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2014/07/14 22:58:37
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] wie alt wurden die kelten?
Datum 2014/07/15 23:44:46
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[Regionalforum-Saar] wie alt wurden die kelten?
Autor 2014/07/15 23:44:46
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[Regionalforum-Saar] Dr. Bohrs Erinnerungen

Date: 2014/07/15 09:35:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Guten Morgen,

 

über Frau Dr. Stitz kam ich in Kontakt zu Herrn Dr. Klaus Bohr aus Neunkirchen-Saar, der heute in Toronto in Kanada lebt. Er hat 1946 in St. Wendel am Wendalinum sein Abitur gemacht.

 

Nach dem Studium in Frankreich und Deutschland unterrichtete er u.a. an der Schulungsstätte der Ruhr-Stahlindustrie in Gelsenkirchen und wechselte 1962 in den Auswärtigen Dienst.  Als Botschaftsrat a.D. lebt er in Toronto (Kanada) und schreibt in Einzelgeschichten seine persönlichen Erinnerungen auf.

 

Als Frau Stitz davon erzählte, habe ich angeboten, die Geschichten in unregelmäßigen Abständen im Regionalforum zu veröffentlichen.

 

Kommentare zu den Geschichten bitte ich direkt an die Liste zu richten, da Herr Bohr seit kurzem Mitglied derselben ist.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger

 

Kulinarisches

 

Niemals wieder wird es so munden wie von den Tellern meiner frühen Jahre, die allesamt aus den Mettlacher Werkstätten meines Patenonkels Josef stammten, der Zeit seines Lebens, nachdem er schwer verletzt aus der letzten Schlacht des großen Krieges 1918 heimgekehrt war, als Designer bei Villeroy und Boch tätig war. Das lag nicht nur im gesunden Hunger von Heranwachsenden oder an den wunderbaren Geschichten, die Onkel Josef zu erzählen verstand, sondern daran, dass wir Nutznießer mehrerer kulinarischer Traditionen waren die von Meisterinnen ihres Fachs in den Küchen der Familie mit viel Liebe gepflegt wurden. Mutter wurde früh mit den Geheimnissen der feineren französischen Küche bei einer Verwandten ihres Vaters im Lothringischen Maizières vertraut, wo sie ihre Sommerferien zu verbringen pflegte. Ihr Kalbsbraten in Morcheln und Sahne oder der gespickte Rehrücken hätten keine Michelin-Inspektion fürchten müssen. Für mehr Alltägliches hütete sie Rezepte ihrer Großmutter vom Bauernhof der Wahlens im Schatten der mittelalterlichen Abtei Tholey, die für ihre Kräutergärten bekannt war.

 

Die Erinnerung an das Heimatdorf des Vaters an der Saarschleife ist für immer mit einem durchdringenden fruchtig-säuerlichen Duft verbunden der sich – aus allen Kellern des Ortes aufsteigend – über die Gassen legte und sich auch in den Stuben und Kammern der Häuser hielt.

 

Der durchgegorene-herbwürzige Apfelwein, der als Stolz jeden Hauses und als Nachweis für die Kelter- und Keller-Künste das ganze Jahr über in großen Eichenfässern in den Kellern lagerte, war Lebenselixier der Region zwischen dem unteren Saartal und der Obermosel, stand mittags und abends auf jedem Tisch, stillte Durst und würzte Bratensoßen wie auch Desserts.

 

Ganz und gar unvorstellbar war eine Mahlzeit, bei der nicht auch jene meist blaugebrannten Steinkrüge mit ihrem duftenden Inhalt zu der aus großen alten Eichenfässern abgezapften kühlen Labe eingeladen hätten. Unübertroffen als Appetitanreger verwandelte der kernige Viez selbst einfache Gerichte in kulinarische Erlebnisse und inspirierte so manchen Meinungsaustausch am Familientisch. Erhitzt und mit Honig versetzt galt er als tausendfach bewährtes Hausmittel gegen Malaisen verschiedenster Art.

 

Das Ansehen der Familien im Dorf hing nicht zuletzt von der Zahl der Fuder und der Qualität dieses aus speziellen Viezäpfeln gewonnenen Trunkes ab. Man wusste genau, wer die beste „Cuvée“ einlagerte. Zumeist war das ein Vetter des Vaters, der seinen Keller unweit unseres großelterlichen Hauses hatte und oft und gerne sich durch Proben seinen Spitzenplatz bestätigen ließ. Hochgeschätzt waren auch Fuder meines Patenonkels aus Äpfeln vom Südhang, der „Wingert“ hiess und so die Vermutung nahe legte, dass hier vergangene römische Weinkultur in Form von Viezkultur weiterlebte.

 

Krönendes Beiwerk des Kelterns war ein aus Trester und Apfelwein gebranntes hoch- prozentiges Destillat, das den Vergleich mit dem sehr viel bekannteren Calvados nicht zu scheuen brauchte.

 

Weniger als Alkohol denn als selbstverständlicher Begleiter in allen Lebenslagen betrachtet wurde Viez auch uns Kindern nicht vorenthalten. Solche aus überlieferter Tradition geborene Praxis war aufgrund der robusten Gesundheit sowie des biblischen Alters nicht weniger Tischgenossen schwer anfechtbar. Uns jedenfalls hat er keine Schäden, dafür jedoch viele nostalgische Erinnerungen hinterlassen.

 

Eine lobende Erwähnung des herzhaften Trunkes aus dem Dreiländereck zwischen Lothringen, Luxemburg und der unteren Saar, der allgemein als „Merziger“ Viez gehandelt wurde, findet sich sogar in der Chronik der Napoleonischen Kriege und das kam so:

 

Der Sohn des Sankt Johanner Gastwirts vom „Coq d’Or“ in Saarbrücken, Hans Balder, war um die Jahrhundertwende nach langen Lehrjahren bei Meistern der Pariser Kochkunst in den Umkreis des Kaiserlichen Hofes dortselbst geraten und hatte das Wohlwollen des Herrschers aller Franzosen gefunden. Dieser schätzte die deftige Hausmannskost, die Balder nach saarländischen Rezepten zu bieten hatte, höher ein als die dekadenten Gerichte der lokalen Haute Cuisine. Napoléon war nämlich nach der Beschreibung Brillat de Savarin’s kein Liebhaber kulinarischer Genüsse, eher einer, der zu unmöglichen Zeiten nach Nahrhaftem verlangte, um sich den Magen vollzuschlagen. Solche Bedürfnisse wusste der Koch von St. Johanner Markt in Form von Reibekuchen oder Dibbelabbes aufs Beste und ohne großes Zeremoniell zu befriedigen. So hoch stand er schließlich in der Gunst des Empereur, dass dieser ihn in den Adelsstand erhob und ihm gleichzeitig den Titel „Grand Chef de la Cuisine de Sa Majesté“ verlieh. Als man dann aufbrach, den Herrscher aller Russen in die Knie zu zwingen, war Hans Balder samt Töpfen und Pfannen als Leibkoch mit von der Partie. Auf den Marsch gen Osten kehrte man im „Coq d’Or“ am Sankt Johanner Markt ein, wo Hans Balder – jetzt am heimischen Herd wirkend – noch einmal alles aufbot, was die saarländische Küche an Deftigem zu bieten hatte. Er sah, mit welcher Begeisterung Seine Majestät nicht nur den kredenzten Saar-Rieslingen, sondern auch dem Merziger Viez zusprach, woraufhin er für reichliche Vorräte an solchen für die kommende Kampagne in den Weiten Russlands Sorge trug. Das sollte sich am 8. September nach der blutigen Schlacht von Borodino auszahlen, als der völlig erschöpfte kaiserliche Schlachtenlenker gebieterisch nach Dibbelabbes mit Viez verlangte, was seinen Leibdiener in Bedrängnis brachte. Vergeblich fahndete der auf dem Schlachtfeld nach passendem Bratfett, und Balder buk in der Not seinen Dibbelabbes in Kanonenöl. Doch der Viez rettete den Tag. Sein kräftiges Aroma vermochte sogar den ungewohnten Geschmack solchen Bratfetts zu überdecken und trug dem Koch und Mundschenk, wie dieser in seinem Tagebuch berichtete, höchstes kaiserliches Lob ein.

 

Unter den Gaumenfreuden gab es einem frühen Favoriten, der seine Spitzenstellung über Jahrzehnte hinweg unangreifbar halten sollte. Seine Herkunft ist nicht eindeutig zuzuordnen, wenngleich er eher aus den Backkünsten des Hunsrücks und der Pfalz statt aus der mehr der Apfel- und Viezkultur huldigenden Überlieferung des moselfränkischen Familienzweigs stammen dürfte. Die Rede ist von einzigartigem Zwetschgenkuchen, wie er über Jahr-hunderte in den Dörfern des Hunsrücker Hochwaldes und der Pfalz auf knusperigem Brotteig, der den Saft kaum halten konnte, mit jenen kleinen säuerlichen erst Ende August reifenden Pflaumen gebacken wurde. Wenn dann zum Sonntagskaffee eine Haube frischer Schlagsahne den saftigen Belag der Früchte abdeckte, hatte kein anderes Gebäck auch nur den Hauch einer Chance, im Wettbewerb der Gaumen mitzuhalten. Ich fand diese säuerlich-würzige Pflaumensorte später in den kargen Bergen Bosniens wieder, wo sie als Grundlage für einen ungewöhnlich aromatischen Slibowitzdiente und mich mit jedem Schluck in die spätsommerlichen Kaffeeorgien meiner Heimat versetzte.

 

Großmutter Luwies verdanke ich eine früh eingefleischte Vorliebe für die majorantrunkene „Pfälzer Kich“ Die Frauen dreier Generationen unserer Familien aus dem Landstuhler Bruch hatten für ungebrochene und unverwässerte Überlieferung pfälzischer Spitzenprodukte wie Saumagen, schlachtfrische Leberwurst, Metzelsupp und Anduddele (hausgemacht und geräuchert) Sorge getragen. Den blanken Stolz des Monopols über gefüllte Knepp, Hoorische, Schales und Dibbelabbes teilte man notgedrungen mit Rivalen aus dem Hunsrück, die ihrerseits Autorenstolz für diese Gerichte beanspruchten. Beim Anrichten des Sau-magens durften wir Kinder erste Erfahrungen in gehobener Regionalküche sammeln. Immer wieder musste er – langsam in der Röhre garend – mit Schmalzfett übergossen werden, bis er knusprig-braun aus allen Nähten platzend seinen duftenden Inhalt aus Kartoffelwürfeln in Majoran und magerem Rauchfleisch freigab. An besonderen Festtagen schenkte es Luwies dazu – auch hier bewährter Pfälzer Tradition folgend – den Enkeln Weinwasser mit Zucker ein und legte damit die Grundlage für eine lebenslang anhaltende Cholesterolvorsorge.

 

Es blieb mir immer unverständlich, wenn hohe ausländische Staatsgäste, denen ein fülliger Politiker aus dem Pfälzischen regelmäßig dieses sein Lieblingsgericht servierte, statt mit spontaner Begeisterung zumeist nur mit höflicher Zurückhaltung reagierten, bis ich dann bei einem Lokaltermin herausfand, dass 3-Sterne-Köche in Deidesheim das Gericht so „verfeinert“ hatten, dass von dieser glorreichen Inkarnation pfälzischer Deftigkeit nur noch ein blass-dekadenter Abglanz auf hoheitlichen Tellern landete und so manches Vorurteil über die Esskultur der deutschen Provinz unwiderlegt blieb.

 

Was Wunder, das sich hartnäckig als Gerücht hält, hohe für die bilateralen Beziehungen nicht unwichtige Staatsgäste hätten nach Verzehr dieser mit Trüffeln und anderem modischem Beiwerk verfüllten Speise keine große Neigung zu dem erhofften diplomatischen Einlenken gezeigt, was dann auch durch die verführerischen Rieslinge aus dem welt-berühmten Lagen der Umgebung nur habe teilweise kompensiert werden können.

 

Das Angebot eines Pfälzer Original-Saumagens à la Luwies hätte nicht nur den Etat des Bundeskanzleramtes schonen können, er hätte vermutlich auch den hohen Gästen einen nachhaltigen und unverfälschten Einblick in die so manche Widrigkeiten überwindende Pfälzer Genussfreude vermittelt. Wer weiß, ob nicht ein Biss in die knusperige Hülle des Originalgerichts auch bei Skeptischeren unter den Tafelnden wie Francois M. oder Lady Th. eine geneigtere Disposition für die Nöte des Gastlandes erzeugt hätte. Somit dürfte so manche Chance ungenutzt geblieben sein, eine über Jahrhunderte erprobte köstliche Spezialität, begleitet von kaum zu übertreffenden Rieslingen, zum Wohl des gesamten Vaterlandes zur Geltung zu bringen und selbst verwöhnten Gaumen ein anerkennendes Staunen über die Küchenkultur eines gesegneten Landstrichs im Südwesten Deutschlands abzuringen.

 

Sie nahmen sich reichlich Zeit, die kernig-saftigen Hinterschinken in der Räucherkammer meines Patenonkels Josef. Monatelang brauchten sie dazu, nachdem sie im Knoblauch- und kräuterschwangeren Salzsud ihre aromatische Grundausrüstung erhalten hatten über der Glut und dem Rauch von Buchenholz. Anders als die schwammig-wässrigen oder trocken-versalzenen Schinken, die uns später eine nur noch gewinnorientierte Fleischindustrie als „Westfälischer“ oder „Schwarzwälder Schinken“ anbot, setzten die unvergleichlich duftenden dunkelrot durchwachsenen und schnittfesten Schinkenstücke auf dem Früh-stückstisch der Familie Geschmacksmaßstäbe, wie sie später in solcher Vollendung nur noch in der Nostalgie der Erinnerung weiterleben. Krönung der Festgerichte waren ganze Schinken, die zu Hochzeiten und Jubiläen im Brotbackofen stundenlang bei kleiner Hitze gegart wurden, wobei man nicht versäumte, durch regelmäßiges und großzügiges Begießen mit Viez jenen saftig-zarten Wohlgeschmack zu erzielen, den ich später nicht einmal im berühmten „jambon braisé“ der französischen Küche wieder fand. Die Geheimnisse des „slow food“, die heute von Köchen und Kritikern so überaus gepriesen werden, waren im Dorf an der Saarschleife lange zuvor mit Stolz gepflegte Tradition in jedem Haushalt, der auf sich hielt.

Die Bedeutung von Solperfleisch und Geräuchertem sollte im moselfränkischem Zweig der Familie während der napoleonischen Kriege gar eine historische Dimension erlangen. Nach den Erzählungen unserer Tante Kätchen, einer Schwester des Vaters und zugleich glaubwürdigster Quelle von Überlieferungen aus alten Zeiten, drohte der Familie durch Konfiskationsmaßnahmen durchziehender Sanskulotten, wie man damals die Soldateska des eroberungswütigen Korsen nannte, eine Katastrophe. Ein Grenadier der Grande Armée, die sich, wie damals üblich, aus dem jeweils besetzten Lande nährte, wollte sich nicht mit einer ergiebigen Mahlzeit und dem Abzapfen eines Eimers Viez zufrieden geben, sondern begab sich daran, die Räucherkammer seiner unfreiwilligen Gastgeber auszuräumen und – damit nicht genug – auch den Inhalt der Solperbütte mit dem familiären Jahresbedarf an Pökelfleisch zu konfiszieren, was den Proteinvorrat der so Beraubten gefährlich abgesenkt hätte. Angesichts solcher Gefährdung überkam den „Pater Familias“ der Zorn des Gerechten und trieb ihn zu tollkühner Tat. Als der Ausräumer sich über den Rad der Bütte beugte, um auch die letzten Fleischstücke zu evakuieren, nutzte das Familienoberhaupt diese aus der Gier geborene Schieflage des Eindringlings um ihn in die Tiefe der Solperbrühe zu tunken, bis er nicht nur jede räuberische Absicht, sondern auch seinen Geist aufgegeben hatte.

 

Unserem todesmutigen Verteidiger familiärer Proteinvorräte blieb nach solcher Tat nur die Flucht in die Wälder über dem Saartal, bis die welsche Besatzungsmacht gen Osten abgezogen war, wo sie in den Weiten Russlands und im brennenden Moskau ihr Schicksal ereilte. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass nur wenige Monate später ein halb-verhungerter und abgerissener Grenadier der Grande Armée auf der Flucht vor verfolgenden Kosaken, die keinen Pardon kannten, in der Familie Zuflucht fand. Dort kam er mit Hilfe gealterter Bestände aus selbiger Solperbütte und Räucherkammer nicht nur wieder zu Kräften, sondern vermochte mit viel welschem Charme und dank schätzenswerter Mithilfe in Stall, Feld und bei der Viezkelter gar eine der Töchter seiner Gastgeber zu erobern und ein geachtetes Mitglied des Clans zu werden.

 

Unter den Namen der Familie gibt es einen, der seine Herkunft aus dem Französischen nur schwer verleugnen kann und dann wohl im Zusammenhang mit diesem familiären Zugewinn aus den napoleonischen Feldzügen zu bringen ist. Die Pinters – alias peintres – lassen sogar der Deutung freie Bahn, hier sei die Grande Nation um ein Stück ästhetischen Potentials beraubt worden, das dann fröhliche und erfolgreiche Urständ in so manchen Genen der Hofmanns, Spaniers, Diwos, Austgens, Weins und Bohrs fand.

 

Klaus Bohr (*1926 in Neunkirchen/Saar)