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2012/09/19 08:25:50
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: J.-C. Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147
Datum 2012/09/21 12:34:47
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Leben in einer Zeit des Umbruchs
2012/09/10 19:02:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Ottweiler Notariat 1834
Betreff 2012/09/19 08:25:50
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: J.-C. Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147
2012/09/19 08:25:50
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: J.-C. Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147
Autor 2012/09/21 12:34:47
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Leben in einer Zeit des Umbruchs

[Regionalforum-Saar] Rezi: C. Zwanzig: Grü ndungsmythen fränkischer Klöster

Date: 2012/09/19 08:26:52
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Christine Kleinjung <kleinjun(a)...   19.09.2012
Subject: Rez. MA: C. Zwanzig: Gründungsmythen fränkischer Klöster
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Zwanzig, Christofer: Gründungsmythen fränkischer Klöster im Früh- und
Hochmittelalter (= Beiträge zur Hagiographie 9). Stuttgart: Franz
Steiner Verlag 2010. ISBN 978-3-515-09731-4; Pb.; 539 S.; EUR 74,00.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_16234.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Christine Kleinjung, Historisches Seminar, Johannes
Gutenberg-Universität Mainz
E-Mail: <kleinjun(a)... Zwanzig widmet sich in seiner Dissertation den Konstruktionen
und Transformationen klösterlicher Gründungserinnerungen am Beispiel der
Klöster Heidenheim, Solnhofen, Ansbach und Kitzingen in der Zeit vom 8.
bis zum 12. Jahrhundert. Er ordnet sich damit ein in die Reihe
kulturwissenschaftlich ausgerichteter Arbeiten zu Erinnerung, Gedächtnis
und Gemeinschaftsbildung im mittelalterlichen Religiosentum. Auch
Christofer Zwanzig greift auf das von Aleida und Jan Assmann begründete
Konzept des kollektiven und kommunikativen Gedächtnisses zurück, um die
Entstehung, Kontinuitäten und Veränderungen von Gründungserinnerungen zu
untersuchen und so die Bedeutung der Fundationsquellen für ihre
jeweilige Gegenwart zu erschließen. Diese Fundierungserinnerungen
begreift Zwanzig als Gründungsmythen und bezieht sich auf Assmanns
Definition, wonach ein Mythos etwas sei, das nicht vergessen werden
darf. Die Frage "Wer sind wir?" beantworte eine Klostergemeinschaft
immer wieder neu mit dem Gründungsmythos, der entsprechend ausgestattet
und angepasst werde. Wer aber nimmt in welchem Zusammenhang diese
Transformationen und Anpassungen vor - und warum? Diese Fragen stellt
Christofer Zwanzig in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Seine
Arbeitsthese lautet, dass sich das Bemühen um Heiligkeit eines Gründers
und seines Ortes nicht allein auf die Klostergemeinschaft beschränken
lasse. So fragt er allgemeiner nach den "Trägergruppen der Erinnerung"
und nimmt die soziale Umwelt der Klöster mit in den Blick.

Die Arbeit ist in drei chronologisch gestaffelte Teile gegliedert. Im
ersten Teil behandelt Christofer Zwanzig die Gründungserinnerungen im 8.
und 9. Jahrhundert zur Zeit der Ausprägung der fränkischen
Sakrallandschaft.  Einen ersten Einschnitt sieht er im 10. Jahrhundert
aufgrund eines tiefgreifenden Wandels der Klosterlandschaft durch
herrschaftliche Veränderungen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit
den Gründungserinnerungen im 10. und 11. Jahrhundert vor dem Hintergrund
bischöflicher und adliger Einflussnahme. Das abschließende Kapitel
widmet Christofer Zwanzig dem 12. Jahrhundert. Ein erneuter Einschnitt
erscheint hier aufgrund der Ausdifferenzierung der vita religiosa
geboten. Am Ende eines jeden Großkapitels steht eine gut gegliederte
Zwischenzusammenfassung. Den Abschluss bildet die Gesamtzusammenfassung.
In einem umfangreichen Anhang bietet Christofer Zwanzig nicht nur den
Abdruck der Gründungsberichte der behandelten Klöster, sondern auch
Tabellen, die eine schnelle Erschließung des relevanten Quellenmaterials
- über die untersuchten Klöster hinaus - bieten. So wurden Nachrichten
über Reliquienbeisetzungen, Urkunden und Urkundenfälschungen
aufbereitet, und es findet sich auch ein Verzeichnis aller adligen und
bischöflichen Gründungen benediktinisch geprägter Klöster in Franken im
12. Jahrhundert. Ein Register rundet die Arbeit ab.

Bereits für die Lebensbeschreibungen der Heiligen Wynnebald und Sola aus
dem 8. und 9. Jahrhundert kann Christofer Zwanzig feststellen, dass die
Gründungserinnerungen den Charakter von Gründungsmythen annahmen. Sie
erklärten die Entstehung der Klostergemeinschaft und wiesen gleichzeitig
in die Zukunft. Diese Zukunftsausrichtung kann jedoch mit Assmann in
zweierlei Weise erfolgen: als kalte Erinnerung, die einen Status quo
erhalten, und als heiße Erinnerung, die aktiv Veränderungen etwa in der
herrschaftlichen und rechtlichen Stellung der Klostergemeinschaft
herbeiführen möchte. Bei der Entstehung der Gründungserinnerungen lassen
sich an den Beispielen Heidenheim und Solnhofen bereits Einflüsse von
außen greifen. Die Trägergruppen waren zwar hierarchisiert, die Mönche,
die das Grab des Gründers hüteten, spielten für die Heiligkeit des Ortes
die entscheidende Rolle. Doch lässt sich die Heiligkeit nicht auf die
Klostergemeinschaft allein beschränken, die Integration des sozialen
Umfelds war laut Zwanzig wichtiger als Distinktion.

Auch im 10. und 11. Jahrhundert blieb die Verehrung der Gründer nicht
auf die Gemeinschaft allein beschränkt. Gründungserinnerungen sind daher
nicht nur als Ausdruck einer ausschließlich klösterlichen Mentalität zu
verstehen (S. 228). Vielmehr lässt sich für Ansbach, Heidenheim und
Kitzingen festhalten, dass sich in den Texten nicht alleine das
Selbstbild der dortigen Gemeinschaft spiegelt, sondern dass für die
Erinnerung auch adlige Laien und das bischöfliche Umfeld  zuständig
sind. Allgemeine politisch-herrschaftliche Entwicklungen im
Untersuchungsraum spiegeln sich in den Gründungsquellen wider: So geht
mit einer Welle adliger Klostergründungen ein Anwachsen von Texten
einher, die sich mit der Verehrung laikaler Klostergründer beschäftigen,
zudem werden vermehrt frühmittelalterliche Klostergründungen in der
Rückschau auf königliche Gründer zurückgeführt, um eine Nähe
zeitgenössischer fränkischer Herrschaftsträger zum Königtum zu
untermauern.

Im abschließenden Teil zum 12. Jahrhundert legt Christofer Zwanzig den
Schwerpunkt auf Klosterkonflikte wie Reformauseinandersetzungen. Auch im
12. Jahrhundert schuf keine Gemeinschaft ihren Gründungsmythos und ihre
Identität ohne Einflüsse von außen (S. 412). Ein Vergleich mit
zisterziensischen Gründungsquellen erlaubt die Relativierung der "Krise"
des benediktinischen Mönchtums im 12. Jahrhundert: Die Gründungsquellen
der benediktinischen Klöster lassen sich nicht alleine als Reaktion auf
die zisterziensischen Neugründungen verstehen. Die Motive liegen
vielmehr in der Gemeinschaft selbst und in der Stabilität oder der
Veränderung ihres sozialen Umfelds begründet. In keinem der Fälle
definierte die Gemeinschaft im engeren Sinne ihre Heiligkeit aus sich
heraus: "Vielmehr begegnen uns in den Quellen auch die vielfältigen
Erwartungen, die durch das engere und weitere Umfeld der Kommunitäten an
sie herangetragen wurden" (S. 414). Das von Christofer Zwanzig
angeführte Beispiel Kitzingen zeigt dies eindrücklich: Die  Erwartungen
konzentrierten sich im 12. Jahrhundert allein auf die Lebensweise der
Nonnen. Das Grab und der Dienst am Grab bestimmten nicht mehr über die
Heiligkeit des Ortes.

Christofer Zwanziger legt eine methodisch durchweg überzeugende und
theoretisch anspruchsvolle Studie vor. Das wichtigste Ergebnis der
Arbeit ist ohne Zweifel die Bestätigung der eingangs formulierten
Arbeitsthese, wonach monastische Fundationserinnerungen nicht Ausdruck
einer ausschließlich klösterlichen Identität seien. Christofer Zwanzig
kommt auf Basis seiner gründlichen Quellenanalyse zu dem Schluss, dass
die soziale Konstruktion der Vergangenheit ein Werk ist, an dem die
Klostergemeinschaft selbst, die Bischöfe und das laikale Umfeld über
Jahrhunderte hinweg immer wieder neu Anteil hatten. Der Wunsch nach
Teilhabe an der Heiligkeit eines Ortes vereinte die Klostergemeinschaft
und ihr soziales Umfeld.

Die klösterlichen Gründungsmythen sind daher als "lebendige Mythen" im
Sinne Aleida und Jan Assmanns zu verstehen, da sie an die jeweilige
Gegenwart angepasst und neu erklärt wurden. Christofer Zwanzigs Arbeit
leistet so einen wichtigen Beitrag zu kulturwissenschaftlichen Fragen
der Identitäts- und Gemeinschaftsbildung durch Erinnerung. Die
integrative und kommunikative Funktion der Gründungsquellen ist bisher
in der Forschung - gerade im Vergleich zu Stiftungen - noch nicht
ausreichend berücksichtigt worden.

Christof Zwanziger führt zwar die Unterschiede zwischen den betrachteten
Klöstern an, bietet aber am Schluss keine Erklärungsangebote mehr für
diesen Befund, was nach der Länge der Untersuchung nicht verwundert.
Warum der Einfluss von Laien bei einem Klöster größer war als bei einem
anderen, warum bei einem Kloster das Gründergrab für die Erinnerung
entscheidend blieb, in einem anderen vergessen wurde, bleibt Gegenstand
für weitere Forschungen. Reizvoll für zukünftige Studien wäre es z.B.
nach dem Wirkungsgrad geschlechterspezifischer Faktoren zu fragen. Es
dürfte kein Zufall sein, dass in Kitzingen, dem einzigen untersuchten
Frauenkloster, die Gründerin Hadelog im Laufe des 12. Jahrhunderts zu
Gunsten eines anonymen Klerikers aus dem Gründungsbericht verdrängt
wurde und zeitgleich die rechte Lebensweise der Nonnen zum alleinigen
Kriterium der Heiligkeit des Ortes wurde und das Grab der Hadelog in
Vergessenheit geriet.

Man hätte sich abschließend gewünscht, dass der Autor selbst in der
Einleitung stärker das Profil seiner Arbeit konturieren würde. Auch
hätten sich einige Passagen sicher straffen lassen. Doch trübt dies in
keiner Weise den positiven Gesamteindruck: Mit seiner Dissertation hat
Christofer Zwanzig nicht nur für die fränkische Landesgeschichte und die
monastische Forschung einen gewichtigen Beitrag geleistet, sondern er
bietet auch für zukünftige kulturwissenschaftliche Forschungen viele
Anknüpfungspunkte.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Lioba Geis <lioba.geis(a)... zur Zitation dieses Beitrages
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-165