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2012/09/14 20:01:00
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Ein fränkischer Kleinköni g in Tholey?
Datum 2012/09/19 08:26:52
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: C. Zwanzig: Grü ndungsmythen fränkischer Klöster
2012/09/19 08:26:52
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: C. Zwanzig: Grü ndungsmythen fränkischer Klöster
Betreff 2012/09/25 09:28:21
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] schon wieder ein buch übers saarlands geschichte
2012/09/14 20:01:00
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Ein fränkischer Kleinköni g in Tholey?
Autor 2012/09/19 08:26:52
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: C. Zwanzig: Grü ndungsmythen fränkischer Klöster

[Regionalforum-Saar] Rezi: J.-C. Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147

Date: 2012/09/19 08:25:50
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Kristin Skottki <kristin.skottki(a)...   19.09.2012
Subject: Rez. MA: J.-C. Herrmann: Der Wendenkreuzzug von 1147
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Herrmann, Jan-Christoph: Der Wendenkreuzzug von 1147 (= Europäische
Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften
1085) [zahlr. Abb.]. Frankfurt am Main: Peter Lang/Frankfurt am Main
2011. ISBN 978-3-631-60926-2; Pb.; 261 S.; EUR 49,80.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_17442.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Kristin Skottki, Theologische Fakultät, Universität Rostock
E-Mail: <kristin.skottki(a)... man die Vielzahl an Publikationen, die in den letzten Jahren
zu den Kreuzzügen erschienen ist, so ergibt sich ein zweifacher Befund:
Erstens lohnt es sich auch heute noch, neue Überblicks- und
Einführungsdarstellungen zu den Kreuzzügen zu schreiben, da die älteren
Standardwerke heutigen Ansprüchen in mancherlei Hinsicht nicht mehr
genügen - sei es angesichts des veralteten Stils (wie bei Runciman) oder
aufgrund der Beschränkung auf die Orientkreuzzüge (wie bei Mayer).[1]
Dies hängt unmittelbar mit dem zweiten Befund zusammen, denn tatsächlich
scheint sich in der Kreuzzugsforschung mehrheitlich die "pluralistische
Sichtweise" durchgesetzt zu haben, der zufolge eben nicht nur die
klassischen Orientkreuzzüge als "echte" Kreuzzüge gelten können, sondern
auch solche gegen innere und andere äußere "Feinde des Christentums",
die teilweise bis in die Frühe Neuzeit hineinreichen.[2]

Umso mehr erstaunt es, dass dem Wendenkreuzzug von 1147 seit der Arbeit
von Friedrich Lotter aus dem Jahre 1977 keine Monographie mehr gewidmet
wurde.[3] Auch die skandinavische Kreuzzugsforschung, die in den letzten
Jahren und Jahrzehnten viel zum Verständnis der nordischen Kreuzzüge
beigetragen hat, behandelt ihn zumeist nur am Rande.[4] In der deutschen
Forschung hat sich zuletzt vor allem Hans-Dietrich Kahl mit dem
Wendenkreuzzug auseinandergesetzt, jedoch vorwiegend unter der
spezifischen Fragestellung nach den eschatologischen Dimensionen des
"Heidenkrieges" bzw. der "Heidenmission".[5] Daher ist es nur zu
begrüßen, dass Jan-Christoph Herrmann in seiner an der Fernuniversität
Hagen eingereichten Dissertation aus dem Jahre 2010 versucht hat, den
Wendenkreuzzug einmal in all seinen Dimensionen zu erfassen, und ihn,
wie er selbst angibt, in den breiteren Zusammenhang der
Kreuzzugsbewegung zu stellen (S. 21).

Wie eingangs erwähnt, spiegelt Herrmanns Befund, dass es sich bei diesem
Unternehmen um einen "echten" Kreuzzug gehandelt habe (S. 223), den
heutigen Forschungskonsens wider. Dass es daran je Zweifel gegeben hat,
erscheint allein deshalb unverständlich, da Papst Eugen III. in seinem
Schreiben vom 11. April 1147 ausdrücklich Bezug auf den Ersten Kreuzzug
nahm, und den von Papst Urban II. für den Jerusalemzug versprochenen
Ablass auch den Teilnehmern dieses Zuges in Aussicht stellte. Diese
zentrale Quelle und drei weitere hat Herrmann dankenswerterweise in
Latein und Deutsch seiner Arbeit beigefügt (S. 237-254).

Um seinem eigentlichen Anliegen, eine umfassende Darstellung des
Wendenkreuzzuges zu liefern, gerecht zu werden, hat Herrmann seine
Arbeit wie folgt gegliedert: Auf die Einleitung folgt das Kapitel
"Vorgeschichte" (S. 24-43), in dem es neben allgemeinen Überlegungen zu
den Kreuzzügen vor allem um die Aufrufe Bernhards von Clairvaux und
Papst Eugens geht. Dann folgt ein längerer Abschnitt (S. 44-80), in dem
Herrmann das Leben der Wenden vor dem Kreuzzug zu beschreiben versucht,
wobei er der westslawischen Religion besonders viel Aufmerksamkeit
schenkt (S. 63-78). Anschließend zeichnet er in drei Schritten das
wechselvolle Verhältnis der verschiedenen christlichen Nachbarn zu den
Lutizen nach (S. 81-121). Erst in der zweiten Hälfte des Buches geht es
dann tatsächlich um den Wendenkreuzzug, vor allem um die verschiedenen
Teilnehmer und deren Motive und Ziele. Darauf folgt ein Exkurs zu einer
der wichtigsten Quellen, der Slawenchronik Helmolds von Bosau (S.
183-199), bevor die Untersuchung in einem Kapitel zur "Bewertung des
Wendenkreuzzuges" mündet (S. 200-222), an das sich schließlich noch ein
Fazit und Ausblick (S. 223-227) anschließen.

Am Aufbau der Arbeit wird der Versuch des Verfassers deutlich,
tatsächlich alle relevanten Dimensionen dieses historischen Phänomens
einzufangen, doch werden an ihm auch zugleich die Probleme dieser Studie
ersichtlich. Da es sich hierbei um die erste Qualifikationsarbeit des
Verfassers handelt, kann er nicht auf ein großes Oeuvre eigener
Spezialstudien zurückgreifen, sondern muss sich für die einzelnen
Teilaspekte sehr stark auf die Sekundärliteratur verlassen. Sie wird
allerdings zumeist affirmativ mit in die Interpretation des
Quellenmaterials einbezogen, so dass es zu keiner wirklichen
Auseinandersetzung mit dem bisherigen Forschungsstand kommt. Gerade weil
es ein Hauptanliegen dieser Arbeit ist, den Wendenkreuzzug als Teil der
allgemeinen Kreuzzugsbewegung darzustellen, hätte diese Einordnung sich
nicht nur auf das Kapitel "Vorgeschichte" beschränken dürfen, und es
wäre dafür auch eine wesentlich intensivere Auseinandersetzung mit der
aktuellen Kreuzzugsforschung (nicht nur über den Wendenkreuzzug)
notwendig gewesen.

Dies hängt unmittelbar mit dem Problem zusammen, dass Herrmann keine
spezifische Fragestellung entwickelt, so dass er der bereits vorhandenen
Forschungsliteratur im Großen und Ganzen keine eigenen, neuen Ergebnisse
oder Sichtweisen entgegen stellen kann. Dabei bietet er an einigen
Stellen interessante Beobachtungen, wie beispielsweise zur möglichen
Adaption christlicher Sitten durch die Wenden (S. 69), die er jedoch
meist nicht weiter verfolgt, da er sich sogleich einem anderen
Themenbereich zuwendet. Immerhin gelingt es Jan-Christoph Herrmann, sich
wenigstens von einer bis heute vorherrschenden Interpretation des
Wendenkreuzzugs zu lösen. So kann er deutlich zeigen, dass die negative
Beurteilung des Kreuzzugs als "Farce" oder Misserfolg (die sich schon in
den mittelalterlichen Quellen findet) zu kurz greift, da die Ziele und
Motivationen der verschiedenen Promulgatoren und Teilnehmer auf je
unterschiedliche Weise und mit je unterschiedlicher Langzeitwirkung
erreicht oder befriedigt wurden (siehe dazu das Kapitel "Zur Bewertung
des Wendenkreuzzuges").

Lobenswert ist zudem der Versuch, die Wenden stärker in die Betrachtung
miteinzubeziehen. Dabei ergibt sich jedoch eine auffällige Diskrepanz -
widmet Herrmann ihnen anfangs ganze 36 Seiten, kommt er am Ende doch zu
dem Schluss: "Wir wissen im Grunde genommen sehr wenig über die Wenden."
(S. 225) Was er über die Kultur, die Politik und die Religion der Wenden
sagen kann, ist fast ausschließlich den christlichen Autoren wie Helmold
von Bosau und Thietmar von Merseburg entnommen, deren Darstellungen der
"Anderen" bereits ausführlich von Volker Scior und David Fraesdorff
untersucht wurden.[6] Beide Arbeiten nennt Herrmann auch zu Beginn (S.
20f.), ohne jedoch deren Einsichten zur Identitäts- und
Alteritätskonstruktion wirklich zu rezipieren. Das ist umso
bedauerlicher, da diese Einsichten natürlich auch für die
Auseinandersetzung mit anderen hier benutzten Quellen wichtig wären. In
diesem Zusammenhang ist ebenfalls kritisch zu bemerken, dass sich
Herrmann auch im weiteren Verlauf der Arbeit zu oft auf die
Suggestivkraft der vielen Quellenzitate verlässt und sie nur selten noch
einmal kritisch kontextualisiert und interpretiert (vgl. zum Beispiel S.
194f.). Nimmt man zudem die Problematik der Darstellungen der "Anderen"
in diesen Quellen ernst, so hätte das Kapitel über die Wenden sicher
nicht an den Anfang gehört, denn nun erweckt es den Anschein, als könne
Herrmann tatsächlich gesicherte, "objektive" Informationen über die
Wenden vor dem Kreuzzug liefern. Freilich verweist er immer wieder auf
die verzerrte Darstellung in den christlichen Quellen, versucht aber
dennoch "den wahren Kern" (siehe etwa S. 195) zu extrahieren. Gleiches
gilt auch für den Exkurs zu Helmolds Slawenchronik, der vermutlich
besser zu dem Kapitel über die Wenden gepasst hätte, als zwischen den
Kapiteln zu den Teilnehmern und der Bewertung des Kreuzzugs in gewisser
Weise unterzugehen.

Es mag nun eine Frage des historiographischen Ansatzes sein, ob und
inwieweit man von solchen Alteritätsdarstellungen auf eine historische
Faktizität hinter den Quellen schließen kann oder möchte. Deutlich
problematisch wird dieser Ansatz allerdings, wenn Herrmann in seinem
Fazit mehrmals von der kulturellen Assimilierung der Wenden spricht und
sogar einen Wandel des Heidenbildes als ein Ergebnis des
Wendenkreuzzuges postuliert (S. 226). Den Nachweis dieser beiden
Veränderungen bleibt er jedoch schuldig und sie spielen in seiner
Darstellung auch nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dies korreliert
wiederum mit dem bereits benannten Problem der fehlenden Fragestellung,
denn um die Auswirkungen des Wendenkreuzzuges auf die Wenden selbst und
auf die Wahrnehmung dieser slawischen Gruppen bei den christlichen
Zeitgenossen zu untersuchen, hätte es sicherlich eines stärker
kulturwissenschaftlich oder literaturwissenschaftlich geprägten
Zugriffes bedurft.

Ebenfalls sind einige handwerkliche Mängel anzumerken. Da die Kapitel
und Unterkapitel nicht nummeriert sind, lässt sich das Verhältnis der
einzelnen Unterpunkte zu einander nur sehr mühsam bestimmen, was es dem
Leser sehr schwer macht, den roten Faden zu finden.[7] Der
Fußnotenapparat ist ebenfalls sehr unübersichtlich gestaltet: Nicht nur
variiert die Zitationsweise in den Anmerkungen immer wieder, zahlreiche
Titel lassen sich auch überhaupt nicht auflösen, da sie einerseits nicht
im Literaturverzeichnis vorkommen (das sich lediglich auf drei Seiten
"Häufig zitierte Literatur" beschränkt), und andererseits auch nicht auf
die Erstzitation in den Anmerkungen zurückverwiesen wird. Auch hätte die
Arbeit noch einmal gründlich lektoriert werden müssen (Leerzeichen,
Satzzeichen, fehlende und überflüssige Wörter etc.).

Das Resümee muss entsprechend zwiespältig ausfallen: Jan-Christoph
Herrmann hat eine große und wichtige Aufgabe in Angriff genommen und
seine Arbeit wird sicherlich zu einem wichtigen Referenzwerk werden, da
es eben die einzige umfassende Darstellung zum Wendenkreuzzug ist. Doch
macht er es seinem Leser nicht gerade leicht. Für eine
Überblicksdarstellung hätte das Material wesentlich stringenter und
logischer geordnet werden müssen. Auch hätte man sich gewünscht, dass
Herrmann als Erzähler oder eben als Historiker deutlicher hervortritt
und seine Darstellung nicht so stark von den Quellenzitaten und
Forschungsmeinungen anderer dominieren lässt. Wer sich davon jedoch
nicht entmutigen lässt, wird immerhin dank dieser Arbeit feststellen
können, dass unser Bild vom Phänomen Kreuzzug nach wie vor weiter
vervollständigt werden muss. Im Wendenkreuzzug spielen eben nicht die in
letzter Zeit so häufig betonten Motive wie Bußwallfahrt oder kulturelle
Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum eine Rolle, sondern
Motive wie die eschatologisch geprägte Heidenmission, territorialer
Machtgewinn und schließlich auch die in der Kreuzzugsforschung so
umstrittene Verbindung von Kreuzzug und Kolonisierung. Auch wenn
Jan-Christoph Herrmann all dies nur am Rande behandelt, ist hierin
sicherlich der größte Gewinn seiner Arbeit für die Kreuzzugsforschung zu
sehen - der Wendenkreuzzug muss zukünftig noch viel deutlicher, als
bisher geschehen, in allgemeine Überlegungen zur Entwicklung der
Kreuzzugsidee miteinbezogen werden.


Anmerkungen:
[1] Steven Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, 6. Aufl., München 2012
(Engl. Original in 3 Bänden 1951-1954); Hans Eberhard Mayer, Geschichte
der Kreuzzüge, 10. überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart 2005 (1. Aufl.
1965). - Die Neuauflagen zeigen allerdings, dass beide Werke nach wie
vor populär sind.
[2] Vgl. nur den "pluralistischen" Klassiker: Norman Housley, The later
crusades 1274-1580. From Lyons to Alcazar, Oxford 1992. Als Beispiele
für neuere Überblickswerke mögen diese beiden genügen: Nikolas Jaspert,
Die Kreuzzüge, 5., bibliogr. aktual. Aufl., Darmstadt 2010 (1. Aufl.
2003); Jonathan Phillips, Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der
Kreuzzüge, München 2011 (Engl. Original 2009).
[3] Friedrich Lotter, Die Konzeption des Wendenkreuzzugs.
Ideengeschichtliche, kirchenrechtliche und historisch-politische
Voraussetzungen der Missionierung von Elb- und Ostseeslawen um die Mitte
des 12. Jahrhundert, Sigmaringen 1977.
[4] Vgl. etwa: Ane L. Bysted / Carsten Selch Jensen / Kurt Villads
Jensen u.a. (Hrsg.), Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic
Crusades 1100-1522, Turnhout 2010 (Dän. Original 2004); Iben
Fonnesberg-Schmidt, The popes and the Baltic Crusades. 1147-1254, Leiden
2007; Eric Christiansen, The Northern Crusades, 2. Aufl., London 1997
(1. Aufl. 1980).
[5] Vgl. etwa die Aufsatzsammlung: Hans-Dietrich Kahl, Heidenfrage und
Slawenfrage im deutschen Mittelalter. Ausgewählte Studien 1953-2008,
Leiden 2011.
[6] Volker Scior, Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in
den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von
Lübeck, Berlin 2002; David Fraesdorff, Der barbarische Norden.
Vorstellungen und Fremdheitskategorien bei Rimbert, Thietmar von
Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau, Berlin 2005. - Von
Herrmann nicht berücksichtigt, aber ebenso wichtig: Thomas Foerster,
Vergleich und Identität. Selbst- und Fremddeutung im Norden des
hochmittelalterlichen Europa, Berlin 2009.
[7] Vielleicht ist dies aber auch einem Fehler bei der Drucklegung
zuzurechnen, denn auf S. 199 verweist Herrmann auf Kapitel 10.2, das nun
aber gar nicht zu identifizieren ist.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Wolfgang Eric Wagner <wolfgang-eric.wagner(a)... zur Zitation dieses Beitrages
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-166

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