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2013/05/21 18:47:54
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] übermorgen
Datum 2013/05/22 18:26:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konf: Schatzungs- u Steuerlisten als Quellen d landesgeschichtlichen Forschung
2013/05/26 23:27:40
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[Regionalforum-Saar] Am Rand der Erkenntnis - Max Bodenheimer, Begründer des Zionismus, in St. Wende l
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[Regionalforum-Saar] Die 'Hessians' im Amerika nischen Unabhängigkeitskrieg
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Autor 2013/05/22 18:26:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konf: Schatzungs- u Steuerlisten als Quellen d landesgeschichtlichen Forschung

[Regionalforum-Saar] Das Bild des Bauern

Date: 2013/05/21 18:53:50
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Münkel, Daniela; Uekötter, Frank (Hrsg.): Das Bild des Bauern. Selbst-
und Fremdwahrnehmungen vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. ISBN 978-3-525-31017-5; 288 S.;
EUR 59,99.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Margareth Lanzinger, Historischen Seminar, Universität Siegen
E-Mail: <margareth.lanzinger(a)... Band geht auf eine Tagung des Arbeitskreises für Agrargeschichte,
die im Herbst 2009 in Hannover stattgefunden hat, zurück und ist dem
2011 verstorbenen András Vári gewidmet. "Das Bild des Bauern" mag
griffig klingen, dem Anspruch der Beiträge entspräche viel mehr eine
offene Formulierung im Plural, mit der auch Daniela Münkel ihre kurze
Einleitung übertitelt. Die zentralen Fragestellungen sind auf das Wie
des Konstruierens von solchen Bildern gerichtet, auf Differenzierungen
zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen sowie auf die jeweils
relevanten soziopolitischen, -ökonomischen und -kulturellen Kontexte.
Der zeitliche Bogen der in vier Abschnitte gebündelten Artikel reicht
vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Am produktivsten erweisen sich
jene Zugänge, die Konstruktionsprozesse, semantische Praktiken, Modi und
Logiken der Abgrenzung ausmachen und analysieren.

Letzterem spürt Dorothee Rippmann in ihrem Beitrag nach, der das
Mittelalter und die beginnende Neuzeit in den Blick nimmt und auf
unterschiedlichen - auch bildlichen und literarischen - Quellen basiert.
Rippmann trifft weniger auf 'reale' Bauern, sondern auf die
"Präsentation von Typen" (S. 35), die Adel und Bürgern zur Betonung
sowie Legitimation von Standesunterschieden dienlich waren und damit
nicht nur im Sinne der eigenen Profilbildung, sondern auch
herrschaftsstabilisierend wirkten. So wie die Autorin für die
Interpretation schriftlichen Materials eine intertextuelle Perspektive
einfordert, betont sie die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz, die "opacity"
(S. 34), von Bildaussagen, Objekten und deren Attributen, die nicht
stabil waren, sondern je nach Kontext umgefärbt werden konnten. Frank
Konersmann nimmt die Fülle frühneuzeitlicher Begriffe sowie deren noch
nicht hinreichend geklärtes Verhältnis zum "vermeintlichen Oberbegriff
Bauer" (S. 63) zum Ausgangspunkt und leuchtet das entsprechende
semantische Feld aus, das eine Vielfalt von Fremd- und
Selbstbezeichnungen sowohl in Rechtsquellen als auch in der
Hausväterliteratur und frühen Kameralistik zu Tage fördert. Deren Gehalt
sei an den zeitspezifischen Erfahrungsraum rückzubinden, der sich nicht
zuletzt über Ein- und Ausschlüsse, Umwertungen und Sprachsteuerungen
konstituiert. In seinem Fazit meldet er "erhebliche Zweifel" an, ob und
wenn ja, für welchen Zeitraum im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
"von einem Bauernstand, einer Bauerschaft oder einem bäuerlichen
Berufsstand die Rede sein könne" (S. 83), weshalb die Analyse von
Parallelbegriffen unerlässlich sei. Der Terminus "Landwirt", den
Konersmann als "Zukunftsbegriff" der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
wertet (S. 77), bildet im Beitrag von Niels Grüne den Schlusspunkt
seiner semantischen Analyse, die bei sozialen Abstufungen ansetzt.
Basierend auf einer breiten Palette an Quellenmaterial aus dörflichen
Gesellschaften der badischen Rheinpfalz zwischen 1700 und 1850 fragt er
nach den Logiken der Begriffspraxis in unterschiedlichen Zusammenhängen:
in rechtlichen, besitzständischen, wirtschaftlichen, sowie nach deren
argumentativem Einsatz in der politischen Rhetorik - wenn etwa in der
1848er Revolution der Begriff "Bauer" von antiliberalen Intellektuellen
und Beamten mit Treue und Stabilität konnotiert und ideologisch
aufgeladen wurde. Prägend für den untersuchten Zeitraum war eine
bipolare, entlang von Besitzhierarchien strukturierte Terminologie, so
dass diese der zunehmenden "Auffächerung des Besitzspektrums" (S. 90)
hinterherhinkte: Für die neue semi-agrarische Mittelschicht fehlte in
den Steuerkatastern ein entsprechender Begriff.

In dem auf die "Vormoderne[n] Bauern" folgenden Abschnitt zum "Deutschen
Bauern" zeichnet Gesine Gerhard einen Bilderbogen für das 19. und 20.
Jahrhundert nach, der bei der Agrarromantik und Stilisierung "des
Bauern" als moralischer Gegenpol zum ausschweifenden Stadtleben einsetzt
und über die völkische "Blut und Boden"- und "Nährstand"-Ideologie, über
das konservative Bauernbild der Zeit nach 1945 bis zur Aufwertung in den
letzten Jahrzehnten angesichts von Umweltkrisen und
Lebensmittelskandalen führt. Wie Daniela Münkel ergänzend dazu im
Vergleich zwischen Nationalsozialismus und DDR-Regime aufzeigt, kam
Bauern da wie dort die Funktion der Herrschaftslegitimierung und
Identitätsstiftung zu. Doch waren die Leitbilder grundverschieden, zumal
diese in der DDR nicht an jene des 19. Jahrhunderts anknüpften, sondern
die "Werktätigen in der Landwirtschaft" für den Arbeiter- und
Bauernstaat erst gewonnen werden mussten. Anke Sawahn beschreibt in
ihrem Beitrag das Selbstbild von Bäuerinnen, die sich seit 1900 in
Landfrauenvereinen organisierten.

Den Abschnitt zu den europäischen Bauern leitet Henning Türk mit einem
Porträt des niederländischen und zugleich ersten EWG-Agrarkommissars
Sicco Mansholt (1958-1972) und dessen agrarpolitischen Konzepten ein.
Dieser plädierte für große Betriebe zwecks möglichst effizienter
Bewirtschaftung und wollte die Bauern zu Unternehmern machen. Letztlich
ging die Regionalpolitik gestärkt aus dieser über gewachsene Strukturen
hinwegfegenden und von Protesten begleiteten agrartechnischen Linie
hervor. Ulrich Schwarz wertet den niederösterreichischen
Bauernbundkalender und eine an Agrarproduzenten adressierte
Wochenzeitschrift der Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre aus. Er
rekonstruiert die Form der Herstellung und Kommunikation von Bildern von
Bauern auf Grundlage einer doppelten Differenz, die er als Prozess der
selektiven Betonung und Einebnung interpretiert. Damit bekommt er sowohl
den Wandel der Bildinhalte als auch jenen der Konstruktionsakte selbst
in den Blick, die er in vier Zeitabschnitten - von Anknüpfungen an die
Agarromantik nach 1945 bis zur Metapher für gesundes Leben -
strukturiert. Nadine Vivier zeichnet für Frankreich ebenfalls
kontrastierende Bilder nach, die im 19. Jahrhundert zwischen
idealisiert-romantisierenden und in schwarzen Farben gemalten
Darstellungen changierten, während die Bauern ab 1870, mit konservativen
Werten konnotiert, eine gesellschaftliche Aufwertung erfuhren, die nach
1945 von einer Betonung der Modernität abgelöst wurde und die Bauern
zuletzt - aus einer Kritik am Produktivismus - zu "Gärtnern des Raumes"
(S. 242) werden ließ. Dieses harmonische Bild geht allerdings nicht
unbedingt mit der Einkommenssituation und den Zukunftsperspektiven
konform. András Vári macht bezogen auf die ungarischen Bauern für die
Zeit zwischen 1790 und 1919 sieben Bilder aus, deren Entstehung er in
seinem Beitrag kontextualisiert. Er legt den Fokus auf jene Gruppen, die
diese Bilder in diversen Genres, unter anderem in zeitgenössischer
Belletristik, in Hand- und Fachbüchern, gezeichnet haben. Das Spektrum
reicht vom Bauern als Erziehungsobjekt und "Rohmasse" (S. 246) über den
geknechteten beziehungsweise den aufzuklärenden Bauern, den Bauern als
moralischen Kontrapunkt zum städtischen Leben und als den von einer
exotischen Volkstümlichkeit getragenen Kernungar bis zum Bauern als
Sinnbild der Antimoderne und schließlich als Sprengsatz in einer vom
Kapitalismus aufgeriebenen Welt. Diese vornehmlich am
bürgerlich-städtischen Kriterienkatalog bemessenen Zuschreibungen
bringen, so der Befund des Autors, immer wieder die Entfremdung von der
ländlichen Welt zum Ausdruck, die als "Projektionsfläche der eigenen
Identität" diente (S. 263) und zugleich den Überlegenheitsanspruch der
Intelligenz legitimierte.

Der letzte Beitrag des Bandes führt über Europa hinaus und bleibt
zugleich in Europa. Denn der von Frank Uekötter charakterisierte
amerikanische Farmer bildete seit dem 19. Jahrhundert mit seinen vielen
Gesichtern immer wieder eine vereinfachende Kontrast-, wenn nicht
Negativfolie, auf jeden Fall aber und insbesondere in der deutschen
Agrardebatte eine Vergleichsfolie. Diese sei - begründet durch
Produktivität, Agrartechnik und die dadurch erzeugte Konkurrenz, aber
auch durch vergleichsweise frühe Ökoargumente - bis heute von einer
"Mischung aus Bedrohungsgefühl und Faszination" geprägt (S. 272). Jedoch
sei neben ständigen Krisenherden in der amerikanischen Landwirtschaft
auch eine Diskrepanz zwischen dem suggerierten Bild eines freien
Unternehmertums und einer gleichzeitig intensiven Regulierung
festzustellen.

Einmal geschaffene Bilder, so András Vári, bleiben wie "Unrat im Weltall
in dem geistigen Universum der Epochen" (S. 267). Damit sind zwei
wesentliche in den Beiträgen fokussierte Momente angesprochen: der
Kontext der Erzeugung von Bildern und der Verortung von deren
Protagonisten einerseits sowie Rückgriffe, Aktualisierungen in
bestimmten historisch-politischen Zusammenhängen andererseits. Insgesamt
dominieren in dem verdienstvollen und über weite Strecken sehr
ambitionierten Band Fremdwahrnehmungen, Zuschreibungen und
Klassifizierungen aus sozialer und lebensweltlicher Distanz. Welche
Implikationen für Bilder und Diskurse hätte eine Sicht aus größerer
Nähe, von Notabeln auf dem Dorf beispielsweise oder sozial
aufgestiegenen, wie auch immer definierten "Bauern"-Söhnen und nicht
zuletzt von schreibenden Bauern und Bäuerinnen?

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan Brademann <jan.brademann(a)...