbrück und Auschwitz. Das Mädchen hat viel sehen müssen auf diesen Reisen, vieles, was sie nie wieder vergessen wird.
Zum Beispiel, wie man in Auschwitz kleine Kinder in den Krematoriumsofen warf. Weil es sich als älter ausgab, wurde es in eine unterirdische Rüstungsfabrik gesteckt. Harte Arbeit, für die es aber nur einen Teller Suppe bekam. Da war sie fünfzehn Jahre alt. Dabei Glücksfall, diese Fabrik! Denn die arbeitsuntauglichen Kinder sind vergast worden.
Es hat wie durch ein Wunder durchgehalten. Nur mit den Lungen war es beinahe zu Ende, als die Alliierten kamen und das Lager befreiten. Das Rote Kreuz brachte das Mädchen nach Schweden. Im Januar 1946 erhielt Mutter eine erste Nachricht. „Wir schreiben uns viel," sagte die Mutter. „Ich selbst bekomme kein Visum ..."
Es gibt nun Leute, die sagen,man solle nicht immer wieder solche „alten Wunden" aufreißen. Oder - was ist da schon dran, sagen sie, mein Kind ist seinerzeit auf der Flucht aus Schlesien elend umgekommen!
Gewß - schreckliches Unrecht ist schrecklichem Unrecht gefolgt. Aber jenes, das geschah rein ohne Grund, bloß Willkür und Niedertracht. Wundert es wirklich, wenn solche Wunden nicht so schnell vernarben?
Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, es wäre Ihr Kind! Sie würden wahrscheinlich auch nicht „vergeßlich" sein. Sie sind es ja nicht einmal — in Ihrem eigenen Fall!
Aber ich weiß: jetzt will die Mehrzahl unserer Hörer wieder Tanzmusik hören.
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Date: 2017/11/26 22:42:34
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Heimat- und Verkehrsverein Berschweiler e.V.
Der Heimat- und Verkehrsverein Berschweiler e.V. lädt zu folgender Vortragsveranstaltung ein
„Bauopfer und andere Funde in saarländischen Bauern- und Wohnhäusern“
Freitag, 01.12.17, 19.00 Uhr, Bruche Wirtschaft Referent: Gunter Altenkirch
Was hat es mit einer auf ein Holzbrettchen aufgenagelten Fuchszunge auf sich, die dem Gemäuer eines Wohnhauses mitgegeben wurde? Diese und andere rätselhafte Merkwürdigkeiten, aber auch Alltagsgegenstände oder Tiermumien wurden bei Umbauten alter Häuser in der Vergangenheit oft gefunden. Vereinzelt kommt dies in heutiger Zeit hier und da auch noch vor. Während derartige Funde früher oft achtlos als Müll beseitigt wurden, werden sie seit jüngster Zeit systematisch gesammelt und erforscht. So wurden seit dem 19. Jahrhundert immer öfter christliche Symbole und profane Gegenstände in die Häuser eingemauert oder abgelegt. Einzelne Funde geben immer noch Rätsel auf, aber die meisten sind erklärbar und geben einen spannenden und interessanten Blick in die Volksglauben- und Zauberwelt der vergangenen Jahrhunderte. Dabei legt die Volkskunde alte Handlungsweisen der Menschen offen, die heute nur noch selten nachvollziehbar sind.
In der Vortragsveranstaltung werden anhand mitgebrachter Exponate aus dem Rubenheimer „Museum des saarländischen Aberglaubens“ die Hintergründe dieser Funde erhellt und das Denken und Handeln der Menschen in damaliger Zeit verdeutlicht. Der Referent der Veranstaltung, Gunter Altenkirch aus Rubenheim, hat sich über 4 Jahrzehnte mit dieser Thematik beschäftigt. Als absoluter Experte auf diesem Gebiet weiss der Aberglaubenforscher gefundene „Bauopfer“ überwiegend zu deuten und entführt sie mit seinem Wissen in eine beeindruckende Gedankenwelt des Volks- und Aberglaubens.
Seien Sie unser Gast bei dieser interessanten Vortragsveranstaltung mit einer durchaus außergewöhnlichen, aber auf der Zeitachse nicht weit von uns entfernten Thematik. Schnuppern Sie rein in die Welt des Volks- und Aberglaubens in unserer Region.
Anmeldung bei Stefan Hell 06827 3158 o. 0163 7614793 oder Raimund Meisberger 06827 30 2121 |
Date: 2017/11/26 22:45:03
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Konf: 1918/2018 - Internierung im Ersten Weltkrieg in Deutschland, Frankreich und Großbritannien/British Empire: Transkulturalität - Cultures croisées - Entangled History als internationales Kulturerbe heute - Regensburg 01/18 ------------------------------------------------------------------------ Prof. Dr. Isabella von Treskow, Universität Regensburg; Dr. Bernhard Lübbers, Direktor der Staatlichen Bibliothek Regensburg; Dr. Stefan Manz, Aston University 11.01.2018-12.01.2018, Regensburg, Hinter der Grieb und Pindl Gymnasium Die Tagung bietet der deutschen, französischen und britischen Forschung zur transnationalen Geschichte von Internierung und Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg ein Forum, in dem es um die wissenschaftliche Verständigung zur Erforschung von Internierung und um den Transfer neu gehobenen Wissens in die Öffentlichkeit geht. Die Universität Regensburg und die Staatliche Bibliothek Regensburg mit dem gemeinsamen Forschungsprojekt zur Inhaftierung von französischen Kriegsgefangenen "Mitten im Krieg" zur Regensburger Kriegsgefangenenzeitung "Le Pour et le Contre" und dem kulturellen und historischen Kontext von Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg sind mit Stefan Manz, Aston University, Großbritannien, Gastgeber einer Tagung zu Internierung von "feindlichen Ausländern", zu nationsübergreifenden Komponenten und zur Erfahrungs- und Bildungsgeschichte des Kriegs. Darüber hinaus geht es um den Nachhall der Internierungsgeschichte in Literatur und Film bis heute. Die Tagung bietet eine Plattform für die interdisziplinäre Auseinandersetzung von Literatur-, Kultur- und Geschichtswissenschaft mit einer bislang nahezu unbekannten Verflechtungsgeschichte Europas im 20. Jahrhundert. Die öffentlichen Vorträge richten sich an ein breites Publikum und bieten allen Interessierten Einblicke in die aktuellen Themen der Referentinnen und Referenten aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Der Regisseur Xavier Delagnes (*1989) erklärt, wie es zum Film Loin de Verdun (2015) kam, informiert über die Dreharbeiten und berichtet über die Resonanz des Films. Xavier Delagnes ist ein junger Filmemacher, der mit Loin de Verdun ("Weit weg von Verdun") eindringlich auf das Schicksal der von der Geschichte und Geschichtswissenschaft vergessenen im Lager Garaison am Fuß der Pyrenäen Internierten aufmerksam macht, die u.a. die deutsche oder österreichische Staatsbürgerschaft hatten. Der Film entstand in Zusammenarbeit mit Historikern (Archives départementales), Hochschuldozenten der Germanistik, Université Toulouse J. Jaurès (France), sowie Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern der Oberstufe des Internats Notre-Dame de Garaison. Die Filmvorführung in Anwesenheit des Regisseurs ist eine Gelegenheit für Studierende, Schüler und Schülerinnen, Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und alle Interessierten, diese deutsch-französische bzw. internationale Geschichte und die Film-Arbeit dazu im direkten Kontakt mit dem Regisseur kennenzulernen. ------------------------------------------------------------------------ Donnerstag, 11. Januar 2018 14.00 Hinter der Grieb 14.00 Begrüßung I. v. Treskow 14.05 Regisseur Xavier Delagnes: Making of the Film Loin de Verdun Präsentation: Hilda Inderwildi (in dt. Sprache), Diskussion (in engl. Sprache) 15.00 Hilda Inderwildi: Gefangenschaftsberichte aus dem Lager Garaison in Südfrankreich 16.00 Bernhard Lübbers: Zwischen Forschungsförderung und öffentlicher Präsentation: Die Staatliche Bibliothek Regensburg 16.45 Stefan Manz: Internierung feindlicher Ausländer im britischen Empire Privat-Gymnasium Pindl 19.00 Uhr Filmvorführung Loin de Verdun: Garaison. Un camp d'internement durant la Première Guerre mondiale (X. Delagnes), in Anwesenheit des Regisseurs (franz. mit dt. UT) Freitag, 12. Januar 2018 Hinter der Grieb 14.30 M. Stibbe: Das Engländerlager Ruhleben bei Berlin (in engl. Sprache) 15.15 P. Panayi: Masseninternierung auf der Isle of Man. Das Lager Knockaloe (in engl. Sprache) ------------------------------------------------------------------------ Isabella von Treskow Universitaet Regensburg Isabella.von-Treskow(a)sprachlit.uni-regensburg.de |
Date: 2017/11/27 23:39:22
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Aus den Frankfurter Heften, 1948:
Mark Twain und der Fragebogen
Nach der Meinung aller Deutschen sind es die Amerikaner gewesen, die den Fragebogen erfunden und in unser geschlagenes Land gebracht haben. Man hält ihn hier geradezu für einen besonders charakteristischen Ausdruck des Amerikanismus und war glücklich, daß wenigstens in diesem Falle einmal die Schuldfrage zu unseren Gunsten geklärt war.
Leider müssen wir nun anhand von Dokumenten, unsere Leser tief enttäuschen: leider sind die Deutschen, wie an allem Bösen, das seit mindestens hundert Jahren in der westlichen Welt geschehen ist, auch an den Fragebogen schuld. Die anderen mögen die Tatsache, daß es sich hier nebenbei auch noch um einen Beitrag zur Mark Twain-Philologie handelt, als ein Zeichen dafür nehmen, daß wir Deutschen sogar aus unseren Sünden wissenschaftliches Kapital zu schlagen verstehen.
In einem aus dem Brand geretteten Kasten fanden sich mehrere, aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts stammende Fragebogen, die offenbar aus einem stattlichen Band herausgerissen waren. Es handelt sich um eine Art Gästebuch. Jedes Blatt trägt die Photographie des Unglücklichen, der sich da über die von ihm bewunderten menschlichen Eigenschaften, seine Idee von Glück und Unglück, seine Lieblingshelden und so fort auslassen mußte. Eines dieser Blätter, ausgefüllt am 15. August 1893 in Bad Tölz, trägt die Unterschrift S. L. Clemens, den bürgerlichen Namen Mark Twains. Ihn selbst sieht man salopp und schlank auf einem Stuhl sitzen, mit buschigem Haupthaar und dickem Schnurrbart, ein unerschöpfliches Arsenal von Humor, versteckt hinter einer ein wenig grimmig anmutenden Miene. Darunter seine Lebensregel: So leben, daß sogar der Bestattungsunternehmer trauert, wenn du zum Sterben kommst.
Und nun einige von den vierundzwanzig Fragen und Mark Twains Antworten darauf:
Welcher Beruf scheint Dir der beste? Zu versuchen, die Leute vom Seufzen und Klagen abzubringen.
Wer möchtest Du sein, wenn nicht Du? Ein Engel.
Wo möchtest Du leben? Mit den anderen Engeln.
Wann möchtest Du gelebt haben? Viel früher, mitten unter den alten früheren Engeln.
Deinen Lieblingsschriftsteller? Carlyle. Deinen Lieblingsmaler und Bildhauer: Die Natur. Deine Lieblingskomponisten? Wagner. Lieblingshelden in der Geschichte? Washington und Lincoln. Lieblingsheldinnen in der Geschichte? Jeanne d’Arc. Deine unüberwindliche Abneigung? Derjenige Autor, der übermäßige Bewunderung seiner eigenen Eigenschaften verrät. Wovor fürchtest Du Dich? Durchschaut zu werden. Welchen Fehler würdest Du am ehesten entschuldigen? Unpünktlichkeit beim Henker.
Abgesehen davon, daß die Antwort auf die letzte Frage durchaus aktuell ist, sieht man, daß dieser Fragebogen recht raffiniert zusammengestellt war und wirklich ein treffendes Bild dieses großen amerikanischen Schriftstellers gibt. Aber es zeigt auch noch etwas anderes: daß wieder einmal, wie auch in anderen Sparten der Weltgeschichte, so auch im Falle der Fragebogen, das Unheil, das heute über uns gekommen ist, im neunzehnten Jahrhundert ausgebrütet wurde. Damals wurden auch die Amerikaner, die in unser Land kamen, damit geplagt. Nun plagen sie uns. Damals war es eine Art Gesellschaftsspiel. -- Mit freundlichen Grüßen Roland Geiger -------------------- Roland Geiger Historische Forschung Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel Tel. 06851-3166 email rolgeiger(a)aol.com oder alsfassen(a)web.de www.hfrg.de |
Date: 2017/11/28 20:42:56
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Gestern in der SZ:
Erfolgreiche Suche nach Überresten von Weltkriegssoldaten
Helfer des VBGO auf der Suche nach zwei gefallenen Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg in Oberzerf.
Oberzerf/Dillingen. Der VBGO hat zwei Skelette von Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg bergen können. Im strömenden Regen haben Freiwillige des VBGO - des Vereins zur Bergung Gefallener in Osteuropa – in Oberzerf nach den sterblichen Überresten zweier im letzten Weltkrieg gefallener Soldaten gesucht. Unter den zwölf Helfern, darunter auch ein holländischer Historiker, befanden sich auch sechs Saarländer, an der Spitze Hans-Peter Jung, der zweite Vorsitzende des VBGO, und Christian Seiwert, beide aus Dillingen.
Anfang des Jahres hatten Heimatforscher menschliche Knochen gefunden und die inzwischen in ganz Europa aktiven Fachleute des VBGO informiert. Nachdem nach monatelanger Vorplanung jetzt endlich die notwendigen Grabungsgenehmigungen vorlagen, startete samstags die lange anberaumte Suchaktion in unmittelbarer Nähe der Kirche von Oberzerf. Und nach den intensiven Regenfällen gestaltete sich diese Aktion zu einem Kraftakt. Im Rahmen einer regelrechten Schlammschlacht stieß man in etwa ein Meter Tiefe zunächst auf zwei menschliche Schädel und dann auch auf die Gebeine. Sorgfältig wurden die beiden Skelette im lehmigen Erdreich freigelegt – eine wahre Knochenarbeit für die Helfer, die sich bei kalten sechs Grad Celsius und schwerem nassen Lehmboden bei der kräftezehrenden Arbeit immer wieder abwechseln mussten.
Während die Helfer des VBGO in der Regel still und leise, zudem oft unbeachtet, angefeindet arbeiten, stieß diese Grabungsaktion auf weitreichendes und nachhaltiges Interesse. Zahlreiche Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten reagierten auf eine über die DPA verbreitete Pressemeldung der örtlichen Polizei. Nachmittags stellte sich zudem hoher Besuch ein: Kelly McKeague, ranghöchster General für diesen Bereich aus dem Washingtoner Pentagon, gab sich mit mehreren Stabsoffizieren der US-Army die Ehre, um sich vor Ort über die Grabungsaktion zu informieren. Seit Jahren bestehen gute Kontakte zwischen der DPAA, der weltweit aktiven Vermisstensuchstelle der US-Army, und dem VBGO.
Aber nicht nur die Medien und das Militär informierten sich, auch die Vertreter des rheinland-pfälzischen Landesdenkmalamtes und des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge sowie die rheinland-pfälzische Polizei waren vor Ort, im Gegensatz zu den Freiwilligen des VBGO, die nicht nur ihre Freizeit, sondern auch jede Menge Geld in dieses Engagement stecken, Hauptamtliche und somit auch bezahlte Kräfte.
General Kelly Mc Keague zeigte sich bei seinem Besuch von der professionellen Arbeit der VBGO-Helfer tief beeindruckt. Hans-Peter Jung äußerte die Hoffnung, dass sich zukünftig die Zusammenarbeit mit den Amerikanern vereinfachen lässt. Der VBGO strebt so im nächsten Frühjahr mehrere größere Sucheinsätze zusammen mit den Amerikanern in seinerzeit so stark umkämpften Regionen um Oberzerf und im Saarland an.
Damals prallten im saarländisch-rheinland-pfälzischen Grenzbereich bei Oberzerf die amerikanischen Kampfeinheiten des 5th Ranger-Bataillon- und der 10. amerikanischen Panzer-Division auf die erbittert kämpfenden Verteidiger der Kampfgruppe Kuppitsch und der 6. SS-Gebirgs-Division „Nord“ aufeinander.
Als die Grabungsarbeiten am Samstagabend im Licht der örtlichen Feuerwehr fast abgeschlossen waren, stieß ein Zeitzeuge, ein alter Mann aus Oberzerf, zu den VBGO-Helfern und schilderte ihnen seine Erinnerungen von den wogenden kriegerischen Auseinandersetzungen der vergangenen Kriegstage.
Am Ende eines langen und harten Arbeitstages waren die beiden gefallenen Soldaten geborgen, ihre Gebeine an die Polizei übergeben. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um zwei deutsche Soldaten, wie aus wenigen noch vorhandenen Ausrüstungsgegenständen zu schließen ist. Eine genaue Identifikation wird jedoch vermutlich nicht mehr möglich sein. Von den Erkennungsmarken konnten nur noch stark verrottete Fragmente sichergestellt werden, wie Hans-Peter Jung berichtete. Eine kleine Hoffnung auf genauere Erkenntnisse besteht jedoch. So wurden zwei gefüllte Geldbörsen gefunden, die man jedoch nicht öffnete, um sie nicht zu zerstören. Die Mitarbeiter des VBGO werden diese später unter Laborbedingungen mit größter Sorgfalt und Vorsicht sachgemäß öffnen und analysieren.
Wie Hans-Peter Jung berichtete, soll sich im Umfeld der Kirche früher ein Soldatenfriedhof befunden haben. Es kann somit vermutet werden, dass die beiden Gefallenen bei der Umbettung wohl „vergessen“ worden waren.
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Date: 2017/11/28 22:55:58
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Guten Abend,
morgen abend um 19.30 Uhr wird in St. Wendel im
„Neuen Kino“
im Alten Woog um 19.30 Uhr der Film „Wendelin weltweit“
aufgeführt.
Der Film wurde im letzten Jahr gedreht und handelt von einem jungen Mann aus Saarbrücken, der in St. Wendel auf den hl. Wendelin „stößt“ und seinen Spuren um die halbe Welt folgt.
Stationen seiner Reise sind Sao Vendelino in Brasilien, die Schweiz, vier Orte in den USA (wohin der hl. Wendelin von Auswanderern im 19ten Jahrhundert mitgenommen wurde). Von da geht es in den europäischen Osten. Eine geplante Reise nach China wurde aufgrund der unsicheren politischen Lage abgesagt. Am Schluß wird mit einer Reise auf die italienische Insel Lampedusa der hl. Wendelin einer neuen Aufgabe zugeführt.
In den Ländern kommt der junge Mann mit Leuten
vor Ort ins
Gespräch, die mit ihm über ihr Land und ihr Leben sprechen und
natürlich auch
über ihr Verhältnis zum hl. Wendelin.
Der Film dauert 73 min und wird im großen Saal des Kinos gezeigt.
Der Eintritt ist frei.
Es wird empfohlen, nicht zu spät zu kommen. Bei der Premiere im Oktober war der Kinosaal rappelvoll.
Die DVD kann für 15 Euro in St. Wendel erworben werden (Buchhandlungen Klein und Missionshaus sowie im Pfarrhaus); ein paar Exemplare habe ich auch noch hier (plus 1,20 Euro für Porto und Verpackung).
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger, St. Wendel
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Date: 2017/11/28 22:57:40
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
Aus den Frankfurter Heften, Jahrgang 1948
Marschiert im Geist noch mit von RS
Radio Frankfurt veranstaltet zwei Wochen ein
recht beliebtes
Frage- und Antwortspiel unter dem Motto: „Doppelt oder nichts".
Der Leiter,
Just Scheu, fragte neulich eine junge Dame, die sich stark genug
fühlte, die kleine
Intelligenzprüfung zu bestehen, wer der Dichter eines bestimmten
Weihnachtsliedes sei, das er bezeichnete.
Schweigen. Dem Mädchen wurde eine Eselsbrücke gebaut: „Na, wie heißt denn der Ort, in dessen Nähe die Volkswagen hergestellt werden?" „Ah, der Name des Dichters ist Opel" „Tut mir leid, liebes Kind, einen Dichter Opel gibt es nicht. Aber vielleicht können Sie mir den Verfasser des Deutschland-Liedes nennen?" Dann kam es zwar nicht sehr laut, aber doch deutlich von den Lippen der im Dritten Reich Aufgewachsenen: „Horst Wessel."
Tja. Die deutschen Erzieher werden - inmitten einer gegenläufigen Wirkichkeit — einiges zu tun haben, bis niemand mehr „im Geiste mitmarschiert."
Trümmer, nichts als Trümmer ... darunter begraben viel treffliches deutsches Gedankengut. |
Date: 2017/11/29 22:48:50
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>
aus den Frankfurter Heften, 1948: Selbsthilfe im Paragraphengestrüpp von RP
„Tödliche Kreise" hieß eine Glosse in den Frankfurter Heften (III/1, Seite 85). Darin stand gegen Ende der Satz: „Alle müssen sich daran beteiligen, die tödlichen Kreise im richtigen Zeitpunkt und an der geeignet Stelle zu brechen."
Aus der britischen Zone wird uns hierzu geschrieben: „Ihnen zur Freude möchte ich an zwei Beispielen zeigen, wie ‚tödliche Kreise' unterbrochen werden.
1. Vor der Türe steht ein Rußlandheimkehrer und bittet um Brot. Er ist Magdeburger, ohne seine Familie ausgewiesen. Er erzählt: keine Lebensmittelkarte, weil er keinen Wohnsitz nachweisen kann, keinen Wohnsitz, weil er keine Arbeitsstelle hat, keine Arbeit, denn das Arbeitsamt ist für ihn nicht zuständig, und er müßte ja erst einen Wohnsitz hier nachweisen. Rezept: Aufnahme in das Caritasheim für Jugendliche. Wirkt nicht, da er nicht mehr jugendlich genug ist. Aber ich bekomme den Rat, ihn in ein bestehendes Lager der Stadt zuschicken, und noch die Adresse eines evangelischen Geistlichen, der, selbst aus Magdeburg, nun für seinen Landsmann von Gelsenkirchen aus zu sorgen versucht. Folge: Tödlicher Kreis gebrochen, der Kamerad erhält Ausweis, Arbeit und Lebensmittelkarte.
2. Bei einer Dienstreise per Rad im Süden unserer Zone werde ich von einem recht sorglos daherschreitenden ‚Heimkehrer nach dem besten Wege gefragt, um nach Süddeutschland zu kommen. Er hatte aber, nachdem er sich selbst entlassen hatte, einen großen Bogen nach Norden gemacht, um nun wieder nach Süden zu lenken. Ich gab ihm Auskunft. Als ich ihn auf meiner Rückfahrt vor dem nächsten Städtchen einholte, lud ich ihn für den folgenden Morgen zu mir ein, damit wir gemeinsam überlegten, wie er an die notwendigen Ausweispapiere kommen könne.
Rezept: Auf zur achtunggebietenden deutschen Behörde, zur Kriminalpolizei! Dort gibt er zu Protokoll, daß ihm seine Papiere abhandengekommen sind (im Lager, im Saargebiet), daß er so und so heiße, dort und dort wohne und auf direktem Wege nach Hause wolle. Ich bestätige mit tiefernstem Gesicht dem zögerndem Beamten, daß ich den Mann kenne (seit genau 16 Stunden), und er durchaus glaubwürdig sei (der Doktortitel muß sich doch irgendwie bezahlt machen). Daraufhin wird prompt der nötige Ausweis ausgestellt. Acht Tage später: fröhliche Karte aus dem Süden, daß er in seinem Heimatdorf angelangt ist.
Ich grüße Sie in der Hoffnung, daß sich allüberall, wie wir es zur Nazizeit in unseren Widerstandskreisen hielten, ohne irgendeine Organisation verantwortlich-menschlich Fühlende finden, die bereit sind, die tödlichen Kreise gerade dort zu brechen, wo es nicht geht." Nun, die Weltpolitik wird dadurch nicht gleich in ihren Grundlagen verändert. Aber immerhin: die in jener Glosse geforderten „kleinen Mengen zusätzlicher Energie allerorten", die einmal zu einem großen Strom zusammenfließen könnten, sind an zwei Stellen schon freigemacht worden: und jedesmal betraf es ein Menschenschicksal. |