Die versteinerte Lebensgeschichte der jüdischen Gemeinde
Ottweiler
Erste Führung am Freitag, 12. Mai 2017, 19.00 Uhr
„Gräber sind Wege in die Vergangenheit.“ Mit dieser Feststellung
eröffnet Leena Ruuskanen ihre Dokumentation über den Heidelberger
Bergfriedhof („Der Heidelberger Bergfriedhof. Kulturgeschichte und
Grabkultur. Ausgewählte Grabstätten“, Heidelberg 1992). Um diesen
Weg in die historische Vergangenheit Ottweilers, insbesondere in
die wortwörtliche Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Ottweiler,
mitzugehen, bieten Klaus Burr und Hans-Joachim Hoffmann
interessierten Besuchern eine Führung über den jüdischen Friedhof
Ottweiler an und freuten sich über ein reges Interesse.
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts lassen sich in Ottweiler
erste Ansiedlungen von Juden nachweisen. Aber erst mit der
Eroberung unserer Region durch Napoleon begann eine verstärkte
Ansiedlung jüdischer Familien, überwiegend aus den grenznahen
Regionen Frankreichs sowie aus Illingen. Die Familien nutzten den
von Frankreich angebotenen Erwerb ehemals fürstlichen und
kirchlichen Besitzes im Zuge der Zwangsversteigerungen dieser sog.
Nationalgüter in Trier, der Hauptstadt des Departement Sarre, um
sich in Ottweiler niederzulassen, so dass schrittweise eine
funktionierende jüdische Gemeinde mit Synagoge und Elementarschule
entstand. Diese Entwicklung skizziert Klaus Burr zu Beginn der
Führung.
Ausgehend von einem besonderen Grabmal, der Stele „Gebrochene
Säule“, die zugleich als Symbol für das kurze Leben der jüdischen
Gemeinde Ottweiler steht, beschreibt Hans-Joachim Hoffmann
einzelne Grabmale in Verbindung mit der Biographie der in diesen
Gräbern bestatteten Personen. „Denn mit den Namen, die wir auf den
Grabsteinen lesen, steigen in uns Bilder aus der Erinnerung auf,
aus denen Vergangenes lebendig wird.“ (Heidelberger Bergfriedhof,
S. 9). Damit Bilder aus der Erinnerung an die jüdische Gemeinde
Ottweilers auftauchen konnten, bedurfte es zeitaufwändiger
Recherchen, denn in Ottweiler leben heute nur noch wenige
Menschen, die im Ort noch deutschen Staatsbürgern jüdischen
Glaubens begegnet sind. Einige wenige Ottweiler BürgerInnen
konnten noch Erinnerungen an die Familien Barth, Gäßling 42, Cahn,
Wilhelm-Heinrich-Str. 12 sowie die Familien Marx-Salomon, Tensch
25 und Salm, Martin-Lutherstraße und Enggass 5 mitteilen.
Mitglieder dieser Familien verloren ihr Heimatrecht in Ottweiler
und damit zugleich ihr Leben im Zuge der nationalsozialistischen
Herrschaft, sofern sie nicht frühzeitig die Gefahr für Leib und
Leben erkannten und auswanderten. Ihnen begegneten einige, heute
hochbetagte Ottweiler BürgerInnen in ihrer Kindheit und Jugend;
heute erinnern an diese Familien „Stolpersteine“, die in den
letzten Jahren verlegt wurden.
An die großen und einflussreichen jüdischen Familien der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts Albert, Buxbaum, Coblenz und Levy
erinnern in Ottweiler nur noch die erhaltenen Grabsteine. Die
Verdienste dieser Familien fielen der Vergessenheit anheim,
vielleicht auch deshalb, weil viele Nachkommen in zweiter und
dritter Generation Ottweiler wieder verließen, vielleicht auch,
weil eine nationalistische Geschichtsschreibung sie schlichtweg
ignorierte. Wäre der jüdische Friedhof Ottweilers in der NS-Zeit
zerstört worden, hätte Hoffmann in „Lebenswege jüdischer
Mitbürger“ die biographischen Skizzen zu den Familien Coblenz und
Levy nicht verfassen können, in denen er die politischen,
gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen dieser Familien für
die jüdische Gemeinde Ottweiler, für die Stadt Ottweiler und die
jüdische Religionsgemeinschaft in Deutschland zumindest
ansatzweise andeutete. Die Ergebnisse dieser Nachforschungen
stießen bzw. stoßen auf reges überregionales Interesse: So steht
Hoffmann gemeinsam mit dem weitläufigen Nachfahren der Familie
Coblenz, Dr. Franꞔois Van Menxel, Münster, in regem Kontakt mit
der Dehmelhaus-Stiftung in Hamburg sowie dem Arbeitskreis
Jüdisches Bingen, der eine Publikation über die Verzweigung der
Ottweiler Familie Coblenz mit den beiden Forschern plant. Auf die
angesprochenen Familien wird Hoffmann bei dem Rundgang über den
jüdischen Friedhof eingehen und dabei auch auf Inschriften und
Symbole verweisen.
Zur Aufarbeitung der NS-Zeit und zur Erinnerung an die letzten
jüdischen Bewohner Ottweilers verfasste Hans-Joachim Hoffmann die
Dokumentation „Seid vorsichtig mit der Obrigkeit...!“ Beitrag
zur Erinnerungskultur und Lokalgeschichte Ottweilers. Dieses
405 Seiten umfassende Buch (ISBN 978-3-946313-01-4) kann zum Preis
von € 19.80 erworben werden bei:
Archäologie - Büro & Verlag - Glansdorp, Kantstraße 32, 66636
Tholey
Hans-Joachim Hoffmann, Adolf-Kolping-Weg 7, 66564 Ottweiler
(06824-7990)
Sparkasse Neunkirchen, Filiale Wilhelm-Heinrich-Straße, 66564
Ottweiler
Presse-Shop Ottweiler, Inhaberin Hannelore Henn,
Wilhelm-Heinrich-Straße 13, 66564 Ottweiler.
Die Führung über den jüdischen Friedhof Ottweiler erfolgt
in Kooperation mit der KVHS Neunkirchen. Aus organisatorischen
Gründen bat die KVHS um vorherige Anmeldung. Eine Teilnahme ist
jedoch auch ohne Anmeldung bei der KVHS möglich.
Klaus Burr und Hans-Joachim Hoffmann sowie die KVHS freuen sich
auf Ihren Besuch.
Termin: Freitag, 12.05.2017
Uhrzeit: 19.00 Uhr
Treffpunkt: Aufgang zum Friedhof in der Straße
Maria-Juchacz-Ring (ca. 80 m hinter der Abzweigung
Karl-Marx-Straße) Dauer: ca. 1 ½ Stunde
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