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2014/09/18 11:21:05
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] St. Wendel und Cusanus - am nächsten Mittwoch
Datum 2014/09/18 20:07:28
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] "Widerstand an der Saar 1935-1945"
2014/09/29 09:41:14
Dr. Max Lindemann
Re: [Regionalforum-Saar] 1865 im Krankenhaus verstorben
Betreff 2014/09/01 15:45:09
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] das Gerberhandwerk in St. Wendel
2014/09/18 11:21:05
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] St. Wendel und Cusanus - am nächsten Mittwoch
Autor 2014/09/18 20:07:28
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] "Widerstand an der Saar 1935-1945"

[Regionalforum-Saar] Bürokratie und Verbrechen

Date: 2014/09/18 19:05:03
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Kuller, Christiane: Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische
Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen
Deutschland (= Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus 1).
München: Oldenbourg Verlag 2013. ISBN 978-3-486-71659-7; 480 S.; EUR
39,80.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Benno Nietzel, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Universität
Bielefeld
E-Mail: <benno.nietzel(a)... den letzten Jahren gehörte die wirtschaftlichen Ausplünderung und
Enteignung der Juden während des Nationalsozialismus zu einem der
wichtigsten Forschungsfelder der NS-Geschichte. Standen dabei längere
Zeit vor allem die gewerbliche "Arisierung" und die mannigfache
Beteiligung der deutschen Bevölkerung daran im Mittelpunkt, verlagerte
sich das Interesse allmählich hin zur fiskalischen Enteignung der
jüdischen Bevölkerung, wodurch der NS-Staat und seine Verwaltung wieder
mehr in den Blick rückten. In mehreren regionalen Verbundprojekten wurde
die Rolle der Finanzbehörden in der antisemitischen Enteignungspolitik
untersucht. Die Münchner Habilitationsschrift von Christiane Kuller geht
ursprünglich auf eines dieser Projekte, das sich der bayerischen
Finanzverwaltung widmete, zurück.[1] Nachdem nun auch das
Bundesfinanzministerium ein groß angelegtes Projekt zur Geschichte des
Reichsfinanzministeriums im Nationalsozialismus ins Leben gerufen hat,
wurde ihre Arbeit als erster Band in die gleichnamige Buchreihe
aufgenommen.[2]

Die Finanzverwaltung als Akteur der NS-Judenverfolgung ist also alles
andere als ein neues Forschungsthema. Viele der Fragen und Themen, mit
denen sich Kuller in ihrem Buch beschäftigt, hatte etwa die Dissertation
von Martin Friedenberger vor einigen Jahren bereits sehr überzeugend
behandelt.[3] Die Autorin zieht den Rahmen aber noch einmal weiter,
betrachtet auch einige bisher vernachlässigte Aspekte und verbindet die
Analyse der politischen Ziele der Finanzverwaltung im Geflecht der
verschiedenen Verfolgungsakteure mit der Untersuchung der
Verwaltungspraxis bei der Umsetzung antisemitischer Verfolgungsmaßnahmen
auf den unteren Ebenen. Zudem rückt sie das antisemitische
Verwaltungshandeln in der NS-Zeit in eine längere zeitliche Perspektive
und zieht aus ihrem Gegenstand Schlussfolgerungen, die auch die Rolle
der Verwaltung in der NS-Diktatur im Allgemeinen betreffen.

Die Darstellung gliedert sich nach einzelnen Aktionsfeldern der
Judenverfolgung, in die die Finanzverwaltung in unterschiedlicher Weise
als Akteur involviert war. Zunächst geht es aber erst einmal um die
behördliche Organisation der Finanzverwaltung. Dieses etwas überlange
Kapitel macht bereits deutlich, dass die deutschen Finanzbeamten
keineswegs nur Ausführende andernorts gemachter Gesetze und Verordnungen
waren. Stattdessen ergriffen einzelne Abteilungen bereits früh von sich
aus die Initiative und trugen Vorschläge und Konzepte zur
Diskriminierung der jüdischen Bürger zusammen. Hierzu bedurfte es keiner
massiv "nazifizierten" Beamtenschaft, denn das personelle Revirement
nach der NS-Machtübernahme fiel vergleichsweise mild aus, die
Einstellung hoch ideologisierter Überzeugungstäter wie des
Staatssekretärs Fritz Reinhardt war insgesamt die Ausnahme.

Das zweite Kapitel wendet sich mit der Steuerpolitik einem zentralen
Aufgabenbereich der Finanzverwaltung zu. Mit dem Steueranpassungsgesetz
von 1934 wurde die Richtlinie festgeschrieben, die Steuergesetze nach
nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen. Kuller hebt hervor,
dass die Finanzverwaltung damit als erste öffentliche Verwaltung des
Reiches offiziell der NS-Ideologie folgte. Dass sich den Finanzbeamten
zahlreiche Spielräume für die informelle Diskriminierung jüdischer
Steuerzahler auftaten, hatte aber auch mit längeren Traditionen
deutscher Steuergeschichte zu tun. So dienten Steuerregelungen in
Deutschland seit jeher auch außerfiskalischen Zielen und boten
vielfältige Ermäßigungs- und Erlassmöglichkeiten, die ganz im Ermessen
der Finanzbehörden lagen. Diese Instrumente zu nutzen bedurfte keiner
grundsätzlichen Umgewöhnung, zumal die Rechtsposition der
Steuerpflichtigen in Deutschland traditionell schwach war. Obwohl die
Steuerabteilung des Reichsfinanzministeriums sich in den ersten Jahren
der NS-Herrschaft zu einem Planungszentrum für die Judenverfolgung
entwickelte, war die Steuerpolitik aber letztlich nicht das
entscheidende Beraubungsinstrument gegenüber der jüdischen Bevölkerung.
Mit der Judenvermögensabgabe 1938 ging der Fokus endgültig von der
steuerlichen Diskriminierung zum Zugriff auf das jüdische Vermögen über.
Dass Ende 1938 noch eine eigene Steuerklasse für Juden eingerichtet
wurde, hatte praktisch keine großen Auswirkungen mehr.

Die Ausplünderung der jüdischen Emigranten durch Reichsfluchtsteuer und
Devisenbewirtschaftung, um die es im dritten Kapitel geht, sind in der
neueren Literatur so ausführlich untersucht worden, dass hierzu nichts
wesentlich Neues erwartet werden kann. Kuller hebt erneut die Initiative
der Finanzverwaltung hervor, die von sich aus die für die jüdische
Bevölkerung ungünstigste Auslegung der Reichsfluchtsteuergesetze
erarbeitete und umsetzte. Das anschließende vierte Kapitel untersucht
die gewerbliche "Arisierung", bei der die Finanzverwaltung eigentlich
eher eine Nebenrolle spielte. In einzelnen Fällen, etwa bei der
"Arisierung" des Petschek-Konzerns, erwiesen sich allerdings
Steuernachforderungen der Finanzbehörden als das entscheidende
Druckmittel gegenüber jüdischen Unternehmern. Ansonsten war die
Tätigkeit der Reichsfinanzverwaltung vor allem darauf ausgerichtet,
gegenüber Partei- und Privatinteressen die Profitinteressen des Staates
zur Geltung zu bringen. Daher hatten die Finanzämter durchaus ein
Interesse an einer gewissen Mindesthöhe von Erlösen aus
Unternehmensverkäufen, da die jüdischen Eigentümer erst hieraus die
ihnen auferlegten Steuern begleichen konnten. Die Ende 1938 eingeführte
"Entjudungsgewinnabgabe" zielte schließlich auf die exzessiven privaten
Profite bei der "Arisierung". Obwohl ihr Aufkommen nach den Berechnungen
Kullers viel höher war als bisher angenommen, konnte der NS-Staat
letztlich aber nur einen kleinen Teil dieser Profite abschöpfen.

Mit der staatlichen Enteignung des jüdischen Vermögens beschäftigt sich
das fünfte und letzte Kapitel. Auch hier rückt Kuller die Geschehnisse
in eine längere zeitliche Perspektive und verweist darauf, dass bereits
während der Weimarer Republik die rechtlichen Möglichkeiten der
Enteignung erweitert wurden. Der Fokus des Kapitels liegt vor allem auf
der Art und Weise, in der die Finanzverwaltung in Konkurrenz mit anderen
Instanzen und Akteuren um den Zugriff auf das jüdische Vermögen rang.
Erst im Laufe eines längeren Durchsetzungsprozesses rückte sie 1941 in
die zentrale Position einer Hauptverwertungsinstanz für das Vermögen der
deportierten jüdischen Bürger, musste indes weiterhin die
Zugriffsversuche von Reichssicherheitshauptamt, Gestapo und kommunalen
Akteuren abzuwehren suchen. Dabei verfolgten die Finanzbeamten die
fiskalischen Interessen des Staates, nicht selten aber auch eigene
Interessen. Die im Zuge der "Aktion 3", der Verwertung der
Vermögensgegenstände deportierter Juden, propagandistisch
herausgestellte Unterstützung von Luftkriegsgeschädigten mit jüdischem
Hausrat rangierte in der Praxis keineswegs an erster Stelle, vielmehr
sicherten sich der NS-Staat und seine Behörden den größten Teil der
Beute.

In ihren Schlussbetrachtungen bündelt Kuller noch einmal wichtige
Erkenntnisse zur Rolle von Verwaltung in der NS-Judenverfolgung. Sie
hebt heraus, dass gerade die Konkurrenz unterschiedlicher Behörden und
Instanzen um das jüdische Vermögen eine radikalisierende Wirkung auf die
Enteignungspolitik ausübte, da die verschiedenen Akteure sich mit immer
rabiateren Methoden in den Vordergrund zu spielen versuchten. Im Laufe
der Zeit veränderte sich dabei der Charakter von Verwaltung; einzelne
Abteilungen der Finanzverwaltung begannen ihre Tätigkeit ganz auf die
jüdische Bevölkerung auszurichten und entwickelten dazu spezielle
Kenntnisse und Routinen. Ein völliger Ausbruch aus früheren Traditionen
war dies nicht, denn die deutsche Finanzverwaltung verfügte bereits über
Erfahrung damit, hochpolitische und tagesaktuelle Aufgaben umzusetzen.
Sie blieb dabei kein reiner Normenstaat, vielmehr lassen sich an vielen
Stellen die Auflösung geregelter Verfahren und das Eindringen von
Willkür beobachten. Dennoch war, so Kuller, die scheinbare Legitimation
durch Verfahren in vieler Hinsicht entscheidend, denn die
Finanzverwaltung versah als Hauptverwertungsinstanz das ehemals jüdische
Vermögen mit neuen, anerkannten Eigentumsrechten. Ohne die Aura eines
geregelten Verwaltungshandelns hätte dies kaum gelingen können.

Als eine thematisch gegliederte Gesamtdarstellung ist das Buch nicht so
sehr auf einzelne Thesen oder eine zusammenhängende Erzählung hin
komponiert. Der etwas unübersichtliche Aufbau und ein wenig pointierter
Schreibstil sorgen bisweilen dafür, dass wichtige Interpretationen und
Zwischenergebnisse in der Darstellungsfülle unterzugehen drohen. Für
Experten des Themengebietes dürfte der Neuigkeitswert nicht besonders
groß sein. Die Stärke des Buches ist es, auf der Basis einer breiten
eigenen Quellenrecherche das Forschungsfeld um die Enteignung der
jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus empirisch noch einmal neu
aufzurollen und in einen systematischen Zusammenhang zu bringen, der
vielfältig anschlussfähig ist. Für künftige Forschungen zur Rolle der
Verwaltung im Nationalsozialismus und zur NS-Judenverfolgung wird das
Werk eine wichtige Referenz darstellen.


Anmerkungen:
[1] Vgl. Hans Günter Hockerts u.a. (Hrsg.), Die Finanzverwaltung und die
Verfolgung der Juden in Bayern, München 2004; Christiane Kuller,
Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Die Entziehung jüdischen Vermögens
in Bayern während der NS-Zeit, München 2008.
[2] Zum Gesamtprojekt vgl.
<http://www.reichsfinanzministerium-geschichte.de> (27.06.2014).
[3] Martin Friedenberger, Fiskalische Ausplünderung. Die Berliner
Steuer- und Finanzverwaltung und die jüdische Bevölkerung 1933-1945,
Berlin 2008.